Kultur | Salto Afternoon

Die Lehre des Wolfes

In einem Original des Künstlers John Heartfield geht es um einen "Wolf" und um "Reichsbürger". Es wird im Bozner Museion aufbewahrt. Grund genug, es wiederzuentdecken.
wolf_jh.jpg
Foto: Museion

Vor wenigen Monaten wurde – angeblich von Wolf GW950m – das Pony Dolly von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gerissen. Nun liegt laut jüngsten Medienberichten eine Abschussgenehmigung gegen GW950m vor. Neben lokalen und internationalen Wolf-Geschichten sorgten letzthin auch allerhand Medienberichte zur Verhaftung einer Dutzendschaft sogenannter Reichsbürger für Aufsehen. In Südtirol machten sich Journalisten und Journalistinnen sogar auf die Suche nach lokalen Reichsbürger*innen.
Wer beide Motive – also Wolf und Reichsbürger – in Zusammenhang gesetzt auf einem Blatt sehen möchte, kann dies anhand eines historischen Kupfertiefdrucks des Künstlers und Grafikers John Heartfield tun, dessen "Original" im Archiv des Museion in Bozen aufbewahrt wird. Der Kunsthistoriker Andreas Hapkemeyer kennt den Museion-Bestand wie kaum ein anderer Wissenschaftler und bestätigt auf Nachfrage von salto.bz das historische Fundstück. „Das Museion besitzt zwei Originale von Heartfield, es sind jeweils Ausgaben der Arbeiter-Illustrierte-Zeitung“ weiß Hapkemeyer zu berichten und betont, dass es sich im speziellen Fall von Heartfield, „um Originale handelt.“ Demnach sind die beiden Heartfield-Arbeiten im Museion nicht nur Cover einer mehrfach vervielfältigten Zeitung. „Heartfield war ein politischer Künstler. Ihm ging es weniger um die Ästhetik der Arbeit, vielmehr um den Inhalt und wie ein solcher an die Menschen herangetragen wird. In diesem Fall mittels einer Zeitung“ unterstreicht Hapkemeyer. Die Bozner Heartfield-"Originale" waren Anfang der 2000er Jahre im Zuge einer Leihgabe des Archivio di Nuova Scrittura mit weiteren knapp 1700 Arbeiten nach Bozen gelangt. Mittlerweile ist das Museion Besitzer. 
 

Der Begriff des Tieres ist abzulehnen...
(AIZ, November 1935)


Die Fotomontage Heartfields zeigt neben der Darstellung eines Wolfes in Offizierskleidung zwei Enten, ein Huhn, eine Gans, einen Esel, zwei Lämmer, eine Ziege, ein Reh, eine Kuh und ein Pferd. Im Herbst 1935 erstellte Heartfield die Schnipsel-Arbeit in Anlehnung an eine Arbeitssitzung der Reichsfachgruppe Hochschullehrer im Bunde nationalsozialistischer Deutscher Juristen, die unter dem Vorsitz von Prof. Carl Schmitt getagt hatte. Schmitt stellte nämlich folgenden Lehrsatz auf: „Der Begriff des 'Menschen' ist abzulehnen. Er verdreht und verfälscht die Verschiedenheiten von Volksgenosse, Reichsbürger, Ausländer, Jude usw.“ Der gleiche Schmitt war es, der im gleichen Jahr die antisemitischen Nürnberger Gesetze, als eine „Verfassung der Freiheit“ bezeichnete. Heartfield, der die Arbeit für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung nach seiner Flucht in Prag gestaltete, setzte auf die einleitenden Worte der Bild-Text-Collage und der abgebildeten Tierschar folgendes Zitat: „Der Begriff des 'Tieres' ist abzulehnen. Er verdreht und verfälscht die Verschiedenheiten von Schaf, Huhn, Gans, Esel, Pferd, Hase, Kalb, Ziege, kurz jener Wesen, die nur dazu da sind, von mir gefressen zu werden.“ Ein satirischer Schachzug.
 


Ein Bruchteil vom riesigen Schaffenswerk von John Heartfield (1891–1968) wurde vor zwei Jahren im Rahmen der Ausstellung Photographie plus Dynamit gezeigt, zunächst in Berlin, dann in Zwolle in den Niederlanden und 2022 in München. Die von Helmut Herzfeld, wie Heartfield mit richtigem Namen hieß, gefertigten politische Fotomontagen „waren die Initialzündung für ein bis heute wirkungsmächtiges bildrhetorisches Verfahren“, mit dem er „ein breites Publikum gegen Faschismus und Krieg zu mobilisieren“ versuchte.

Heartfield`s Hütte

Auf Rat von Bertold Brecht hielt sich John Heartfield ab 1953 zeitweise im kleinen Waldsieversdorf in Brandenburg auf. Ab 1957 pachtete er ein Grundstück am Großen Däbersee und errichtete sich ein Sommerhaus. Daneben stellte er eine kleine Kinderhütte aus Holz für seine Enkel auf. Im Mai 2023 wird der Künstler Hans Winkler (mit Unterstützung des Literaturhauses Salzburg, des Salzburg Museum und des VG-Bild Recherchen Stipendiums) den von ihm gefertigten Nachbau der Heartfield-Hütte von Berlin nach Salzburg transportieren, um sie im Rahmen einer Kunstaktion auf den Gaisberg „zurückzuführen“, wo Helmut Herzfeld mit seinen Eltern ab 1896 gelebt hatte. Winklers Kunstprojekt zur Biografie des jungen Herzfeld, machte bereits 2005 im Rahmen der Ausstellung Künstler.Archiv von sich reden, da die skurrile Geschichte über die verschwundenen Eltern des später bekannt gewordenen Dadaisten, zum Teil bedrückende Aufmerksamkeit erregte. Die Familiengeschichte der Herzfelds wollte es nämlich, dass die beiden Eltern – aus nicht nachvollziehbaren Gründen –, ihre vier Kinder in der Gaisberger Hütte bei Salzburg zurücklassen mussten. Während die Mutter Alice Stolzenberg später in eine psychiatrische Anstalt bei Salzburg gekommen war, ereilte auch Heartfields Vater, Franz Held, kurz darauf ein ähnliches Schicksal. Held, wie sich der Schriftsteller Herzfeld mit Künstlername nannte, wurde im Februar 1900, „von Jenesien kommend, in Gries bei Bozen aufgegriffen“ und wenige Monate später in die "Landes-Irrenanstalt" Valduna nach Rankweil (Vorarlberg) gebracht. Die vier Kinder kamen zu Pflegeeltern. Die verlassene Hütte Heartfield`s wird in der Kunsthistorie und bei vielen Heartfield-Expert*innen – aus welchen Gründen auch immer – gerne unter den Teppich gekehrt. Dabei sprechen Heartfields „Hüttenarbeiten“ eigentlich Bände, vor allem die erste erhaltene Arbeit aus dem Jahr 1907, die eine kleine Hütte in einem düsteren Wald zeigt. 
Vielleicht kommt Hans Winklers Hüttennachbau, wie vor 10 Jahren schon einmal angedacht, irgendwann als Installation nach Südtirol, wo Heartfields Vater einst zahlreiche Geschichten erdachte und niederschrieb. Gezeigt werden müsste dann natürlich auch die Arbeit Die Lehre des Wolfes und Heartfields legendäres Frühwerk Die Hütte im Wald. Das Ganze wäre dann unter der Schirmherrschaft (Achtung Satire!) von Ursula von der Leyen und Athesia ein gelungenes Kunstevent.