Politik | Vinschgau

„Umso bedauerlicher“

Die Architektenkammer ist bestürzt über die Abbruchaktion auf dem Ex-Kasernengelände in Schlanders und stellt sich hinter die Landeskonservatorin Karin Dalla Torre.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
unnamed-2.jpg
Foto: Kammer der Architekten RLD Bozen
Die Südtiroler Architektenkammer als auch die Architekturstiftung Südtirol verurteilen die Vorgehensweise der Gemeinde Schlanders im Fall des ehemaligen Kasernenareals, wo sich auch die Basis Vinschgau-Venosta befindet. Ihre Stellungnahme im Wortlaut:
 
Mit dieser (im wahrsten Sinne des Wortes) Nacht- und Nebelaktion hat die Gemeinde vollendete Tatsachen geschaffen. Sie hat einen Dialog gewaltsam beendet, um den sich seit Jahren zahlreiche Bürger:innen und Politiker:innen der Gemeinde und des Vinschgau bemüht haben und insbesondere jene Leute, denen der Erhalt wertvoller und geschichtsträchtiger Bausubstanz am Herzen liegt.
Umso bedauerlicher, dass die Gemeinde deren Ergebnis nun nicht mehr abgewartet hat.
Tatsächlich handelt es sich beim ehemaligen Kasernengelände um ein aus kultureller, historischer und vor allem architektonischer Sicht für den Vinschgau einmaliges Ensemble. Die sogenannte „Palazzina Commando“ mit ihrer über die gesamte Gebäudehöhe reichenden, schneeweisen Fassade aus Göflaner Marmor und Stein vom Vinschger Sonnenberg war ein herausragendes Zeugnis rationalistischer Architektur der ersten Hälfte des frühen 20. Jahrhunderts. Nicht zuletzt hat die Basis Vinschgau-Venosta, ein kulturelles und wissenschaftliches Leuchtturmprojekt im Vinschgau, bereits eindrücklich bewiesen, wie erfolgreich die bestehende Bausubsatz neu genutzt werden kann, ganz im Sinne der Nachhaltigkeit und des schonenden Umgangs mit dem Bestand und damit der eigenen Geschichte.
Wie nun bekannt wurde, lief eine Untersuchung des Landesdenkmalamts am betroffenen Kasernengebäude, um zu prüfen, ob ein kulturelles Interesse am Schutz und der Erhaltung der Gebäude besteht. Der Berichterstattung über den Abbruch war zu entnehmen, dass der Bürgermeister wohl auch eine Absprache mit dem Denkmalamt getroffen hatte, das Ergebnis dieser Untersuchung abzuwarten. Umso bedauerlicher, dass die Gemeinde deren Ergebnis nun nicht mehr abgewartet hat. Zwar konnte der Abbruch auf Drängen der Landeskonservatorin Karin Della Torre bis auf Weiteres gestoppt werden, die Schäden an der „Palazzina Commando“ dürften indes nicht mehr wieder gutzumachen sein.
Eine öffentliche Verwaltung sollte mit Kulturgütern beispielhaft umgehen und für den Erhalt dieser eine Vorbildfunktion in unserer Gesellschaft einnehmen!
Eine Notverordnung, wie sie der Bürgermeister für die Abrissverfügung erlassen hat, dient der Unversehrtheit und dem Schutz der Bevölkerung vor schwerwiegenden Gefahren. Ob eine solche Gefahr tatsächlich gegeben war, möge beurteilen, wer dafür zuständig ist. Als Südtiroler Architektenkammer sehen wir es als unsere Aufgabe, darauf hinzuweisen, dass der Denkmalschutz an zentraler Stelle der italienischen Verfassung, im Artikel 9, verankert ist. Bei aller Dringlichkeit ist die Gemeindeverwaltung verpflichtet, eine sorgfältige Abwägung zwischen den zu schützenden Gütern vorzunehmen.
Eine öffentliche Verwaltung sollte mit Kulturgütern beispielhaft umgehen und für den Erhalt dieser eine Vorbildfunktion in unserer Gesellschaft einnehmen! 
 
Die Südtiroler Architektenkammer und die Südtiroler Architekturstiftung stellen sich hinter die Landeskonservatorin Karin Dalla Torre und dem Landesdenkmalamt und fordert Aufklärung darüber, ob das Handeln der Gemeinde tatsächlich angemessen und verhältnismäßig war.
 
 
 
Bild
Profil für Benutzer Elisabeth Garber
Elisabeth Garber Fr., 07.10.2022 - 20:22

Das Versagen beginnt in den Tälern und endet in den Bergen, wo laufend Natur- und Kulturgüter (z.B. durch die leidigen Kubaturverschiebungen) zerstört oder gestört werden. Liest man in den Statuten des Landesdenkmalamtes genauer nach, wird klar, dass viel zu viel an 'raumplanerischer' u. 'kultureller Verantwortung' den autonomen Gemeinden überlassen wird.
Der nächtliche Skandal von Schlanders steht beispielhaft für tagtägliche Abrisse oder Ensemble-Amputierungen. Fein säuberlich wird offensichtlich zwischen Kunst-, Kultur- und Naturdenkmälern unterschieden. Wobei das alles (im besten Falle) eine gewachsene Einheit bilden sollte.
Das Landesdenkmalamt und die zuständigen Landesräte nehmen m.E. solche 'Kavaliersdelikte' seit Jahrzehnten billigend in Kauf und haben, wie man liest, ein gutes Auskommen.
Heimatpflege- u. Naturschutz-Verbände oder Kulturvereine hingegen, stoßen auf taube Ohren, gerade weil sie derartige Eingriffe nicht billigen.
Die Kommentare von Thomas Strobl zum Schlanderser Fall (und darüber hinaus) treffen m.M.n. direkt ins Schwarze vom Edelweiß.

Fr., 07.10.2022 - 20:22 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Dietmar Nußbaumer
Dietmar Nußbaumer Fr., 07.10.2022 - 20:35

In Zeiten von Krieg bin ich froh, kein Kasernenareal zu sehen. Zudem brauchen wir nicht hinter jeder Ecke an "unseren" unseligen Faschismus erinnert werden. Wer solchen Unsinn schützenswert findet, der ist wohl ziemlich weit abgehoben, oder eben Architekt (zum Glück brauch ich diese Schwätzer nicht). Die Gemeinde, als Eigentümer des Areals, kann sicher etwas Sinnvolleres aus dieser Kubatur herausholen.

Fr., 07.10.2022 - 20:35 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Manfred Klotz
Manfred Klotz Sa., 08.10.2022 - 11:24

Antwort auf von Dietmar Nußbaumer

Es geht um ein Beispiel rationaler Architektur, das man durchaus ohne Ideologie betrachten sollte. Diese Strömung hat sich unabhängig vom Faschismus entwickelt und überlappt den berüchtigten Ventennio zeitlich eigentlich nur zufällig. Mit anderen Worten, es hat sich eher der Faschismus dieser modernen Gestaltungsform angeeignet, weil sie revolutionär war, nicht umgekehrt.
Wenn Sie Architekten als Schwätzer bezeichnen, beweisen Sie eigentlich nur, dass Sie mit Kultur im weiteren Sinne auf Kriegsfuß stehen. Das ist aber auch schon die einzige Verbindung zum Krieg.

Sa., 08.10.2022 - 11:24 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Robert Zagler
Robert Zagler Fr., 07.10.2022 - 20:48

Naja... eine Kaserne aus den 30iger Jahren die auf zwangsenteignetem Grund erbaut wurde, als Kulturgut zu bezeichnen finde ich weit hergeholt! Wenn etwas erhaltenswert scheint ist es die Marmorfassade (wenn sie auch dem Siegesdenkmal nachempfunden scheint), die ohne weiteres in einem neuen Gebäude integriert werden könnte.

Fr., 07.10.2022 - 20:48 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Hartmuth Staffler
Hartmuth Staffler Fr., 07.10.2022 - 21:05

"Die sogenannte „Palazzina Commando“ mit ihrer über die gesamte Gebäudehöhe reichenden, schneeweisen Fassade aus Göflaner Marmor und Stein vom Vinschger Sonnenberg...." Die Südtiroler Architektenkammer mag zwar vieles sein, aber weise ist sie nicht, obwohl oder besser gesagt weil sie an der "Palazzina Commando" eine "schneeweise" Fassade ausgemacht hat.

Fr., 07.10.2022 - 21:05 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Christoph Bartholomäus
Christoph Bart… Sa., 08.10.2022 - 10:37

Wie kann es, wo die Gier nach Profit einen Graubereich zwischen öffentlichen Ämtern und privater Bau-/ Immobilienwirtschaft entstehen lassen haben könnte, überhaupt um Kultur, Geschichte, Erbe gehen?

Sa., 08.10.2022 - 10:37 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Hansjörg Telfser
Hansjörg Telfser Sa., 08.10.2022 - 12:56

Ich verstehe es so, dass wohl die lokalen Immobilienhaie in Verbindung mit den Entscheidungsträgern gehandelt haben. An dieser Interpretation könnte schon was Wahres dran sein.
Stellen Sie sich vor man hätten diese Palazzina Comando in das Wohnbauprojekt integriert und vielleicht im Erdgeschoss eine Dauerausstellung mit der Geschichte dieses Ensembels installiert. Nicht nur wem der Grund genommen wurde, wer und wo die Steine gebrochen wurden und wer dort arbeiten "durfte". Dass als Kolateralschaden der sagenumwobene Schatzknott bei Kortsch fast zur Gänze ruiniert wurde sein nur am Rande erwähnt ... und am Kasernenareal hätte man die lächerlich/pompöse faschistische Ideologie festmachen können.. oder dass zwischen September 1943 und dem Ende des Krieges auch der Nationalsozialismus seine Spuren in der Kaserne hinterlassen hat .. oder vielleicht auch wie viele Soldaten, die nach 1945 den Drill und den menschenverachtenden "Nonnismus" in Schlanders erleiden mussten... vielleicht findet man in Militärarchiven eine Statistik der Suizde in der Kaserne ... und es wird sicher noch x Fotos geben, welche die Lächerlichkeit dokumentieren, wie in Schlanders noch in den 1980er Jahren mit Mulis und Kanönchen der Gebirgskrieg geprobt wurde, als in Elvas schon längst atomare Sprengköpfe stationiert waren... und man hätte zumindest den Versuch starten können, neue Wohnformen für junge Menschen zu ermöglichen, mit vielen Ideen vielleicht ein wirklich leistbares Wohnen ... doch wer will das? Ich denke Immobilienmogule, die nur Dichten, Kubatur, Quadratmeter und Erlöse kennen, sicher nicht!

Sa., 08.10.2022 - 12:56 Permalink