Chronik | Verbrechen

Der furchtlose Kritiker

Der Mordprozess gegen Benno Neumair geht in die Endphase. Die Verteidigung beruft einen langjährigen Kindheitsfreund seiner Mutter Laura Perselli in den Zeugenstand.
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Foto: Salto.bz
Der Mordprozess gegen Benno Neumair in Bozen nähert sich heute, am 27. September 2022, mit der Anhörung des letzten Zeugen seinem Ende. Vor zwei Wochen stellte die Verteidigung die psychiatrischen Gutachten vor, die dem Täter nur eine teilweise Zurechnungsfähigkeit während dem Doppelmord seiner Eltern im Jahr 2021 zuschreiben.
Er wusste, dass ich ihn mag und ihn verteidige.
Ob Benno Neumair während seiner Tat zurechnungsfähig war oder nicht, wird entscheidenden Einfluss auf das Strafausmaß haben. Sein Verteidiger Flavio Moccia hofft, dass das Schwurgericht ein gerechtes Urteil fällen wird. „Das Gericht arbeitet hervorragend und wir hoffen auf eine gerechte und ausgewogene Strafe.“
 
 

Der letzte Zeuge

 
Der letzte Zeuge in diesem langwierigen und Aufsehen erregenden Gerichtsverfahren ist ein Kindheitsfreund der getöteten Mutter von Benno Neumair, Laura Perselli. Sein Name ist Adriano Speciale. Ein Mann, der sich nicht davor scheute, sie zu kritisieren und mit ihr zu streiten. Das letzte Mal in Kontakt war er mit Laura Perselli im Jahr 2019. Er hatte sie zu sich nach Hause eingeladen, um mit ihr über ihre Kinder Benno und Madé Neumair zu sprechen.
„Wir haben uns im Sommer 1963 kennengelernt, als ich zwölf Jahre alt war. Wir haben zusammen mit anderen Kindern im Hof gespielt, irgendwann hat sich unsere Freundschaft vertieft und wir sind zu zweit spazieren gegangen“, erklärt Speciale. Als er nach Modena und sie nach Wien studieren gingen, schrieben sie sich gegenseitig Briefe.
Das hatte mir Laura verschwiegen.
In einem der Briefe berichtete Laura Perselli ihm, dass sie sich in Wien in einen jungen Südtiroler verliebt hat. „Da ist unser Kontakt schließlich abgebrochen, weil wir beide sehr beschäftigt waren.“ Einige Zeit später sollte sich auch Adriano Speciale verlieben und 1983 heiraten. „Als ich unsere Hochzeitseinladung an die Adresse ihrer Eltern verschickte, weil ich ihre nicht kannte, bekam ich einen Anruf von Laura. Sie erzählte mir, dass sie wieder in Bozen wohnt.“ Sie trafen sich an einem Wochenende in Bozen.
„Laura erzählte mir, dass sie geheiratet hat und ihr Ehemann bei einem Verkehrsunfall in Deutschland gestorben ist. Das hat mir sehr leidgetan“, so Speciale vor Gericht. Zu dieser Zeit studierte er noch in Modena und kam nur gelegentlich nach Bozen und sie verloren sich wieder aus den Augen.
„Die Familie von Lauras erstem Mann besaß Apfelanlagen bei Verona. Ich arbeitete auch in dem Sektor und lernte seine Familie kennen. Dabei erfuhr ich, dass er Selbstmord begangen hat. Das hatte mir Laura verschwiegen.“
Als Speciale seine Kindheitsfreundin seiner Ehefrau vorstellte, fand diese Laura Perselli sehr sympathisch. „Damals lebten wir in Rom. Wenn wir in Bozen waren, gingen wir mit Laura gemeinsam wandern. Als sie mir von Peter erzählte, freute ich mich sehr, dass sie jemanden Neuen kennengelernt hat.“ Später stellte Laura Perselli ihm Peter Neumair persönlich vor und das Paar besuchte ihn und seine Frau mehrmals in Rom.
 

Die Perspektive des Beobachters

 
„Die Probleme begannen mit der Geburt von Madé. Als Madé ein paar Jahre alt war, habe ich das erstmals so richtig beobachtet“, erklärt Speciale. Die vier Jahre jüngere Schwester von Benno Neumair sei laut dem Zeugen verwöhnt und er eifersüchtig geworden. „Laura sprach immer zu von Madélina, während sie Benno kaum erwähnte.“ Erst als er ein junger Mann war, erzählte Laura Perselli ihm von ihren Sorgen wegen Benno Neumair, weil er Anabolika zu sich nahm und aufgeblasen wirke.
Adriano Speciale habe versucht, ihr die Perspektive von Benno Neumair in Gesprächen zu veranschaulichen: „Ich habe ihr gesagt, dass sich Benno vielleicht mehr Aufmerksamkeit von seinen Eltern wünscht und auch, dass sie nur von Madé erzählte. Ich sagte ihr, dass ihre beiden Kinder völlig unterschiedliche Charaktere seien und sie Madé nicht in Serie A und Benno in Serie B einteilen solle“, erklärt Speciale. Geholfen habe das wenig und ihre freundschaftliche Beziehung verschlechterte sich.
Speciale erwähnt ein weiteres Gespräch mit Laura Perselli, das ihn schockierte: Madé Neumair war zu diesem Zeitpunkt am Ende ihres Medizinstudiums und überlegte, welchen Facharzt sie machen wollte. Ihre Mutter habe insistiert, dass sie Orthopädin werden soll, da dieses Berufsbild in Südtirol sehr gefragt sei und sie einiges an Geld in ihre Tochter investiert habe. „Dafür wollte sich auch Rendite“, sagt Speciale. „Laura war freundlich und gut, aber wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, ließ sie sich nicht mehr davon abbringen.“
 
 
Außerdem kritisiert der Zeuge, dass sie ein dominantes Verhalten gegenüber ihren Partner Peter Neumair an den Tag gelegt hat: „Meiner Ansicht gab Peter zu oft nach. Als wir einmal gemeinsam zu Abend gegessen haben, wollte Peter etwas einwenden und Laura brachte ihn innerhalb von 20 Sekunden zum Schweigen, so etwas macht man nicht vor Gästen“, so Speciale.
Peter Neumair habe seinen Sohn anfangs mehr verteidigt. Laut Speciale habe Laura Perselli ihn aber dazu gebracht, ihn immer weniger in Schutz zu nehmen. „Peter wurde strenger mit Benno und erschien mir viel ernster als vorher.“ Benno habe darauf reagiert und seinen Körper zum Projekt gemacht, um gesehen und bemerkt zu werden.
Zu Laura Perselli habe Adriano Speciale ein brüderliches Verhältnis entwickelt. Auch wenn sie sich stritten, hätten sie sich nach einiger Zeit wieder vertragen. Zuletzt habe er sie und Benno Neumair im Jahr 2019 gesehen. „Als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, hatten wir den Streit über die Kinder von Serie A und Serie B. Benno traf ich zufällig in Bozen. Er wusste, dass ich ihn mag und ihn verteidige. Er hat für mich nie den Eindruck gemacht, ein Krimineller zu sein, so wie in den Medien dargestellt.“
 

Das Gerichtsverfahren

 
Am 17. November werden die Schlussplädoyers der Staatsanwaltschaft, der Nebenkläger und der Verteidigung beginnen. Zudem müssen noch ausstehende Dokumente der Beweisaufnahme bis zum 31. Oktober hinterlegt werden – dazu zählt unter anderem ein Dokument mit den Bankdaten der Familie, das von der Verteidigung erstellt wurde. Außerdem wird die Verteidigung hinterlegen, dass Benno Neumair am 29. Dezember 2021 vor einem Notar im Gefängnis auf das Erbe seiner Eltern verzichtet hat. Das Urteil wird nach den Schlussplädoyers am 19. November erwartet.
 
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Profil für Benutzer Baader Emil
Baader Emil Di., 27.09.2022 - 19:37

Ja, vielen Dank Salto:
Ganz eindeutig die Eltern Schuld.
Da kann man sicher Schadenersatz von der Schwester einfordern.
Ach, hätten wir nur mehr "furchtlose Kritiker".

Di., 27.09.2022 - 19:37 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Di., 27.09.2022 - 20:18

Über den Angeklagten urteilt das Gericht, mehr braucht es auch nicht. Ich bin von Salto interessantere Artikel gewohnt; wer die Klatschspalten sucht, wird andernorts leicht fündig.

Di., 27.09.2022 - 20:18 Permalink