Wirtschaft | Milchwirtschaft
Geht den Sennereien die Milch aus?
Foto: Salto.bz
„Das heurige Wirtschaftsjahr verläuft für unsere Molkerei sehr turbulent“, heißt es im Schreiben der Milchgenossenschaft Wipptal-Stubai an die Lieferanten. Für die Mitglieder wird nicht nur rückwirkend mit 1. Juli 2022 der Milchpreis um 7,7 Cent (konventionelle Milch) und 9,2 Cent (Bio-Milch) erhöht, sondern auch die Wintermengenregelung für ein Jahr ausgesetzt. Das heißt, dass keine Abzüge bei Überlieferungen in dieser Zeit erfolgen. Weiters werden Neulieferanten im Einzugsgebiet auch für konventionelle Milchlieferungen aufgenommen.
Die Milchgenossenschaft Wipptal-Stubaital hat 2013 eine Partnerschaft mit dem Milchhof Sterzing geschlossen. Monatelang war die Zusammenarbeit vorbereitet worden: In Nordtirol erfolgte die Genossenschaftsgründung, in Sterzing die formelle Änderung der Statuten und am 1. April 2014 konnte die erste Milchlieferung aus Nordtirol schließlich in Empfang genommen werden. Einige Tage später, am 5. April 2014, fand anlässlich der „Wipptaler Milch-Ehe“ eine große, grenzüberschreitendene Feier statt. Anfangs lieferten rund 195 Bauern zwischen Brenner und Ellbögen, von Mutters und Natter sowie aus dem Stubaital ihre Milch über den Brenner. Die Jahresanliefermenge betrug acht Millionen Kilogramm Milch, davon rund 750.00 Kilogramm Bio-Milch. Rund fünf Millionen Kilogramm mehr waren es bereits im Jahr 2019 und nun dürfte die Anliefermenge noch einmal durch die Aussetzung der Wintermengenregelung steigen. Besonders interessant ist dabei die Begründung: „Da einige Lieferanten in Sterzing die Nachhaltigkeisregeln nicht einhalten können/wollen, sind diese aus der Genossenschaft ausgetreten.“
Wie berichtet haben vor Kurzem einige Wipptaler Bauern ihre Lieferung an den Milchhof Sterzing eingestellt. Seit dem 1. Juli fließen 15.000 Liter Milch nicht mehr nach Sterzing, sondern an die Milchgenossenschaft Agri Piacenza Latte – eine nicht unbeträchtliche Menge, welche die derzeit ohnehin angespannte Situation noch verschärfen dürfte: Im Sommer steht durch die Alpungen und witterungsbedingt weniger Milch zur Verfügung als im Winter, weiters hat die Explosion bei den Futtermittelkosten dazu geführt, dass weniger Kraftfutter eingesetzt wird bzw. Milchkühe sogar verkauft werden.
„Wir gehen davon aus, dass der Milchhof Sterzing, nachdem die Preise überall nach oben gehen, ebenfalls einen höheren Milchpreis am Jahresende auszahlen kann. Wir haben deshalb vorausgeplant“, erklärte Anton Steixner, Obmann der Milchgenossenschaft Wipptal-Stubai, auf Anfrage von Salto.bz. Nachdem im ersten Halbjahr einen niedriger Milchpreis an die Lieferanten ausbezahlt worden ist, wurden nun Rücklagen verwendet, um die Bauern in dieser schwierigen Situation zu unterstützen. Wie die Südtiroler Genossenschaftsmitglieder erhält auch die Milchgenossenschaft Wipptal-Stubai die Abrechnungen in Form von monatlichen Akonto-Zahlung und einer abschließenden Saldo-Zahlung. Die internen Auszahlungen an die jeweiligen Lieferanten erfolgen jedoch autonom.
„Wir werden punktgenau gleich behandelt wie die Mitglieder in Südtirol“, betont Steixner. Der Obmann entgegnet damit Gerüchten über eine angebliche Bevorteilung der Nordtiroler Mitglieder, die südlich des Brenners kursieren. Nach den Gründen für die Aussetzung der Winterregelung gefragt, erklärt er, dass nicht nur in Südtirol Milch ein knappes Gut geworden ist, sondern in ganz Europa. „Jede Molkerei sucht händeringend nach Milch“. Genau in dieser Situation, in welcher der Milchhof Sterzing die Milch dringend braucht, wolle man keine unsinnige Regelung beibehalten. Bisher galt: Neun Monate lang kann jeder Bauern soviel Milch liefern, wie er dazu in der Lage ist, im Winter dagegen gibt es gewisse Beschränkungen. Diese hat allerdings nur für jene gegolten, die im Sommer mehr geliefert haben. Die Aufhebung dieser Regelung gilt vorerst für ein Jahr. „Wenn es diese Bremse braucht, wird sie im nächsten Jahr wieder eingeführt“, so Steixner, der berichtet, dass auch die Milchliefermenge der Genossenschaft Wipptal-Stubai zurückgegangen ist. So wurde im vergangenen Monat zehn Prozent weniger Milch nach Sterzing geliefert als im Vergleichsmonat des Vorjahres.
Nordtiroler Milchbauern-Vermehrung
Hatte die Milchgenossenschaft Wipptal-Stubai anfangs knapp 200 Mitglieder, so ist diese Anzahl inzwischen auf rund 250 angewachsen. In erster Linie handelt es sich dabei um kleine Bio-Bauernhöfe, die von Kälber- und Rindermasthaltung auf Milchwirtschaft umgestiegen sind. Wie der Obmann stolz erklärt, sei die Landwirtschaft im Wipptal und im Stubaital durch die Zusammenarbeit mit den Sterzingern regelrecht aufgeblüht. Während überall sonst in Europa das Sterben der Milchbauern fortschreitet, gab es in dieser Region sogar eine Zunahme, „weil wir mit Sterzing einen so guten Abnehmer haben“. Nun sei das Potential allerdings ausgeschöpft und recht viel mehr Milchbauern dürften es nicht werden. „Bei uns gibt es diese intensiv wirtschaftenden Betriebe wie in Südtirol nicht. Diese konnten sich aufgrund des niederen Milchpreises und mangels finanziellem Anreiz nicht entwicklen“, so Steixner nach den Gründen für die Milchbauern-Vermehrung gefragt. Die Nachhaltigkeitsregel über den Flächenbesatz in Tirol sei deshalb nie ein Problem gewesen, da ohnehin nicht mehr als zwei Großvieheinheiten (GVE) pro Hektar erlaubt waren. Überdimensionierte Ställe zu errichten und Intensivwirtschaft zu betreiben, sei deshalb weder erlaubt gewesen noch finanziell interessant. „Wir sind mit dem Milchhof Sterzing sensationell zufrieden“, so Steixner, der betont, dass man dankbar und zufrieden über die Mitgliedschaft sei. Wenn der Milchhof Sterzing deshalb mehr Milch braucht, wird man versuchen, der Nachfrage nachzukommen.
Während die Nordtiroler allerdings rundum glücklich und zufrieden sind, dass sie ihre Milch nach Südtirol liefern dürfen, sind inzwischen zwei weitere Südtiroler Bauern aus ihrem Milchhof ausgetreten. Ihre Milch wird unter anderem zu Käse verarbeitet, der vermutlich auch in Südtirol zum Verkauf angeboten wird – regional eben.
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Ich finde es gut, dass die
Ich finde es gut, dass die minderwertige Milch nach Italien verkauft wird und dafür gute Milch neu dazu kommt.