Gesellschaft | Ukraine-Krise

„Wir sind vereint für den Frieden“

Während in der Ukraine Krieg herrscht, kommen Ukrainer und Russen in der christlich-orthodoxen Gemeinde in Meran zum Gebet zusammen. Sie verstehen sich als Brudervölker.
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Foto: Anna Luther

Es ist ein kühler Sonntagmorgen mit strahlend blauem Himmel und die ersten Gläubigen der christlich-orthodoxen Gemeinde in Meran treffen für die Messe in der Kirche des Borodina Vereins ein. Trotz des feierlichen Anlasses ist die Stimmung gedrückt. Fünf Frauen warten zusammengerückt auf einer Kirchenbank. Auf die Frage woher sie kommen, antworten sie: „Wir sind hier vereint für den Frieden.“ Die Kirchengemeinde setzt sich aus Menschen verschiedener slawischer Nationalitäten zusammen.

 

 

Russen, Ukrainer, Belarussen und Moldawier beten hier gemeinsam. Für gewöhnlich finden die Messen unregelmäßig und nicht jede Woche statt. Seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine wird nun wöchentlich eine Messe gehalten. Der orthodoxe Priester Archimandrit Sergeij Akhinow reist für diesen Anlass jedes Mal aus Rom an und übernachtet bei einem der Gläubigen. Er eröffnet auch an diesem Sonntag die Messe und einige Frauen beginnen mit einem monotonen Gebetsgesang in altslawischer Sprache.

 

 

Religion als Trostspender

 

Viele Gläubige zünden Kerzen an und beten vor den Heiligenbildern. „Die christliche Religion spendet in dieser Zeit Trost“, sagt Lukas Pichler, Direktor des Borodina Vereins, im Gespräch mit Salto.bz. Veranstaltungen, Kurse und Vorträge hingegen finden zurzeit nicht im Borodina Verein statt. „Wir können nicht hier Fasching feiern, während in der Ukraine Menschen sterben“, so Pichler. Das Land hat Ende Februar als Vereinsträger die Zusammenarbeit mit dem russischen Partner des Meraner Kulturzentrums bis auf Weiteres beendet. Grund dafür ist der Angriff Russlands auf die Ukraine.

Laut Pichler war der Kriegsausbruch für die Mitglieder des Vereins schockierend: „Man hätte nie damit gerechnet, dass so etwas passiert. Sie verstehen sich untereinander als Brudervölker.“ In der aktuellen Situation sei daher auch der Zusammenhalt wichtiger als politische Diskussionen über das Geschehen. „Jetzt ist die Zeit des gemeinsamen Gebets. Andere Äußerungen sind meines Erachtens zurzeit nicht angebracht“, erklärt Pichler.

 

 

Bangen und Hoffen

 

Nadiia Zinkevych schläft in den letzten Tagen schlecht, sie bangt um ihre Familie in der Ukraine. Seit acht Jahren lebt sie in Bozen. Eltern, Schwestern und weitere Angehörige leben noch in ihrem Herkunftsland. Ihre Schwester floh wie so viele aus Kiew in den Norden des Landes. „Alle haben große Angst, viele sind schon gestorben“, berichtet Zinkevych, während sie ihre kleine Tochter auf dem Arm hält.

Aus dem offenen Fenster der Kirche hallen die Stimmen der Frauen. Zinkevych ist mit ihren beiden Töchtern nach draußen in den Garten des Vereins gegangen, um frische Luft zu schnappen – und vielleicht auch um für einen Augenblick ihre Sorgen zu vergessen. „Abends beten wir täglich in der Familie und bitten, um die Rückkehr des Friedens in der Ukraine“, sagt sie.

 

 

Wahrung des sozialen Friedens in Südtirol

 

Dem Direktor des Borodina Vereins ist klar, dass der Zusammenhalt der Mitglieder besonders und schützenswert ist. „Auch wenn die Flüchtlinge aus der Ukraine bei uns ankommen, wollen wir den sozialen Frieden wahren“, sagt Lukas Pichler. Gleichzeitig betont er den Respekt gegenüber russischen Kulturschaffenden in Südtirol. „Nur weil jemand russisch spricht, soll er nicht gebrandmarkt werden.“

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Giancarlo Riccio So., 06.03.2022 - 18:15

Benvenuta a Salto, cara Anna. E grazie per questo reportage denso e molto partecipato. Ogni giorno, vedrai, nella nostra bellissima professione si impara qualcosa e ci si deve confrontare con la realtà, con la cronaca ma anche con la deontologia e l'esperienza propria e di altri. E preparati a consumare molte suole di scarpe, molti taccuini e moltissimo tempo.

So., 06.03.2022 - 18:15 Permalink