Umwelt | Beutegreifer
Vom Naturwolf zum Kulturwolf?
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„In der freien Wildbahn ist mir noch keinen Wolf begegnet“, erzählt Günther Unterhiner. Bisher hatte der Direktor der Abteilung Forstwirtschaft nur getötete Exemplare vor sich wie beispielsweise jenes, das vor einigen Monaten in Mühlbach überfahren worden ist. „Wenn es zu einer Begegnung kommen würde, hätte ich keine Angst, denn der Buffet-Tisch ist in Südtirol reich gedeckt“, erklärt er und berichtet, dass mit dieser Aussage nicht „jeder glücklich ist“. Wohl deshalb, weil man das Thema „Wolf“ vor allem mit Gefahr – sowohl für Tier als auch Mensch in Verbindung setzt. Dabei sei es nur eine Frage der Zeit, ist sich der Direktor der Forstabteilung sicher, bis es zu einem Vorfall kommt. Vor allem, wenn bei einer Begegnung Mensch – Wolf auch ein Hund mit im Spiel ist.
Lange hat man die Augen verschlossen und im Rückblick war die Ankunft des Wolfes von Verdrängen gekennzeichnet. Nüchtern betrachtet sei aber klar gewesen, dass nach dem Fall des Eisernen Vorhanges und der Unterschutzstellung der Großraubtiere wie Wolf und Bär mit der FFH-Richtlinie, welche 1992 erlassen worden war, diese Beutegreifer auch nach Südtirol wieder zurückkehren werden. Eine Ausbreitung wurde weiters durch die Tatsache begünstigt, dass im Apennin seit jeher eine kleine Population beheimatet war und durch die Landflucht die Ausbreitung des Wolfes begünstigt wurde. Durch die Öffnung der Grenzen nach 1989 konnten sich weiters die Wolfspopulationen, die in Polen, Rumänien, Bulgarien sowie auf dem Balkan beheimatet waren, nach Westen ausbreiten. „Im Nachhinein gesehen hat man sich auf die Ankunft des Wolfes sicher zu wenig vorbereitet“, so Unterthiner, vor allem im Hinblick darauf, welche Maßnahmen zum Schutz der Berglandwirtschaft getroffen werden sollten.
Wir haben Stand heute 26 Rudel im Trentino, Rudel in der Schweiz und Wölfe in Österreich – wir sind sozusagen umzingelt von Wölfen. Ein wolfsfreies Südtirol ist daher eine Illusion.
Die Haltung des Bauernbundes, welcher ein wolfsfreies Südtiroler gefordert hat, war auch nicht sonderlich förderlich. „Wir haben Stand heute 26 Rudel im Trentino, Rudel in der Schweiz und Wölfe in Österreich – wir sind sozusagen umzingelt von Wölfen. Ein wolfsfreies Südtirol ist daher eine Illusion“, betont Unterhiner und erzählt, dass man nach den ersten Vorkommnissen bzw. Sichtungen und Rissen erkannt hat, dass man aktiv werden muss. Allerdings wurde von den zuständigen italienischen Behörden deutlich kommuniziert, dass bei Einführungen eines „Wolfsmanagements“ Nachweise darüber erbracht werden müssen, welche Präventionsmaßnahmen vorab ergriffen worden sind, ob diese einen Nutzen gebracht haben oder nicht. „Wir müssen sozusagen auf Basis von dokumentierten Maßnahmen nachweisen, dass wir eine Regulierung brauchen. Davon sind wir noch weit entfernt“, berichtet der Abteilungsdirektor, der auf eine kürzlich stattgefundenen Veranstaltung in der Fachschule Salern hinweist. Auf Einladung des Südtiroler Bauernbundes hat der Schweizer Biologe Marcel Züger ein Referat zum Thema „Wölfe in der Schweiz – Lehren für Südtirol. Ein Schweizer Biologe berichtet“ gehalten. Der Biologe war lange Zeit ein Befürworter der Rückkehr des Wolfes und der Herdenschutzmaßnahmen, hat letztere aber in seinem Referat unter einem kritischen Blickwinkel beleuchtet. Im Rahmen der Veranstaltung haben sich auch Bauern zu Wort und kritische Äußerungen getätigt nach dem Motto „Wir haben es euch ja immer schon gesagt, dass Herdenschutzmaßnahmen nicht funktionieren.“ Auch Forderungen an die Forstbehörde wurden herangetragen. Diese müssten wohl leicht in der Lage sein, Nachweise darüber zu erbringen, dass Maßnahmen dieser Art nicht funktionieren. „Unsere Abteilung samt Amt für Jagd und Fischerei hat dabei keinen leichten Stand. Wir können nicht einfach behaupten, dass etwas nicht funktioniert – wir müssen auch Belege und Nachweise bringen, um unsere Behauptungen zu untermauern“, betont Unterthiner und erklärt, dass die allgemeine Aussage, in Südtirol funktioniere der Herdenschutz nicht, zu weit gegriffen sei. Das Funktionieren des Herdenschutzes ist dabei abhängig von der geografischen Lage und Situation. So gebe es Gebiete, wo die Schutzmaßnahmen greifen, andere wiederum, wo der Aufwand in keinem zumutbaren Verhältnis mehr steht. „Auf weitflächigen Almen mit einer entsprechend großen Bestoßung sind Herdenschutzmaßnahmen sicher eine Überlegung wert“, so Unterthiner, der in diesem Zusammenhang allerdings auf ein Problem hinweist, dass die Südtiroler Almwirtschaft mittel- bis langfristig beschäftigen könnte. Wenn jede Alm über einen Herdenschutz verfügt, wird sich auch der Wolf an die neue Situation anpassen. Bei diesem Beutegreifer handelt es sich nämlich um ein sehr intelligentes Tier, das neue Wege und Möglichkeiten finden wird, die Schutzmaßnahmen zu überwinden. Wie Unterhiner erklärt, habe der Schweizer Biologe anschaulich auf die Gefahr aufmerksam gemacht, dass aus dem „Naturwolf“ ein „Kulturwolf“ wird, wenn ihm vom Menschen keine Grenzen im Sinne – die Nähe des Menschen bedeutet Gefahr – aufgezeigt wird. „Wenn der Wolf begreift, dass er sich bei einem Elektro-Zaun nur einige Stromschläge einhandelt, es ihm aber gelingt, trotzdem über den Zaun und an seine Beute zu kommen, dann werden ihn diese Maßnahmen nicht mehr abschrecken“, ist der Forst-Direktor überzeugt. Die Herdenschutzmaßnahmen mögen zunächst greifen, können aber über die Zeit eine Verhaltensänderung beim Wolf bewirken. „Das bedeutet zwar nicht, dass der Herdenschutz nicht gebraucht wird, aber diesen Maßnahmen sind Grenzen gesetzt“, stellt Unterthiner klar und betont, dass es neben dem Herdenschutz, genauso ein Management brauche – sprich die Möglichkeit der Entnahme.
Almwirtschaft in Gefahr?
Die Grenzen, die über Jahrhunderte klar abgesteckt waren, wurden durch die Unterschutzstellung dieser Spezies aufgehoben. „Derzeit darf man nicht mehr tun, als seine Tiere zu schützen“, beschreibt Unterthiner die Situation, was in der Folge zu einem Ohnmachtsgefühl bei der ländlichen Bevölkerung geführt hat. Der Abteilungsdirektor nennt in diesem Zusammenhang das Beispiel des Villnösser Brillenschafes, eine vom Aussterben bedrohte Haustierrasse. Zahlenmäßig lasse sich diese Schafrasse auf wenige hundert Tiere beziffern, wogegen die Wolfspopulationen dabei um ein Vielfaches größer ist. Die Tierhalter und Züchter der Brillenschafe, die durch Risse wertvolle Tiere verlieren, fordern verständlicherweise Maßnahmen. Die Situation ist verfahren: Denn wie soll man den Haltern erklären, weshalb der Schutz des Wolfes höher bewertet wird als der Schutz des Brillenschafes.
Wir haben versucht, eine Abschussgenehmigung von der staatlichen Wildbeobachtungsstelle ISPRA zu erhalten, allerdings wurde das abgelehnt.
„Wir haben versucht, mit dem Argument, dass es sich beim Brillenschaf um eine seltene Haustierrasse handelt, eine Abschussgenehmigung von der staatlichen Wildbeobachtungsstelle ISPRA zu erhalten, allerdings wurde das abgelehnt“, berichtet Unterthiner und erzählt, dass ständig neue Unterlagen angefordert worden seien und angeblich zuwenig dokumentiert worden sei. „Ich nehme ein großes Ohnmachtsgefühl nicht nur in unserer Verwaltung wahr, sondern auch bei der ländlichen Bevölkerung draußen“, beschreibt der Abteilungsdirektor die Situation und erklärt, dass man seit Erlassung der Berner Konvention im Jahr 1979 und der FFH Richtlinie vor völlig veränderten Voraussetzungen und Herausforderungen stehe. Wie in Stein gemeißelt tragen diese Richtlinien der Dynamik keine Rechnung. Obwohl die Wolfspopulationen inzwischen einen guten Erhaltungszustand erreicht haben, werden keine Maßnahmen zur Eingrenzung des Bestandes erlassen. Das Gegenteil sei sogar der Fall, berichtet Unterthiner. Der EU-Gerichtshof legt in seinen Urteilen meistens noch ein Scherflein drauf und interpretiert die Richtlinien eher restriktiver. „Wir stehen vor der Situation, dass der Wolfsbestand eine Populationsgröße erreicht hat, die weit über einen guten Erhaltungszustand hinausgeht, was in der FFH-Richtlinie auch dezidiert angeführt ist – trotzdem sind uns die Hände gebunden“, so Unterhiner, der erklärt, dass dieser Zustand für viel Frustration sorge. Der großen Leistung, die in der Almwirtschaft erbracht wird, wird nicht Rechnung getragen, so das Gefühl unter den Almbewirtschaftern. Deshalb sei es auch kein Wunder, dass einige – auch mit der Begründung der Gefahr vor dem Wolf – aufgeben. Mit dem Aufgeben der Almbewirtschaftung sei aber auch die Gefahr verbunden, dass Arten, die sich an die Bewirtschaftunsgform der Almen angepasst haben, verloren gehen werden. „In der Summe wird es eine Verringerung der Biodiversität geben“, ist Unterthiner überzeugt.
Einige verrückte Tiere
„Man tut dem Wolf bedauerlicherweise sehr unrecht. Der Wolf ist ein wunderschönes Tier, das in der Nahrungskette ganz oben steht und eigentlich zu unserem Lebensraum dazugehört. Es steht uns Menschen nicht zu, dem Tier seine Daseinsberechtigung abzusprechen“, erklärt der Forst-Direktor und betont, dass die Probleme immer mit jenen Exemplaren in Verbindung gebracht werden, die sich auffällig verhalten – sprich Nutztiere reißen. Dabei gebe es nicht nur auffällige Tiere, die man nicht unter Kontrolle bringt, sondern auch ganze Rudel, deren Existenz man kaum wahrnimmt. Die wenigen Tiere, die sich auffällig verhalten, bringen jedoch die gesamte Spezies in Verruf. Jene Risse, die vor rund zwei Jahren in Gröden, Villnöss und Gadertal verzeichnet wurden, konnten im Grunde genommen einem Tier zugeordnet werden, welches dann die Schlagzeilen bestimmte. „Weil wir keine Möglichkeit haben, in solchen Fällen regulierend einzugreifen, gerät ein ganze Tierart in Misskredit“, so Unterhiner, der erklärt, dass die Einstellung in der Bevölkerung eine andere wäre, wenn die Möglichkeit dazu bestünde. Aus der Debatte würde viel Zorn, Ohnmacht und Frustration genommen, gäbe es ein Wolfsmanagement. Wie der Abteilungsdirektor erklärt, sei das Bemühen auf allen Ebenen da, um ein Wolfsmanagement einzuführen. Die große Schwierigkeit bestehe jedoch darin, dass dieses Thema viele Personen, die nicht im ländlichen Raum leben und arbeiten, schlichtweg nicht interessiert. Auch an höchster politischer Stelle in Rom spiele der Wolf nur eine untergeordnete Rolle. Ein weiteres Problem seien Bauernbundverbände auf nationaler Ebene, welche den Wolf als einzige Möglichkeit sehen, um der Wildschwein-Plage Herr zu werden.
Unsere Almwirtschaft ist in Gefahr, wenn keine Entscheidung hinsichtlich eines Wolfsmanagements getroffen wird.
„Unsere Almwirtschaft ist in Gefahr, wenn keine Entscheidung hinsichtlich eines Wolfsmanagements getroffen wird“, ist Unterhiner jedoch überzeugt. Dass einige zur Waffe greifen und Selbsjustiz üben, ist zu verurteilen, wird aber aus Sicht der Bewirtschafter nachvollziehbar. Schlimm seien solche Vorkommnisse vor allem aus gesellschaftspolitischer Sicht. „Wenn jemand glaubt, dass er zur Selbstjustiz greifen muss, weil Gesellschaft und Politik ihn nicht schützen, wo fängt das an und wo hört das auf?“ Bis jetzt habe man zwar keine Hinweise darauf, dass Wölfe illegal geflötet worden sind, die Gefahr ist allerdings sehr hoch, dass es dazu kommt, erklärt der Forst-Direktor. Auch die Medien könnten durch ihre Berichterstattung zu einer Sensibilisierung beitragen, und zwar indem möglichst ein Gesamtbild gezeigt wird. Eine einseitige Berichterstattung und die Veröffentlichung von bluttriefenden Bildern trage nicht gerade zu einer konstruktiven Diskussion bei. Dem ersten Aufschrei folgt gewöhnlich ein Abstumpfen, denn auch die Leser wollen nicht ständig mit solchen Geschichten und Bildern konfrontiert werden. „Wir müssen zeigen, dass wir offensichtlich ein Problem haben und die Anliegen der Bewirtschafter ernst nehmen“, betont Unterthiner, der auf die große Chance einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Wolf hinweist. „Wie beim Menschen gibt es auch bei den Wölfen einige Verrückte. Wir müssen versuchen, die Ereignisse in das richtige Verhältnis zu setzen. Das wäre für die Gesamtdiskussion weitaus konstruktiver“, so Unterthiner.
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Danke für diese umfassende
Danke für diese umfassende Stellungnahme, Herr Günther Unterthiner!
Ich hätte mir sachliche- realistische Aufklärung zum
Thema Wolf, von Anfang an gewünscht und hoffe, dass ab nun die WolfsDiskussion usw. weiter so vernünftig geführt wird. Auch durch den SBB und seinen Vertretern.
Es gibt genug Experten, die
Es gibt genug Experten, die eine vernünftige und naturnahe Regulierung der Wolfspopulation in Europa fordern. Säumig bleibt hier der Staat. Übrigens: Jedes Wildtier, das sich wegen fehlender Fressfeinde zu stark vermehrt, muss, aus biologischer Sicht (nicht aus Sichtweise von Tierschützern) reguliert werden.