Gesellschaft | Arbeitszeit

Vollzeit ist nicht gleich Vollzeit

Die Menschen in der Europaregion Tirol-Trentino-Südtirol sehnen sich (fast) alle nach mehr Freizeit und kürzeren Arbeitszeiten. Und doch gibt es regionale Unterschiede.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Adobe Stock Images

Unter Arbeitszeit versteht man die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit mit Ausnahme der Ruhepausen. Umgangssprachlich wird auch von einer normalen Arbeitszeit gesprochen. Doch auch die Normalität kann je nach Branche, Betrieb oder Region variieren, besonders im Rahmen des Vollzeitmodells. 

Das beste Beispiel dafür bietet die vor kurzem vorgestellte Studie zu den Arbeitsbedingungen in der Europaregion Tirol-Trentino-Südtirol, die in Zusammenarbeit mit der Arbeiterkammer Tirol, der Agenzia del Lavoro aus dem Trentino und dem AFI | Arbeitsförderungsinstitut Südtirol durchgeführt wurde. Unter den vielen Aspekten, die Gegenstand der Befragung von rund 4.500 Personen waren, betraf ein Fragenblock auch die Arbeitszeiten, sprich Angaben über Arbeitswoche, Überstunden, Nachtarbeit, Pendelzeiten sowie die Wunscharbeitszeiten der Arbeitnehmenden in den drei Teilen der Europaregion. 

Regionale Unterschiede

Die Auswertung bestätigte einige Vermutungen und brachte gleichzeitig Überraschungen ans Licht. Während die durchschnittliche Arbeitswoche auf Vollzeitbasis in der Europaregion 38,1 Stunden beträgt, belegen die Südtiroler/innen mit 39,2 Stunden Platz eins im Ranking der längsten Wochenarbeitszeit. Die wöchentlichen Arbeitsstunden im Bundesland Tirol entsprechen mit 38,1 Stunden dem Euregio-Durchschnitt, während die Nachbarregion Trentino mit 36,9 Stunden rund 1,2 Stunden darunterliegt. Wie hoch das wöchentliche Stundenpensum ausfällt, hängt neben der Branche, in welcher der/die jeweilige Arbeitnehmer/in tätig ist, auch von der Anzahl der Wochentage ab.

Wie hoch das wöchentliche Stundenpensum ausfällt, hängt neben der Branche, in welcher der/die jeweilige Arbeitnehmer/in tätig ist, auch von der Anzahl der Wochentage ab.

So hat sich in vielen produzierenden Betrieben beispielsweise die vieldiskutierte 4 ½ -Tage-Woche bereits etabliert, während im Gastgewerbe die 6- oder gar 7-Tage-Woche nach wie vor zur Normalität gehört. Hierbei weist das AFI auf den akuten Fachkräftemangel hin, der nur durch eine nachhaltige Attraktivitätssteigerung innerhalb der betroffenen Branchen behoben werden kann. Zur Linderung des Mangels an Fachpersonal zählt unter anderem auch die Reduzierung der Wochenarbeitszeit bzw. die generelle Verkürzung der Arbeitswoche. Besonders lange Arbeitswochen haben den Daten zufolge Erwerbstätige in der Landwirtschaft sowie im Gast- und im Baugewerbe. Dies ist unter anderem dem Umstand geschuldet, dass diese Tätigkeiten vermehrt von äußeren Faktoren wie der Witterung oder den Jahreszeiten abhängig sind, weshalb ein Großteil der in diesen Branchen tätigen Betriebe meist auf saisonale Fachkräfte angewiesen sind. 

Kürzere Arbeitszeit – höhere Leistungsfähigkeit

So groß der Unterschied bei der Wochenarbeitszeit auch ausfällt, haben Erwerbstätige in Südtirol dennoch alle denselben Wunsch: weniger arbeiten. Die branchenübergreifende Wunscharbeitszeit der SüdtirolerInnen beträgt im Durchschnitt rund 4,1 Stunden weniger, was einer durchschnittlichen Arbeitswoche von etwas mehr als 35 Stunden entsprechen würde. In den vergangenen Jahren hat sich das Thema der Work-Life-Balance – also der besseren Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben – zu einem zentralen Thema entwickelt, was sich auch in den Ergebnissen der Befragung widerspiegelt. Getreu dem Motto „tret kürzer – leb länger“ bestätigt eine Vielzahl von Studien, dass eine Steigerung der Produktivität sowie der Lebenszufriedenheit mit einer Reduzierung der Arbeitszeit einhergehen kann. Dass diese Umstände einen klaren Wettbewerbsvorteil bieten, ist bei Weitem noch nicht allen Arbeitgebern aus den verschiedenen Branchen bewusst, am wenigsten jenen, die besonders laut über einen Fachkräftemangel klagen. 

Getreu dem Motto „tret kürzer – leb länger“ bestätigt eine Vielzahl von Studien, dass eine Steigerung der Produktivität sowie der Lebenszufriedenheit mit einer Reduzierung der Arbeitszeit einhergehen kann.

Wo es mangelt

Hinsichtlich der geleisteten Wochenstunden ist die Landwirtschaft ungeschlagen: Etwa 60 % der dort Tätigen arbeiten mehr als 40 Stunden pro Woche. Rund 44% der Angestellten im Gastgewerbe weisen eine ähnlich hohe Anzahl an Wochenarbeitsstunden auf, dicht gefolgt vom Baugewerbe, wo knapp 43% der Beschäftigten eine überdurchschnittlich hohe Anzahl an Wochenstunden leisten. In Bezug auf die Wochenarbeitstage sind die Landwirtschaft und das Gastgewerbe mit 6 und zum Teil sogar 7 Arbeitstagen pro Woche die absoluten Spitzenreiter auf dem Südtiroler Arbeitsmarkt. Eine Verkürzung der Arbeitszeit würde insofern nicht nur jenen entgegenkommen, die bereits in der Branche tätig sind, sondern auch den Personen, die es in Zukunft sein wollen. 

Branchenübergreifender Wunsch nach kürzeren Wochenarbeitszeiten

Der Wunsch nach einer kürzeren Arbeitswoche scheint in allen drei Teilen der Europaregion ein heiß diskutiertes Thema zu sein – sowohl bei Arbeitgeber/innen als auch bei Arbeitnehmenden. Besonders auffällig ist dabei, dass sich das Bedürfnis nach mehr Freizeit und einer guten Work-Life-Balance quer durch alle Branchen zieht und so zeigt, dass Büroangestellte dieselben bzw. ähnliche Belange haben wie Beschäftigte im Bau- oder im Gastgewerbe. Den Umfragen zufolge möchte in Nord- und Osttirol etwa die Hälfte der Vollzeitbeschäftigten weniger als 37 Stunden pro Woche mit Arbeit verbringen, während sich dies im Trentino sogar zwei Drittel wünschen. In Südtirol liegt der gewünschte Wochenstundensatz hingegen bei 37 bis 40 Wochenstunden. In allen drei Regionen bedeutet eine reduzierte Wochenstundenzahl gleichzeitig auch die Bereitschaft, einen niedrigeren Monatslohn in Kauf zu nehmen. Angesichts der derzeit steigenden Lebenskosten mag das seltsam anmuten und die Ergebnisse mögen zum Teil auch dem Umstand geschuldet sein, dass die Befragung auf Mitte 2021 zurückgeht, also noch vor der großen Preisteuerungswelle – trotzdem zeigt es, wie wichtig den Arbeitnehmenden genügend Zeit für Privates ist. Die Freizeitgestaltung gewinnt stetig an Priorität, während die Höhe des Gehalts bei der Berufswahl nicht mehr das ausschlaggebende Kriterium darstellt. 

Ein Artikel der freien AFI-Mitarbeiterin Karin Inama

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Profil für Benutzer Josef Fulterer
Josef Fulterer Di., 20.12.2022 - 05:50

Antwort auf von Katja Renzler

Zuviele Menschen fühlen sich durch das Berufsleben, aber auch von den dazu notwendigen Vorbereitungen, dem Verkehrsgedränge bei den An- und Rückfahrzeiten, der Arbeit die mit zunehmend mehr überflüssiger Bürokratie und Auflagen vergiftet wird, in eine Tretmühle / Hamsterrad hinein gedrängt, die zuwenig Zeit zum Leben auch zum Schlafen übrig lässt und zudem auch noch unter-bezahlt wird, um mehr Geld "nach dort Oben zu schaufeln, wo dafür nicht gearbeitet wird."

Di., 20.12.2022 - 05:50 Permalink