Wie wir den „disagio“ überwinden
Sprache hängt mit Emotionen zusammen. Und wenn ein ständiges, latentes Unbehagen dich mit einer Sprache verbindet, wirst du sie schwer (gut) lernen. Was die Sprachwissenschaft durch Studien untermauert, wissen viele italienischsprachige SüdtirolerInnen seit der Kinderkrippe. Dieses unangenehme Gefühl, im eigenen Land eine Fremdsprache zu hören und diese nicht immer ausreichend zu sprechen erleben sie täglich; es wurde sogar ein Wort dafür gefunden: ”Il disagio“ degli Italiani in Alto Adige. Umgekehrt fühlen sich auch einige deutschsprachige Südtiroler unwohl, wenn sie im Italienurlaub überraschten Landesleuten erklären müssen, warum sie als italienische Staatsbürger der italienischen Sprache nicht zu 100 Prozent mächtig sind.
Mit diesem Unbehagen konnte ich mich – dank meines italienischsprachigen Opas fast zweisprachig aufgewachsen – wenig identifizieren. Bis ich meinen Lebenspartner ausgerechnet in einem abgelegenen Südtiroler Tal fand, das sich den gängigen Sprachgesetzen des Landes entzieht: im ladinischsprachigen Gröden.
Mein Grödner Freund, und sein ganzer Familien-und Bekanntenkreis haben mich den „disagio“ der Südtirolerinnen und Altoattesini zu spüren gelehrt. Sie haben mich aber auch gelehrt, wie ich dieses Gefühl des Unbehagens umwandeln kann: In ein Gefühl der Dankbarkeit, des Selbstbewusstseins und in einen Motor, meinen Wortschatz zu erweitern.
Der Weg dahin war nicht immer leicht. Beim Mittagstisch im Zuhause meines Freundes musste ich erstmal schmerzlich feststellen, dass Ladinisch nicht bloß eine Mischung aus Deutsch und Italienisch ist, und dass ich gerade mal 30 Prozent des Gesagten aus meinem romanischen Wortschatz (neben Italienisch, auch Französisch und Latein) ableiten konnte. Brachen also am Tisch plötzlich alle in Gelächter aus, saß ich schulterzuckend daneben, die Pointe hatte ich verpasst.
Dazu kam die Erkenntnis: Ladinisch ist eigentlich die Ursprache meiner Heimat, nicht der Südtiroler Dialekt. Römische SiedlerInnen, die einen vulgärlateinischen Dialekt sprachen, ließen sich zuerst in der Alpenregion nieder. Danach erst wurde Südtirol durch die Bajuwaren germanisiert. Das Vulgärlatein, das heute Ladinisch heißt, wird nur mehr in wenigen Tälern des Trentino-Südtirol, des Veneto und der Schweiz (in verschiedenen dialektalen Ausprägungen) gesprochen – in den Tälern, die die deutschsprachigen Stämme aufgrund ihrer Abgeschiedenheit nicht erreichten.
Trotz des Unbehagens, die die fremden Wörter in meiner eigenen Heimat in mir auslösten, streute meine Schwiegermutter auch noch Salz in die Wunde und sprach unbeirrt weiter Ladinisch mit mir. Vor Scham, nicht antworten zu können, wollte ich manchmal im Boden versinken.
Druck und Unbehagen entstehen meist aus Ansprüchen der Perfektion. Diese Ansprüche müssen wir loswerden.
Heute ist mir bewusst, wie kontraproduktiv und unbegründet meine Scham war. Meine Schwiegermutter spricht nicht stur Ladinisch mit mir, weil es ihr Spaß macht, mir dabei zuzusehen wie ich verzweifelt versuche Sätze wie „Co dijun pa a chej per Ladin“ richtig auszusprechen, sondern weil sie weiß: Die beste Art, eine Sprache zu lernen, ist, sie zu sprechen; dazu gehört auch zu lernen, einen Fehler zehnmal und mehr zu machen, bis man den Satz richtig sagen kann.
Mittlerweile verstehe ich 60 Prozent von dem, was beim Abendtisch in Gröden gesagt wird, und kann manchmal sogar auf Ladinisch antworten. Im Ausland kann ich damit angeben, dass ich eine Sprache (mehr oder weniger) beherrsche, die weltweit nur rund 30.000 Menschen sprechen. In einer Zeit, wo statistisch gesehen alle zwei Wochen eine Sprache ausstirbt und die Hälfte der Weltbevölkerung eine von 11 Hauptsprachen spricht (obwohl es 6.000 gibt), kommt das gut an. Ladinisch ist übrigens im UNESCO-Weltatlas der bedrohten Sprachen festgehalten. Das macht es umso cooler, sie zu sprechen, und umso wichtiger, sie zu schützen.
Doch solange wir das Sprachenlernen mit negativen Emotionen verbinden, wird das nichts mit der Sprachenvielfalt. Wie können wir also den Prozess des Sprachenerwerbs statt mit Druck, mit Freude verbinden?
Zum einen müssen wir weg vom Anspruch, die Sprache perfekt zu sprechen oder sie andernfalls ganz zu lassen. Niemand lacht mich in St. Ulrich aus, wenn ich ein italienisches Wort, vermeintlich ladinisiert, in meinen Satz einbaue, obwohl es auf Ladinisch eigentlich ein ganz anders Wort dafür gäbe. Im Gegenteil: Die Augen eines Grödners leuchten, wenn ich auf Ladinisch antworte, egal wie viele Fehler im Satz stecken.
Solange wir das Sprachenlernen mit negativen Emotionen verbinden, wird das nichts mit der Sprachenvielfalt.
Diese Selbstverständlichkeit, trotz Unsicherheiten auf Ladinisch zu sprechen, verdanke ich auch der Beharrlichkeit meiner Schwiegermutter. Seitdem spreche ich auch deutsch mit italienischsprachigen SüdtirolerInnen, anstatt beim ersten Ansatz eines italienischen Dialekts ins Italienische zu wechseln, wie es oft passiert. Denn damit tut man niemandem einen gefallen, sondern nimmt den Menschen die Chance, im Alltag die zweite Sprache zu üben.
Was für mich und meinen Partner eine ausschlaggebende Motivation dafür war, fleißig Ladinisch zu üben: In keiner Sprache kann man sicherer über den nervigen Nachbarstisch im Restaurant lästern als auf Ladinisch. Und zwar weltweit. Denn auch wenn wir auf Französisch oder Russisch Dinge besprechen, die nicht für das öffentliche Ohr gedacht sind – die Wahrscheinlichkeit, dass die Person nebenan diese Sprache ebenso beherrscht, ist gegeben. Bei einer Minderheitensprache wie dem Ladinischen sinkt diese Gefahr fast auf null. Und so können wir freudig in der Welt unser „Gossip“ auf Ladinisch fortführen.
Egal wie edel die Beweggründe – eine neue Sprache ist immer eine Bereicherung. Druck und Unbehagen entstehen meist aus Ansprüchen der Perfektion. Diese Ansprüche müssen wir loswerden, und uns erinnern: Neue Sprachen öffnen neue Türen. Ob die Grammatik dabei perfekt ist oder jedes einzelne Wort verstanden wird, ist zweitrangig. Und wer diese Überwindung üben will und ins kalte Wasser springen: Der statte Gröden einen Besuch ab.
Ce ne dovrebbero essere tanti
Ce ne dovrebbero essere tanti sudtirolesi di madrelingua tedesca come lei, con più empatia per gli italiani che vorrebbero gli si parlasse per pietà la lingua tedesca standard! Speriamo in un futuro migliore.
Antwort auf Ce ne dovrebbero essere tanti von Liliana Turri
Se l'Italia invade e
Se l'Italia invade e colonizza un paese, dove si parla una certa lingua, sono gli invasori ed i colonizzatori a dover imparare questa lingua, e non il popolo che ci era prima...
Il disagio italiano in merito
Il disagio italiano in merito alla mancata conoscenza/comprensione della lingua tedesca ha molto di più in sé: pari opportunità in ogni ambito, dignità del cittadino, il sentirsi posti di conseguenza ad un livello inferiore. Manca nell'articolo un accenno al dialetto che ostacola non poco (con tutta la considerazione per il suo inestimabile valore culturale e di identità). Vengono comunque toccate questioni giuste: non lasciarsi scoraggiare da errori (l'importante è esser capiti), da risate (a volte inopportune) o da parziali incomprensioni del parlato. Continuare con caparbia nonostante tutto non è facile per il comune cittadino.
Huch - dieser Beitrag strotzt
Huch - dieser Beitrag strotzt nur so von Vorurteilen und Irrglauben:
"Dieses unangenehme Gefühl, im eigenen Land eine Fremdsprache zu hören..." Deutsch ist in Südtirol keine Fremdsprache - auch nicht der Dialekt. Es sind die Zuwanderer Mussolinis Gnaden, die hier fremd sind - und auch nach Generationen noch fremd sein wollen, weil sie die Sprache der Autochtonen nicht erlernen wollen.
Den disagio erleben dann wennschon wir (Deutsche und Ladiner), wenn wir nach Bozen fahren und überall auf italienisch angesprochen werden (und nicht nur auf den Ämtern!).
"dass Ladinisch nicht bloß eine Mischung aus Deutsch und Italienisch ist..." ja das denken wohl viele. Auch Mussolini war davon überzeugt! Dieser Irrglaube stirbt wohl nie aus.
"Das Vulgärlatein, das heute Ladinisch heißt..." es handelt sich hier um eine räto-romanische Sprache, von der auch die rätischen Ursprünge nicht vergessen werden dürfen. Viele der Worte, die die Ladiner benutzen haben nichts mit Latein gemein. Die Dialekte in der Schweiz werden nicht als Ladinisch bezeichnet, sondern eben als rätoromanisch. Ladinisch wird eigentlich nur in den Dolomitentälern gesprochen.
"Mein Grödner Freund, und sein ganzer Familien-und Bekanntenkreis haben mich den „disagio“ der Südtirolerinnen und Altoattesini zu spüren gelehrt.." meine Erfahrung ist, dass die Grödner sehr schnell in die Sprache des "Gastes" wechseln, wenn sie wissen, dass dieser kein Grödnerisch versteht. Es gibt nur sehr wenige sture Ladiner, denen es egal ist, wenn einer am Tisch sie nicht versteht. Pech gehabt.
"In keiner Sprache kann man sicherer über den nervigen Nachbarstisch im Restaurant lästern als auf Ladinisch..." Das ist wohl der Grund für den disagio: man vermutet, dass die anderen über einen lästern, wenn man sie nicht versteht, weil man selbst gerne über die anderen lästern würde.
Aber Komplimente für die Mühe einen ladinischen Dialekt zu erlernen. Viele haben es bereits vorgemacht: egal ob aus dem Unterland oder aus Polen, aus Tschechien oder Ungarn... viele sind hier verheiratet und sprechen inzwischen sogar sauberer Ladinisch als die Einheimischen.
Der Beitrag enthält einen
Der Beitrag enthält einen gravierenden, nicht zu entschuldigenden Fehler, der sich leider sehr negativ auf den gesamten Beitrag auswirkt. Die ladinische Sprache ist keineswegs ein Vulgärlatein, das von römischen Siedlern, die sich in der Alpenregion niederließen, zu uns gebracht wurde. Vielmehr ist das Ladinische das Ergebnis der Vermischung der rätischen Sprache der Einheimischen Bevölkerung mit dem Vulgärlatein nicht der Siedler (solche gab es ganz wenige), sondern der Besatzer, der Händler usw. Das Märchen von der Besiedlung Südtirols durch Vulgärlatein sprechende Römer ist eine faschistische Erfindung, die hier besser nicht propagiert werden sollte, vor allem aus Respekt vor dem Ladinischen, das seine Wurzeln im Rätischen hat.
Concordo con la correzione:
Concordo con la correzione: non erano assolutamente romani i primi abitanti delle dolomiti, ma reti, un nome assegnato loro dai romani, un'amalgama cioè di celti, norici, veneti. La loro lingua originaria è stata in gran parte contaminata da quella del conquistatore romano, conservando cmq tracce riconoscibili.