Gesellschaft | kalašnikov&valeriana

Streik am Frauentag

90 Prozent der weiblichen Bevölkerung Islands haben 1975 für einen Tag alle Arbeit niedergelegt und damit einen Sinneswandel angeregt; auch in Südtirol wäre das möglich.
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Foto: (c) unsplash

Seit 2017 ruft die feministische Bewegung Non Una Di Meno am Internationalen Frauentag zum Generalkstreik gegen die männliche Gewalt an Frauen auf. Nach dem Motto „lo sciopero transfemminista è per tuttǝ“. Von Anfang an habe ich die entsprechenden Anleitungen und wegbereitenden Treffen mitverfolgt. Insgeheim habe ich mich auf ein apokalyptisches Szenario wie hier gefreut oder zumindest auf einen richtig großflächigen Frauenstreik wie 1975 in Island gehofft. Damals hat immerhin 90% der weiblichen Bevölkerung Islands für einen Tag alle Arbeit niedergelegt und damit einen Sinneswandel im ganzen Land angeregt. Kurz darauf wählte die Bevölkerung im ersten Land der Erde ein weibliches Staatsoberhaupt und wenig später zog eine feministische Partei ins Parlament ein.

Für mich als Unternehmerin und Frauenhausaktivistin ist es gar nicht so einfach an diesem Tag die Arbeit niederzulegen, aber im Laufe der Jahre habe ich meinen Weg gefunden, um ein Zeichen zu setzen. Meiner Beauftragung für die Kontaktstelle gegen Gewalt und das Frauenhaus Bozen komme ich an diesem Tag nach, aber in allen anderen Bereichen bleibt die Arbeit liegen.

 

Wie ich streike?

 

 

  • Ich verweigere alle produktive Arbeit. Sprich: Der Familienbetrieb ist nur zur Hälfte besetzt und Verzögerungen in der Dienstleistung werden mit dem Streik erklärt, Mails an Kunden und Lieferanten bleiben mit Hinweis auf den Streik unbeantwortet, ich vermeide soweit möglich Konsum (Geschäfte, Restaurants, Bar…).
  • Ich verweigere alle reproduktive Arbeit. Sprich: Ich koche, wasche, putze, organisiere nicht und kümmere mich weder um Transport noch um schulische Belange meiner Kinder (die übrigens den Nachmittag notgedrungen im Familienbetrieb verbringen und zur Erklärung des Streiks beitragen können).

 

Warum ich streike?

 

Vor allem deshalb, weil ich frei und selbstbestimmt leben möchte. Frei von Gewalt. Frei von Sexismus und alltäglichen sexualisierten und sexistischen Übergriffen. Frei von Rollenzuschreibungen. Frei, über meinen eigenen Körper zu entscheiden.
Im Spezifischen? Diese Liste würde jeden Rahmen sprengen, ich versuche eine Kurzfassung in Stichworten:

  • Gewalt an Frauen: allgegenwärtig, strukturell und immer noch verharmlost und unterschätzt
  • über 100 Frauenmorde in Italien jährlich: Wann endlich werden entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet?
  • unzureichende Umsetzung der Istanbul-Konvention: bspw. bei weitem nicht ausreichende Plätze in den Frauenhäusern Südtirols (aktuell 38/52)
  • Ungleichgewicht im Erwerbsleben allgemein und verstärkt nach 2 Jahren Pandemie, allein die Erwerbstätigenquote der Frauen liegt in Italien bei 49% (in Europa bei 63%)
  • Ungleichgewicht in der unbezahlten Arbeit: Frauen leisten wöchentlich 13,4h bezahlte Arbeit weniger als Männer und dafür 17h unbezahlte Arbeit mehr
  • Gender Pay Gap: Männer verdienen im Schnitt immer noch 17% mehr
  • Altersarmut für Frauen: aufgrund der unbezahlten Care-Arbeit eine Realität für viele, Renten um 40-50% geringer als für Männer
  • fortwährende Angriffe auf das Gesetz 194 und erschwerter Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen durch die zahlreichen Verweigerer:innen aus Gewissensgründen (in Südtirol 82,4%)

Außerdem streike ich, weil ich dieses patriarchale System, das sich mit Profitgier, Kurzsichtigkeit und Engstirnigkeit durch Kriege und Ausbeutung über Menschenrechte hinwegsetzt, einfach nicht mehr mittragen will.

Mir ist klar, dass der Frauenstreik in Südtirol noch ganz in den Anfängen steckt. Trotzdem hoffe ich, die oder der eine oder andere reflektiert über Nacht die Bedeutung dieser Aktion und beschließt, sich dem morgigen Streik anzuschließen. Ich bin zusammen mit den Aktivistinnen von Non Una Di Meno Bolzano Bozen ab 16.30 auf der Talferwiese in Bozen und freue mich über jede:n Leser:in und Mitkämpfer:in!

 

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Profil für Benutzer gorgias
gorgias Mo., 07.03.2022 - 20:27

>. . . auch in Südtirol wäre das möglich. <
Möglich schon. Wahrscheinlich nicht.

>Ich verweigere alle produktive Arbeit. Sprich: Der Familienbetrieb ist nur zur Hälfte besetzt und Verzögerungen in der Dienstleistung werden mit dem Streik erklärt,<
Das muss man natürlich auf die große Glocke hängen, sonst fällst das ja nicht auf.

>Mails an Kunden und Lieferanten bleiben mit Hinweis auf den Streik unbeantwortet<
Wie läuft das dann ab? Wird am Vortag die automatische Rückantwort eingestellt, dass die Email nicht beantwortet wird wegen einen feministischen Streik?

Was für eine Inszenierung. Ich hoffe die Botschaft kommt zumindest bei Ihrem Mann an, da dieser wohl an diesem Tag der direkt Leidtragende ist.

>Außerdem streike ich, weil ich dieses patriarchale System, das sich mit Profitgier, Kurzsichtigkeit und Engstirnigkeit durch Kriege und Ausbeutung über Menschenrechte hinwegsetzt, einfach nicht mehr mittragen will.<
Die Menschenrechte sind doch eine Erfindung des Patriarchats. Wie passt das wohl zusammen?

Mo., 07.03.2022 - 20:27 Permalink
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Profil für Benutzer Herta Abram
Herta Abram Di., 08.03.2022 - 07:40

Antwort auf von gorgias

Frauen sind nicht die besseren oder moralischeren oder auch nur mütterlicheren Menschen, zum Glück nicht! Aber andere Gesellschaftsverhältnisse sind denkbar. Es geht nicht um das Umkehren von Hierarchien, sondern um das Infragestellen derselben.

Di., 08.03.2022 - 07:40 Permalink
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Stefan S Di., 08.03.2022 - 10:31

Antwort auf von gorgias

"Die Menschenrechte sind doch eine Erfindung des Patriarchats. " Sehr steile These, Sie meinten wohl "Kriege und Ausbeutung" sind eine Erfindung des Patriachats! Das passt dann wohl zusammen wie wir dieser Tage wieder eindeutig vor Augen geführt bekommen.

Di., 08.03.2022 - 10:31 Permalink