Wirtschaft | Statistik

Autoland Südtirol

In Südtirol gibt es so viele PKW pro 1.000 Einwohner wie kaum in einer anderen Region Europas. Das hat auch mit einer politischen Entscheidung zu tun.
Auto-Parkplatz
Foto: Pixabay

Südtirol ist das, was es eigentlich nicht sein will: ein Autoland. Zumindest besagt das eine aktuelle Publikation der EU-Statistikbehörde Eurostat, laut der in Südtirol fast jeder Einwohner ein Auto hat. Hinter der Zahl steckt weniger – oder nicht nur – ein autoliebendes Volk. Sondern auch eine Erklärung, die in Bozen zu finden ist.

 

Theoretisch (fast oder mehr als) ein Auto pro Kopf

 

Im Schnitt gibt es in der EU 0,53 PKW pro Einwohner. Oder, umgekehrt: Auf zwei EU-Bürger kommt ein Auto. Das geht aus einer am Mittwoch veröffentlichten Statistik zur Motorisierung in den Regionen Europas hervor. Die Daten haben die EU-Mitgliedsstaaten nach Luxemburg geliefert, wo das Statistische Amt der EU Eurostat seinen Sitz hat, und stammen aus dem Jahr 2020. Fünf der zehn Regionen mit der höchsten Motorisierungsrate liegen demnach in Italien. Darunter Molise mit 732 PKW pro 1.000 Einwohner und Umbrien mit 747 PKW pro 1.000 Einwohner. Spitzenreiter in Europa ist das Aostatal. Dort sind 1.787 PKW pro 1.000 Einwohner zugelassen (insgesamt: 221.721 PKW), was bedeutet, dass jeder Aostaner fast zwei Autos besitzt. Theoretisch. Platz Zwei belegt die Autonome Provinz Trient mit 1.285 PKW pro 1.000 Einwohner (insgesamt: 696.902 PKW). Gefolgt von der Autonomen Provinz Bozen auf dem dritten Platz mit 871 PKW pro 1.000 Einwohner (insgesamt: 466.068 PKW). Zum Vergleich: Das Bundesland Tirol liegt mit 549 PKW pro 1.000 Einwohner (insgesamt: 417.269 PKW) in etwa im europäischen Schnitt.

 

Besonders hoch, so Eurostat, ist die Motorisierungsrate in den Hauptstadtregionen und Regionen, die nahe der großen urbanen Zentren liegen. Zum Beispiel in Flevoland, einer Provinz vor den Toren von Amsterdam mit 857 PKW je 1.000 Einwohner. Oder in den polnischen Regionen Warszawski stoleczny (750) und Opolskie (727). Hauptstadt- oder Metropolennähe – diese beiden Faktoren treffen weder auf Aosta noch Trentino oder Südtirol zu. Um die überdurchschnittliche Motorisierungsrate der Top-3-Regionen zu erklären, liefert Eurostat zwei weitere Hinweise. Die regionalen Raten hängen häufig mit der wirtschaftlichen Lage, sprich dem Wohlstand, zusammen, “können aber auch durch besondere Umstände beeinflusst werden”, heißt es aus dem europäischen Statistikamt. Dort zieht man den Fall Aosta heran: Dass dort auf 1.000 Einwohner fast 1.800 Autos kommen, sei auf die “niedrigere Besteuerung der Zulassung neuer Fahrzeuge” zurückzuführen. Dieselbe Tatsache dürfte auch die hohe Motorisierungsrate in Südtirol erklären.

 

Provinzen am Steuer

 

Niedrige KFZ- und Zulassungs- bzw. Umschreibesteuern kommen einem Sektor äußerst entgegen: den Mietwagenfirmen. In Italien haben die Provinzen einen Handlungsspielraum bei diesen Steuern. Laut einem ministeriellen Dekret von 1998 dürfen sie zum Beispiel den Mindeststeuersatz der Landesumschreibesteuer (Imposta Provinciale di Trascrizione, kurz IPT), die bei Umschreibungen und Eintragungen von Fahrzeugen anfällt, um bis zu 30 Prozent erhöhen. Südtirol, Trentino und Aosta machen das nicht. Die IPT für Kraftfahrzeuge und PKW über 53 kW beträgt in Südtirol 3,51 Euro pro kW. Das ist das Mindestausmaß der Steuer, das der Staat vorgibt. Genauso verhält es sich im Trentino und Aosta. In den allermeisten anderen italienischen Provinzen fallen 4,56 Euro pro kW an, was den 30 Prozent entspricht, die der Staat den Provinzen an Aufschlag erlaubt. Das führt dazu, dass z.B. für einen PKW mit einer Leistung von 80 kW in Südtirol 280,80 Euro an Zulassungs- bzw. Umschreibesteuer anfällt. In Rom hingegen 364,80 Euro.

Bei der KFZ-Haftpflichtsteuer wendet Südtirol ebenso den Mindeststeuersatz von 9 Prozent an. Der gesetzlich festgelegte Grundsteuersatz beträgt 12,50 Prozent. Die Provinzen können den Steuersatz um höchstens 3,50 Prozent erhöhen oder herabsetzen. Deutlich niedriger ist auch die Landes-KFZ-Steuer (bollo auto), die Südtirol 1999 per Gesetz eingeführt hat.

 

 

Mehr Autos in Südtirol – und doch nicht

 

Durch diese Steuerpolitik entgehen dem Land Südtirol einerseits etliche Millionen Euro an Steuereinnahmen. Andererseits bildet sie einen Anreiz für große Mietwagenunternehmen – die die “Verluste” bei Weitem wieder wett machen. Denn weil die diversen Autosteuern für Unternehmen dort anfallen, wo diese ihren Rechtssitz haben, haben zahlreiche italienische Mietwagenfirmen schon vor Jahren ihren Sitz nach Bozen verlegt. Zum Beispiel Europcar Italia (Sitz in der Italienallee), Avis Budget Italia (Romstraße), Sicily by Car, Hertz Fleet Italia (beide Galileistraße). Die PKW-Zulassungen schnellten in die Höhe – und mit ihnen die Steuereinnahmen. Hat das Land Südtirol durch die Landesumschreibesteuer 2011 noch 7,6 Millionen Euro eingenommen, waren es 2012 bereits 17,7 Millionen. 2014 waren es 22 und 2021 ganze 25 Millionen Euro. Rechnet man die Landes-KFZ-Steuer und die KFZ-Haftpflichtsteuer dazu, ergeben sich für das Jahr 2021 Steuereinnahmen von 117 Millionen Euro.

Im selben Jahr wurden gut 81.000 Neuwagen in Südtirol zugelassen. Fast 74.000 davon von Mietwagenfirmen. Und es waren schon einmal bedeutend mehr. Im Jahr 2018 wurden beispielsweise 140.000 PKW zugelassen. 129.000 davon gingen auf das Konto von Mietfirmen. Diese Autos werden zwar – aus dem erwähnten Grund – in Südtirol zugelassen, die allermeisten aber kommen nicht in Südtirol auf die Straße, sondern werden italienweit eingesetzt. Dasselbe gilt für das Trentino und Aosta, wo es eine ähnliche Entwicklung gegeben hat. Nicht umsonst sind die Top-3-Regionen bei der Eurostat-Erhebung zur Motorisierungsrate seit 2016 (dem ersten Jahr, aus dem die Daten vorliegen) unverändert.

Der massive Zuzug von Mietwagenunternehmen aufgrund der steuerlichen Vorteile ist eine Realität, die die Eurostat-Statistik erheblich relativiert, aber nichts an der Tatsache ändert, dass die Gesamtzahl an PKW trotz Krisenzeiten in Italien stetig steigt: Laut Eurostat von knapp 38 Millionen im Jahr 2016 auf zuletzt fast 40 Millionen im Jahr 2020.

Bild
Profil für Benutzer oberlechner friedrich
oberlechner fr… Mo., 01.08.2022 - 15:47

Wenn die öffentlichen Verkehrsmittel, wie z.b. ZUG, pünktlich, sauber und sicher wären, wären garantiert weniger Autos im Umlauf .

Mo., 01.08.2022 - 15:47 Permalink