“Eine Hausfrau? Nie im Leben”
“Sie haben mich angerufen, um zu fragen, ob ich zur Verleihung kommen würde”, dringt Manuela Hofers Stimme aus dem Telefon: “Am Anfang habe ich überhaupt nichts verstanden. Als sie dann meinten, sie würden wegen dieser Verdienstmedaille anrufen - nein, das hätte ich mir nie im Leben gedacht. Ich hab ihnen gesagt, dass ich arbeiten muss, am Montag. Dass der Montag ein Feiertag ist, habe ich gar nicht gedacht. Ja, hab ich gesagt, dann könnte ich schon kommen...”
Die Reaktion der 56-Jährigen aus Stefansdorf, die am heutigen 15. August in Innsbruck die Verdienstmedaille des Landes Tirol in Empfang nehmen wird, spricht Bände: über die 25 Jahre, während derer sie zuerst ihren Mann und später ihren Sohn, die beide an Chorea Huntington erkrankt und verstorben sind, gepflegt hat; über ihre Selbstzweifel, die sie jahrelang plagten; und über eine Gesellschaft, in der die Leistung eines Athleten, der auch nur ein einziges Mal auf Podest steigt, noch immer mehr zählt als jene einer Pflegenden, die sich jahrzehntelang im Schatten der Gesellschaft müht: “Dass eine einfache Hausfrau so etwas bekommt! Nein, wirklich, nie im Leben.”
Diagnose Chorea Huntington
Als man bei Franz Hofer im Alter von 39 Jahren und kurz nach ihrer Hochzeit Chorea Huntington diagnostizierte, wusste die junge Mutter zweier Söhne - dem kaum ein Jahr alten Christian und Martin, den sie aus einer früheren Beziehung in die Ehe gebracht hatte, - nichts über diese degenerative Erkrankung des Nervensystems. “Ich hab gedacht, wenn ich nur alles richtig mache, wenn ich mich nur gut genug um ihn kümmere, dann wird alles gut”. Dass die Krankheit unweigerlich zum Tod führen und bis dahin starke körperliche und psychische Einschränkungen mit sich bringen würde, wollte sie nicht akzeptieren. “Sieben Jahre habe ich dagegen angekämpft”, erzählt Hofer. “Dann bin ich zusammengebrochen”.
Fehlende Strukturen und Einrichtungen
Erste Jahre, während derer ihr die Pflege ihres Mannes vor allem psychisch viel abverlangte - und er selbst dem Leben gleichgültig gegenüberstand: “Er rauchte, überquerte die Straße, ohne nach links oder nach rechts zu schauen. Er wusste, was passierte. Aber vielleicht war es ihm in dem Moment einfach egal”, erzählt seine Frau, die damals mit Enttäuschung und Selbstvorwürfen kämpfte: “Bei jeder Verschlechterung seines Zustands habe ich mir Vorwürfe gemacht. Ich habe mir vorgeworfen, dass ich seinen Zustand nicht ändern konnte. Dachte es sei alles meine Schuld. Ich fühlte mich im Stich gelassen. Und im Weg.”
Wer nicht zu Hause gepflegt wird, muss ins Altenheim - egal wie alt.
Nur ihrer besten Freundin Elfi hat Manuela Hofer es zu verdanken, dass sie sich damals bei einem Selbstmordversuch nicht das Leben nahm. Und dass weder ihr Mann (um den sie sich insgesamt 16 Jahre lang kümmerte) noch ihr Sohn ihre Krankheitsjahre im Altersheim verbringen mussten, sondern bis zum Schluss - zu Hause gepflegt werden konnte. Geeignete Strukturen für Chorea Huntington Patienten gibt es in Südtirol nämlich keine: Wer nicht zu Hause gepflegt wird, muss ins Altenheim; auch wenn sie wie Hofers Sohn Christian erst 26 sind. “Einen 26-Jährigen zu 80- und 90-Jährigen!”, ringt Hofer um Worte, “das geht doch nicht!”
Ein volles Leben
Vier Jahre vor dem Tod ihres Mannes wurde die Erbkrankheit auch bei ihrem jüngsten Sohn, Christian, diagnostiziert: “An dem Tag, an dem die Diagnose kam - Christian war damals 13 -, ist er nach Hause gekommen, hat sich aufs Bett geworfen und hat geweint. Auch ich habe geweint. Irgendwann habe ich mich aufgerafft, habe mich zu ihm aufs Bett gesetzt und gesagt: Giggi, fühlst du dich jetzt kränker als vor der Diagnose? Wenn du es wirklich nicht mehr schaffst, dann leg ich mir zu dir ins Bett und wir weinen zusammen. Aber bis dahin müssen wir das Leben genießen. Wir können jetzt nicht hier sitzen und warten”, die Stimme am Telefon bricht: “Der Tag, an dem ich mich zu ihm ins Bett gelegt habe, war der Tag, an dem er gestorben ist”.
Trotzdem hat Manuela Hofer schöne Jahre verbringen dürfen “mit meina Manndo”, wie sie sagt. “Wir haben viel gelacht. Und dank einer Spendenaktion haben wir es sogar einmal geschafft, ins Disneyland zu fahren! Christian hat sie geliebt, diese ganzen Dinger, Gardaland, Europapark…”
Scham und bürokratische Hürden
Aber einfach war ihr Leben nicht: Während die Pflegearbeit Manuela Hofer wieder und wieder an ihre Grenzen trieb, waren es vor allem Scham und bürokratischen Hürden, die sie fertigmachten: “Ich hatte keine Ahnung, worauf ich Anrecht hatte und lebte vom Pflegegeld zweier Invaliden”, erklärt Hofer. “Ich habe mich damals wie eine Sozialschmarotzerin gefühlt: Hauptberuflich war ich Schmarotzerin, nebenberuflich Hausfrau und die restliche Zeit habe ich gepflegt”.
Die Ämter müssen den Pflegenden entgegenkommen.
Um selbst Geld zu verdienen, war keine Zeit und auch die öffentliche Unterstützung, auf die sie Anrecht hatte, blieb ihr zum Teil verwehrt: “Wenn ich mal eine Stunde Zeit hatte, weil mir jemand die Pflegearbeit für einige Stunden abnehmen konnte, habe ich es oft nicht geschafft, mich auch noch um diese bürokratischen Dinge zu kümmern. Ich hatte weder Kraft noch Nerven, um mich zu informieren, geschweige denn wieder und wieder zum Amt zu fahren. Einmal hat mir jemand vor der Nase einen Parkplatz weggeschnappt - ich bin weinend nach Hause gefahren. Ein anderes Mal hat sich jemand vorgedrängt. Diese Dinge haben mich fertiggemacht”. Hier müssten die Ämter den Pflegenden entgegenkommen - ist Hofer überzeugt - durch Hausbesuche, ausführliche Informationen und Hilfe beim Antragstellen. (Ein entsprechender Beschlussantrag des Team Ks war vor rund einem Jahr vom Landtag abgelehnt worden).
Die Zeit danach
Christian war 26, als er starb. “Ich hatte Pläne gemacht, mit meiner Nichte und meiner Schwägerin, was ich alles machen würde, wenn das alles vorbei wäre. Als es dann wirklich passierte, als Christian dann wirklich gestorben ist, habe ich nichts von alldem gemacht. Ich habe mich zwei Jahre lang verkrochen. Erst in den letzten beiden Jahren habe ich wieder angefangen zu leben. Heute arbeitet Manuela Hofer in einer Bäckerei und verbringt viel Zeit mit der Familie ihres älteren Sohns Martin. Das Schlafen fällt ihr immer noch schwer - vor allem morgens, wenn sie wie seit 25 Jahren um vier Uhr die Augen aufschlägt: “Das war die Zeit von meinen Männern”, denkt sie dann. “So schnell gewöhn ich mir das nicht mehr ab”.
Auch wenn sie sich über die Auszeichnung freue, steht Manuela Hofer immer noch etwas ungläubig da: “Dass meine Männer mit einem Lächeln gehen konnten, darauf bin ich stolz”, sagt sie. “Das zeigt mir, dass ich nicht alles falsch gemacht habe. Aber diese Medaille, die hätten so viele Pflegende verdient! Ich kann nur hoffen, dass das anerkannt wird, dass sich Betroffene weniger einsam fühlen und dass auch die Politik endlich reagiert”.
Die Geschichte ist
Die Geschichte ist herzzerreißend! Ich bin voller Hochachtung für Frau Hofer und ihre heldenhafte Leistung!!!
Die Auszeichnung muss unbedingt in eine größtmögliche öffentliche Unterstützung für ALLE selbstaufopfernden Betreuer*innen münden! Das sollte für eine gesunde Gesellschaft Priorität haben!
Antwort auf Die Geschichte ist von Georg Peintner
Dieser Meinung schließe ich
Dieser Meinung schließe ich mich an. Da wird endlich eine fast unvorstellbare Leistung hervorgehoben und die Tapferkeit und Herzlichkeit geehrt. Hut ab vor dieser Frau. Ich habe so meine Probleme mit diesen Ehrungen in Innsbruck. Hier aber kann ich mit großem Respekt applaudieren und bin sehr erfreut darüber.
im grunde genommen.. müssten
im grunde genommen.. müssten so einige sie abgeben und frau Hofer übergeben..
Die im Rampenlicht werden
Die im Rampenlicht werden meist völlig überschätzt, die leisten für die Gesellschaft oft nicht allzuviel. Die vielen Unbekannten und Ungenannten halten die Gesellschaft zusammen. Meine Hochachtung vor Menschen wie Manuela Hofer.
Starke Geschichte, starke
Starke Geschichte, starke Frau! Hier trifft es einmal eine durch und durch auszeichnungdwürdige Frau. Wir alle sollten näher hinschauen, denn solche Fälle gibt es viele, fast in jeder Nachbarschaft.
Großartig , was Sie Frau
Großartig , was Sie Frau Hofer an Liebe geschenkt haben und weiterhin schenken !
Wohl wahr, das mit dem Podest
Wohl wahr, das mit dem Podest eines Athleten... z.B. wünsche ich unserem Tennisass Sinner Erfolge über Erfolge. Aber eigentlich müsste ich nicht über jeden einzelnen Auftritt von ihm ausgiebig informiert werden. Auch "die Medien" müssten öfter das Wesentliche bringen.