Politik | SVP

„Nicht unser Sittenbild“

Die SVP hat turbulente Zeiten hinter sich, in der sich eine Krise an die andere reihte. SVP-Parteiobmann Philipp Achammer über Krisen-Management und moralische Ansprüche.
Achammer, Philipp
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Salto.bz: Herr Achammer, erst in einer Krisenzeit zeigt sich, aus welchem Holz jemand geschnitzt ist. Hat sich die SVP als Krisen-Manager bewährt?
 
Philipp Achammer: Die SVP funktioniert nicht wie ein Betrieb. Im Gegenteil, was Krisen-Management betrifft, hätte ich mir sogar manchmal gewünscht, dass wir wie ein Betrieb funktionieren würden. Da geht es nicht nur darum, Entscheidungen hart zu treffen, diese hierarchisch durchziehen zu können und fertig. Wir sind eine Partei, die aus gewählten Einzelpersonen besteht, die ihre Vorstellungen mitbringen. Das heißt, dass wir immer zu einem Kompromiss verpflichtet sind. Hier liegt der große Unterschied zu einem Betrieb, wo die Chefetage die Entscheidungen trifft und diese mitzutragen sind. Wir sind als Partei auch darauf angewiesen, dass möglichst viele Mitglieder die Entscheidungen mittragen und die Hand dafür aufheben.
 
Zuerst zwei Jahre Pandemie, nun die SAD-Affäre und die Abhörprotokolle: Ist die SVP gestärkt, geschwächt daraus hervorgegangen?
 
Gestärkt (nachdenklich)? Es ist die Frage, ob es der Anspruch unserer Partei sein sollte, aus einer Krise gestärkt hervorzugehen. Ich vergleiche unsere Partei immer mit einer großen Familie, in der verschiedene Strömungen unter einen Hut gebracht werden müssen. Im Gegensatz zu vielen anderen Parteien, wo eine klare Richtung vorgegeben ist, liegt unser Anspruch darin, dass sich möglichst viele in einer Entscheidung wiederfinden. Auch in der Zeit der Pandemie, die doch sehr von Krisenmanagement geprägt war, ist es uns gelungen, die Sammelpartei zusammenzuhalten. Wir haben Entscheidungen getroffen, die von allen – von der einen Gruppe vielleicht mehr und von der anderen etwas weniger – zumindest akzeptiert werden konnten. Das ist auch die Aufgabe von Politik.
 
Gerade in Krisenzeiten wird der Ruf nach einem starken Chef laut.
 
Die Erwartungshaltungen sind hier manchmal sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite erwartet man sich eine klare Führung, auf der anderen Seite aber nachvollziehbare oder partizipative Maßnahmen. Wie ein Pendel schlagen die Erwartungen manchmal in verschiedene Richtungen aus – einmal ist mehr Mitbestimmung gewünscht, dann wieder Führung. Während der Pandemie war es nicht möglich, auf eine breite Mitbestimmung zu setzen. Entscheidungen mussten mitunter sehr schnell getroffen werden. Im Nachhinein kam dann die Kritik von bestimmten Verbänden, die mehr Mitbestimmung gefordert haben bzw. dass man die Entscheidungen mit ihnen hätte teilen sollen. Aber wie das Sprichwort schon sagt: Jedem Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.
 
 
 
 
Wie haben Sie diese Krisenzeiten persönlich erlebt?
 
Die Pandemie habe ich als große Bewährungsprobe für die Gesellschaft erlebt. Einerseits wurde viel über Zusammenhalt gesprochen, andererseits habe ich ein Auseinanderdriften bzw. eine Polarisierung wahrgenommen, beispielsweise wenn es um die Impfkampagnen ging. Auch die jüngsten Vorkommnisse zeigen, dass mehr denn je das Bedürfnis nach einem Ausgleich besteht. Es wird allerdings zunehmend schwieriger, ihn zu finden – ob es nun eine Partei oder die ganze Gesellschaft betrifft. Die „Ich-Betriebe“, wenn man sie so nennen will, sind zahlreicher geworden, einige halten das für eine Wohlstandserscheinung. Ich komme beispielsweise gerade aus einer Sitzung, in der der Satz „Der Kompromiss ist nicht mehr sexy“ gefallen ist. Gefragt ist heute die Schlagzeile, das Polarisierende – das ist schade. Schließlich hat uns und das Land nicht das Gegeneinander, sondern das Gemeinsame vorangebracht.
 
Die „Ich-Betriebe“, wenn man sie so nennen will, sind zahlreicher geworden.
 
Zoff und Streit verkaufen sich besser auf den Titelseiten.
 
Ja, natürlich. Einerseits wünschen sich die Leute eine Einigung und andererseits interessieren sie sich halt sehr für die reißerische Schlagzeile.
 
Gibt es im Rückblick Momente, wo Sie heute anders entscheiden würden?
 
Ja, die gibt es, aber die gibt es immer. Behauptungen von Personen, die meinen, dass ihre Entscheidungen immer richtig waren, halte ich für sehr fragwürdig. Man versucht, zu jedem Zeitpunkt die bestmögliche Entscheidung zu treffen, man trifft sie mit dem Kenntnisstand des Moments und im Nachhinein, weil sich neue Erkenntnisse ergeben haben, stellt sich heraus, dass man vielleicht anders entscheiden hätte sollen. Gerade die Pandemie hat uns gezeigt, dass solche Phasen der Krise sehr unberechenbar sein können. Ab einem bestimmten Zeitpunkt habe ich den Zusatz „unter Vorbehalt“ verwendet, weil man mit bestimmten Aussagen auch viele Enttäuschungen hergerufen hat.
 
Die sich ständig ändernden Durchführungsbestimmungen wurden von der Bevölkerung als sehr chaotisch wahrgenommen. Wäre manchmal ein kurzes Innehalten und ein Moment der Reflexion sinnvoller gewesen?
 
Chaos entsteht dann, wenn man alles berücksichtigen oder spezifische Situationen exakt festhalten wollte. Ich habe einige Male erlebt, dass wir eine allgemeine Regel aufgestellt haben, sich im Nachhinein gezeigt hat, dass diese Regel unzählige Schwierigkeiten in sich birgt, weil ständig nachkorrigiert werden musste. Das Resultat war, dass die Regel noch viel unübersichtlicher gemacht wurde. Möglichst jede Situation zu berücksichtigen, ist extrem schwierig. Ich bin beispielsweise mit Interessensgruppen in Kontakt gekommen, von denen ich vorher noch nie etwas gehört habe. Sie fühlten sich plötzlich benachteiligt, weil sie mit anderen Interessensgruppen über einen Kamm geschoren wurden. Wir haben versucht, ihre Interessen zu berücksichtigen, die Unübersichtlichkeit ist dadurch aber gewachsen.
 
Behauptungen von Personen, die meinen, dass ihre Entscheidungen immer richtig waren, halte ich für sehr fragwürdig.
 
SAD-Affäre und die Abhörprotokolle: Haben Sie sich überlegt oder gab es Überlegungen in der Partei, offensiv mit der SAD-Affäre umzugehen, sprich von sich aus an die Öffentlichkeit zu gehen?
 
Ja, natürlich gab es diese Überlegungen. Wobei ich dazusagen muss, dass mir persönlich die ganze Geschichte nur zu einem Bruchteil bekannt war. Für mich hatte zum damaligen Zeitpunkt eine parteiinterne Aufklärung Vorrang und mir war eine Klärung wichtig, über welche Unterlagen ich – als in dieser Causa Unbeteiligter – überhaupt verfügen darf. Darüber scheiden sich heute noch die Geister. Nun wurde alles veröffentlicht, was nur veröffentlicht werden konnte und damit ist jedem selbst die Wertung darüber überlassen. Diese Frage ist aber nach wie vor offen, auch wenn sie jene, die an der Lektüre des Buches interessiert sind, weniger interessiert. Für mich war diese Frage allerdings zentral, und zwar weil ich persönlich keinen Zugang zu den Akten hatte.
Darüber hinaus ist es ein riesiger Unterschied, ob so eine Geschichte parteiintern aufgearbeitet werden kann oder die Aufarbeitung unter den Augen und unter dem Druck der Öffentlichkeit stattfinden muss. Mögliche Einigungen, die teilweise in greifbarer Nähe waren, sind plötzlich in weiter Ferne gerückt.
 
Mögliche Einigungen, die teilweise in greifbarer Nähe waren, sind plötzlich in weiter Ferne gerückt.
 
Sie sprechen damit unter anderem Thomas Widmann an …
 
Zum Beispiel. Die Entscheidung, die letztendlich getroffen wurde, war das Ergebnis weiterer Veröffentlichungen und damit im Zusammenhang stehender Äußerungen. Nach langen Diskussionen sind wir jedoch zu einer Entscheidung gelangt, die eine Einigung zwischen den verschiedenen Interessen darstellt – und zu der ich selbstverständlich stehe.
 
Schmerzhaft für alle Beteiligten?
 
Ja, natürlich. Weil es auch in der Politik eine menschliche Ebene der Zusammenarbeit gibt. Man hat schließlich vieles gemeinsam umgesetzt, das gut gelungen ist. Nun muss man plötzlich einen Schritt der Distanz tun, der natürlich alles andere als einfach ist.
 
Seine Wortmeldungen bei der Sondersitzung schienen Thomas Widmann einiges an Kraft abzuverlangen.
 
So eine Situation macht mit jedem Menschen etwas, ob er nun darin involviert ist oder als Außenstehender die Probleme managen muss. Solche Situationen sind weitaus belastender als die Arbeit an schwierigen Sachthemen.
 
Was hat das mit der SVP gemacht? Wurden Gräben, die bereits vorher da waren, noch vertieft? Man spricht in diesem Zusammenhang von den beiden SVP-Lagern …
 
Was ich wirklich bedaure ist, wenn durch solche Veröffentlichungen ein Sittenbild gezeichnet wird, das nicht das unsere sein sollte. Das ist etwas, was der Partei wirklich zusetzt. Nach der Veröffentlichung der Chat-Protokolle in Österreich und der Audio-Dateien zur SAD-Affäre in Südtirol wurden zum Teil obermoralische Ansprüche gestellt, die niemals erfüllbar sein werden. In jeder Familie, in jedem Betrieb, in jeder Partei wird es Situationen geben, wo der eine über den anderen mault und seine Worte nicht sorgfältig wählt. Damit muss man umgehen können. In den wesentlichen Situationen kommt es darauf an, dass man nicht das Persönliche in den Vordergrund stellt, sondern weiß, wofür man gemeinsam arbeitet. Das Bedauerliche ist, dass dieses Verhalten in den Vordergrund getreten ist und alles andere überlagert hat, wie die Arbeit für unser Land.
 
In jeder Familie, in jedem Betrieb, in jeder Partei wird es Situationen geben, wo der eine über den anderen mault und seine Worte nicht sorgfältig wählt.
 
Die famose Lagerbildung ist eine Darstellung, die belastend geworden ist. Viele haben sich darüber beklagt, dass sie plötzlich entweder dem einen oder dem anderen Lager zugerechnet wurden. Ich habe meine eigene Position und meine eigene Meinung und ich will niemandem zugerechnet werden. Manchmal war es sogar für mich interessant zu lesen, wie diese Lager aussehen …
 
… und welch seltsame Vorstellungen wir Schreiberlinge von der SVP haben?
 
Genau. Und wer in welchem Kosmos nun zu finden ist. Auch Zuschreibungen wie „Konservative aus dem Osten“ oder „Liberale aus dem Westen“ spiegeln die Realität nicht wider. Natürlich gibt es innerhalb unserer Partei unterschiedliche Positionen und ideologische Hintergründe, das ist legitim und auch gut. Früher hat man sich oft darüber beklagt, dass es in der SVP zu viel Gleichmacherei geben würde, und man hat sich mehr Auseinandersetzung gewünscht. Eine sachbezogene Auseinandersetzung soll auch stattfinden, das belebt schließlich das Geschäft.
 
 
 
 
Nach außen hin wurde vor allem eine Spaltung zwischen Ihnen und LH Kompatscher wahrgenommen. Eine Erfindung der Medien?
 
Ich habe hier einen anderen Zugang. Es ist manchmal der Eindruck entstanden, dass der eine nicht mit dem anderen könnte. Wenn es darauf ankommt, dann zählt aber das Verantwortungsbewusstsein für die Sache und das Land ist es auch, was uns zusammenschweißt, im Unterschied übrigens zu anderen Gruppierungen, wo es bei persönlichen Auseinandersetzungen um Sein oder Nichtsein geht. Ich appelliere in schwierigen Situationen an alle Beteiligten, sich zurückzunehmen, darüber nachzudenken, um was es geht, und für die Sache zu arbeiten. Es geht hier nicht um den persönlichen politischen Erfolg Einzelner, sondern die Leute erwarten sich, dass wir für sie arbeiten. Schließlich ist jeder auf seiner Position bis zu einem gewissen Grad auch relativ.
 
Nur auf Zeit.
 
Genau! Jeder politische Auftrag, unabhängig von Partei oder Regierung, ist ein Auftrag auf Zeit und im Grunde genommen sind wir alle ersetzbar. Das ist der große Unterschied zu irgendwelchen Ad-hoc-Bewegungen, die von einer Person abhängig sind. Das sind wir einfach nicht.
 
Sie denken in größeren Zeiträumen?
 
Uns gibt es seit 1945. Wir haben die Verpflichtung, so zu denken. Es gab in der Vergangenheit immer wieder Politiker, die geglaubt haben, dass es ohne sie nicht gehen würde – aber es ist halt trotzdem weitergegangen.
 
Was waren die Momente, Überlegungen, Triebfedern, um sich wieder zusammenzuraufen?
 
Es hat diesen Moment zwischen mir und dem Landeshauptmann gegeben und auch gebraucht. Wir haben an einem bestimmten Punkt gemerkt, dass die Dinge wirklich so weit auseinanderdriften, dass die Geplänkel und Auseinandersetzungen dem ganzen Land schaden könnten. Das war ein Time-out-Moment, wo wir dann beide einen Schritt zurückgetreten sind und entschieden haben, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wir haben uns die Frage gestellt, wie wir jetzt die Verantwortung übernehmen und die Situation lenken können. Von den Bürgermeistern bis zu den Ortsobleuten haben alle betont, dass sie die Verantwortung in unser beider Hände legen wollen – auch mit dem Risiko, das damit verbunden ist.
 
Sie sprechen die Bürgermeisterkonferenz an, die Anfang April stattgefunden hat …
 
Wir haben mit den Ortsobleuten und den Bürgermeistern gesprochen. Wir haben wirklich gemerkt, dass der Wunsch da ist, dass jeder von uns in seiner Position das Heft in die Hand nehmen soll.
 
Sie haben in einem RAI Interview sinngemäß gesagt, dass man in einer Partei nicht durch Freundschaft verbunden sein muss, um gut miteinander arbeiten zu können. Freundschaft oder zumindest Vertrauen wäre mitunter aber hilfreich …
 
Ich sehe das etwas anders. Auch in einem Betrieb sind nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter miteinander befreundet, trotzdem können sie ein gemeinsames Ziel erreichen, wenn sie in der Lage sind, ihre Animositäten hintanzustellen. Und hier kommen wir wieder auf die übertriebenen Moralansprüche zurück: Es wird zwar viel über die Politik gemault und man hat sehr hohe moralische Ansprüche, die aber nun mal nicht erfüllbar sind. Wie man so schön im Dialekt sagt: Es tuet überoll lei menschelen. Es gibt auch in der Politik Personen, die besser miteinander können und Leute, die weniger gut miteinander können, wie halt sonst auch überall. Aber das darf doch nicht im Zentrum der ganzen Sache stehen. Und wenn dieser Eindruck nach außen hin entsteht, dann schadet uns das allen.
 
Es tuet überoll lei menschelen.
 
Für mich spielt der professionelle Umgang miteinander die zentrale Rolle und das Vermögen, wie man auch mit unterschiedlichen Positionen umgehen kann und die Fähigkeit, sich am Ende des Tages dem zentralen Ziel unterzuordnen. Sieht man sich die Geschichte unserer Partei an, dann ist das auch immer der Fall gewesen. Man braucht sich hier nur die Biografien von Hans Dietl oder Waltraud Gebert Deeg durchzulesen. Auch darin kommen menschliche Ebenen zum Vorschein und sind Aussagen wie „Es wäre besser ohne den einen oder anderen gewesen“ gefallen. Am Ende des Tages haben sie zumindest versucht, ihre persönlichen Befindlichkeiten zu überwinden und politische Professionalität an den Tag gelegt.
 
Im Social Media Zeitalter rücken solche persönlichen Befindlichkeiten von Politikern noch mehr in den Fokus.
 
Ein Journalist, der sehr lange im Geschäft war, hat mir einmal erzählt, dass es früher viele Tage gebraucht hat, wenn man ein Interview mit Silvius Magnago haben wollte. Heute bekomme ich eine WhatsApp-Nachricht, in der es heißt, dass ich innerhalb kurzer Zeit eine Antwort abgeben muss, ansonsten wird die Geschichte veröffentlicht, ohne dass ich dazu Stellung nehmen kann. Diese Entwicklung hat Vorteile und Nachteile. Das Gute ist, dass schnelle, transparente, auch vielschichtige Information möglich ist. Die Frage stellt sich allerdings, wie man damit umgeht. Kann sich jemand aus diesen diffusen Nachrichten überhaupt noch eine eigene Meinung bilden? Das ist extrem schwierig geworden.
 
Die SVP wurde mitunter als Lobby-Partei kritisiert – wie geht man mit Versuchen von außen um, die Einfluss auf die Entscheidungen in der Partei oder Regierung nehmen wollen?
 
Man müsste einmal definieren, was mit dem Begriff Lobby-Partei eigentlich gemeint ist. Wenn Lobby Interessensvertretung von verschiedenen Gruppen bedeutet, dann ist es auch in Ordnung. Die Landwirtschaftsvertreter beispielsweise dürfen schließlich die Interessen der Landwirtschaft vertreten. Das Problem entsteht, wenn ein zu starker Drift in eine bestimmte Richtung stattfindet. Diese Auseinandersetzungen hat es in der SVP aber immer schon gegeben. Den perfekten Ausgleich intern herzustellen, hat sehr selten funktioniert. Derzeit haben wir in der Arbeitnehmervertretung ein gewisses Defizit, was aber nicht unbedingt die Schuld der dafür zuständigen Personen ist, sondern mit der Art zusammenhängt, wie wir Politik machen. Wir müssen uns hier sicher überlegen, wie man die Arbeitnehmerfraktion wieder stärken kann.
 
Das Problem entsteht, wenn ein zu starker Drift in eine bestimmte Richtung stattfindet.
 
Die Lobby-Geschichte klingt in der Öffentlichkeit zwar sehr reißerisch, ich kann mich in dem Begriff allerdings überhaupt nicht wiederfinden. Jeder hat schließlich das Recht bzw. sogar die Pflicht, für eine bestimmte Gruppe Politik zu machen. Im Gegensatz zu anderen Parteien, die in bestimmte Richtungen tendieren, muss die SVP allerdings den Ausgleich suchen.
 
Wie bewegt sich die SVP zwischen den Traditionen und den damit verbundenen Wertvorstellungen wie Sprachgruppentrennung, Schutz der deutschsprachigen Minderheit und den Zukunftsvisionen, die für eine Sprachgruppenaufhebung, grün gefärbt und sogar linke Ausrichtung, stehen. Gibt es diesbezüglich Auseinandersetzungen, in welche Richtung man sich bewegen möchte?
 
Ja, die gibt es natürlich. Unsere Autonomie entwickelt sich auch hier weiter, obwohl unsere Ansichten in einigen Grundsatzfragen unverrückbar sind. Einige sind zwar der Ansicht, dass wir nach 50 Jahren Autonomie-Statut von einigen Inhalten Abstand nehmen können. Innerhalb unserer Partei ist das allerdings nicht der Fall. Wir wissen, dass das Errungene niemals selbstverständlich werden darf und haben erkannt, dass manche Aspekte, die es scheinbar nicht mehr braucht, doch sehr notwendig sind.
Gerade was die Schulen betrifft, gibt es in Südtirol sehr viele verschiedene Realitäten. Die Schulen in Bozen stehen beispielsweise vor der Herausforderung, zumindest eine Sprache gut zu vermitteln – vor allem in Vierteln mit hohem Migrationshintergrund. Im Ahrntal etwa ist die Situation wiederum eine völlig andere. Die eine Lösung für alle wird es wahrscheinlich nicht geben. Allerdings haben die Schulen bei uns sehr viele autonome Möglichkeiten. 
 
Wie sehen Sie die Veröffentlichung des Buches „Freunde im Edelweiß“?
 
Es wird, wie schon gesagt, ein Sittenbild darin aufgezeigt, das nicht das unsere sein sollte, mit privaten Akteuren, die bis hin zu kriminellen Machenschaften zu allem bereit waren. Ich sehe aber auch die kritischen Seiten, denn es sind nach wie vor einige Fragen offengeblieben. Ich meine damit in den Raum gestellten Fragen, die der Leser nicht in der Lage ist zu beantworten.
 
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
 
Eine simple Frage wie „Haben bestimmte Personen Geld für irgendetwas bekommen: ja oder nein?“ Das Buch enthält zwei, drei solcher Fragen. Hier hätte ich mir mehr Vorsicht gewünscht, damit nicht vorschnelle Schlüsse durch die Leser gezogen werden, was durchaus passiert.
Weiters stellt sich mir die Frage, was im Zuge von Ermittlungsarbeiten an Unterlagen veröffentlicht werden kann, darf oder soll. Welche Inhalte sind für ein Verfahren relevant oder nicht. Ein Beteiligter in einem anderen laufenden Verfahren hat sich beispielsweise sofort bei mir gemeldet und gemeint, dass ihm nicht sehr wohl bei dem Gedanken sei, dass auch in diesem Fall vielleicht jemand Unterlagen anfordern oder veröffentlichen könnte. Denn es seien bestimmt auch Sätze gefallen, die ebenfalls nicht moralisch integer waren.
 
Wenn die betreffenden Abgeordneten also mehr erfahren wollen, dann müssen sie das Buch lesen.
 
Natürlich kann man nicht alles als blödes Gerede abtun. Aber nichtsdestotrotz muss man die Frage stellen, ob alles von öffentlichem Interesse ist. Ich habe hier meine Zweifel, unter anderem auch deshalb, weil der Untersuchungskommission des Südtiroler Landtages nur etwas mehr als 150 Seiten ausgehändigt wurden. Wenn die betreffenden Abgeordneten also mehr erfahren wollen, dann müssen sie das Buch lesen. Diese Frage ist zu klären und das hat auch nichts mit vertuschen zu tun, sondern hier stellt sich einfach die Frage nach der Rechtssicherheit für die Betroffenen.
 
Was wird bleiben von dieser Krise?
Bleiben wird hoffentlich das starke Bewusstsein, dass Vergabeverfahren, so wie sie schließlich auch abgewickelt wurden, transparent, sauber und korrekt abgewickelt werden müssen. Von jedwedem Versuch der privaten Einflussnahme muss Abstand genommen werden. Wenn das bleibt, dann ist schon sehr viel erreicht. Und vielleicht bleibt auch ein wenig Bewusstsein innerhalb der Partei, wie man miteinander umgehen muss bzw. sollte.
 
Vor dem Hintergrund, dass man ja abgehört werden könnte…
(Lachend) Auch…
 
Ein Blick in die Zukunft: Wie geht es weiter mit der SVP?
 
Wir werden uns bemühen, sehr zeitnah die vereinbarten Vorschläge umzusetzen wie beispielsweise die Verkleinerung der Landesregierung. Es wird dann sicher auch noch einen Abschlussbericht geben, in dem die SAD-Geschichte und die parteipolitisch relevanten Aspekte aufgearbeitet werden. Wir werden abschließend über den sogenannten Verhaltens- bzw. Ethikkodex diskutieren, um Interessenskonflikte ausschließen zu können. Parallel dazu werden wir uns bemühen, dieses Jahr noch gut zu nutzen, um unsere Ziele, die während dieser auch pandemiebedingten schwierigen Amtszeit teilweise liegen geblieben sind, noch auf den Weg zu bringen.
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Josef Fulterer Fr., 22.04.2022 - 06:12

Die Landesregierung sollte, kontrolliert von den Oppositionsparteien, ihre Entscheidungen so ausrichten, dass alle Bürger ausgewogen ihr Auskommen wahrnehmen können und nur bei den wenigen Fällen nachhelfen, die sich nicht selber helfen können.
Die NEO-Liberalen Ansätze zur Verteilung von "Unten nach Oben," die "Anlehnung an Medien" und die "Partei-spendablen Firmen," die mit ihren milden Gaben, sich unabhängig von ihren Leistungen, eine sorglose Zukunft sichern wollen, sind tödliches Gift für die Demokratie.
Auch die in Südtirol geübte Praxis, die Landesräte mit sehr hohen persönlichen Geldquellen auszustatten, die damit die Verbände, sowie deren Verbandsmitglieder reichlich füttern dürfen, verursacht ebenfalls schwere Verwerfungen in der Gesellschaft.

Fr., 22.04.2022 - 06:12 Permalink
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Stefan S Fr., 22.04.2022 - 10:32

"gewünscht, dass wir wie ein Betrieb funktionieren würden. Da geht es nicht nur darum, Entscheidungen hart zu treffen, diese hierarchisch durchziehen"
Die Zeit hierarchisch Entscheidungen zu treffen ist vorbei, die letzten wo das leidvoll erfahren mussten war der VW Konzern. Man leckt sich jetzt noch die Wunden.
Leider wurde das Wort nur einmal genannt, Integer ist ein sehr wichtiger Schlüssel, integer gegenüber den Bürgern aber auch nach innen und da fehlt es gewaltig in der täglichen Praxis und wer nicht integer ist kann natürlich auch die erforderliche Transparenz nicht leben.
Denken Sie darüber mal nach Herr Achammer dann wird die Lücke zwischen dem von Ihnen hier probagierten Anspruch und der Wirklichkeit auch kleiner :-)

Fr., 22.04.2022 - 10:32 Permalink
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Karl Trojer Fr., 22.04.2022 - 11:03

Die Konzentration der Macht über die größte Partei des Landes, das Landesassessorat für Wirtschaft und das Landesassessorat für Bildung tut keinem derselben gut !

Fr., 22.04.2022 - 11:03 Permalink
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Salto User
Günther Alois … Fr., 22.04.2022 - 11:27

Dieser Kommentar wurde entfernt, weil er gegen die Netiquette verstößt (§ R2.ff). Bitte mäßigen Sie Ihre Ausdruckweise.

- Salto-Community-Management

Fr., 22.04.2022 - 11:27 Permalink
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M A Fr., 22.04.2022 - 11:31

Es tuet gonz sicher net ibroll lei menschelen!!
.
Das ist die übliche billige Ausrede, wenn man niemandem die Schuld geben möchte und nicht mehr weiter weiß...

Fr., 22.04.2022 - 11:31 Permalink
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M A Fr., 22.04.2022 - 11:35

Und übrigens, seine Vorstellungen, wie ein Betrieb funktioniert und geführt werden sollte, scheinen mir schon ziemlich weit weg von der Realität zu sein.
Wann hat er denn das letzte Mal in einem Betrieb gearbeitet?
(Emojis not available)(Emojis not available)

Fr., 22.04.2022 - 11:35 Permalink
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△rtim post Fr., 22.04.2022 - 12:41

Wer konnte/kann all das wirklich wollen?
Nun soll sogar der Landtag dafür herhalten, was die SVP intern aufgrund der verweigerten Rücktritte nicht imstande war umzusetzen: sich (neu) zu sortieren.
Das Ziel dieser machtpolitischen Operation des Parteiobmanns Achammer und des LHs Kompatscher sind offenbar ein Weitererso.
Egal scheinbar, ob zum Nachteil der eigenen Partei ... Das eigene Mandat sieht man davon ja auch eher losgelöst:
"Jeder politische Auftrag, unabhängig von Partei oder Regierung, ist ein Auftrag auf Zeit und im Grunde genommen sind wir alle ersetzbar."
Klingt ein wenig nach: möglichst (noch) lang und genug von Amt und Partei ... profitieren, nach dem Motto: "Schaden bleibt den anderen, die (evt.) nachher kommen immerhin genug."
Was man im Interview vermisst, sind u.a. auch kritische Fragen zu zehn Jahre Achammer und Kompatscher.
Was ist aus der versprochenen Zeitenwende von
2012-13 vor dem Hintergrund des damaligen Politrentenskandals und mit dem Anspruch eines völlig neuen Politikstils (in Abgrenzung zu Durnwalder) und der Erneuerung geworden?
LH Kompatscher mit seiner enormen Machtfülle sollte es damals richten. Auch als moralische Instanz, zusammen mit SVP-Obmann Achammer. Folgerichtig auch, von Anbeginn, sich transparent zur Amtszeitbeschränkung von max.10 Jahren ausdrücklich zu bekennen und sich selbst zudem dazu zu verpflichten. Daran soll, ja wollte LH Kompatscher gemessen werden.
Wieso hat es jetzt dann aber allerorts mediale Opfererzählungen und das Diskreditieren, Verleumdem kritischer Frager-innen, wenn er nach seinem gegebenen Tiroler Wort eh nicht mehr antritt?
Denn, dass auch (interessensunabhängige) Parteigänger-innen und Wähler-innen nun spätestens 2022-23 auch mal bei Parteiobmann, Landeshauptmann anfragen, wieso sie mit der Erneuerung nicht mal angefangen haben, in Tritt zu kommen, ist wohl bitte nicht nur legitim, sondern mehr als überfällig und notwendig. Denn welche Listen-Vertretung kann es sich in einer Wählerdemokratie letztlich leisten, Skandal um Skandal einfach so weiterzumachen?
Schließlich handelt Politik für Land und Leute, so ihr minimaler Selbstanspruch (noch), um das Wohl zu mehren und um Schaden abzuwenden. Das gilt es sich in der Politik (zumindest) auch noch bewusst zu bleiben.

Fr., 22.04.2022 - 12:41 Permalink
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Profil für Benutzer Klemens Riegler
Klemens Riegler Sa., 23.04.2022 - 00:04

Ich will hier den Achammer nicht verteidigen, aber dass ein Parteiobmann oder Wirtschaftslandesrat unbedingt "richtig gearbeitet" oder vorher einen Betrieb geleitet haben muss (so wie es einige Kommentatoren behaupten), ist nicht zwingend richtig. Sein Job als LR ist jedenfalls durchaus zu respektieren.
Wo Achammer irrt ist die These, dass in Betrieben hierarchisch gearbeitet und nur von Oben herab entschieden wird. Das überlebt heute keine Firma mehr. Ebenso wie es keine Partei überlebt. Die Zeiten von Durni sind Vergangenheit. Nicht umsonst ist er in Politpension ... die er bekanntlich auch genießen sollte ... anstatt sich in alten Mustern zu verrennen.

Sa., 23.04.2022 - 00:04 Permalink
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Profil für Benutzer Emil George Ciuffo
Emil George Ciuffo So., 24.04.2022 - 13:40

Der schafft es formidabel, das Ganze zu einem internen familiären Zwist zu reduzieren, den es eigentlich überall gibt, wobei am Ende jene die wirklich Schuldigen sind, die diesen Zwist nach außen tragen.
Die Machenschaften dahinter, um die es eigentlich geht, werden nicht mal erwähnt und die sollen die Bürger auch schnellstens vergessen ...

So., 24.04.2022 - 13:40 Permalink
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Profil für Benutzer Herta Abram
Herta Abram So., 24.04.2022 - 20:50

Ein Wählerbeschwichtigungstext, nicht mehr und nicht weniger.
Punktuelle Änderungen am politischen SVPSystem reichen nicht aus. Strukturelle Reformen müssen mit einem kulturellen Umdenken und einer Selbskritischen Reflexion Hand in Hand gehen. Nach dem Lesen dieses Textes, denke ich, wird die SVP nicht viel ändern und die Vorherrschaft partikularer Interessen weiter nicht brechen wollen.
Südtirol sitzt in einer «Politikverflechtungsfalle».

So., 24.04.2022 - 20:50 Permalink
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Profil für Benutzer Josef Fulterer
Josef Fulterer Mo., 25.04.2022 - 06:02

Antwort auf von Herta Abram

Jeder politische Skandal (auch die Politikerenten und der SAD-Skandal mit der Mästung vom Gatterer) kosten Geld, das zum Schaden der Bürger missbraucht wird.
Für die Oppositionsparteien sind die Skandale der Regierungspartei die beste Gelegenheit, mit ihrer Stimme die in den Straßengraben gefahrene Karre, wieder zurück auf die Straße zu bergen und die dafür verantwortlichen Politker vorzuführen.

Mo., 25.04.2022 - 06:02 Permalink