Starke Plakatkunst
Vom 5. bis 26. Oktober 2012 wurden in der Bozner Galerie Lungomare über ein Dutzend Plakate des weltbekannten Fotomonteurs und Plakatgestalters John Heartfield (1891-1968) gezeigt. Heartfields Vater, der Schriftsteller Franz Held, (1862-1912) weilte nämlich Ende der 1890er Jahre immer wieder in der Gegend um Gries und in Jenesien. Lungomare zeigte vor 10 Jahren einen Bruchteil von Heartfields politischen Plakaten, die vor 100 Jahren in Berlin (und außerhalb) immer wieder großes Aufsehen erregten. 2022 sind es nun „hauseigene Plakate“, die in der Lungomare-Schmiede produziert wurden und gegenwärtig in Tirol (und außerhalb) für Diskussionen sorgen.
Für die Kampagne #etwaslaeuftfalsch thematisiert das Lungomare-Gestalter*innenbüro um Angelika Burtscher und Daniele Lupo Gewaltverbrechen gegen Frauen und konnte für den zweiten Teil der groß angelegten Aktion drei namhafte Künstler:innen gewinnen: Aldo Giannotti, Stefanie Sargnagel und Kateřina Šedá. Die drei setzten sich mit unterschiedlichen Aspekten von geschlechtsspezifischer Gewalt auseinander und entwickelten in enger Zusammenarbeit mit Organisationen im Bereich Opferschutz und Prävention (Frauen gegen VerGEWALTigung, Frauenzentrum Osttirol, Mannsbilder Tirol) spritzige Plakatmotive.
„In all ihrer Unterschiedlichkeit“, bedienen sich die Plakate „alle einem sarkastischen Humor, der es erlaubt über dieses Thema in einer direkten und vielschichtigen Weise zu sprechen“, heißt es in der Presseaussendung, die Anfang Oktober an diverse Medien in Tirol gegangen war. Doch private Firmen, die Werbeflächen im Außenraum vermieten, aber auch die ÖBB meldeten aus jeweils unterschiedlichen Motiven Bedenken an und sortierten vorsorglich aus: das Plakat über den „Tiroler“, jenes zum „Chef“ – beide von Stefanie Sargnagel –, sowie das Plakat mit dem Penis, welches vom österreichisch-italienischen Künstler Aldo Gianotti gestaltet wurde.
Man kann der Öffentlichkeit schon was zumuten, besonders wenn es um so drastische Themen geht, wir leben nicht mehr in den 50ern.
(Stefanie Sargnagel)
„Ich finde es interessant, dass sich die Öffentlichkeit in den letzten Jahren wahnsinnig empört, wenn rassistische Darstellungen wegen politischer Korrektheit entfernt werden, wenn man über den Mohr im Hemd diskutiert oder Indianerdarstellungen in Kinderbüchern. Da wird gleich mal behauptet, wir würden in einer Diktatur leben, obwohl es demokratische Diskussionen sind“ kommentiert die bekannte Schriftstellerin Stefanie Sargnagel die Diskussion um die zurückgehaltenen Plakate auf Nachfrage von Salto.bz und meint weiter: „Wenn Anti-Gewaltplakate für ein wichtiges Anliegen zensiert werden, sehen plötzlich wenige die Freiheit der Kunst gefährdet. Eine gewisse Doppelmoral wird hier schon entlarvt.“
Besonders überraschend finde ich, dass die naive, kindhafte, unsexuelle Zeichnung eines Penisses so empört, da dürfte man ja keine Putten in Kirchen mehr anschaun. Dass es da so eine Prüderie bezüglich Nacktheit in Österreich gibt, dass es sogar eine Zeichnung trifft, ist mir neu.
(Stefanie Sargnagel)
Woran aber liegt es, dass Unternehmen, Tourismustreibende, oder öffentlichen Dienste anscheinend Angst am Sichtbarmachen dieser Thematik haben und offenbar nicht offen genug damit umgehen können? „Es ist eine nachvollziehbare Konfliktscheuheit“, meint Sargnagel, „die aber in Kunstfeindlichkeit ausartet. Es sind künstlerische Plakate, die auf Missstände aufmerksam machen sollen, keine Werbeplakate für Produkte.“ Auf die Frage welchen Rat sie anderen Plakatkünstler*innen und Plakatgestalter*innen mit auf den Weg geben möchte, damit diese in Sachen Plakatierung in Tirol in Zukunft gewappnet sind, antwortet Sargnagel kurz und knapp mit: „Weitermachen!“
Aufbauend auf die erste Edition von #etwaslaeuftfalsch, die 2021 in Südtirol entwickelt wurde, entstand der zweite Teil für Nordtirol mit dem Ziel, die Plakatkunst weiterzuverbreiten und Kompliz:innen für die Fortführung in anderen Städten und Regionen Europas zu gewinnen. Das scheint zu gelingen. Nach Südtirol ist die künstlerische Plakataktion jedenfalls seit gestern zurückgekehrt. Nachdem einige Motive bereits beim Frauenmarsch am 15. Oktober während der Veranstaltung offen zur Schau getragen wurden, sind nun alle im sogenannten Casa Goethe Haus in Bozen zu sehen. Die Arbeitsgemeinschaft der Jugenddienste (AGJD) und netz | Dachverband der Offenen Jugendarbeit unterstützen die Kampagne #etwaslaeuftfalsch, positionieren sich „klar gegen jegliche Gewalt und setzen sich dafür ein, dass junge Menschen sich frei entfalten können und ihre Identität bestmöglich und frei von Gewalt entwickeln können“, heißt es von Seiten der Bozner Plakat-Aussteller*innen. Da läuft etwas richtig.
Einfach genial! (na gut,
Einfach genial! (na gut, dieses mit dem "Chef" könnte auch als "öffentliche Aufforderung..." verstanden werden... ;-)