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Die Sprache von der Leine lassen

Claudia Müller hat einen Film über das Werk und die Stimme Elfriede Jelineks gedreht. Entstanden ist ein Porträt von großer Poesie und unerbittlichem Wahrheitsdrang.
Jelinek
Foto: Polyfilm

Ist das Nest erstmal beschmutzt, lässt sich das nur schwerlich rückgängig machen. Warum auch? Es wurde nicht umsonst beschmutzt, wurde es überhaupt beschmutzt, oder war es nicht schon vor der vermeintlichen Beschmutzung beschmutzt? In diesem Falle kommt der Nestbeschmutzerin die Rolle einer ungeliebten Besserwisserin zu. Die auf Umstände aufmerksam macht, die ohnehin jeder kennt, aber nicht sehen will. Blind sind die Leute für sich, die Gesellschaft, deren Teil sie sind, und unbelehrbar noch dazu. Die österreichische Autorin und Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek kann ein Lied davon singen. Mehr als eines, vermutlich dutzende, ein ganzes Album würde sie damit füllen. Sie gilt als polarisierende Chronistin der österreichischen (und internationalen) Gegenwart, macht in ihrem Werk auf historische blinde Flecken aufmerksam, und scheut nicht die Obszönität, um das Unschöne ungeschönt sprachlich darzustellen.

 

 

Ein neuer Dokumentarfilm von Claudia Müller wirft einen Blick auf das Werk Jelineks, weniger auf die Person. Das ist der wohl größte Triumph des Films, der zwar größtenteils chronologisch durch das Leben und Œuvre der Autorin führt, aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder biographische Qualität nimmt. Vielmehr montiert Müller aus über fünfzig Jahren Archivmaterial eine Collage, die das Wirken Jelineks deutlich macht. Interviewausschnitte, Aufzeichnungen aus TV-Shows wie dem Literarischen Quartett, Theaterstücke und vieles mehr bilden den Rahmen. Dazwischen schwebt die Kamera über Jelineks Geburtsstadt Mürzzuschlag in der Steiermark. Bekannte Schauspieler*innen lesen aus den Texten der Autorin, nur ihre Stimmen legen sich scharf und sanft zugleich über die spektakulären Landschaftsaufnahmen. Das Wechselspiel zwischen Werk und Autorin besticht und lässt beides verschwimmen. Nach ihrer Kindheit, in der die Mutter beinahe manisch an der künstlerischen Laufbahn ihrer Tochter bastelte, sie ans Wiener Konservatorium schickte und gleich mehrere Instrumente erlernen ließ, habe sie nichts mehr erlebt, so Jelinek. Seit ihrer Kindheit und Jugend, unter der Fuchtel der strengen Mutter, und den Eindrücken des Vaters fortschreitenden Wahnsinns, der letztlich in der Psychiatrie Baumgartner Höhe in Wien endete, habe sie nichts mehr erlebt. Über diese Zeit schrieb sie etwa in ihrem Roman „Die Klavierspielerin“, der ist jedoch nur eine Randnotiz in Müllers Film. Es geht nicht darum, die Traumata der Protagonistin auszustellen. Viel prominenter wird ihr Blick auf Österreich inszeniert. Ihre Verachtung für das bürgerliche Leben, die Scheinheiligkeit, die aus allen Poren des Landes quillt. Dafür, dass sie die nationalsozialistische Vergangenheit, und ihre fehlende Aufarbeitung direkt thematisiert, etwa im Stück „Burgtheater“ (1985), wird Jelinek geächtet. Seitdem, sagt sie, habe sie polarisiert, und der Diskurs wäre weg von der Literatur, und hin zur Person gewandert. Eine Autorin, die das eigene Land in den Dreck zieht, kann nicht literarisch sein. So oder so ähnlich tönte es von Jörg Haider und den Rechten, die Jelinek zur Zielscheibe ihrer hasserfüllten Reden machten. Eben eine Nestbeschmutzerin sei sie, ähnlich wie auch Thomas Bernhard. Es ist bezeichnend, dass die größten Literaten Österreichs gleichzeitig auch jene sind, die am meisten verachtet werden. Der Umgang der österreichischen Gesellschaft mit Jelinek, ist, so zeigt der Film, von großer Kunstfeindlichkeit geprägt, und offenbart die Kritikunfähigkeit eines Landes. Das führte Anfang 2000, anlässlich der ersten ÖVP-FPÖ-Bündnisses zu einem Aufführungsverbot durch die Autorin selbst. Nur wenige Jahre zuvor sorgte sie mit „Ein Sportstück“ im Burgtheater für einen sechsstündigen Skandal. Als Jelinek 2004 den Nobelpreis erhielt, zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück. Sie gab seither keine Interviews mehr – fast keine, mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. Konsequenterweise endet an dieser Stelle der rote Faden des Films, die Geschichtserzählung stoppt. Jelinek, die seit jeher an Angststörungen leidet, die ihr unter anderem Reisen erschwerten, schreibt seitdem aus dem Verborgenen. Ungebrochen präzise tut sie das, und schickt ihre Werke hinaus in die Welt, auf die Bühnen, auf die Seiten der Bücher, in die Köpfe ihrer Leserinnen und Leser.
 

Sprache mehr ist, als ein Vehikel zur Nestbeschmutzung


Müllers Film ist erfrischend in der Hinsicht, dass es sich um einen literarischen Film handelt. Es geht um das Werk, die Kunst, nicht um die Psychologie der Autorin, oder gar ihr Privatleben. Von Jelinek selbst erfährt man wenig Neues, komprimiert auf 90 Minuten verschmelzen jedoch Sprache und Sprechende zu einem untrennbaren Gebilde, welches wiederum die Schreibende Jelinek enthält, durch sie lebt, und sie am Leben hält. Dass es ihr Freude bereitet, die Missstände ihrer Heimat aufzuzeigen, darf vermutet werden, bestätigen wird sie es nicht. Der rote Faden, der im Jahr 2004 endet, darf aufgenommen werden. Um ihn weiterzustricken, oder sich an ihm zurückzuhangeln zu vergangenen Werken. Claudia Müllers Film ist hochpoetisch und inspirierend. Inspirierend, wozu? Das kommt ganz auf den Mensch an, der vor dem Spiegel sitzt. Der neu liest, wieder liest, der schreibt, der über das Gelesene und Geschriebene nachdenkt. Der erkennt, dass Sprache mehr ist, als ein Vehikel zur Nestbeschmutzung.
 

Trailer

 

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Martin Streitberger So., 20.11.2022 - 16:23

Schön der leichtfüßige Artikel, ja, ich fand den Film ebenfalls inspirierend von einer Frau die stets hart gearbeitet hat, denn jährlich, wenn nicht halbjährlich folgen Romane. Vielleicht die Folge ihrer Kindheit. Natürlich ist die Menge nicht ausschlaggebend, denn ihre Sprache und Wahrheitssuche ist es.

So., 20.11.2022 - 16:23 Permalink