Gesellschaft | Missbrauch
Unabhängiger Gutachter
Foto: Pixabay
„Die Politik kann auch in Südtirol nicht mehr wegschauen“, sagt Franz Ploner. Der pensionierte Primar und Landtagsabgeordnete, der sich selbst als „überzeugter Christ“ definiert, ist der Kopf eines Beschlussantrages, den seine Fraktion im Landtag eingebracht hat.
Die Initiative und der Antrag mit dem Titel „Mut zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs von Minderjähriger und erwachsener Schutzbedürftiger in kirchlichen und öffentlichen Einrichtungen in Südtirol“ wird auf einer Pressekonferenz des Team K am Mittwoch im Südtiroler Landtag vorgestellt.
Die Südtiroler Oppositionspartei greift damit ein brandaktuelles Thema auf.
Kirchlicher Missbrauch
„Das vor einigen Tagen präsentierte Gutachten zum sexuellen Missbrauch in der Erzdiözese München und Freising gibt Anlass, eine umfassende Aufarbeitung in Kirche und Gesellschaft auch in Südtirol in die Wege zu leiten“, sagen die Einbringer des Beschlussantrages. Für Franz Ploner, Paul Köllensperger, Maria Elisabeth Rieder und Alex Ploner ist die Politik ist als Verantwortungsträger gefordert, „nicht erst zu reagieren, wenn tragische Ereignisse und der Druck durch die Medien es erzwingen, sondern sie muss proaktiv tätig werden.“
Vor einiger Zeit haben sich hohe Vertreter der Katholischen Kirche in Südtirol im Bozner Pastoralzentrum getroffen, um über den Missbrauch in der Kirche Zwischenbilanz zu ziehen und über die aktuelle Situation zu beraten. Die Zahl der Menschen, die von Priestern und in kirchlichem Rahmen sexuelle Gewalt und Missbrauch erlitten haben, wird durch die diözesane Ombudsstelle laufend erfasst und erweitert.
Seit ihrer Einrichtung 2010 ist die Zahl der gemeldeten Fälle auf 100 angestiegen, noch im Oktober 2019 waren es 75 gewesen; die Dunkelziffer dürfte erheblich sein. Angesichts von 2100 Betroffenen in den 27 Bistümern Deutschlands (2019) ist der Vergleichswert in Südtirol bedenklich hoch, zumal der Anteil betroffener Frauen, und erfordert eine Aufarbeitung durch eine unabhängige Kommission.
„Es ist anerkennenswert, dass die katholische Kirche in Südtirol die Bereitschaft zur Aufarbeitung zeigt“, sagen die vier Landtagsabgeordneten.
Mea culpa des Bischofs
Für das Team K ist die kirchliche Position in Südtirol ist für italienische Verhältnisse wegweisend, da sie über die Ombudsstelle und den Beauftragten der Diözese Bozen-Brixen systematische Erfassung leistet und die Kirche sich in den Worten von Bischof Ivo Muser “auf die Seite der Betroffenen stellt”.
Der Südtiroler Bischof hat dieser Haltung erst am Dienstag exemplarisch vorgeführt. Nachdem die Tageszeitung detailliert über den Fall des aus den USA stammenden Priesters Timothy Meehan, einem Angehörigen der „Legion Christi“, der in den USA ein sexuelles Verhältnis mit einem Minderjährigen gestanden hat und später drei Jahre in verschiedenen Pfarreien am Ritten und in Bozen tätig war. Meehan wurde von seinen Aufgaben in Südtirol erst Ende August 2021 entbunden und ist inzwischen wieder in die USA zurückgekehrt.
Am Dienstag konfrontierte RAI Südtirol Bischof Ivo Muser mit diesen Enthüllungen. „Ich habe in diesem Fall, natürlich einen schwerwiegenden Fehler gemacht“, sagt der Bischof ohne Ausflüchte zu suchen. Muser erklärt, dass er sich vor der Anstellung Meehans zwar kirchenrechtlich abgesichert habe, er habe Kontakt mit der Glaubenskongregation und auch mit den zuständigen Oberen aufgenommen habe aber das Wichtigste außer Acht gelassen.
Bischof Ivo gegenüber Rai Südtirol: „Mein grundlegender Fehler besteht darin, dass ich den Fachbeirat nicht beigezogen habe und dass ich dann die zuständigen Gemeinden nicht informiert habe.“
Selten hat man aus dem Mund des höchsten kirchlicheren Würdenträgers in Südtirol ein so klares und auch überzeugendes Mea Culpa gehört.
Fehlende Aufarbeitung
„Es geht aber auch darum zu erkennen“, sagt Franz Ploner, „dass Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt ein gesellschaftlich-systemisches Phänomen sind.“ Einige Diözesen haben begonnen, sich der eigenen Geschichte zu stellen, damit die Ursache von Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt zusammen mit den Risiko- und Schutzfaktoren wissenschaftlich erhoben werden. Prävention ohne Aufarbeitung berge aber das Risiko, dass Haltungen und Muster unterschwellig weiterwirken, die Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt ermöglicht, gedeckt, vertuscht und banalisiert haben.
In Südtirol stehe eine vertiefte, gesellschaftlich wirksame Auseinandersetzung mit dem oft praktizierten Missbrauch durch Geistliche erst am Anfang und werde rein innerkirchlich abgewickelt.
Die vier Landtagsabgeordneten bedauern, dass eine vom Beauftragten und der Ombudsstelle angeregte und in Zusammenarbeit mit der Universität Bozen geplante Studie zur Erfassung von Missbrauch unter historischen und aktuellen Aspekten bisher nicht durchgeführt wurde. Das Projekt mit dem Titel “Mut zur Aufarbeitung“ komme nicht aus den Startlöchern.
Auch weil in den Pfarrgemeinen, in den Heimen, in den Schulen, in den Familien und in den verschiedenen Einrichtungen und Organisationen sowohl der Kirche oder der Gesellschaft vielfach immer noch eine Kultur des Verschweigens, des Banalisierens, des Zudeckens, des Leugnens, des Verdrängens und der Gleichgültigkeit herrschen.
„Der bisherige Ausschluss von Entschädigungszahlungen wird der Situation der Opfer und dem von ihnen erlittenen Leid keinesfalls gerecht“, heißt es im Beschlussantrag. Eine Institution und moralische Lebensmacht, wie sie die Katholische Kirche in Südtirol darstellt, müsste andere, weit höhere Ansprüche der Generosität und Selbstreinigung an sich anlegen.
Verantwortliche Politik
Paul Köllensperger & Co stellen sich die Frage, ob das Land Südtirol nicht die Pflicht hätte, den Betroffenen beizuspringen. Da die Fälle vielfach strafrechtlich verjährt seien, zudem Angst, Traumatisierung und Zurückhaltung der Betroffenen überwiegen, wäre eine Unterstützung bei der Aufklärung des Geschehenen und der Befriedigung ihrer moralischen und finanziellen Ansprüche auch durch das Land Südtirol dringend geboten. „Aus der Verantwortung stehlen können die Politik und Land sich hier nicht“, meint Paul Köllensperger. „schon gar nicht wenn die Vorfälle in Heimen stattgefunden haben, die vom Land finanziert wurden, denen die Eltern ihre Kinder anvertraut haben.“
Kirchliche Heime wurden und werden vom Land finanziell unterstützt. Daraus ergebe sich eine Aufsichtspflicht, dass in diesen Einrichtungen, einschließlich der landeseigenen, die Sorge für das Wohl und den Schutz der Minderjährigen und schutzbedürftigen Personen entsprechend der Verfassung und den gesetzlichen Vorgaben sowie der Menschenrechte und der Konvention für die Rechte der Kinder gewährleistet werden.
„Für die Aufarbeitung solcher Vorfälle braucht es eine Institution, die die nötige Unabhängigkeit garantiert“, sagt Franz Ploner.
Die Forderungen
Das Team K legt deshalb im Landtag eine Art Maßnahmenkatalog für die Landesregierung vor.
Die Forderungen, darin:
-
Die Einsetzung einer unabhängigen Gutachterkommission, welche die Fälle von sexualisierter Gewalt an Minderjährigen und schutzbedürftigen Personen in kirchlichen Institutionen und in öffentlichen Einrichtungen erfasst und aufarbeitet;
-
Die Schaffung eines/einer unabhängigen Beauftragten oder Beirates für den Bereich Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt, zur Prävention von sexualisierter Gewalt und Missbrauch und um Handlungsempfehlungen zu entwickeln;
-
Die Bildung einer Kommission für die Überprüfung, Bestimmung und Gewährleistung von finanziellen Zuwendungen für Betroffene, die nach Abklärung der straf- und zivilrechtlichen Aspekte des Missbrauchs in kirchlichen und öffentlichen Institutionen, ihrer Rechtswirkungen und allfälliger Entschädigungen im Lichte der italienischen Rechtsordnung und im Vergleich mit internationalen Regelungen, Gespräche mit der Diözesanspitze und öffentlichen Institutionen aufnimmt, um ihnen nahezulegen, konkrete Formen der Entschädigung in angemessener Höhe in Aussicht zu stellen;
-
Die Förderung aller konkreten Initiativen im Bereich Aufarbeitung und Prävention sexueller Gewalt in den Bereichen Schule, Vereine, Organisationen, Heimen, psychosozialen und rehabilitativen Einrichtungen u.a.m. sowohl in öffentlicher als kirchlicher Hand, um eine Mentalitätsänderung in allen gesellschaftlichen Kreisen durch Aus- und Weiterbildung, Tagungen, Erzählkreise, Medien zu erzielen, sowie um Standards zur Prävention von Missbrauch einzuführen;
-
Die Diözesankirche zu ermutigen, die angekündigte Studie „Mut zur Aufarbeitung“ zum Missbrauch in kirchlichen Institutionen in Südtirol in Angriff zu nehmen.
Ob und wie die Regierungsmehrheit auf dieses Thema einsteigt, wird sich spätestens in der Aula des Landestages zeigen.
Bitte anmelden um zu kommentieren
Die von listigen
Die von listigen Rechtsanwälten zur Rettung ihrer unsauberen Kundschaft angestrebte Verjährung, darf es in diesen Fällen nicht geben.
Antwort auf Die von listigen von Josef Fulterer
Die rechtliche Verantwortung
Die rechtliche Verantwortung mag verjähren, die moralische niemals.
Antwort auf Die von listigen von Josef Fulterer
Was man seit Jahren
Was man seit Jahren beobachten kann, ist ein einziger christlich-katholischer Sumpf, der von den oberen Etagen gedeckt und toleriert wird. Dies geschieht mit Lügen und grausamer Kaltschnäuzigkeit bis schließlich eindeutige Beweise das hermetische Lügengebäude zum Einsturz bringen.
Pfui Teufel, mehr fällt mir dazu nicht ein.
Höchste Zeit dass die
Höchste Zeit dass die Vorschläge vom Team K in dieser Angelegenheit von der Landesregierung ernst genommen werden und dass in Zukunft reagiert wird!Zu Muser muss man nur eines sagen-erbärmlich wenn er erst dann mit der Wahrheit herausrückt,wenn es schon von anderer Seite publik gemacht wurde,und jetzt scheinheilige Entschuldigung und gleichzeitig eine Studie zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in Südtirol mit allen Mitteln VERHINDERN!Heuchelei P U R !!!! Erbärmlich!!!!
Die Kirche hat leider eines
Die Kirche hat leider eines gelernt, nur das zuzugeben, wo sie einfach nicht mehr leugnen können, weil die Taten so erdrücken sind, das es nur mehr die Flucht nach vorne gibt.
„Muser erklärt, dass er sich
„Muser erklärt, dass er sich vor der Anstellung Meehans zwar kirchenrechtlich abgesichert habe, er habe Kontakt mit der Glaubenskongregation und auch mit den zuständigen Oberen aufgenommen habe aber das Wichtigste außer Acht gelassen“
„Bischof Ivo gegenüber Rai Südtirol: „Mein grundlegender Fehler besteht darin, dass ich den Fachbeirat nicht beigezogen habe und dass ich dann die zuständigen Gemeinden nicht informiert habe.“
Sicher nur ein „Versehen“ seitens des Bischofs….
Die
Die Beschlussantragsinitiative des Teams K hat meine Unterstützung. Die Politik darf sich in solchen Fragen grundsätzlich nicht ausklinken.
Antwort auf Die von Albert Pürgstaller
Ich unterstütze den
Ich unterstütze den Beschlussantrag des Team K, weil sich vielerorts und auch bei uns gezeigt hat, dass die Kirchenleitungen allein nicht fähig sind, den Betroffenen Gerechtigkeit zu verschaffen und die Würde zurückzugeben. Sogar Bischöfe in Deutschland fordern eine "Wahrheitskommission". Die Kirche stellt eine bedeutende Institution in der Gesellschaft dar. Deshalb soll es im Interesse der Politik sein, eine gründliche Aufarbeitung in die Wege zu leiten und vielfältige Anerkennung des Leidens für die Betroffenen herzustellen. Das würde wesentlich dazu beitragen, dass solche Verbrechen in der Kirche und überall in der Gesellschaft in Zukunft möglichst nicht mehr stattfinden.
Antwort auf Ich unterstütze den von Robert Hochgruber
Säkularisierung könnte auch
Säkularisierung könnte auch Chance für eine (glaubwürdige) Kirche sein, oder?
Wieso eigentlich noch eine
Wieso eigentlich noch eine teure Untersuchungkommission auf Kosten der Steuerzahler-innen, wenn eh bereits jetzt feststeht, dass ja das Land dafür haftbar sein soll, weil es in der Vergangenheit den Fehler gemacht bzw. macht, Einrichtungen zu unterstützen hat bzw. unterstützt und seine Kontrollpflicht maßgeblich nicht erfüllt haben soll?
Wie viele solcher konkreten Haftungsklagen wurden bislang gegen das Land Südtirol bislang denn erhoben?
Antwort auf Wieso eigentlich noch eine von △rtim post
Schwer vorstellbar auch, dass
Schwer vorstellbar auch, dass der Südtiroler Landtag die röm.-kath. Kirche zur Zusammenarbeit, der Herausgabe von kirchlichen Dokumenten ... zwingen kann, um im Ergebnis überhaupt zu einem Untersuchungsbericht zu kommen. Zumal der auf kirchenrechtlicher Ebene verantwortliche Bischof zwar Fehler einräumt, aber nicht mal um Verzeihung bittet oder gar Konsequenzen zieht.