Was zum Trinken?
Eines will Christian Kerschbaumer nicht so stehen lassen. “Kein Tropfen unseres Trinkwassers landet auf den Skipisten”, stellt der Obmann der Trinkwassergenossenschaft Neptunia klar. Vor knapp zwei Wochen wurde bekannt, dass es in Kastelruth und auf der Seiser Alm an Trinkwasser mangelt. Die Berufsfeuerwehr Bozen musste 200.000 Liter Wasser anliefern. Dieses stammt aus dem Nachbarort Seis am Schlern. Das dortige Trinkwassernetz betreibt die Genossenschaft Neptunia. Die – zunächst durchaus plausible – Vermutung, dass die Knappheit in Kastelruth und auf der Seiser Alm auch deswegen aufgetreten ist, weil Trinkwasser für die künstliche Beschneiung von Skipisten verwendet wird, weist Neptunia-Obmann Kerschbaumer klar von sich. “Das Wasser für den Kunstschnee stammt aus Speicherbecken der privaten Pistenbetreiber. Uns würde es nie in den Sinn kommen, unser kostbares Trinkwasser dafür herzugeben.”
Jetzt benötigen Kastelruth und die Seiser Alm weitere 150.000 bis 180.000 Liter. Deshalb wird die Berufsfeuerwehr am heutigen Donnerstag erneut ausrücken. “Solange die beiden Quellen, die bei den Unwettern im vorigen Juli beschädigt wurden, nicht wiederhergestellt sind, kann Kastelruth daraus kein Wasser beziehen”, erklärt Kerschbaumer. Seis bzw. die Neptunia wird also weiter aushelfen müssen. “Wir können das, weil wir noch genug Wasser haben.” Wie bedenklich sind Situationen wie die aktuelle in Kastelruth? Wird das Trinkwasser in Südtirol künftig häufiger knapp werden? Thomas Senoner geht nicht davon aus. “Unsere Trinkwasserreserve ist gut abgesichert”, unterstreicht der Direktor im Amt für nachhaltige Gewässernutzung. Um diese Antwort besser einordnen zu können, lohnt es sich, weitere Fragen zu stellen: Was ist Trinkwasser überhaupt? Wie viel gibt es davon in Südtirol? Woher kommt es? Wo landet es? Und wie entsteht der Preis dafür?
Trinken aus dem Untergrund
Trockene Zahlen zum Trinkwasser finden sich für Südtirol zuhauf. In Südtirol fallen jährlich an die 5.000 Millionen Kubikmeter an Niederschlag. Das sind 5 Billionen Liter. Landesweit gibt es rund 2.000 Quellen und 80 Brunnen, die das öffentliche Trinkwassernetz mit knapp 500 Wasserleitungen speisen. Für die Versorgung zuständig sind 184 Körperschaften, zumeist Gemeinden oder Betreiber wie Stadtwerke, Genossenschaften und Interessentschaften, die von den Gemeinden mittels einer Konvention beauftragt werden. Laut den letzten verfügbaren Daten des nationalen Statistikinstituts ISTAT wurden in Südtirol 2018 insgesamt 48,5 Millionen Kubikmeter verbraucht. Etwa ein Prozent des jährlichen Niederschlags und hochgerechnet 251 Liter pro Einwohner und Tag.
Das Südtiroler Trinkwasser stammt aus dem Untergrund, wo es sich dank der Niederschläge, der Schneeschmelze und der Infiltration aus Fließgewässern langsam anreichert. Von dort fließt es über Trinkwasserspeicher nach – im Idealfall – spätestens zwei Tagen in die und aus den Leitungen. Anders als jenes aus Oberflächengewässern muss Trinkwasser aus unterirdischen Quellen und Brunnen in Südtirol nur in Ausnahmefällen aufbereitet werden. Stand 2018 müssen nur drei Prozent des Trinkwassers mittels UV-Bestrahlung oder Chlor behandelt werden, um Keime abzutöten, bevor dieses in die Leitungen gelangt. Zum Vergleich: In der Emilia-Romagna und in Apulien werden 54 Prozent des Trinkwassers aufbereitet, in Sardinien und der Basilicata sogar knapp 80 Prozent. “Wir haben praktisch überall ‘Bio-Wasser’”, bringt es Thomas Senoner auf den Punkt. Daher fällt eine genaue Definition von Trinkwasser auch schwer, zeigt der Direktor im Amt für nachhaltige Gewässernutzung auf. “An und für sich ist Trinkwasser Wasser, das für den menschlichen Gebrauch geeignet ist. Aber wir haben zum Beispiel sehr viel unterirdisches Beregnungswasser, das dieselben Qualitätsmerkmale wie Trinkwasser aufweist.”
Mehrfacher Schutz
Zu verdanken hat Südtirol die ausgezeichnete Wasserqualität seiner geografischen Lage und den Eigenschaften des Untergrunds, die einen natürlichen Schutz bieten – und dem Gesetzgeber. Art. 15 des Landesgesetzes Nr. 8 von 2002 zu den Bestimmungen über die Gewässer regelt die Trinkwasserschutzgebiete. 830 davon gibt es im Land. “Elf Prozent der Landesfläche sind als Trinkwasserschutzgebiete ausgewiesen – das ist auffällig viel. Zumeist ist Wald oder unbewirtschaftetes Gebiet betroffen”, meint Senoner. Seine Behörde ist für die Ausweisung zuständig. Für jedes Schutzgebiet erstellt das Amt für nachhaltige Gewässernutzung zudem einen Trinkwasserschutzplan, der die menschliche Tätigkeit – unter anderem Bau- und Grabungsarbeiten – im Einzugsgebiet der jeweiligen Quellen und Tiefbrunnen einschränkt, um Verunreinigungen und Beeinträchtigungen zu verhindern. Dafür können Schutzgebiete in verschiedene Zonen unterteilt werden. “In der Zone II etwa darf keine Gülle ausgebracht werden”, macht Senoner ein Beispiel. 650 Trinkwasserschutzgebiete haben aktuell einen spezifischen Schutzplan
Flüssige Gäste
Wer denkt, dass das Wasser aus den Trinkwasserleitungen dem Namen gemäß nur zum Trinken da ist, hat weit gefehlt. Neben den privaten Haushalten, wo es zur menschlichen Einnahme, zur Zubereitung von Speisen und Getränken, zur Körperpflege, zum Waschen und Reinigen, also auch zum Duschen und Spülen der Toilette verwendet wird, sind in Südtirol Handwerks- und Gastbetriebe ebenso an das Trinkwassernetz angeschlossen wie Krankenhäuser, Geschäfte und Betriebe, Dorfbrunnen und Feuerwehrhydranten. Auch bei der Straßenreinigung und der Bewässerung öffentlicher Grünflächen kommt Trinkwasser zum Einsatz. Folglich sind die 251 Liter, die laut ISTAT pro Tag und Einwohner in Südtirol zuletzt verbraucht wurden, auch nicht wörtlich zu nehmen. Diese Zahl beinhaltet auch sämtliche anderen Nutzungen. Pro Kopf geht man von einem effektiven Bedarf von 95 Liter am Tag aus.
“Der Wert (von 251 Litern, Anm.d.Red.) gibt nicht den effektiven Wasserverbrauch der einzelnen Person wieder”, bestätigt die Plattform “Nachhaltigkeit Südtirol”, die von der Eurac, dem Institut für Wirtschaftsforschung der Handelskammer und der Landesagentur für Umwelt und Klimaschutz betrieben wird. Ein Blick auf die dort bereit gestellte Landkarte zeigt: Der Trinkwasserverbrauch variiert stark. Gemeinden mit vielen Betrieben, aber vor allem mit viel Tourismus weisen einen vergleichsweise hohen Verbrauch auf. Absoluter Spitzenreiter ist Corvara mit umgerechnet 834 Litern pro Einwohner und Tag. Auch in Hafling (730), Wolkenstein (609) und Mühlbach (602) war der Trinkwasserverbrauch 2018 mehr als doppelt so hoch wie der Südtiroler Schnitt.
Grundsätzlich rechnet man damit, dass ein Tourist 1,75 Mal so viel Wasser verbraucht wie ein Einheimischer – ein Gast einer Luxusherberge sogar zwei Mal so viel. “Der tägliche Wasserverbrauch eines Touristen ist aufgrund verschiedener Einflüsse wie der häufigen Wäschereinigung oder sonstiger Dienstleistungen – Schwimmbad, Sauna etc. – deutlich höher einzustufen”, halten die Autoren des Wassernutzungsplans, der 2017 von der Landesregierung genehmigt wurde. Was aber nicht bedeutet, dass einfach mehr Trinkwasser abgepumpt werde darf. Der Wassernutzungsplan legt die Menge genau fest: Konzessionen für die Trinkwassernutzung werden auf Grundlage einer Bedarfserhebung ausgestellt. Demnach dürfen am Tag pro Einwohner und pro Bett in Tourismusstrukturen und Krankenhäusern 300 Liter abgeleitet werden. Diese Berechnung berücksichtigt auch die Entwicklungen der kommenden 30 Jahre (bis 2047). “Wobei uns inzwischen immer öfter mitgeteilt wird, dass mit den 300 Litern in den hochpreisigen Beherbergungsstrukturen kein Auskommen mehr gefunden wird”, gibt Amtsdirektor Thomas Senoner zu bedenken.
“Ich kenne ein Hotel, das braucht im Jahr zwischen 17.000 und 18.000 Kubikmeter. So viel Wasser brauchen die Fraktionen Tagusens und St. Oswald (insgesamt 228 Einwohner, Anm.d.Red.) zusammen nicht”, meinte der Kastelruther Bürgermeister Andreas Colli jüngst im Gespräch mit Rai Südtirol.
Lesen Sie in Teil 2: Wie der Gesetzgeber versucht, die unterschiedlichen Begehrlichkeiten rund um das Wasser in Einklang zu bringen, der Wasserverschwendung entgegenzuwirken – und warum wir dafür alle zahlen müssen.
Ein Wasserverbrauch von 95
Ein Wasserverbrauch von 95 Liter/Tag je südtiroler Einwohner ist bedenklich viel . Der Verbrauch von 850 Liter/Tag, wie jener in Corvara, muss von den Trourismus-Organisationen landesweit überdacht und sinnvoll reduziert werden. Dies, damit wir auch künftig noch ausreichend gesundes Wasser bekommen können.