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Politik | Frankreich/Wahlen

Der schleichende Staatsstreich

Marine Le Pen will die Verfassung per Referendum radikal ändern – Nationales Recht vor EU-Recht, Ausländer Bürger zweiter Klasse, Bündnis mit Polen, Ungarn und Russland.
Sollte jemand noch Zweifel an den von Marine Le Pen proklamierten Visionen und Pläne für ein Frankreich mit ihr als Präsidentin gehabt haben, der bekam sie gestern Abend noch einmal in aller Eindeutigkeit serviert - im einzigen direkten, fast drei Stunden dauernden TV-Duell mit Emmanuel Macron, dem Höhepunkt des Wahlkampfs. Vor fünf Jahren hatte die vonseiten Le Pens aggressiv und völlig wirr geführte TV-Debatte für sie in einem absoluten Debakel geendet. Diesmal verlief trotz spürbarer Spannung die Diskussion diszipliniert, korrekt und auf die Themen fokussiert.
Macron betonte seine Erfolge (1,2 Millionen neuer Arbeitsplätze, Steuersenkungen, Umweltmaßnahmen, Verringerung der Staatsverschuldung) obwohl seine halbe Amtszeit ja von dramatischen Krisen (Gelbwesten-Proteste, Corona, Ukraine-Krieg) gezeichnet war. Seine Statur als Staatsmann und seine Kompetenz-Überlegenheit in Fragen der Wirtschaft und Außenpolitik, die auch 62 Prozent der befragten Wähler schätzen, brachten Le Pen wiederholt in die Defensive.
 
 
 
Die Herausforderin nannte sich selbst hingegen „das Sprachrohr der kleinen Leute, die unter Armut, Unsicherheit und Demütigung durch die Pariser Eliten zu leiden haben“. Doch während Macron die Zukunft des Landes in einer Vertiefung der europäischen Einigung, in technologischer Modernisierung und im Kampf gegen die Klimakrise sieht, sieht Le Pen in der Rückkehr zur Souveränität der Nation und im Kampf gegen die Globalisierung die Rettung vor dem Niedergang. Frankreich sei auch ohne EU eine Weltmacht und müsse die eigenen nationalen Interessen wieder selbstbewusster verfolgen. Donald Trump, der Brexit, Polen, Ungarn und Putin seien Vorbilder.
 

Franzosen zuerst

 
„Les Francais d`abord“ lautete der Kampfruf schon vor 50 Jahren, als Le Pen Vater Jean-Marie 1972 ein paar rechtsextreme Grüppchen vereinte und den Front National gründete. Als Offizier der Fremdenlegion im Einsatz in Indochina, während Suez-Krise und im Algerienkrieg, gestand Jean-Marie Le Pen ohne Reue, algerische Unabhängigkeitskämpfer gefoltert zu haben. In den Fünfziger Jahren schon als jüngster Abgeordneter der populistischen Bewegung von Pierre Poujade in der Assemblée Nationale, sorgte Le Pen erstmals auch für internationales Aufsehen, als er an der Spitze des Front National 1984 mit knapp 11 Prozent der Stimmen ins Europaparlament einzog. Damit begann der unaufhaltbare Aufstieg mit der vom neofaschistischen Almirante-MSI übernommenen Trikolore-Fackel als Partei-Logo.
 

Vatermord und Erbe

 
2011 übernahm Marine Le Pen die Parteiführung, allerdings mit lediglich 68 Prozent Zustimmung einer Mitgliederbefragung. Ihre Bemühungen zur Verjüngung und um ein moderateren Images stießen auf heftigen Widerstand des Vaters. Wegen seiner permanenten rassistischen, homofoben, antisemitischen und den Holocaust verharmlosenden Äußerungen ganze 25 Male rechtskräftig verurteilt, wurde „der Alte“ von seiner Tochter 2015 aus der Partei ausgeschlossen.
 
 
Der spektakuläre Bruch in Partei und Familie erlaubte Marine Le Pen zwar eine weniger radikale PR-Strategie, an den programmatischen Inhalten änderte sich trotz der Namensänderung von der nationalen „Front“ zur nationalen „Vereinigung“ – „Rassemblement National“ – kaum was.
 

Referendum zur Verfassungsänderung

 
Als ersten Schritt würde Marine Le Pen im Fall eines Wahlsieges mindestens sechs Bestimmungen der Verfassung per Referendum ändern, um das Prinzip der „priorité nationale“ in allen Gesellschaftsbereichen zu verankern. Abgesehen von den konkreten Maßnahmen (dazu weiter unten), sorgt die geplante Vorgehensweise für einen Aufschrei von Verfassungsrechtlern, Intellektuellen und den anderen Parteien.
Denn Le Pen würde den Artikel 11 der Verfassung anwenden wollen. Der regelt die Abhaltung von Referenden „auf Volksinitiative“, sprich wenn 10 % der Wähler (ca. 4 Millionen) das fordern. Allerdings schließt der Artikel 11 Änderungen der Verfassung aus. Sie kann nur gemäß Artikel 89 abgeändert werden – und dieser sieht die Mehrheits-Zustimmung durch die Assemblée Nationale und den Senat vor.
 

Plebiszit anstatt Verfassung

 
All das will Marine Le Pen umgehen. Sie beruft sich dabei auf General de Gaulle. Der hatte 1962 die Direktwahl des Staatspräsidenten durch das Volk per Referendum nach Artikel 11 durchgesetzt. Der spätere Präsident Francois Mitterrand hatte De Gaulle schon damals in seinem flammenden Essay „Der permanente Staatsstreich“ des Putsches beschuldigt. Als De Gaulle 1968 ein zweites Mal den ihm feindlich gesinnten Senat per Referendum umgehen wollte, brachte ihn der Widerstand dagegen endgültig zu Fall.
Le Pen behauptet hingegen, ihre Interpretation sei im Sinne der Verfassung, weil das Volk als Souverän das letzte Wort haben müsse und selbst die Verfassungsrichter ein per Referendum beschlossenes Gesetz nicht beanstanden könnten. „Staatsstreich“ rufen sämtliche Gegner und Kritiker.
 
 
Ginge es nach Le Pen sollten in Zukunft schon fünfhunderttausend Wählerstimmen ausreichen, um die Abhaltung eines Referendums zu erzwingen. Weiters sollten solche Referenden über alle Fragen und Themen der Gesellschaft möglich werden. Ausgeschlossen würden lediglich Entscheidungen, die „gravierende nationale Interessen“ betreffen.
 

Ausländergesetz in die Verfassung

 
Sämtliche Gesetze und Regelungen die den Platz und die Rolle von Ausländern betreffen, will Marine Le Pen nach dem Prinzip der „nationalen Priorität“ reformieren und in der Verfassung verankern. Das soll die „Dilution“ (Verdünnung, Verwässerung) Frankreichs durch „Dekonstruktion“ und „Submersion“ (Überflutung) verhindern. Die Zuwanderung müsse so eingeschränkt werden, dass die „Zusammensetzung und Identität des französischen Volkes nicht verändert“ werde. Die These des drohenden „großen Bevölkerungsaustauschs“ der Identitären lässt grüßen. Konkret:
 
  • Flüchtlingsaufnahme und Familienzusammenführung sollen um 75% reduziert werden
  • Die Staatsbürgerschaft soll nicht mehr automatisch durch Heirat mit einem französischen Staatsbürger erreicht werden
  • Abschaffung des ius soli, also des Anrechts auf Staatsbürgerschaft durch die Geburt in Frankreich
  • Vorrang für Staatsbürger beim Zugang zur Arbeit in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, zu Sozialwohnungen, aber auch zu Dienstleistungen im Gesundheitswesen bis hin zum Krankenhaus und zu allen Formen der Sozialhilfe, die erst nach fünf Jahren Arbeit im Land gewährt werden sollen
  • Aberkennung der Aufenthaltsberechtigung für alle, die ein Jahr lang nicht gearbeitet haben
  • Großzügige Unterstützung soll es hingegen für die „natalité francaise“ (Geburtenförderung) geben, z.B. Gratiskredite bis zu einhunderttausend Euro für Elternpaare unter 30, Kredite die bei Geburt des dritten Kindes zum Geschenk mutieren; aber keine Familienbeihilfe für Ausländer
  • Die freie Religionsausübung bleibt garantiert, aber bei gleichzeitigen Maßnahmen gegen den Islamismus, z.B. Verbot des islamischen Kopftuches für Frauen in der Öffentlichkeit (außer für „alte Muaterln“, denn für sie sei das Kopftuch Tradition und nicht religiöser Fanatismus)
Soweit nur die drastischsten „Highlights“ des Le Pen – Programms. Maßnahmen die eklatant dem Geist der revolutionären Proklamation von 1789 „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, der Erklärung der Menschenrechte sowie der Preambel der französischen Verfassung widersprechen.
 
 
Besonders inhuman aber auch dazu angetan, den sozialen Frieden im Land zu gefährden sind die Ankündigungen Le Pens zum Wohnrecht. Sie wolle 620 000 Sozialwohnungen, in denen Ausländer wohnen, rasch „auf den Markt bringen, zugunsten von Familien mit zumindest einem französischen Elternteil“. Das wären umgerechnet an die 1,6 Millionen Menschen, deren Mietvertrag nicht mehr gesichert wäre – selbst wenn sie seit vielen Jahren mit ordentlichem Aufenthaltsstatus im Lande leben. Auch 90 000 von Ausländern bewohnte Plätze in Studentenheimen sollten zugunsten von französischen Studierenden geräumt werden. Dabei hat das Verfassungsgericht wiederholt befunden, dass jeder regulär in Frankreich sesshafte Ausländer dieselben sozialen Rechte und Ansprüche besitzt wie Staatsbürger. Ein Sprecher des Wahlkampf-Teams von Marine Le Pen hat die Gefahr von Zwangsdelogierungen zwar zu entkräften versucht, aber in der Wahlpropaganda werden die Migranten und ihre Familien weiterhin als Ursache der großen Wohnungsnot an den Pranger gestellt.
 

Sozial-Populismus für die „Abgehängten“

 
Spätestens seit den monatelangen, teils gewaltsamen Protesten der „Gelbwesten“ 2019 hat Marine Le Pen die sozialen Probleme der „kleinen Leute“ ins Zentrum ihrer Politik gerückt. Denn die  Niedrigverdiener und Angehörigen der unteren Mittelschicht am Lande und in der Peripherie der Städte gehören seit langem zu den Verlierern der rasanten Globalisierung. Ganze Landstriche sind entvölkert, weil Landwirte, Handwerker und Kleinunternehmer bankrott gehen. Infrastruktur und Dienstleistungen wie öffentlicher Verkehr, Spitäler, Post, Banken, Polizeikommissariate, Geschäfte und Freizeiteinrichtungen wurden vernachlässigt oder als unrentabel wegrationalisiert. Zwei Jahre Pandemie mit strengen Lockdowns, Geschäftsrückgang und die sprunghafte Inflation seit Putins Ukraine-Krieg haben die sozialen Nöte und die Zukunftsängste dieser Bevölkerungsschichten zugespitzt und zum zentralen Thema des Wahlkampfes gemacht.
 

Steuern und Abgaben runter, Löhne und Renten erhöhen

 
Als Sofortmaßnahmen verspricht Marine Le Pen eine Senkung der Mehrwertsteuer für Energie von 20 auf 5.5% und ihre komplette Abschaffung für rund einhundert lebensnotwendige Waren und Produkte. Ebenso abgeschafft werden sollte die Einkommenssteuer für alle Unter-30-Jährigen, wovon natürlich Besserverdiener und Reiche am meisten profitieren würden. Dasselbe gilt für die Abschaffung gewisse Immobiliensteuern und der Erbschaftssteuer für Immobilien bis zu einem Wert von 300.000.-€
Erhöhung der Löhne um 15% (!) und erfolgreiches Wirtschaften sichern will Le Pen durch eine Senkung der Lohnnebenkosten, sprich Arbeitgeberanteile sowie der in Frankreich als „Produktionssteuer“ bekannten verschiedenen Abgaben von Unternehmen unabhängig von ihrem Profit. Rechnet man die versprochene Erhöhung der Mindest- und Kleinpensionen und etliche weitere Sozialmaßnahmen dazu, würde das nach Berechnungen namhafter Ökonomen ein jährliches Loch von rund 100 Milliarden Euro ins Budget reißen.
 

Wirtschaftsnationalismus gegen EU-Regeln

 
Marine Le Pens Politik der „Nationalen Priorität“ und Rückgewinnung der Souveränität würde zu sehr ernsthaften Konflikten mit der EU an gleich mehreren Fronten führen.
 
  • Nach dem Vorbild Polens sollen nationale Gesetze wieder über jenen der EU stehen
  • Die Abkommen zur Agrarpolitik sollen neu verhandelt und der Green Deal aufgekündigt werden
  • Einspruch gegen die EU-Bestimmungen über die Mehrwertsteuer-Sätze
  • Reduzierung der französischen Beitragszahlungen zum EU-Budget um 5 Milliarden Euro
  • Striktere Einfuhrbestimmungen und Grenzkontrollen für Waren und Produkte, die als unfaire Konkurrenz gesehen werden
  • In allen Gemeinschaftsausspeisungen (Betriebskantinen, Schulmensen etc.) sollen künftig verpflichtend 80% französische Produkte auf den Tisch kommen – was de facto die Wettbewerbsregeln des gemeinsamen Marktes aufheben würde
 
 
Ein national-souveräner Sonderweg soll auch bei der Energie- und Klimapolitik gegangen werden. So fordert Le Pen den Ausstieg aus dem gemeinsamen Stromnetz der EU. Begründung: durch den hohen Anteil des aus Nuklearkraftwerken gewonnen Stroms könnte der Preis in Frankreich wesentlich gesenkt werden. Die derzeitige Versorgungssicherheit dank der Ausgleichslieferungen mit den anderen Ländern bei Schwankungen in Produktion und Verbrauch von Strom wäre in Gefahr.
 

Nein zu Wind- und Solarenergie

 
Vollkommen populistisch surft Marine Le Pen auf der Welle der sehr kontroversiell und emotional geführten Debatten Pro und Contra Energiewende. Weil es seit Jahren viele lautstarke Bürgerinitiativen gegen die „Massakrierung“ der französischen Landschaft durch abwegigen „Klimaterrorismus“ gibt, verspricht Le Pen ein Moratorium: neue Windräder oder Solarparks sollen nicht mehr gebaut, die bestehenden sogar sukzessive abgebaut werden!
Stattdessen soll verstärkt auf Wasserkraft, Geothermie und Nuklearkraftwerke gesetzt werden. Zwar bekennt sich Le Pen zum Pariser Klimaabkommen, will aber die konkreten Klimaziele jährlich neu verhandeln.
 

Europa der Nationen - Frexit durch die Hintertür

 
Entgegen ihrer langjährigen Propaganda sagt Marine Le Pen, sie wolle nicht mehr aus der EU und dem Euro austreten. Würde sie als Präsidentin allerdings auch nur einen Teil der geplanten rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen umsetzen, wäre eine grundsätzliche Erschütterung oder gar ein Bruch mit den EU-Partnern unausweichlich.
Und nicht minder schwerwiegend sind Le Pens Pläne in außenpolitischer Hinsicht. Sie würde sämtliche gemeinsamen Rüstungsprojekte mit Deutschland aufkündigen „wegen unüberbrückbarer strategischer Differenzen“.
 
 
Gegen Deutschlands Bemühungen zur Aufnahme in den UNO-Sicherheitsrat würde Frankreich stimmen und „nicht zulassen, dass Deutschland unsere Atomindustrie zerstört.“
Aus dem integrierten Militärkommando der NATO soll Frankreich wieder austreten, die westlichen Sanktionen gegen Russland wegen des Ukrainekrieges unterstützt Le Pen nicht – ukrainische Flüchtlinge sollen aber aufgenommen werden (sind ja Weiße, Christen und Nachbarn). Aber nach Ende des Krieges würde sich Frankreich unter Le Pen für engere Beziehungen zwischen der NATO und Russland einsetzen. Und insgesamt soll Frankreich im Sinne eines „Europa der souveränen Vaterländer“ die bilateralen Beziehungen etwa zu Russland, Polen und Ungarn wieder intensivieren. Das ist sicher Musik in Wladimir Putins Ohren, den Marine Le Pen so verehrt, dass ein gemeinsames Foto der beiden ihre Wahlkampfbroschüren zierte. Die mussten wegen des Angriffs auf die Ukraine allerdings schleunigst eingezogen und vernichtet werden.
 
 
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Profil für Benutzer Tschoerner Hagen
Tschoerner Hagen Do., 21.04.2022 - 14:24

Wenn das dem Wählerwillen der Franzosen entspricht muss er in einem demokratischen Europa respektiert werden.
Dieses ganze mediale Framing von nicht gewünschten Ideologien geht echt zu weit...

Do., 21.04.2022 - 14:24 Permalink
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Profil für Benutzer Stefan S
Stefan S Do., 21.04.2022 - 16:33

Antwort auf von Tschoerner Hagen

"Dieses ganze mediale Framing von nicht gewünschten Ideologien geht echt zu weit..."
Viel schlimmer ist das sich die Bürger von solchen Pappnasen wie Le Pen durch die Manege ziehen lassen. Trump, Le Pen, Putin, Erdogan, Boris Johnsen, Orban etc. sind die Totengräber eines freien, liberalen Europas. Aber solange die jetzigen Regierungscliquen immer die Moral und Gerechtigkeit hinten anstellen braucht man sich auch nicht zu wundern.

Do., 21.04.2022 - 16:33 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Do., 21.04.2022 - 15:40

Was Frau Le Pen als Präsidentin tun möchte, ist eine Sache.
Die grosse Frage ist aber, was könnte sie realistisch von diesen Punkten umsetzen, wenn sie:
a) keine Mehrheit im Parlament hat
b) eine Mehrheit in dernAtionalversammlung hat
c) eine Mehrheit im Senat hat
d) eine Mehrheit im Parlament hat
Da ich mich im französischem Semi-Präsidentensystem zu wenig auskenne, möchte ich diese Frage gerne in die Runde werfen.

Do., 21.04.2022 - 15:40 Permalink
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Profil für Benutzer Lorenz Gallmetzer
Lorenz Gallmetzer Do., 21.04.2022 - 17:55

Hallo Sepp, hoffe dir geht`s gut und komme gerne deiner Aufforderung nach.
De Gaulle hat die Fünfte Republik so gestaltet, dass selbst in Frankreich immer wieder kritisch von einer "Wahlmonarchie" die Rede ist. Der Präsident bestimmt wöchentlich, was auf die Tagesordnung des Ministerrats gesetzt wird (oder nicht). Er ernennt und entlässt "seinen" Premierminister und die Minister und Staatssekretäre, bestimmt Innen- und Außenpolitik.
Probleme gab es erstmals 1986 unter dem sozialistischen Präsidenten Mitterrand, weil die Parlamentswahlen eine konservative Mehrheit ergeben hatte.
Also erfand man die "Cohabitation": Mitterrand Präsident und der konservative Jacques Chirac Premierminister. Es war eine Premiere und ein dauernder Drahtseilakt, weil in der Verfassung die Kompetenz-Trennlinie zwischen Premierminister und Präsident nicht klar genug definiert ist.
Zu weiteren zwei solchen "großen Koalitionen" à la francaise kam es 1993 (Mitterrand-Balladur) und 1997 mit Chirac als Präsidenten und dem Sozialisten Lionel Jospin als Regierungschef.
Um diese erzwungene Cohabitation künftig zu vermeiden einigte man sich darauf die Mandatszeit des Präsidenten von 7 auf 5 Jahre zu verkürzen, damit sie mit dem 5-Jahres-Rhythmus der Parlamentswahlen zusammenfällt.
Seither finden die Parlamentswahlen immer unmittelbar nach der Präsidentschaftswahl statt (heuer am 12. und 19. Juni). Damit wollte man auch bewirken, dass ein frisch gewählter Präsident eine klare Regierungsmehrheit im Parlament hat und seine Politik umsetzen kann. Deshalb wird der Premierminister allgemein als eine Art "Kabinettschef" des Präsidenten gesehen und als "fusible" - als "Sicherung" die durchbrennt, wenn es einen Kurzschluss gibt - will heißen: wann immer der Präsident mit zu viel Unmut, sozialen Konflikten etc. zu tun hat, wechselt er den Premier - in der Regel im Rahmen einer Regierungsumbildung.
Emmanuel Macron hat vor fünf Jahren von vornherein nach seinem Prinzip
"ich bin nicht links und nicht rechts" gleich zu Beginn einen moderaten Konservativen (Éduard Philippe) zum Premier gemacht und die Regierung mit Zentristen und und Links-affinen Ministern als Mitte-Regierung gestaltet.
Aber außer im Falle einer Cohabitation ist der französische Präsident in der politisch gelebten Realverfassung sogar mächtiger als der amerikanische.
Weiteres dazu nachdem die Präsidentenwahl vom Sonntag geschlagen ist.
Lorenz

Do., 21.04.2022 - 17:55 Permalink
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Lorenz Gallmetzer Do., 21.04.2022 - 23:48

Antwort auf von Manfred Gasser

Hallo Herr Gasser! In erster Linie hängt alles davon ab, ob der Präsident/die Präsidentin 2 Monate nach seiner/ihrer Wahl bei den Parlamentswahl eine Mehrheit in der Assemblée Nationale und im Senat erreicht - wenn nicht einzig mit den Abgeordneten seiner/ihrer Partei, dann halt indem er/sie Vertreter anderer Parteien in die Regierung(smehrheit) holt. Dann ist in der Regel das Parlament mehr oder weniger auf Linie und nickt ab, was PräsidentIn und Regierung vorgeben.
Im Falle der Cohabitation wäre es schwierig, weil das Parlament jederzeit den Regierungschef + Regierung durch Mißtrauensantrag abwählen kann. Umgekehrt kann sich der/die PräsidentIn die nötige Unterschrift unter ein Gesetz, das im Parlament beschlossen wurde, verweigern. Mitterrand hat das wiederholt gemacht, weil das direkt gewählte Staatsoberhaupt in den Augen General de Gaulles ÜBER den Parteien steht, als Garant für das Funktionieren und die Einheit des Staates und der Nation. So hat sich Mitterrand geweigert, gewisse Wirtschafts- und Sozialgesetze zu unterzeichnen mit der Begründung, dass sie den sozialen Frieden gefährden und somit auch die Kohäsion und Einheit der Nation.
ABER Marine Le Pen will ja - wie es De Gaulle auch schon gemacht hat - das Parlament "umgehen", indem sie ihre einschneidenden Maßnahmen per REFERENDUM durchsetzen will - selbst Änderungen der Verfassung. Was in den letzten Wochen und Monaten zu heftigen Reaktionen und etlichen kollektiv verfassten Warnungs-Aufrufen von prominenten Juristen, Verfassungsrechtlern, Historikern und Politologen geführt hat.

Do., 21.04.2022 - 23:48 Permalink
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Profil für Benutzer Dietmar Nußbaumer
Dietmar Nußbaumer Do., 21.04.2022 - 22:12

Die Frage ist auch, warum viele Menschen rechts wählen. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass die regierenden Parteien nicht im Stande sind, den Wähler von ihrer Arbeit zu überzeugen. Dabei versteht die Mehrheit des Stimmviehs auch unpopuläre Maßnahmen (siehe Covid-Maßnahmen). Wir brauchen nicht über den Tellerrand zu schauen, um zu verstehen, wie Missmut Politikern gegenüber entsteht. Da werden halt gleich alle in einen Topf geworfen.

Do., 21.04.2022 - 22:12 Permalink
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Profil für Benutzer Karl Gudauner
Karl Gudauner Fr., 22.04.2022 - 09:55

Was an solchen Szenarien erschreckt ist zu einen, dass den Wählerinnen und Wählern das Bewusstsein, also die historisch fundierte Kenntnis dessen verloren gehen (gegangen sein) könnte, wie wichtig für ihre Entwicklung in Freiheit demokratische Regeln und Institutionen sind, und zum anderen, dass der Ärger über soziale Ungleichheit eine so starke regressive Aggression auslösen könnte, dass den Menschen auch das intuitive Gefühl dafür abhanden kommt, was ihnen selbst und der Gesellschaft als Ganzes zuträglich ist. In einer von großer Ungleichheit und mediengestützter Larmoyanz geprägten Gesellschaft fehlen die Vermittler*innen von Vernunft und erzeugen die Visionen von Gerechtigkeit und Solidarität selbst im Land der Aufklärung zu wenig Begeisterung.

Fr., 22.04.2022 - 09:55 Permalink
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Profil für Benutzer G. P.
G. P. Fr., 22.04.2022 - 10:34

Die regierenden Parteien der Mitte und Mitte-Links tun doch schon seit Jahren alles, um große Teile der Bevölkerung in die "rechten" Hände zu treiben. Und das nicht nur in Frankreich, nein, in ganz Europa. Angefangen bei der reinen Lobbyarbeit über die Flüchtlingskrise bis hin zur Abgehobenheit der einzelnen Politiker.

Fr., 22.04.2022 - 10:34 Permalink
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Profil für Benutzer Stefan S
Stefan S Fr., 22.04.2022 - 11:04

Die letzten Jahrzehnte waren geprägt von einer fast bedinglosen Wachstumpolitik in denen der Profit immer vor Moral und Gerechtigkeit gestellt war. Dabei wurde nur zaghaft von oben nach unten verteilt und was noch viel schlimmer wiegt es wurde auch von den oberen Zehntausend regelrecht betrogen, die weltweit verteilten Steuerparadiese sprechen für sich und dort treffen die sog. Demokraten mit Autokratien und Diktatoren aufeinander und sind sich immer einig beim veruntreuen von Staatseigentum und Steuern. Solange wir in den demokratischen Staaten weiterhin betreten wegschauen bei dieser Selbstbedienungsmentalität landen wir unweigerlich wieder bei den Zuständen vor dem 2. Wk

Fr., 22.04.2022 - 11:04 Permalink