"Langsamer oder sogar rückwärts gehend"
Ein Beitrag von Valentina Gianera
Unendliches Wachstum, Überfluss, ein blinder Fortschrittsglaube und die magische Hand des Marktes.
Das Brunecker Jugend- und Kulturzentrum UFO stellt sich im Rahmen der Diskussionsreihe startklar diesen unverrückbaren Dogmen des neoliberalen Wirtschaftssystems: Am Mittwoch, den 6. April, diskutiert Moderator Markus Lobis mit Tanya Deporta und Niko Paech über das, was es zu überwinden gilt und nachhaltige Alternativen. Niko Paech gehört zu den Verfechtern der Postwachstumsökonomie, die sich vor allem vom zerstörerischen Zwang zum quantitativen Wachstum verabschieden sollte. Der Professor der Universität Siegen plädiert für die Anerkennung von Wachstumsgrenzen und sucht nach Wegen, eine Wirtschaft zu etablieren, die nahe an den Bedürfnissen der Menschen und eines ausgewogenen globalen Öko-Systems wirkt. Tanya Deporta ist Kulturwirtin und Fachfrau für Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung und ist nach mehrjähriger Tätigkeit in bekannten Fach-Instituten nun freiberuflich in mehreren Projekten tätig, unter anderem im Südtiroler Netzwerk für Nachhaltigkeit und als Referentin für Zukunftsfragen und Bewusstseinsbildung. Wir haben vorab mit ihr gesprochen.
start.klar: Tanya, du bist Fachfrau für Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung. Was ist das für dich, Nachhaltigkeit und in welche Richtung geht eine nachhaltige Entwicklung?
Tanya Deporta: Nachhaltigkeit umfasst für mich ökologische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Fragen. Das heißt, dass wir einerseits die Welt so gestalten, dass die planetaren Grenzen nicht überschritten werden und der Natur kein Schaden zugefügt wird. Nachhaltigkeit umfasst aber auch soziale Gerechtigkeit. Jedem sollte es möglich sein, ein lebenswürdiges Leben zu führen und sich zu entfalten. Dabei spielt der ökonomische Aspekt eine wichtige Rolle: Die Wirtschaft muss menschenwürdiges Arbeiten ermöglichen und sozial und ökologisch gerecht gestaltet werden.
Du arbeitest als Referentin für Zukunftsfragen und Bewusstseinsbildung. Was können wir uns darunter vorstellen und was ist dieses Bewusstsein, das du zu bilden versuchst?
Unter Bewusstseinsbildung verstehe ich, Bewusstsein zu Themen der nachhaltigen Entwicklung zu schaffen, zum Nachdenken, Auseinandersetzen damit anzuregen. Es geht hier aber nicht nur um die Themen, sondern auch um die Kompetenzen, die es braucht, um eine nachhaltige Entwicklung gestalten zu können. Zum Beispiel die Kompetenz, komplexe Inhalte ganzheitlich verstehen und verknüpfen zu können. Empathie für andere zeigen können. Achtsamkeit. Gestaltungskompetenz: Das heißt, ich muss mich selbst fragen, was ein gutes Leben für mich bedeutet. Inwiefern spielen materielle Bedürfnisse hier eine Rolle? Damit müssen wir uns auseinandersetzen.
Wie versuchst du diese Bewusstseinsbildung anzuregen?
Ich gebe Workshops und Vorträge zu Themen der nachhaltigen Entwicklung. Ich bin beispielsweise als OEW-Referentin tätig, wo ich zum Thema Plastik in Schulen referiere. Zusammen mit vier weiteren tollen Frauen leite ich im Kernteam das Südtiroler Netzwerk für Nachhaltigkeit, das mittlerweile 130 Organisationen umfasst, die alle ihren Beitrag leisten, eine nachhaltige Entwicklung voranzutreiben.
Der erste Schritt ist wirklich der, sich zu fragen, was man für ein gutes Leben braucht.
Wie hat sich das Bewusstsein der Südtirolerinnen und Südtiroler in den letzten Jahren verändert?
Einerseits weist das schnelle Wachstum des Netzwerks darauf hin, dass das Thema für immer mehr Menschen zur Priorität wird. Wir sind vor kaum zwei Jahren gestartet und sind jetzt schon über 130 Organisationen. Andererseits tut sich aber auch außerhalb des Netzwerks einiges: Im Klimabereich werden immer wieder neue Gruppierungen und Bewegungen gegründet und auch die Diskussionen zum Klimaplan der Landesregierung zeigen das gesteigerte Bewusstsein. Er wird nicht einfach nur durchgewinkt, sondern man hat so lange Druck gemacht, bis entschieden wurde, ihn zu überarbeiten. Das wäre vor drei Jahren wahrscheinlich nicht passiert. Das heißt, das Bewusstsein wächst, aber es gibt noch viel Luft nach oben.
Stichpunkt gutes Leben: Viele Menschen sind sich bewusst, dass wir im Überfluss leben. Gleichzeitig ist auch nach der Pandemie Wachstum wieder zum Mantra geworden. Wie passen diese beiden Dinge zusammen?
Sie passen nicht zusammen. Inneres Wachstum, das heißt ein Wachsen meiner Persönlichkeit, ist sehr, sehr wichtig. Aber das Wirtschaftswachstum hat nur bedingt mit einem guten Leben zu tun. Man verkauft uns, dass Wirtschaftswachstum zu mehr Wohlstand und Wohlergehen führt. Aber ich glaube nicht, dass wir heute glücklicher sind als noch vor 50 Jahren. Wohlstand ist nicht mit Wohlergehen gleichzusetzen. Im Gegenteil. Psychische Erkrankungen nehmen zu. Menschen sind orientierungslos. Das heißt nicht, dass die Wirtschaft nicht sein darf; wir brauchen sie. Aber Wirtschaftswachstum so wie wir es heute kennen kann mit einer Reduktion von materiellen Dingen und dem Überkonsum, den wir erfahren, nicht in Einklang gebracht werden. Auch das grüne Wachstum ist problematisch, wenn es auf einen Überfluss abzielt. Wir brauchen nicht zehn verschiedene Arten von Glasstrohhalmen. Um von dieser Idee des unendlichen Wachstums abzukommen, brauchen wir aber einen totalen Systemwandel.
Dein Diskussionspartner bei der UFO-Veranstaltung, Niko Paech, steht für eine Postwachstumsgesellschaft, die nicht nur darauf abzielt, von der Wachstumsidee abzukommen, sondern uns dazu auffordert, zu schrumpfen. Wie stehst du dazu? Ist das gesellschaftlich haltbar?
Ich glaube, dass das ein sehr sinnvoller Ansatz ist. Wir leben in einer Welt von Überkonsum, in der die Wirtschaft die Fäden in der Hand hält und über die Gesellschaft und häufig auch über die Politik bestimmt. Dadurch, dass wir uns darauf zurückbesinnen, womit wir gut leben können, kann auch in der Wirtschaft ein Umdenken veranlasst werden. Auch die Arbeitszeiten spielen hier eine Rolle: Würden wir unsere Arbeitszeit auf 20 bis 30 Stunden pro Woche reduzieren, hätten die Menschen Zeit für andere Dinge: ehrenamtliches Engagement, Gemeinschaftsprojekte, Gartenpflege oder auch ganz einfach Zeit, um Dinge zu reparieren. Das würde zum Wohlergehen der gesamten Gesellschaft beitragen. Deshalb glaube ich, dass ein Schrumpfen der Wirtschaft sinnvoll und möglich wäre. Aber natürlich: Das Wirtschaftswachstum hat uns jetzt 250 Jahre geprägt. Wir sind alle ein Teil davon; auch ich als Referenten für Bewusstseinsbildung. Es ist sehr schwierig, hier tatsächlich auszubrechen.
Das würde auch das Ende der freien Marktwirtschaft bedeuten…
Es braucht neue Ziele. Es geht um die Frage, wie wir unsere Gesellschaft anders gestalten können. Nicht höher, weiter, schneller, sondern vielleicht langsamer oder sogar rückwärts gehend!
Das Thema dieser Diskussionsreihe ist “Wirtschaft im Wandel”. Können wir diesen Wandel heute schon - oder besser - endlich beobachten?
Ich glaube, dass es hier in allen Bereichen Leuchtturmprojekte gibt. Patagonia zum Beispiel. Das Unternehmen arbeitet mit einer Vision, die über das Wirtschaftswachstum hinausgeht. Sie sind damit aber auch wirtschaftlich sehr erfolgreich. Es gibt einzelne Pioniere, die zeigen, dass ein anderes Wirtschaften möglich ist. Diese Unternehmen können eine Vorbildfunktion einnehmen.
Es geht um die Frage, wie wir unsere Gesellschaft anders gestalten können. Nicht höher, weiter, schneller, sondern vielleicht langsamer oder sogar rückwärts gehend!
Wo können denn die Bürgerinnen und Bürger selbst damit beginnen, diese Überflussgesellschaft umzubauen und anstatt weiterzukaufen, zu reduzieren?
Der erste Schritt ist wirklich der, sich zu fragen, was man für ein gutes Leben braucht: Was macht mich glücklich? Das ist wahrscheinlich nicht das Auto oder die zehn Küchenmaschinen. Sondern Zeit für mich, für meine Familie, Zeit in der Natur. Sich auf die wesentlichen Dinge zurückbesinnen. Aber auch dieser Schritt erfordert Mut. Ich muss mich ja mit meinem derzeitigen Leben auseinandersetzen und fragen, worauf ich verzichten kann. Verzicht ist ein Wort oder ein Gefühl, mit dem viele Menschen hadern: “Wir haben jetzt so viel gearbeitet - da sollen wir nicht auch noch auf etwas verzichten müssen!” Obwohl wir vielleicht manchmal auf Dinge hinarbeiten - eine große Wohnung, ein Haus, ein Auto - die uns am Ende nicht wirklich in unserem Wohlergehen beeinflussen. Natürlich, wenn ich jeden Tag arbeite und dann nach Hause gehe und mich schlafen lege, nur um am nächsten Tag wieder dasselbe zu tun, dann habe ich vielleicht gar nicht die Möglichkeit, mir über diese Dinge Gedanken zu machen und mich auszuprobieren. Was gefällt mir denn außer meiner Arbeit noch? Es geht dann auch darum, das eigene Leben dementsprechend Schritt für Schritt umzubauen. Dass das von heute auf morgen geht, wäre angesichts der Klimakrise natürlich wünschenswert, ist aber kaum realistisch. Wir können aber Schritt für Schritt schauen, wo wir Dinge weglassen können und dafür ganz viel dazugewinnen.
Hemmungsloses Wachstum
Hemmungsloses Wachstum widerspricht jeder Vernunft, zumal alles Seiende beschränkt ist. Den "freien Markt" gibt es nicht, zumal er von finanzstarken Akteuren beliebig manipulierbar ist. Wenn wir unseren blauen Planeten erhalten wollen, dann müssen wir alle uns aufs Wesentliche beschränken, dann werden wir erkennen, dass sich´s mit weniger Konsum und weniger Gewinn-Gier besser leben lässt.