Gesellschaft | Bildung
Die Schulen der Zukunft
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Mit dieser Frage beschäftigt sich der deutsche Philosoph, Publizist und Moderator Richard David Precht in mehreren seiner Werke. Auf Einladung des Forum 2050 stellte der erfolgreiche Autor kürzlich seine Visionen zur Arbeits- und Bildungswelt der Zukunft vor. Moderiert wurde der Abend von Alex Ploner, der die Gelegenheit nutzte, das neue Werk von Precht „Freiheit für alle: Das Ende der Arbeit wie wir sie kannten“ vorzustellen.
In früheren Jahrhunderten, die von einer Ökonomie der Knappheit geprägt waren, seien die Menschen zu arm gewesen, um die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Arbeit zu stellen. Heute lebe man in einer Gesellschaft des Überflusses, in der sich auch die Ansprüche an das Leben änderten. Parallel dazu finde durch die digitale Revolution eine Transformation der Arbeitswelt statt, fasste Precht zusammen.
Dem Bildungssystem müsse deshalb die wichtige Aufgabe zukommen, die Kinder darauf vorzubereiten, „sinnerfüllt“ zu arbeiten. „Wenn die Menschen in Zukunft sinnerfüllt arbeiten wollen, dann müssen sie wissen, was sie arbeiten wollen“, so eine der zentralen Aussagen des Autors. Von der Jugend erfordere dies ein hohes Maß an Neugierde und Zielstrebigkeit.
Schlecht gerüstet
„Wir haben ein Schulsystem, das darauf nicht ausgelegt ist“, umriss Precht das Problem und erklärte, dass die Gesellschaft für die Zukunft schlecht gerüstet sei. Obwohl vielfach erkannt würde, dass Handlungsbedarf bestehe und viele Dinge in der Schule nicht richtig gemacht werden, sei der Ansatz jener, Fächer zu ergänzen und Zusatzangebote über das bestehende System drüber zu stülpen. Man habe sozusagen Reformpädagogik als Spartengrogramm eingebaut, aber keine Reform des Schulwesens selbst durchgeführt. Der Fehler liege dabei im Fächer-System. „Ein Fach ‚Sinn‘ oder ‚Glück‘ einzuführen bzw. am Ende sogar noch eine Klausur mit einem Bewertungssystem einzuführen, wäre die totale Perversion“, zeigt sich der Autor überzeugt. Man müsse sich vielmehr überlegen, was das Ziel einer Schule sein soll, wo die Kinder in eine Welt entlassen werden, in der es die klassische Arbeitswelt nach dem Motto „Dienst nach Vorschrift“ nicht mehr gibt. In einer Zukunft, wo Selbstbestimmung und eigene Zielsetzungen vorherrschten, mache das klassische System von Fachunterricht keinen Sinn mehr. Gefragt sei deshalb ein stärkeres, Projekt bezogeneres Arbeiten – zumindest ab dem 6. Schuljahr, forderte der Autor. Solche Schulen gebe es bereits, allerdings nicht flächendeckend. Ein Weg zur Veränderung könnte sein, den Schulen mehr Eigenverantwortung zuzugestehen. Die Befugnisse der „Kultusbürokratie“ müssten eingeschränkt und die „Leinen verlängert“ werden.
Ob jemand mit 55 den Satz des Euklid noch beherrscht, ist nebensächlich.
„Der heutige Schulunterricht ist heute zum Teil sogar noch formalisierter als es zu meiner Schulzeit war – das ist das komplette Gegenteil von Kreativität“, so das Fazit des Buchautors zur gegenwärtigen Situation. Die Probleme würden zwar erkannt, aber die angebotenen Lösungen seien die falschen. Die Kinder müssten das lernen, was sie für ihr späteres Leben brauchen: die Fähigkeit, selbstbestimmt zu leben sowie Stressresilienz. „Ob jemand mit 55 den Satz des Euklid noch beherrscht, ist nebensächlich.“
Inhalte zu verändern, bedeutet auch die Ausbildung der Pädagogen zu verändern bzw. die Einstellung der Pädagogen zu verändern. Precht zeigte sich überzeugt, dass das Bildungssystem zum Großteil über gutes Lehrpersonal verfügt, das den Unterricht auch anders gestalten würde, wenn es könnte. Ein gutes Drittel würde sich für Veränderung aber nicht interessieren und möchte, dass es so bleibt, wie es ist bzw. „Dienst nach Vorschrift“. „Wichtig sei, das Drittel in der Mitte – also jene Leute, die durchaus für Veränderungen bereit wären – abzuholen“, betonte Precht. Hier fehle jedoch der Ansporn und „so bleiben sie unter ihren Möglichkeiten“. Was die Ausbildung betrifft, spricht sich der Buchautor dafür aus, die zukünftigen Lehrpersonen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu „casten“ und auf ihre Eignung zu prüfen – wichtig nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Lehrer selbst. „Einem guten Lehrer hört man gerne zu“, brachte es Precht auf den Punkt und zeigte sich überzeugt, dass die Fähigkeit zu unterrichten, zu einem wesentlichen Teil Begabung sei. Habe früher ein Lehrer die Schüler mit einem Rohrstock unter Kontrolle gehalten, so müsse er heute überzeugen. „Das ist natürlich ein gigantischer Anspruch.“
Einem guten Lehrer hört man gerne zu.
Im Rahmen des Vortrages kamen auch Pädagogen und Pädagoginnen sowie Gewerkschaftsvertreter zu Wort, so zum Beispiel Alfred Mair, Religionslehrer an einer Berufsschule, der aus dem Alltag berichtete, oder Ingeborg Dejaco, die nach einer jahrzehntelangen Erfahrung im Südtiroler Schulbetrieb sich enttäuscht über das System zeigte und deshalb den Beschluss gefasst hat, gemeinsam mit einer Kollegin eine eigene Schule zu gründen. Weiters sprach Paul Köllensperger, Chef des Team K, sowohl über die Erwartungshaltung der Wirtschaft an die zukünftigen Arbeitnehmer als auch über die Erwartungshaltung der Jugendlichen an den Arbeitgeber.
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Das wichtigste ist endlich
Das wichtigste ist endlich raus aus dem Schulsystem der Industriellen Revolution. Heute braucht es keine "Follower" mehr die nur ausführen. Heute braucht es selbst-denkende, problemlösende Arbeitskräfte. Aus einem Buch auswendig zu lernen und das Internet zu verteufeln ist einfach nicht hilfreich. Lasst die Schüler eigenständig Probleme lösen und Quellen finden.
Ein Stück weit darf man wohl
Ein Stück weit darf man wohl auch darauf vertrauen, dass an Universitäten Professoren der Pädagogik von ihrer Materie etwas verstehen. Precht ist zwar relativ bekannt, aber nicht unumstritten. Leider kostet Erneuerung auch Geld, das staatliche Schulsystem sollte aber nicht zu viel kosten. Und während abwechselnd Wörter, Texte und Zahlen als Bewertung eingeführt werden, scheint oft eine überlegte Strategie für eine zukunftsweisende Schule von Seiten des Ministeriums zu fehlen.