Die Meldung hat auch mir zunächst einen herzhaften Lacher beschert, der inmitten der sonst so tristen Nachrichtenlage sehr willkommen war: Nachdem der anfangs in Betracht gezogene Taser für die Stadtpolizei doch als zu gefährlich eingestuft wurde, hat der Bozner Stadtrat beschlossen, es mal mit dem Lasso zu versuchen. Nicht mit einem selbstgeknüpften, sportlich über dem Kopf geschwungenen, bewahre, sondern ganz modern mit sogenannten „Bola Wraps“. Das sind Geräte mit denen „flüchtende oder gewaltbereite Personen anhand eines Wurfseils vorübergehend ohne Gewaltanwendung fixiert werden können“, so heißt es. Aussehen tun sie ein bissl wie sperrige Fernbedienungen: Ein Plastikkastl, mit dem man einen Laserstrahl auf den zu fesselnden Körperteil des Übeltäters richten kann, dann drückt man einen Knopf, und das Seil hüpft raus und schlingt sich voller Elan um die zuvor definierten Gliedmaßen. Das hört sich ein bisschen lächerlich an, und es sah auch ein bisschen lächerlich aus, als es in Bozen Presse und Polizei vorgeführt wurde. Starrbeinig stakste da ein junger Mann im Anzug mit imaginärem Messer in der Hand auf den Demonstrator zu; es war vergleichsweise leicht ihn abzuschießen, ebenso wie die anderen Testpersonen, die willig in Position gingen, um sich das Seil lustvoll um die Waden schnalzen zu lassen. An einer Puppe klatschte die Fessel lustlos herunter, was verwundert, weil die sich nun doch anders als ein echter Schurke, der möglicherweise nicht artig stillhalten wird, bis der Beamte den Laserstrahl aktiviert und das Seil ausgeworfen hat, wirklich nicht vom Fleck rührte. Bestimmt hatte man bloß auf die falsche Körperregion gezielt, und bestimmt werden die sechs Stadtpolizist*innen, die in der nun beschlossenen sechsmonatigen Ausbildungszeit vier Bolawraps zur Verfügung gestellt bekommen, am Ende derselbigen meisterhaft wie echte Grouchos mit ihnen umgehen können (Kostenpunkt 14.000 Euro). „Stai fermo!“, wird es dann heißen, wenn es gilt, einen Drogendealer im Bahnhofspark zur Strecke zu bringen. „Chiudi le gambe! Un po‘ a destra! Grazie, ottimo!“ *ZACK*
Vielleicht entwickelt sich daraus auch ein liebevolles Spiel zwischen Gaunern und Ordnungskräften, „Komm hol das Lasso raus, wir spielen Cowboy und Indianer“, vielleicht ist das Ganze aber auch ein hochphilosophischer Prozess: Festhalten wollen, was sich nicht festhalten lassen will. Ich kann die Stadtpolizei sehr gut verstehen, auch ich wünsche mir zunehmend ein Lasso, mit dem ich vergangenen Zeiten wieder einfangen und festzurren könnte. Diese Zeiten, vor Corona, vor der Klimakatastrophe, vor der Ukraine, die Zeiten vor der zu Recht so bezeichneten Zeitenwende. Was waren wir doch selbstsicher und unbeschwert, im Glauben die Natur sei dem Menschen untertan, das mit dem Klima kriegen wir hin, und Krieg in Europa war sowieso total unvorstellbar. In irgendwelchen unterentwickelten Diktaturen vielleicht, aber doch nicht hier, nicht auf unserem Kontinent, niemals. Nun, heute stecken wir die FFP2-Maske genauso selbstverständlich ein wie die Hauschlüssel, fragen in der Apotheke nach Jodtabletten, sollte der atomare Anschlag kommen, bereiten uns, kommt er nicht, auf einen Sommer vor, der wohl wieder einer der heißesten und trockensten seit Beginn der Aufzeichnungen werden wird und sehen abends in den Nachrichten, wie Kinder totgebombt werden. In Europa. Was sind die Errungenschaften unserer Zivilisation noch wert, fragt man sich da, wenn man solcher Barbarei machtlos gegenübersteht?
Jedenfalls würde ich mit dem „Bolawrap“ zehn Jahre zurück reisen, in eine Zeit, in der zwar auch nicht alles perfekt war, aber vieles erfolgreich verdrängt wurde, was jetzt erbarmungslos seinen Lauf nimmt. In eine Zeit, in der wir noch unsere Unschuld hatten, denn, dass die jetzt perdu ist, ist klar. „Ach Augenblick, verweile noch“, würde ich sagen, und den Knopf auf dem schiachen Plastikkastl drücken, und das Seil würde lasch ins Nichts fallen, aber zumindest hätte es lustig *ZACK* gemacht. Mit 14.000 Euro lässt sich übrigens ganz ordentlich was an medizinischen Artikeln für die Ukraine kaufen, aber was soll‘s.