Politik | Referendum 2022
„Möchten nicht erpressbar sein!“
Salto.bz: Herr Noggler, Sie sind neben Magdalena Amhof und Brigitte Foppa einer der maßgeblichen Architekten des Gesetzes Nr. 22 2018 „Direkte Demokratie, Partizipation und politische Bildung“. Welche Überlegungen standen hinter diesem Gesetz?
Josef Noggler: Mit der Arbeit am Gesetz, das 2018 erlassen worden ist, haben wir bereits 2013 begonnen. Der endgültigen Fassung ist eine lange Diskussion vorausgegangen. Wir wollten es vor den Wahlen noch verabschieden, weil es ansonsten verfallen wäre. Wir haben letztendlich auch die strittigen Punkte im Gesetz belassen, weil wir es ansonsten nicht hätten verabschieden können, ließen uns aber die Möglichkeiten offen, in der neuen Legislaturperiode Verbesserungen durchzuführen. Bevor es zur Anwendung kam, haben wir den Gesetzestext natürlich begutachten lassen.
Dabei mussten wir feststellen, dass doch einige technische, sprachliche und auch inhaltliche Änderungen erforderlich sind.
Dabei mussten wir feststellen, dass doch einige technische, sprachliche und auch inhaltliche Änderungen erforderlich sind, damit das Gesetz zur direkten Demokratie auch angewendet werden kann. Bereits zu Beginn der neuen Legislatur haben wir uns intern darüber beraten, dann aber auch die Opposition hinzugezogen. Wir waren uns natürlich nicht in jedem Punkt einig, bei vielen anderen hingegen schon wie bei rund 40 Änderungen sprachlicher Natur, beispielsweise wurde „Tag der Wahl“ durch „Tag der Befragung“ ersetzt.
Einer der zentralen Punkte in der Gesetzesänderung (2021) ist die Abschaffung des bestätigenden Referendums. Weshalb spricht sich die Regierungsmehrheit für die Abschaffung aus?
In diesem Passus ist festgehalten, dass 300 Bürger ein bestätigendes Referendum zu einem Gesetz, das nicht mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag genehmigt wurde, beantragen können und anschließend 13.000 Unterschriften sammeln müssen. Das Volk kann somit darüber abstimmen, ob ein Gesetz in Kraft tritt oder nicht.
Das heißt aber auch, dass die Einbringer eines Gesetzes erpresst werden können.
Das heißt aber auch, dass die Einbringer eines Gesetzes, sei es nun die Regierungsmehrheit oder die Opposition, erpresst werden können, wie es bereits einmal beinahe der Fall gewesen wäre. Sind die Gegner eines Gesetzes nicht damit einverstanden, können sie damit drohen, ein bestätigendes Referendum durch 300 Bürger einberufen zu lassen bzw. das Gesetz damit zu blockieren. Wenn der Antrag von 3.000 Bürgern unterzeichnet werden müsste, wäre die Situation eine andere, aber 300 Unterschriften bekommt man recht bald einmal zusammen.
Das ist bereits einmal passiert?
Es gab im Vorfeld zur Abstimmung über das Gesetz zu Raum und Landschaft eine längere Diskussion über die Termine und Verlängerungsfristen. Einige Abgeordnete haben uns zu verstehen gegeben, dass sie für die Einberufung eines bestätigenden Referendums sorgen würden, falls ihre Vorschläge nicht berücksichtigt würden.
Die Tatsache, dass das bestätigende Referendum abgeschafft wird, heißt ja nicht, dass die direkte Demokratie abgeschafft wird. Das Volk kann weiterhin seine Meinung bei beratenden Referenden kundtun, Gesetze mit einem Referendum abschaffen, einen Bürgerrat einsetzen und auf Basis des Autonomiestatutes ein Referendum verlangen.
Die Folgen, die ein bestätigendes Referendum haben könnte, waren 2018 nicht klar.
Weiters kann das Volk weiterhin Gesetze einbringen und per Volksentscheid genehmigen lassen oder dem Landtag vorlegen, der es dann behandeln muss. Folglich bestehen für die Bürger weiterhin sechs Möglichkeiten der Teilnahme an der Gesetzgebung.
Die Folgen, die ein bestätigendes Referendum haben könnte, waren 2018 nicht klar. Nun möchten wir es aus der Welt zu schaffen, und zwar deshalb, weil wir nicht erpressbar sein möchten.
Weshalb sollen die Bestimmungen zur Sprachgruppensensibiltät abgeschafft werden?
Grundsätzlich kann zu den Sprachgruppen kein Referendum – Befragung ja, aber kein Referendum – durchgeführt werden. Auch diese Passage, die im damaligen Gesetz mit aufgenommen wurde, war nicht gründlich genug durchdacht worden. Sie besagt nämlich, dass eine Sprachgruppe, sei es deutsch, italienisch oder ladinisch, eine Art Veto-Recht hat, wenn sie der Meinung ist, dass mit dem Ausgang eines Referendums die eigenen Rechte beschnitten werden. Ein Beispiel dafür wäre die Abstimmung über eine Sportveranstaltung oder Hubschrauberflüge in Gröden. Auch wenn die Mehrheit der Sütiroler sich dagegen ausspricht, das Abstimmungsergebnis in den ladinischen Ortschaften jedoch positiv ausfällt, ist das Referendum nicht gültig.
Diese Bestimmung enthält nämlich einen schwerwiegenden Denkfehler.
Diese Bestimmung enthält nämlich einen schwerwiegenden Denkfehler: Nachdem in den ladinischen Ortschaften nicht nur Ladiner ansässig sind, sondern auch deutsch- und italienischsprachige Südtiroler und diese ebenfalls eine Stimme abgeben können, weiß man nicht, ob das Ergebnis den tatsächlichen Wählerwillen der Ladiner wiedergibt. Denn aus der Abstimmung geht nicht hervor, wie die jeweiligen Sprachgruppen in den ladinischsprachigen Ortschaften abgestimmt haben. Die eigentliche Idee, eine Sprachgruppe davor zu schützen, von einer anderen überstimmt und damit in ihren Rechten beschnitten zu werden, wird somit ad Absurdum geführt. Vom Rechtsamt wurde uns mitgeteilt, dass solche Befragungen nicht durchführbar sind.
Das Büro für politische Bildung soll „an einem wissenschaftlichen Institut angesiedelt werden“ und über eine Verbindungsstelle dem Landtagspräsidium unterstehen. Wie kann dennoch die Unabhängigkeit garantiert werden?
Im Gesetz ist nach wie vor enthalten, dass das Büro wie ursprünglich vorgesehen beim Landtag angesiedelt wird, so wie auch die Volksanwaltschaft und die Kinderjugendanwaltschaft. Diese Institutionen arbeiten alle autonom, obwohl die Verantwortlichen der Landtagspräsident bzw. die -präsidentin und das Präsidium sind. Das Präsidium besteht aus fünf Mitgliedern der Mehrheit und aus einem Mitglied der Opposition. Es ist jedoch vorgesehen, dass jeder diesbezügliche Beschluss des Präsidiums einstimmig erfolgen muss, was bedeutet, dass der Vertreter der Minderheit ein Veto-Recht hat. Das Büro kann beim Landtag angesiedelt werden oder an einem wissenschaftlichen Institut wie der Eurac. Die Entscheidung darüber trifft das Präsidium.
Meiner Meinung nach handelt es sich bei diesem Referendum um eine politische Volksabstimmung.
Tatsache ist, dass uns das Büro ungefähr 500.000 Euro kosten wird. 2020 wurde an der Eurac das Zentrum für Autonomie eingerichtet, das in etwa ähnliche Zielsetzungen hat wie das Büro für politische Bildung. Ich bin der Meinung, dass es möglich sein muss abzuwägen, ob wir die Tätigkeit dieses Büros einem autonomen wissenschaftlichen Institut übertragen sollten, womit wir nur mehr die Hälfte an Ausgaben hätten, aber den gleichen Effekt erzielen würden. Denn zu den Aufgaben des Zentrums für Autonomie gehören Bürgerbeteiligung, politische Bildung in Schulen und die Weitergabe an Informationen sowie Öffentlichkeitsarbeit. Die ursprüngliche Formulierung wurde beibehalten, aber um den Zusatz erweitert, dass das Büro am Zentrum für Autonomie angesiedelt werden kann. Das wissenschaftliche Institut wird nicht von irgendwelchen politisch motivierten Beweggründen geleitet und insofern ist jede Unterstellung einer politischen Beeinflussung abwegig. Jedwede Kritik in diese Richtung ist für mich nicht nachvollziehbar und meiner Meinung nach handelt es sich bei diesem Referendum um eine politische Volksabstimmung.
Inwiefern?
Die Oppositionsparteien möchten zwei Jahre vor den Landtagswahlen herausfinden, wo sie stehen. Einberufen wurde die Volksabstimmung nämlich nicht durch eine Unterschriftenaktion der Bürger – diese wurde für ungültig erklärt – sondern von den Oppositionsparteien. Deren Abgeordnete möchten wissen, wie stark sie sind und da kommt so ein Referendum gerade recht. Diesen Eindruck habe ich zumindest, weil wir uns inhaltlich bei 48 von 50 Abänderungen einig sind. Beim Punkt zur Abschaffung des bestätigenden Referendums wird so getan, als würde das die Abschaffung der Demokratie bedeuten. Von den sieben Instrumenten der Direkten Demokratie ist das bestätigende Referendum ein nicht überschaubares Werkzeug, weil es zu erheblichen Schwierigkeiten führen kann.
Wie kann die Bevölkerung politisch unabhängig über Volksabstimmungen informiert werden?
Auch bei den Informationsbroschüren zu einem Referendum werden den Befürwortern und Gegnern die gleichen Möglichkeiten eingeräumt, sich zu äußern. Zudem werden die Informationsbroschüren vom Präsidium in Auftrag gegeben und auch dort muss die Entscheidung wiederum einstimmig fallen. Wenn die Opposition der Meinung ist, dass der Mehrheitsbericht in der Informationsbroschüre überwiegt, dann muss er abgeändert werden. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Ausgewogenheit garantiert ist.
Mit einer weiteren Gesetzesänderung soll allein das Landtagspräsidium einen Bürgerrat einsetzen können. Weshalb die Änderung?
Auch die Streichung dieser Passage wird von der Opposition so dargestellt, als würde die Demokratie abgeschafft, indem erklärt wird, dass die Einberufung nicht mehr durch 300 Bürger erfolgen kann. Das stimmt nicht! Im Gesetz unter Artikel 10 steht: Das Landtagspräsidium setzt bei Bedarf mit einstimmigem Beschluss zu einem konkreten das Gemeinwohl betreffenden Thema, das die Angelegenheiten des Landes berührt, einen befristeten Bürgerrat ein, wobei das Büro für politische Bildung mit der Abhaltung betraut wird. Auf Antrag von 300 Bürgern bzw. Bürgerinnen ist unbeschadet der Einhaltung der sogenannten Bedingungen jedenfalls ein Bürgerrat einzusetzen und abzuhalten.
Folglich wird diese Bestimmung durch die Gesetzesänderung sogar noch demokratischer, als sie ursprünglich war.
Das heißt nichts anderes, als dass die Bestimmung erweitert wird. Und damit auch ja alles passt, wurde hinzugefügt, dass bei der Einsetzung eines Bürgerrates, welcher von den 300 Bürgern beantragt wird, von der Einstimmigkeit des Präsidiums abgesehen wird. Wenn 300 Bürger verlangen, dass ein Bürgerrat eingesetzt wird, kann das Präsidium nicht nein sagen. Folglich wird diese Bestimmung durch die Gesetzesänderung sogar noch demokratischer, als sie ursprünglich war.
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"beispielsweise wurde „Tag
"beispielsweise wurde „Tag der Wahl“ durch „Tag der Befragung“ ersetzt" Warum nicht durch 'Tag der Abstimmung' oder, einfacher, 'Abstimmungstag'? "Das Volk kann weiterhin seine Meinung bei beratenden Referenden kundtun" also solche, die die Landtagsmehrheit ohne Probleme zurückweisen kann. Soviel ich weiß, dürfen Referenden nur gegen Landesgesetze ergriffen werden. Werden Sportveranstaltungen mit Landesgesetzen organisiert? Glaub ich wohl nicht. Auf jeden Fall, bravo Herr Noggler, als das neue Direkte-Demokratie-Gesetz behandelt wurde, haben Sie die beiden Damen Amhof und Foppa arbeiten lassen. Sie selbst blieben lieber im Hintergrund. Dann aber waren Sie sehr aktiv bei der Beschneidung dieses Gesetzes.
Antwort auf "beispielsweise wurde „Tag von Gerard Normand
Im Beispiel geht es nicht um
Im Beispiel geht es nicht um die Sportveranstaltung als solche, sondern um die Beschneidung der Rechte bzw. des Willens einer Sprachgruppe.
Antwort auf Im Beispiel geht es nicht um von Manfred Klotz
Aber die von Noggler
Aber die von Noggler angeführten Beispiele (Sportveranstaltung, Hubschrauberflüge) haben m.E. keinen Sinn. Ich nehme an, dass hier die Landesregierung entscheidet, nicht der Landtag mit Gesetzen. Und da man nur vom Landtag verabschiedete Gesetze einem obligatorischen Referendum unterziehen kann, nicht aber Beschlüsse der Landesregierung (leider), finde ich die Beispiele unangebracht.
Ein Vorteil der direkten
Ein Vorteil der direkten Demokratie ist, dass Parteien nicht etwas versprechen können, das sie hinterher nicht einhalten. Denn in diesem Fall kann der wahlberechtigte Bürger einen Gesetzentwurf einfach ablehnen. Die Politik ist daher gezwungen, sich an Versprechen zu halten.
Nicht zu vergessen ist aber auch das Gefühl des Bürgers, bei wichtigen Entscheidungen gehört zu werden.
Zu den Nachteilen zählt sicherlich auch die Tatsache, dass nicht zwingend die Mehrheit entscheidet, sondern gut organisierte kleine Gruppierungen, die ihre Anhänger besser mobilisieren können.
DOCH wesentlich ist- Herr Noggler-, dass direkte Demokratie ein Mittel ist, weiterentwickelte Demokratie zu machen!
Denn Vertrauen in Institutionen und Politik sind Kitt für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Diesen zu erhalten und zu fördern, ist gemeinsame Aufgabe von Land/Politik und Gesellschaft.
Noggler und der Schuss ins
Noggler und der Schuss ins Knie. Gut,dass das NEIN gesiegt hat.
Herr Noggler,was war denn
Herr Noggler,was war denn 2018 nicht klar? Denkfehler,welcher denn? Wohl eher Interpretationsfehler zu Gunsten der SVP. Das NEIN hat gewonnen,das ist Fakt!