Politik | Doppelinterview

„Sie bitten, selbstbewusster zu sein“

Gelder für Kulturarbeit sind in Südtirol hart umkämpft. Landesrat Philipp Achammer und Hannes Götsch von der BASIS fordern eine stärkere Lobby und neue Wege.
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Foto: Othmar Seehauser
salto.bz: Herr Achammer, Herr Götsch, der Kulturtopf der öffentlichen Hand ist in Südtirol hart umkämpft. Gleichzeitig fehlt es an einer starken Interessensvertretung der Kulturschaffenden in politischen Gremien. Woran könnte das liegen?
 
Philipp Achammer: Wenn wir über Kultur reden, reden wir über einen so heterogenen und breiten Bereich, der sich schwer auf einige, wenige Kernforderungen zusammenfassen lässt. Trotzdem möchte ich die Kulturschaffenden anregen, eine gebündelte Vertretung auf die Beine zu stellen. Denn ich bin der Meinung, dass es fünf bis sechs Kerninteressen gibt, die alle kulturellen Bereiche – von der Jugendarbeit über das Bibliothekswesen bis hin zur modernen Kunst – gemeinsam haben. Es wurde bereits die Allianz der Kultur gebildet, es ist aber noch mehr Präsenz notwendig. Bei den Haushaltsverhandlungen des Landes sitzen beispielsweise alle Sozialpartner mit am Tisch; würde man die Kultur dazu einladen – was notwendig wäre – so würden mir so viele Leute einfallen, die selbst nicht einmal an einen Tisch zu bringen sind.
 
 
Hannes Götsch: In einem dörflichen Umfeld werden Kulturthemen vielfach noch als Freizeitbeschäftigung und als gern gesehener Zusatz zum normalen Erwerbsleben gesehen. Dadurch fehlt die politische Vertretung in den Gemeinden oft, da dort ein klassisches wirtschaftliches Interesse meist im Vordergrund steht. Kultur- und Kreativwirtschaft sind Themen, mit denen wir uns in der BASIS Vinschgau Venosta auskennen und die wir in Südtirol voranbringen möchten. Wenn der Kulturbereich als Wirtschaftskraft auf Augenhöhe anerkannt wird, gibt es auch eine stärkere politische Vertretung der Kultur im Kleinen sowie im Großen. Philipp hat hier als übergeordneter Landesrat eine wichtige Rolle inne, arbeitet an der Zusammenführung und ich schätze ihn als Ansprechperson.
Ich will den Kulturträgern nicht die Schuld dafür geben, aber sie bitten, selbstbewusster zu sein und geeint aufzutreten - Philipp Achammer
Ist es aber nicht so, dass Kulturinteressen durch die mangelnden finanziellen Gewinne in diesem Bereich schwer durchsetzbar sind?
 
Philipp Achammer: Eigentlich ist das Gegenteil der Fall. Gerade deswegen haben wir beim WIFO der Handelskammer eine Studie zur Wertschöpfung der Kultur in unserem Land in Auftrag gegeben. Es ging zum Beispiel um die Fragen, wie viele Arbeitsplätze es in der Kultur gibt und wie viel durch öffentliche Geldmittel generiert wird. Denn Wirtschaft und Kultur kann man nicht losgelöst voneinander sehen, in der Veranstaltungsbranche gibt es nicht nur den Schauspieler auf der Bühne, sondern auch den, der die Bühne baut. Uns ging es nicht darum, Kultur wirtschaftlich zu rechtfertigen. Denn das, was Kultur auslöst, kann nie wirtschaftlich rechtfertigbar sein. Das geht in das Moralische und Geistige, was die Gesellschaft braucht. Aber es ist wichtig, zu betonen, dass die Kultur ein wichtiger Wirtschaftszweig ist. In Deutschland wurde beispielsweise während der Corona-Pandemie festgehalten, dass die Kultur- und Veranstaltungsbranche sogar größer als die Automobil-Branche ist.
 
Was würde sich ändern, wenn man Kultur auch mehr als Wirtschaftszweig sieht?
 
Philipp Achammer: Wenn man die Wirtschaftskraft der Kultur ausspielen würde, die wir durch die WIFO-Studie schwarz auf weiß haben, dann wäre das politische Gewicht ein ganz anderes. Ich will den Kulturträgern nicht die Schuld dafür geben, aber sie bitten, selbstbewusster zu sein und geeint aufzutreten. Der moderne Künstler kann mit einem Bibliothekar zusammenarbeiten, wenn es darum geht, auf sich und seine gemeinsamen Interessen aufmerksam zu machen: ‚Wir sind da, wir sind ein Bereich, der nicht unterschätzt werden darf und wir sind nicht nur das Schöngeistige, sondern wir sind auch eine Wirtschaftskraft.‘ Das fehlt mir noch, auch wenn sich einiges getan hat.
In den letzten Jahrzehnten hat sich aber die kapitalistische Marktwirtschaft über die Kultur gestülpt - Hannes Götsch
Hannes Götsch: Dem kann ich beipflichten. Dem klassischen Ökonomen fällt es oft leichter, rationale Entscheidungen zu treffen. Und es geht eben darum, Entscheidungen zu treffen und sich zu profilieren. In der Kultur- und Kreativwirtschaft arbeiten schaffende Menschen, deren Produkte, wie beispielsweise Aufführungen, oft besonders emotional verknüpft sind. Zudem liegt es vielleicht nicht in ihrem Charakter, sich in politischen Verhandlungen durchzusetzen. Aber als Wirtschaftsmotor ist auch die Kulturbranche sehr stark. Im EU-Parlament wird dieser Sektor als eine Industriebranche auf Augenhöhe mit der Raumfahrt und Energie- bzw. Gesundheitswirtschaft gesetzt, wir reden hier von über 5 Prozent Bruttowertschöpfung in Europa. In Südtirol gibt es aber noch eine Wahrnehmungsverzerrung und vor allem Nischenkulturthemen werden eher als Luxus statt als Standortattraktivität und Anziehungskraft betrachtet.
 
Wie könnte die Stellung der Kultur in unserer Gesellschaft verbessert werden?
 
Hannes Götsch: Die Kultur einer Gesellschaft sollte bestimmen, wie wir miteinander wirtschaften, nicht umgekehrt. Hier geht es um Werte wie Respekt, Offenheit, Ehrlichkeit und Zulassen von Neuem. In den letzten Jahrzehnten hat sich aber die kapitalistische Marktwirtschaft über die Kultur gestülpt, nach dem Motto, Geld ist immer die oberste Priorität. Oft auch in ehrenamtlichen Vereinen. Hier müssten wir aber imstande sein, zu trennen. Wir sind als Wirtschaftsraum Südtirol stark, wenn wir eine Wertehaltung kultivieren, die respektvoll, tolerant und einladend für weitere Wirtschaftsbereiche in der Kultur- und Kreativwirtschaft ist. Dazu gehört auch die Wertschätzung der Kulturakteur:innen in diesem Land.
 
 
Philipp Achammer: Dem kann ich zustimmen. In der Berührungsangst zwischen Wirtschaft und Kultur steht oft die Frage der Kulturschaffenden, ob der Geldgeber sie bevormundet. Auch unsere Wirtschaft muss aber an einer absolut freien kulturellen Entwicklung interessiert sein. Ich bekomme oft von Externen außerhalb Südtirols widergespiegelt, dass Südtirol ein interessantes, kulturelles Experimentierfeld ist, wo der öffentliche Geldgeber viel mehr künstlerische Gestaltungsfreiheit gewährt als anderswo. Insgesamt muss diese Berührungsangst genommen werden, um auf Augenhöhe miteinander zu reden, immer unter der Wahrung der kulturellen Freiheit. Die Kultur braucht den Raum, etwas auszuprobieren, was neu ist oder auch aneckt. Denn wir leben in einer Zeit, in der wir uns als Gesellschaft viele Spiegel vorhalten sollten.
Es macht uns lebensfähiger, wenn wir einander mit Respekt und Liebe begegnen - Hannes Götsch
Herr Götsch, wie setzen Sie diesen zuvor genannten Gedanken der Wertehaltung in der BASIS um?
 
Hannes Götsch: Der Bereich, in dem wir tätig sind, ist eine Trendrichtung, wo man Sektoren bewusst mischt und multidisziplinäre Räume entstehen. Dort werden Wirtschaft und Kultur auf dem gleichen Level gesehen, genauso wie Bildung und Soziales. Wirtschafts- und Sozialräume vermischen sich zunehmend und gewisse Diskussionen, was wichtiger ist usw., werden obsolet. Aus der verwaltungstechnischen Sicht von heute ist es nachvollziehbar, dass man Sektoren im klassischen Töpfesystem diskutiert. Aber eigentlich sollte man neue Möglichkeiten der Synthese finden. Denn es macht uns lebensfähiger, wenn wir einander mit Respekt und Liebe begegnen. Viele sagen, sie suchen sich eine Arbeit, um Geld zu verdienen und damit ihre ‚wichtige Zeit‘ zu finanzieren, aber eigentlich gefällt ihnen ihre Arbeit nicht. Diese Modelle lösen sich zunehmend auf, weil der Mensch gut 30 Prozent seiner Lebenszeit mit Arbeit beschäftigt ist. Deshalb ist es ihm fortan wichtig, dass seine Arbeit ihn als Mensch widerspiegelt und er sich in seinem Wirken wohlfühlt.
Wir leben in einem Zeitalter der massiven Verunsicherung - Philipp Achammer
Viele insbesondere junge Menschen fühlen sich alleingelassen und werden mitunter straffällig. Neben der Schule sind daher attraktive Freizeitangebote für alle Gesellschafsschichten wichtig. Derzeit scheint es aber oft an einzelnen Gemeinden zu scheitern, während das Land offener für solche Anliegen ist.
 
Hannes Götsch: Ich denke auch, dass die Provinz hier eine größere Optik hat, hier rauszoomen kann und objektiver betrachtet als die Gemeinden selbst. Denn die Provinz hat auch andere Erfahrungswerte als eine Gemeinde. Allerdings denke ich nicht, dass hier alleine die Politik verantwortlich gemacht werden muss. Eher ist es der gesellschaftliche Druck bezüglich Leistung und perfektem Aussehen, der sich durch die sozialen Medien wie Instagram und Isolierung verstärkt. Jungen Menschen fällt es durch die unzähligen Optionen oft schwer, ihren eigenen Weg zu finden und Entscheidungen zu treffen. Dabei hilft es nichts eine Entscheidung ewig hinauszuzögern, denn erst wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, kann ich aus den Konsequenzen lernen. Straffälligkeit sehe ich persönlich deshalb nicht so krass. Es braucht aber auf jeden Fall Streetworker, die wie in Meran direkt auf die Straßen gehen, etwa Akteur:innen wie es Besay Mayer war, der das Jungle (Jugendzentrum in Meran, Anmerkung d. R.) mitaufgebaut hat. Hier denke ich schon, dass es eine bessere Zusammenarbeit zwischen Provinz und Gemeinden braucht. Mir gegenüber war die Landesverwaltung bisher immer sehr offen.
 
Philipp Achammer: Ich denke, es braucht eine Momentaufnahme der gesellschaftlichen Entwicklung und ich würde die generelle Betrachtung auch nicht so negativ sehen. Zum einen leben wir sicher in einem Zeitalter der massiven Verunsicherung. Wenn ich mir anschaue, was in den letzten zwei Jahren mit Corona-Pandemie, Auswirkungen des Klimawandels und Krieg in Europa passiert ist und weiter passiert, stelle ich mir die Frage, welche Frustrationstoleranz heute und morgen ein Kind braucht, um das alles durchstehen zu können. Zudem haben Kinder und Jugendliche noch nie so viele Kontakte gehabt und wurden gleichzeitig aber so wenig bewusst gesehen. ‚Ich sammle meine Freunde tausendfach online, aber wer sieht mich wirklich, wer nimmt mich wahr?‘ Wenn wir hingegen junge Menschen zu Selbstwirksamkeit führen, kommen sie auch aus negativen Spiralen heraus. Denn wenn es solche Vorfälle gibt, dann sind es Jugendliche, die sich selber nichts mehr wert sind. Sie haben das Gefühl, in diesem großen Ganzen nicht viel zu zählen. Das Projekt Jungle Music Incubator in Meran hat beispielsweise auch diesen Menschen gezeigt, ‚du kannst, du kannst absolut‘! Um Selbstwirksamkeit junger Menschen zu fördern, brauchen wir die Zusammenarbeit zwischen Bildung, Jugend-, Sozial- und Kulturarbeit auf Augenhöhe. Da hat sich schon viel Positives getan, auch die BASIS ist da ein gutes Beispiel. Trotzdem müssen die Mauern der Institutionen abgebaut werden, weil es uns allen im Grunde um die Kinder und Jugendlichen geht. Deshalb ist die Zusammenarbeit der Bezugspersonen aus unterschiedlichen Einrichtungen sehr wichtig. Zum anderen möchte ich hinterfragen, ob es Sinn macht, nach solchen Gewaltvorfällen immer nur über Intervention zu reden, auch wenn sie notwendig ist. Das wiederholt sich in der Geschichte jedes Jahr und ich habe das Gefühl, wir lernen nichts daraus. Anstatt gleich morgen eine Antwort für die Medien haben zu wollen, wäre Prävention langfristig wirksamer.