Gesellschaft | Justiz

Der erfundene Terrorist

Der Südtiroler Usman Khan wurde vor über sieben Jahr über Nacht als Terrorist nach Pakistan abgeschoben. Jetzt hat das Gericht diese Ausweisung als unzulässig erklärt.
Kahn, Usman
Foto: Privat
Siebeneinhalb Jahre hat Nicola Canestrini gekämpft.
Seit elf Tagen hat der Anwalt aus Rovereto und Neumarkt ein Urteil in der Hand. Es ist das bisher letzte Kapitel in einem Justiz- und Polizeiskandal ist, der mitten in Südtirol spielt.
Das Urteil Nr. 07048/2022 der Sektion 1 Ter des Verwaltungsgerichts Latium ist eine Akt der späten Gerechtigkeit für seinen Klienten.
Genugtuung kommt bei Nicola Canestrini aber trotzdem keine auf.  „Es kann doch nicht angehen, dass man sieben Jahre lange warten muss, um in einem solchen Fall Recht zu bekommen“, sagt Nicola Canestrini.
Schaut man sich die Geschichte an, die hinter diesem Justizfall steht, so wird man sich schwertun, der Einschätzung des wortgewandten Strafverteidigers zu widersprechen. Diese unglaubliche Geschichte ist ein Paradebeispiel dafür, wie leicht ein Mensch, Opfer einer populistischer Politik werden kann, die nach dem schnellen Zuspruch sucht und sich weniger nach Fakten oder Beweisen richtet. Der Fall macht aber auch deutlich, wie in einem demokratischen, westeuropäischen Land im Namen des Kampfes gegen den islamistischen Terror die Grundregeln eines Rechtsstaates kurzerhand außer Kraft gesetzt werden können.
 

Der junge Südtiroler

 
Die Hauptperson dieser Geschichte ist ein junger Südtiroler, pakistanischer Herkunft. Muhammad Usman Khan - so sein ganzer Name - ist heute 31 Jahre alt.
Geboren wird er 1991 in der pakistanischen Kleinstadt Jhelam. Mit sieben Jahren kommt er mit seiner Familie nach Südtirol. Sein Vater arbeitet im Gastgewerbe, seine Mutter kümmert sich um den Haushalt und die Familie. Usman Kahn hat noch drei jüngere Geschwister, einen Bruder und zwei Schwestern.
Die Familie lebt zuerst in Truden, dann in Neumarkt und seit Jahren in Bozen. Usman Kahn besucht hier die Pflichtschule. Er spricht perfekt Italienisch und Deutsch. Das pakistanische Urdu redet er kaum. Dafür unterhalten er und seine Geschwister sich schon bald im breiten Südtiroler Dialekt.
 
 
Nach dem Besuch der Berufsschule hat Usman verschiedene Jobs. Bis er in den Landesdienst eintritt. Ab 2014 arbeitet der junge Südtiroler mit pakistanischen Wurzeln für die Südtiroler Informatik AG. Alle seine Vorgesetzten werden später sagen, dass Usman Kahn ein guter und absolut unauffälliger Mitarbeiter war.
Jedenfalls bis zum 15. Jänner 2015.
Acht Tage zuvor ereignet sich 920 Kilometer von Südtirol entfernt eine schreckliche Bluttat. Islamische Terroristen überfallen die Redaktion der Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo und töten zwölf Menschen. Es ist der Beginn einer Terrorwelle der Terrororganisation Islamischer Staat (IS), die in den Monaten und Jahren darauf Europa mit Anschlägen und Morden überziehen wird.
Nicht nur in Frankreich löst der Anschlag hektischen Aktionismus in der Politik aus. Auch in Italien fühlt sich die Regierung zu drastischen Maßnahmen berufen.
An diesem 15. Jänner 2015 erklärt der damalige italienische Innenminister Angelino Alfano (Forza Italia) auf einer Pressekonferenz mit Stolz, dass er neun islamische Extremisten aus Italien abschieben wird. Es handelt sich um Personen, die sich im Internet radikalisiert haben und Mitglieder des IS sind. Die Leute hätten zwar allesamt eine gültige Aufenthaltsgenehmigung, weil sie aber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen würden, werden sie umgehend aus Italien ausgewiesen.
Einer dieser 9 angeblichen Terroristen ist der unscheinbare Usman Khan.
 

Ein Drama

 
Am 15. Jänner 2015 erhält Usman Khan einen Anruf aus der Bozner Quästur. Das Anliegen: Er möge am nächsten Tag vorbeikommen. Es gehe um das Ansuchen um die italienische Staatsbürgerschaft. Die gesamte Familie Kahn hat einige Monate zuvor darum angesucht.
An diesem Freitag wird Usman Kahn im Polizeikommissariat festgesetzt. Während er verhört wird, durchsuchen fünf Polizisten sein Zimmer und die Wohnung der Eltern. Man sucht dabei nach Sprengstoff, Munition und Waffen, sowie Indizien, die Kahns Zugehörigkeit zur Terrorgruppe IS beweisen. Gefunden wird dabei nichts.
Die Mutter muss einen Koffer für ihren Sohn packen. Noch am selben Tag sitzt Usman Kahn begleitet von drei Polizisten in einem Flugzeug nach Islamabad, Pakistan. Dort wird er dem pakistanischen Behörden übergeben.
Der Fall „Usman Kahn“ macht zwar in der ersten Tagen in Südtirol Schlagzeilen, das Interesse nimmt an dem angeblichen Terroristen aber schnell ab. Auch weil nie genau klar wird, was dem jungen Bozner Pakistani eigentlich vorgeworfen wird.
Einer, der wenigen, die sich wirklich für den Fall interessieren, ist der FF-Journalist Karl Hinterwaldner. Er schreibt dreieinhalb Jahre nach der Ausweisung Usman Kahns einen detaillierten Hintergrundbericht über diese Affäre. Dabei spricht Hinterwaldner nicht nur mit den Angehörigen, sondern auch mit Usman Kahn selbst in Pakistan. Die Geschichte mit dem Titel „Ich will nach Hause“ macht das gesamte Drama greifbar, das über den jungen Landesangestellten und seine Familie hereingebrochen ist.
Usman Kahn erzählt der FF, dass er in Pakistan bereits nach dem ersten Verhör in Handschellen gelegt wurde. Leute in Zivil, wahrscheinlich Offiziere des pakistanischen Geheimdienstes, verbinden ihm die Augen, stülpen ihm einen Sack über den Kopf. Telefon, Geldtasche, Dokumente, alles wird ihm abgenommen. Dann geht es in einem schweren Wagen an einen geheimen Ort. „Ich hatte Todesangst“, sagt Usman Khan zur Südtiroler Wochenzeitung. Mehr als eine Woche muss er zusammen mit anderen Gefangenen verbringen. In Handschellen und mit verbundenen Augen. Er wird geschlagen und gefoltert – körperlich und seelisch. Oft hört er die Schreie der anderen Gefangenen.
 
 
Doch dann wird er von einem Tag auf den anderen freigelassen. Ohne Angabe von Gründen, ohne Erklärung. Er kommt zu seinen Großeltern nach Jhelam.
Doch damit ist sein Martyrium noch nicht zu Ende. Usman Kahn befindet sich in einem Staat, einer Stadt und bei Großeltern, die er kaum kennt. Er kann weder die Landessprache noch findet er Arbeit. Sieben Jahre lang.
Vor allem aber lebt er getrennt von seiner Familie. Der junge Pakistani lernte 2013 eine Trentinerin kennen, mit der er auch eine Tochter hat. Sie reist ihm zweimal nach Pakistan nach. Im September 2015 heiraten die beiden dort.
Die ganze Geschichte und die Entfernung von seiner Heimat Südtirol werfen Usman Kahn psychisch aus der Bahn. Er musst Antidepressiva nehmen, um das Ganze zu ertragen. „Ich bin kein Terrorist“, sagt er vor vier Jahren zur FF.  Er habe sich zwar auf Facebook, kritisch gegen die westlichen Besatzungsmächten in Syrien und im Irak geäußert, doch er sie immer gegen den Terror gewesen.
 

Keine Beweise

 
Einer, der ihm von Anfang glaubt, ist Nicola Canestrini. Der Strafverteidiger, der als Anwalt auch Seenotretter von NGOs vertritt, die als Fluchthelfer in Sizilien vor Gericht stehen, nimmt bewusst Fälle an, in denen es um Menschenrechtsverletzungen geht.
Ein solche sieht Canestrini auch im Gerichtsfall Kahn. „Hier wurden die Grundrechte mit Füßen getreten“, sagt er kategorisch.
Das Absurde an diesem Fall ist, dass man jahrelang nicht weiß, was die italienischen Behörden Usman Kahn genau vorwerfen. Die Abschiebung erfolgt aus Staatsschutzgründen. Ohne Angabe von genauen Straftaten, Vergehen oder Beweisen. Die angeblichen Beweise gegen seinen Klienten werden vom italienischen Innenministerium als „segreto und riservatissimo“ klassifiziert. Nicola Canestrini muss vor Gericht ziehen, um nach sechs Jahren endlich das angebliche Belastungsmaterial gegen Usman Kahn einsehen zu können.
Dabei wird klar, dass die Suppe mehr als nur dünn ist.
 
 
Usman Kahn hat ein Facebook-Profil, in dem er vor dem Anschlag auf Charlie Hebdo ziemlich aktiv war. Dabei kritisierte er sowohl die Terroristen als auch die Satiriker, die den Propheten Mohammed durch den Schmutz ziehen. Er postet dabei einigen Aussagen, die man durchaus kritisieren kann. Vor allem aber wagt er ein Provokation, die ihn ins Fadenkreuz der Behörden bringt. Für einige Tage ziert eine IS-Flagge sein Facebook-Profil. Zur Wochenzeitung FF sagt er später: „Die Flagge sei als Weckruf gedacht gewesen; gegen die IS-Terroristen, die in jenen Tagen die ganze Welt terrorisierten.
Sicher aber ist: Usman Kahn hat nirgendwo terroristische Straftaten verherrlicht, dazu aufgerufen oder sich an illegalen Vorgängen beteiligt.
 

Das Urteil

 
Im Fall Usman Kahn gibt es bis heute weder eine Anklage noch ein behängendes Strafverfahren. Auch das ist für eine Rechtsstaat eine völlige Anomalie.
Es gibt nur die Abschiebung. Weil es sich dabei um einen Verwaltungsakt handelt, reicht Nicola Canestrini bereits 2015 beim Verwaltungsgericht Latium einen Rekurs gegen die Ausweisung Kahns ein. Das Verwaltungsgericht lehnt eine Aussetzung der Maßnahme ab und erlässt erst 2021 eine richterliche Anweisung, nach der der Anwalt die Beweise gegen seinen Klienten einsehen darf.
 
 
 
Jetzt aber hat der Richtersenat auch in der Sache entschieden. Dabei ist das Verwaltungsgericht in seinem am 30. Mai 2022 hinterlegten Urteil zum Schluss gekommen, dass die Abschiebung Usman Kahns nicht rechtens war.
Das Gericht hat im Urteil zwar die absurde Praxis verteidigt, dass der Staat Menschen in Fällen von Terrorismus ohne Angabe von Gründen und ohne Vorlage von Beweisen abschieben kann, es kommt aber zum Schluss, dass Usman Kahns Grundrechte dabei dennoch verletzt wurden. Der Grund: Kahn wurde in Pakistan gefoltert und seine Abschiebung dorthin verstößt gegen das in der Europäischen Menschenrechtskommission verankerte Folterverbot.
Usman Kahns Abschiebung nach Pakistan verstößt gegen das in der Europäischen Menschenrechtskommission verankerte Folterverbot.
Das Verwaltungsgericht hat damit das Abschiebedekret aufgehoben. Usman Kahn wird in demnach in den nächsten Tagen wieder in seine Heimat Südtirol zurückkehren und hier endlich wieder seine Familie sehen können.
Nach siebeneinhalb langen Jahren.
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Profil für Benutzer Peter Paul Pedevilla alias Verwunderlich
Peter Paul Ped… Do., 09.06.2022 - 19:37

es ist zum glück besser geworden und mittlerweile ist es halt so.. dass man auf facebook für gute 29 tage gesperrt wird.. wenn man schreibt - diese scheinheilige grüne deutsche politik- also ich kann nur warnen -scheinheilige politik schreiben- das zumindest mag facebook nicht..

Do., 09.06.2022 - 19:37 Permalink
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Profil für Benutzer Michael Bockhorni
Michael Bockhorni Sa., 11.06.2022 - 15:38

ein großes Danke an Nicola Canestrini und Karl Hinterwaldner, solche Menschen nicht einfach zu vergessen und Menschenrechte auch gegenüber sehr Mächtigen durchzufechten.

Sa., 11.06.2022 - 15:38 Permalink