War da was?
Seit knapp zwei Monaten wird die politische Debatte in Südtirol von einem Thema beherrscht: den Vorgängen rund um die annullierte Buslinien-Ausschreibung und den Umgang der SVP mit den Parteifunktionären, die in die “SAD-Affäre” involviert sind. Losgetreten wurde sie am 6. Juli 2018. Keine drei Wochen später passiert im Landtag aber noch etwas, das Folgen mit sich zieht, die bis heute nicht aus der Welt sind. Am 26. Juli 2018 beschließt der Landtag das neue Gesetz zur Direkten Demokratie – um es drei Jahre später mit den Stimmen der Mehrheit und unter großem Protest der Opposition wieder zu beschneiden.
Jetzt sind die Bürger am Zug: Wollen sie die Bürgerbeteiligung à la SVP-Lega-Forza Italia? Oder sind sie dagegen, dass ihr Recht auf Mitbestimmung wieder zurückgefahren wird? Um diese Frage geht es in der landesweiten Volksabstimmung am 29. Mai. In der öffentlichen Wahrnehmung spielt der Termin kaum eine Rolle. Genauso dürftig und kaum verständlich sind die Informationen, die sich zum Referendum finden lassen. Das soll sich allerdings bald ändern.
Was 2018 geschaffen wurde
Die zentralen Neuerungen, die mit dem Gesetz Nr. 22 2018 “Direkte Demokratie, Partizipation und politische Bildung” eingeführt wurden, sind folgende:
- Beteiligungsquorum: von 40 auf 25 Prozent gesenkt (ausgenommen sind beratende Abstimmungen, bei denen kein Quorum gilt)
- bestätigende Volksabstimmung: 300 Bürger können sie zu Landesgesetzen beantragen, die nicht mit einer 2/3-Mehrheit im Landtag genehmigt wurden
- Büro für politische Bildung: soll Informationen und Beratung im Vorfeld von Abstimmungen und darüber hinaus anbieten
- Bürgerrat: 300 Bürger können ihn zu aktuellen Themen und Fragen einberufen
- Sprachgruppenklausel: stellt die für Abstimmungen zuständige Richterkommission fest, dass eine Fragestellung “sprachgruppensensibel” ist, ist die Abstimmung nur gültig, wenn in den Gemeinden, in denen die betroffene Sprachgruppe die Bevölkerungsmehrheit bildet, die Mehrheit so abstimmt, wie es die Mehrheit landesweit tut
- Erleichterungen bei der Unterschriftensammlung
Schon bald nach der Verabschiedung des Gesetzes stellte sich heraus, dass die SVP es so nicht (mehr) haben wollte. Insbesondere das bestätigende Referendum ist der Volkspartei ein Dorn im Auge. Bereits 2019 startete Fraktionssprecher Gert Lanz einen Versuch, es wieder abzuschaffen. Anfang 2020 verschwand Lanz’ Initiative in der Schublade – die Sepp Noggler wenige Monate später wieder öffnete. Am 11. Juni 2021 sagte die Mehrheit im Landtag – SVP, Lega, Forza Italia – schließlich Ja zu Nogglers Gesetzentwurf – und damit zu weniger Bürgerbeteiligung.
Was 2021 passierte
Mit 18 Ja und 15 Nein genehmigte der Landtag vorigen Juni den Noggler-Vorschlag, der unter anderem folgende Änderungen beinhaltete:
- beteiligendes Referendum: abgeschafft
- Büro für politische Bildung: soll “an einem wissenschaftlichen Institut angesiedelt werden” (im Gespräch ist die Eurac) und über eine Verbindungsstelle dem Landtagspräsidium unterstehen
- Bürgerrat: nicht mehr 300 Bürger, sondern allein das Landtagspräsidium kann ihn einsetzen
- Sprachgruppenklausel: aufgehoben
Doch auch diese Neuerungen wurden nicht einfach so hingenommen. Laut Art. 47 des Autonomiestatuts können in Südtirol und dem Trentino Referenden über Gesetze durchgeführt werden, die die Direkte Demokratie regeln. Dafür müssen 10.000 Unterschriften gesammelt werden (ein Fünfzigstel der Wahlberechtigten in Südtirol). Von dieser Möglichkeit machte die Initiative für mehr Demokratie kurz nach der Genehmigung des Noggler-Gesetzes Gebrauch.
Der steinige Weg zum Referendum
Bis Herbst 2021 kamen über 16.000 Unterschriften zusammen. Doch im November 2021 befand die Kommission zur Durchführbarkeit des Referendums: Der Antrag ist nicht zulässig. Dass das Referendum dennoch stattfindet, ist der Opposition zu verdanken. Denn laut Art. 47 des Autonomiestatuts kann auch ein Fünftel der Landtagsabgeordneten ein Referendum beantragen – was 14 oppositionelle Abgeordnete im September 2021 taten. Ursprünglich sollte das Referendum über das Referendum Ende Jänner 2022 stattfinden. Wegen der Corona-Pandemie wurde es auf Ende März verlegt und schlussendlich auf Ende Mai.
Am Sonntag, 29. Mai, können alle Wahlberechtigte in Südtirol von 7 bis 21 Uhr in den Wahllokalen mit einem JA oder NEIN über folgende Fragestellung abstimmen:
Stimmen Sie dem Gesetz betreffend „Änderung des Landesgesetzes vom 3. Dezember 2018, Nr. 22, ‚Direkte Demokratie, Partizipation und politische Bildung‘ und des Landesgesetzes vom 8. Februar 2010, Nr. 4, ‚Einrichtung und Ordnung des Rates der Gemeinden‘“ zu, welches vom Landtag am 11. Juni 2021 verabschiedet und im Amtsblatt der Region Nr. 27 vom 8. Juli 2021 veröffentlicht worden ist?
Auf italienisch:
Approvate il testo della legge concernente “Modifiche alla legge provinciale 3 dicembre 2018, n. 22, ‘Democrazia diretta, partecipazione e formazione politica’ e alla legge provinciale 8 febbraio 2010, n. 4, ‘Istituzione e disciplina del Consiglio dei Comuni’”, approvata dal Consiglio Provinciale il 11 giugno 2021 e pubblicata sul Bollettino Ufficiale della Regione n. 27 del 8 luglio 2021?
Aus dem Juristischen übersetzt lautet die Frage in etwa so: Stimmen Sie dem Gesetz, mit dem 2021 die Direkte Demokratie in Südtirol wieder eingeschränkt wurde, zu?
Beteiligungsquorum gibt es keines, sprich, die Mehrheit der Abstimmenden entscheidet. Der Landtag hat eine eigene Webseite für die Landesvolksabstimmung am 29. Mai eingerichtet. Wer sich dort inhaltliche Details oder einfache Antworten auf die Frage Worum geht es eigentlich? erwartet, wird enttäuscht. Aber es naht Abhilfe.
Informationen von allen Seiten
Im Februar 2022 hat der Landtag einstimmig beschlossen, eine Informationsbroschüre zu erstellen – ähnlich wie beim Flughafen-Referendum 2016. Dort soll zum einen der Sachverhalt objektiv dargestellt – diese Aufgabe übernimmt das Rechtsamt des Landes – und zum anderen das Pro und Contra wiedergegeben werden. Damit sich die Bürger möglichst einfach und gut eine Meinung bilden können.
“Die Broschüre ist fertiggestellt und in Druck”, teilt Brigitte Foppa nun auf Nachfrage von salto.bz mit. Die Grüne Landtagsabgeordnete hat das 2018 verabschiedete Direkte-Demokratie-Gesetz gemeinsam mit der SVP-lerin Magdalena Amhof maßgeblich mit gestaltet – und sich gemeinsam mit Amhof über die Verabschiedung gefreut – und mit ihren Fraktionskollegen den Antrag für die Broschüre eingebracht. Foppa saß auch gemeinsam mit Gert Lanz (SVP), Carlo Vettori (Forza Italia) und Alex Ploner (Team K) in der vierköpfigen Arbeitsgruppe des Landtags, die die Texte für das Ja und das Nein verfasst hat. Für das Ja sind SVP, Lega und Forza Italia. Für das Nein die gesamte Opposition: Team K, Grüne, Freiheitliche, Südtiroler Freiheit, Movimento 5 Stelle, PD, Fratelli d’Italia, Enzian, Perspektiven für Südtirol.
Die Arbeiten an den Texten sei reibungslos und “ohne großen Firlefanz” über die Bühne gegangen, berichtet die Grüne Abgeordnete – trotz der parteiinternen Turbulenzen der letzten Wochen, wegen der auf der Zielgeraden der Arbeiten die neue SVP-Fraktionssprecherin Magdalena Amhof Gert Lanz in der Arbeitsgruppe ablöste. Amhof fiel damit die etwas undankbare Aufgabe zu, für die Beschneidung “ihres” Gesetzes zu argumentieren.
Die dreisprachige Informationsbroschüre wird derzeit in einer Druckerei in Rom gedruckt, die den Zuschlag für den Auftrag erhalten hat. Spätestens zehn Tage vor dem Referendumstermin soll sie allen Haushalten zugeschickt sein. “Unser aller Anspruch war, die Bürgerinnen und Bürger korrekt und fair zu informieren.” Und das werde mit der Broschüre gelingen, ist Brigitte Foppa überzeugt. Sie ist mit der kooperativen Arbeit zwischen politischer Mehrheit und Minderheit in diesem Fall hörbar zufrieden. “Wenn öfters bekannt würde, dass im Landtag auf so einer Ebene – sachlich und ohne Polemik – zusammengearbeitet wird, hätte die Politik einen weniger schlechten Ruf.”
Vielleicht kommt ja noch
Vielleicht kommt ja noch jemand auf die glänzende Idee, die Broschüre als PDF-Datei auf der eigenen Webseite für die Landesvolksabstimmung zu veröffentlichen...
Information wäre mehr als
Information wäre mehr als wichtig. Genauso wichtig wäre es, z.B. von den Schweizern zu erfahren, wo die Stärken und die Schwächen der direkten Demokratie liegen. Sicher müssten sich dann die Verantwortlichen um eine seriöse Aufklärung bemühen. Die Abstimmung zum Flughafen ist deshalb aus meiner Sicht nicht wirklich gelungen.
Vielen Dank für die saubere
Vielen Dank für die saubere Berichterstattung. So wünscht man sich Journalismus! Weitere Informationen auf der Webseite der Initiative für mehr Demokratie dirdemdi.org.
Antwort auf Vielen Dank für die saubere von Stephan Lausch
Nur um Missverständnissen
Nur um Missverständnissen vorzubeugen wäre beim Punkt zum Erreichten:
"bestätigende Volksabstimmung: 300 Bürger können sie zu Landesgesetzen beantragen, die nicht mit einer 2/3-Mehrheit im Landtag genehmigt wurden", zu ergänzen, dass nach diesem Antrag innerhalb von 6 Monaten 13.000 Unterschriften zu sammeln sind, damit es zur Volksabstimmung kommt.
Antwort auf Nur um Missverständnissen von Stephan Lausch
Im Text steht: "beteiligendes
Im Text steht: "beteiligendes Referendum [wurde] abgeschafft".
Ist da vielleicht die oben erwähnte "bestätigende Volksabstimmung" gemeint?
Antwort auf Im Text steht: "beteiligendes von Johannes Engl
Ja, es handelt sich um das
Ja, es handelt sich um das bestätigende Referendum oder die bestätigende Volksabstimmung, jedenfalls um das direktdemokratische Instrument, das wir von den Verfassungsreferenden her kennen und das wir jetzt am 29. Mai nutzen, um zu entscheiden, ob das Landesgesetz, mit dem die Mitbestimmungsrechte drastisch beschnitten werden sollen, in Kraft treten soll oder nicht. Das bestätigende Referendum, das wieder abgeschafft werden soll, ist anwendbar auf alle Landesgesetze, die nicht mit Zweidrittelmehrheit neu beschlossen werden. Gegenüber dem bestätigenden Referendum, das wir jetzt nutzen und das nur in Bezug auf jene Landesgesetze ausgeübt werden kann, mit denen die Regeln der Demokratie für unser Land festgelegt werden, ist es ein Kompromiss. Für das Referendum, mit dem wir jetzt das Referendum über einfache Landesgesetze retten können, braucht es 30 Promotoren. Die Gesetze, die diesem Referendum unterworfen werden können, treten immer erst nach drei Monaten in Kraft und nur dann, wenn entweder kein Antrag auf Referendum gestellt worden ist oder wenn nicht die vorgeschriebene Zahl von ca. 8.000 Unterschriften gesammelt worden ist. Für das Referendum, das die SVP wieder abschaffen will, braucht es 300 Promotoren, die innerhalb von 20 Tagen nach der Verabschiedung des Landesgesetzes den Antrag auf Referendum stellen. Sie müssen dann innerhalb von sechs Monaten mindestens 13.000 Unterschriften sammeln, damit die Wahlberechtigten in einer Volksabstimmung entscheiden können, ob das Landesgesetz in Kraft treten soll oder nicht. Kurz: Das Referendum ist das Herzstück der Direkten Demokratie, das Kontrollrecht der BürgerInnen gegenüber der parlamentarischen Gesetzgebung, mit dem sicherstellt sein soll, dass nur in Kraft tritt, was effektiv von einer Mehrheit der Wahlberechtigten geteilt wird. Seine eigentliche Wirkung ist eine präventive. Wenn der parlamentarische Gesetzgeber weiß, dass etwas, das er beschließt, mit einem Referendum zu Fall gebracht werden kann, dann wird er sich eher bemühen ein Gesetz zu beschließen, von dem er nicht fürchten muss, dass es vom Volk in einer Volksabstimmung abgelehnt wird. Aber offensichtlich ist es so, dass der parlamentarische Gesetzgeber ein paar Mal diese Erfahrung gemacht haben muss, damit das Referendum diese Wirkung entfaltet. Die einmalige Erfahrung von 2014 hat jedenfalls noch nicht gereicht.