Gesellschaft | Charakterköpfe

„Obwohl ich sonst dichten kann“

Oswald von Wolkenstein war ein Meister der Selbstinszenierung. Kein anderer mittelalterliche Dichter hat seine eigene Person so in den Mittelpunkt gestellt, wie er.
Oswald von Wolkenstein
Foto: zucco.inc
Oswald von Wolkenstein (1377-1445) gilt als der bedeutendste deutschsprachige Lyriker zwischen Walther von der Vogelweide und Goethe. Wer sich ihn jedoch als zartbesaiteten Gedichteschreiber alla Rilke vorstellt, der irrt sich. Wenn es um Macht und Geld ging, war es nichts mehr mit der Lyrik!
Das hat auch damit zu tun, dass für Oswald als Zweitgeborenen nur ein kleiner Teil des Erbes der reichen Herren von Wolkenstein abfiel. Der Tiroler Adelige war ein Meister der Selbstinszenierung. Kein anderer mittelalterliche Dichter hat seine eigene Person so in den Mittelpunkt gestellt, wie er. „Ich Wolkenstein“ heißt denn auch die vielgelesene Biografie des Dichters von Dieter Kühn.
In jungen Jahren zog Oswald als Kriegsmann durch halb Europa und unternahm eine Reise ins Heilige Land. Damit diese  prestigeträchtige Pilgerfahrt auch entsprechend bekannt wurde, ließ er 1408 am Brixner Dom einen noch heute erhaltenen Gedenkstein aufstellen, der ihn als Kreuzritter ausweist. Auch die Stiftung eines St. Oswald-Benefizium an der Bischofskirche hob sein Ansehen.
Dass Oswald ein überaus streitbarer Ritter war, zeigt sich in seinen häufigen Besitzstreitigkeiten. 1421 wurde der damals 55jährigen gefangen genommen und gefoltert, weil er sich die Burg Hauenstein nebst dazugehörigen Höfen widerrechtlich angeeignet hatte. Dort lebte er seit seiner Heirat mit Margarethe von Schwangau und ihren sieben Kindern. Obwohl ein „Gotteshausmann“ des Bistums Brixen, für das er zeitweise hohe Verwaltungsämter ausübte, versetzte er 1427 dem Fürstbischof Ulrich Putsch „einen schweren Schlag mit der Faust“, wie dieser in seinem Tagebuch vermerkt.
 
 
Selbst mit seinem Landesherrn Friedrich IV („mit der leeren Tasche“) trug er eine jahrzehntelange Fehde aus. Oswald zählte zu den Anführern des großen Adelsaufstandes gegen den Fürsten, woran u.a. sein bekanntes Kampflied über die Belagerung der Burg Greifenstein erinnert.
Als Rat Kaiser Sigismund bereiste er halb Europa, wo er auf diversen Königshöfen mit seiner Dichtkunst glänzte. Nach dem Tod seines Intimfeindes Herzog Friedrich wurde ihm 1439 mit vier anderen Adelsherren die ehrenvolle Aufgabe zuteil, das Erbe für dessen unmündigen Sohn Sigmund zu verwalten. 1444 wurde er zum Verweser „am Eisack und im Pustertal“ ernannt.
Im Übrigen mögen sie „zur Hölle und dem Teufel in sein schwarzes Arschloch hineinfahren“.
Das Streiten konnte er weiterhin nicht lassen. Als ihm seine bäuerlichen Gegner bei einem Konflikt um Weiderechte vorwerfen, seine Argumente seien erdichtet, weist er das entrüstet von sich, „obwohl ich sonst (wohl) dichten kann“. Im Übrigen mögen sie „zur Hölle und dem Teufel in sein schwarzes Arschloch hineinfahren“. Oswald von Wolkenstein verstarb 1445 als Teilnehmer des Landtages in Meran. Seine Gedichte („Lieder“) sammelte er in zwei Prachthandschriften, die insgesamt 134 vertonte Texte beinhalten und mit qualitätsvollen Portraits des Dichters geschmückt sind.
Obwohl seine „Lieder“ bereits bei seinen Zeitgenossen Anklang fanden, wurde ihre große Bedeutung für die Literatur erst im 20. Jahrhundert entdeckt. Heute gilt Oswald von Wolkenstein wegen der Originalität und Virtuosität seiner neuartigen Sprachschöpfungen als der wichtigste Lyriker des Spätmittelalters.

aktuell (Kl116):
“Was geht das Lied den Plätscher an?
Mein Singen werd ich doch nicht lassen!
Wem es mißfällt, der hör nicht hin,
der ist und bleibt mir Wurst.
Wenn schlechte Leute mich nicht mögen,
so halte ich mich an die guten -
obwohl ja heuer falsche Münze
recht hoch bewertet wird.”

So., 17.04.2022 - 08:45 Permalink