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Ein Schluck Brot

Auf der Jagd nach altem Brot ist ein Bier entstanden, das ökologisch und sozial Sinn macht. Eine Initiative mit Potenzial, sind sich die Macher einig.
Bröseljäger-Bier
Foto: Volontarius

Wer hat’s erfunden? Diese Frage ist beim Bier nicht ganz eindeutig zu beantworten. Eine Legende, die sich um den Ursprung des Bieres rankt, erzählt von einem sumerischen Bäcker, der im alten Mesopotamien vor 6.000 Jahren den Brotteig zu lange in der Sonne stehen lässt. Die Hefekulturen im Teig lassen ihn gären, eine klebrige Masse mit berauschender Wirkung entsteht. Jetzt wird klar, warum man auch von “flüssigem Brot” spricht. Robert “Bobo” Widmann kennt die Geschichte vom Bier als Zufallserfindung. “Es gibt uralte Rezepte mit Bier aus Brot”, weiß der der Biersommelier und Brauhausbesitzer. Weniger dem Zufall als vielmehr einem doppelt nachhaltigen Gedanken geschuldet ist das Brot-Bier, das Widmann – er führt seit 2012 das Batzen Bräu in Bozen – seit einigen Monaten selbst herstellt.

Angefangen hat alles ganz woanders. Vor neun Jahren, am 6. März 2013, drehen die “Bröseljäger” in Bozen ihre ersten Runden. Das Projekt der “Cacciatori di Briciole”, wie die “Bröseljäger” auf italienisch heißen, wurde vom Verein Volontarius ins Leben gerufen. Das Konzept dahinter: Bäckereien, Konditoreien, Bars, Supermärkte geben am Ende des (Verkaufs-)Tages übrig gebliebenes Brot ab, Volontarius und andere soziale Organisationen und Vereine kümmern sich darum, dass die Backwaren an bedürftige Personen gehen. Die Initiative richtet sich gegen Lebensmittelverschwendung und dient der Sensibilisierung. Heute sind 165 Freiwillige in Bozen, Meran und Bruneck mit ihren Lastenfahrrädern als “Bröseljäger” unterwegs, die das Brot und inzwischen auch Obst einsammeln. 2021 wird in den Reihen der “Bröseljäger” die Idee geboren, aus dem übrig gebliebenen Brot Bier herzustellen. Möglich macht das die legge Gadda, das staatliche Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung, das 2016 in Kraft getreten und 2019 erweitert worden ist. Seither wird die Verschwendung von – noch genießbaren Lebensmitteln, aber auch solchen, die sich nicht mehr für den menschlichen Verzehr eignen – nicht mehr bestraft, sondern Vermeidung von Verschwendung gefördert, etwa durch bedeutende Steuererleichterungen.

 

Die “Bröseljäger” und die Freiwillige Claudia Longi stoßen mit ihrem Vorschlag bei Bobo Widmann auf offene Ohren. Er erklärt sich bereit, im Batzen Bräu ein Bier mit Brot zu brauen. Die Idee ist nicht ganz neu in Südtirol: Die Rittner Bäckerei Hackhofer lässt im Trentino aus Brotresten verschiedene Brot-Biere herstellen und verkauft sie in ihren Filialen. “Für uns war es das erste Mal”, meint Widmann, “und an Herausforderungen hat es nicht gefehlt”. Für das “Bröseljäger”-Bier, wie die neue Kreation getauft wird, verwendet Braumeister Christian Pichler ausschließlich Schwarzbrot, das von den drei Handwerksbäckereien der Konsumgenossenschaft Koncoop stammt. “Natürlich ist nicht jedes Brot gleich und unterscheidet sich etwa im Salzgehalt und in den Gewürzen”, dem Braumeister sei es aber gelungen, ein Bier in konstanter und trinkbarer Qualität zu kreieren, erklärt Widmann. Dass es nicht immer gleich schmeckt, sondern, “gleich wie Weine verschiedener Jahrgänge, einen leicht abweichenden Geschmack aufweist” – das gelte es, den Kunden zu vermitteln.

 

Anfang Juni 2021 ist es so weit: Das “Bröseljäger”-Bier wird der Öffentlichkeit präsentiert. Für die ersten 4.200 Flaschen hat Christian Pichler 50 Kilogramm Schwarzbrot “verbraut”. Sie werden im Batzen Bräu und in den beiden Coop-Filialen in Bozen angeboten und finden über den Getränkegroßhändler Gastrodrink auch den Weg in Bars. Pro verkaufter Flasche gehen 15 Cent an Volontarius. Welches Fazit ziehen die Macher des Brot-Biers nach den ersten neun Monaten? “Bei uns kommt es gut an, die Idee, ein Bier gegen Verschwendung und für Solidarität zu trinken, gefällt”, berichtet Widmann. “Wir erhalten durchwegs positive Rückmeldungen”, sagt der Koordinator der “Bröseljäger” Christian Bacci hörbar zufrieden. “Viele Bürger schätzen das Bier und die Initiative und die Freiwilligen sind stolz darauf.” Er selbst sei erfreut, dass mit dem Brot-Bier ein Projekt im Sinne der Kreislaufwirtschaft gelungen sei. “Wir machen es möglich, dass ein Produkt, das mit am meisten verschwendet wird und nur schwer in großen Mengen verteilt werden kann – Brot –, weiterverwertet wird.” Das Geld aus dem Verkaufserlös würde Volontarius vor allem in die Instandhaltung der Lastenräder der “Bröseljäger” investieren, so Bacci.

 

Aufgrund des guten Starts wurden im Dezember 2021 die nächsten 4.200 Flaschen gebraut. Das Logo ist neu, wurde, das Rezept dasselbe. Allerdings hat Braumeister Pichler der Brotanteil erhöht, sodass das “Bröseljäger”-Bier “noch brotiger” schmeckt, wie es Widmann ausdrückt. “Es ist ein herbstlich-winterliches Bier mit eindeutigen Bock-Aromen und dunkel- bis hellbrauner Farbe.” Mittlerweile gibt es das Brot-Bier auch vom Fass – um es noch bekannter zu machen. Damit geben sich Bacci und Widmann aber nicht zufrieden. “Das Ziel ist es, möglichst viele Brauereien mit ins Boot zu holen, um über dieses konkrete Projekt hinaus ein Südtiroler Brot-Bier zu etablieren.” Die Idee sei auch schon unter den Südtiroler Handwerksbrauereien besprochen worden, verrät Widmann. Dem Verein gehören aktuell 15 Brauereien an. “Das Produkt ist eindeutig ausbaufähig”, zeigt sich Widmann zuversichtlich. Zur Freude von “Bröseljäger” Bacci: “Wir hoffen, dass sich noch weitere Brauereien im Land finden, die Brot zum Bierbrauen verwenden.”

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kurt duschek Sa., 12.03.2022 - 17:30

Genaugenommen ist dieser Schritt ein Rückschritt in die Vergangenheit. Das Deutsche Reinheitsgebot, eingeführt 1516, beendete einen unglaublichen Rezepthaufen mit den unmöglichsten Zutaten in der Brauerei und ein nach dem Reinheitsgebot gebrautes Bier durfte nur mehr aus Wasser, Malz, Hopfen und Hefe gebraut werden.
Bei meiner Braumeisterprüfung (1965 in Ulm) habe ich, sehr zum Missfallen der Prüfungskommission, die Vorteile einer 20%igen Zugabe von Reis oder Mais (Ersatz für Malz) erläutert. Musste erklären und versichern dies in meinem zukünftigen Berufsweg niemals anzuwenden.
In meiner Zeit als Braumeister, unter anderen Brauereien auch in der Hasenbrauerei in Niederbayern, war es auch nicht üblich, bzw. erlaubt, Bier und Limonade bereits in der Flasche im Angebot zu haben. Der Radler durfte erst beim Ausschank am Budel gemacht werden.
Finde es toll, dass jetzt im Bereich der Bierbrauerei Freiheit und Experimentierfreudigkeit vorherrscht und sicher werde ich dieses Brotbier versuchen!

Sa., 12.03.2022 - 17:30 Permalink