Chronik | Carabinieri

Der bestrafte Aufdecker

Ein Sterzinger Carabiniere hat die Straftaten zweier Offiziere aufgedeckt. Statt einer Beförderung wurde er strafversetzt. Jetzt hat er vor Gericht Recht bekommen.
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Foto: upi
Der Fall ist ein Skandal und die Botschaft, die bleibt, ist verheerend.
Denn eines geht aus dieser Geschichte mehr als deutlich hervor: Wer sich für die Legalität und die Wahrheit einsetzt, wird nicht belohnt, sondern bestraft. Anscheinend steht der Korpsgeist über dem Gesetz und wer gegen Kollegen vorgeht, die sich nicht an die Spielregeln halten, muss mit persönlichen Konsequenzen rechnen.
Man tut sich schwer, das Ganze nicht als klares Exempel zu sehen, mit dem man aufzeigen will, dass Aufdecker in den eigenen Reihen unerwünscht sind. Was das Ganze aber noch brisanter macht: Die Geschichte spielt sich in einer Behörde ab, die eigentlich für Recht und Ordnung zuständig ist: Den Südtiroler Carabinieri.
 

Der Maresciallo

 
Salto.bz hat bereits vor sieben Monaten den Fall detailliert geschildert. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen der Kommandant der Carabinieristation Brenner und dessen Vorgesetzter, der Kommandant der Carabinieri-Kompanie Sterzing.
Der gebürtige Römer Fabio Caccamo war jahrelang als Carabinieri in Südtirol stationiert. Der heute 53-jährige Maresciallo hat unter anderem die Carabinieri-Station in Niederdorf geleitet. Weil er es dort aber mit seiner Dienstauffassung nicht allzu genau nahm, leitete die Carabinieri-Verwaltung ein Verfahren ein, das ihn vor ein Militärgericht brachte.
Die Folge: Caccamo wurde auf den Brenner versetzt. Dort war er zuerst als Vizekommandant und dann als Leiter der Carabinieristation am Brenner tätig.
Anscheinend legte Caccamo aber seine besonderen Verhaltensweisen keineswegs ab. Das führte dazu, dass die Bozner Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr eine Ermittlung gegen den Stationskommandanten einleitet. Der schwerwiegende Vorwurf: Caccamo würde sich immer wieder als diensttuend eintragen, obwohl  er in Wirklichkeit zu Hause verbleibt. Zudem soll er während der bezahlten Arbeitszeit mehrmals in der Woche ein Fitness-Center in Sterzing besucht haben, wo er über eine Stunde lang trainierte.
Es beginnt eine diskrete Beschattungsaktion, bei der der Maresciallo bei seiner Ausflügen zum Fitness-Center während der Arbeitszeit verfolgt und fotografiert wird. Über ein Jahr lang. Erschwerend dazu kommt, dass der Carabinierikommandant selbst während des Lockdowns seinen Gewohnheiten ungehindert nachgegangen ist. Dabei durfte man die eigene Gemeinde nicht verlassen. Zudem war die Turnhalle offiziell gesperrt. Doch der Carabiniere ließ sich kurzerhand vom Betreiber die Schlüssel aushändigen, sodass er die geschlossene Turnhalle am Abend ungehindert betreten konnte.
 
 
 
 Der ermittelnde Staatsanwalt Andrea Sacchetti konnte Fabio Caccamo am Ende über 80 dokumentierte Verfehlungen und Falschangaben vorwerfen. Der Kommandant gab in seinen Dienstberichten an, in der Kaserne „Akten bearbeitet zu haben“ oder auf Streife gewesen zu sein, in Wirklichkeit war er aber in der Turnhalle. Oder privat im Pustertal oder in Sterzing. Durch die Handydaten Caccamos konnten diese „Dienstausflüge“ zusätzlich dokumentiert werden.
Da die Beweislast erdrückend ist, suspendierte der Voruntersuchungsrichter auf Antrag der Staatsanwaltschaft den Kommandanten bereits im vergangenen Herbst für 10 Monate vom Dienst. Im Mai 2022 hat Fabio Caccamo schließlich vor dem Landesgericht einer einvernehmlichen Strafbemessung (patteggiamento) zugestimmt. Der Carabiniere wurde wegen Betruges (Art 640 Stgb - Truffa) und Falscherklärung im Amt (Art 479 Stgb - Falsità ideologica commessa dal pubblico ufficiale in atti pubblici) zu einem Jahr und sechs Monaten bedingter Haft verdonnert.
 

Der Kommandant

 
Dass der Fall damit aber noch nicht abgeschlossen ist, liegt daran, dass es einen zweiten, noch höheren Carabinieribeamten gibt, der sich vor Gericht verantworten muss.
Mehrere Untergebene Caccamos haben das getan, was ihre Pflicht als Militärs ist. Sie haben zeitgerecht einen Vorgesetzten von den Verfehlungen ihres Kommandanten informiert. Dabei wurde der Kommandant der Carabinieri-Kompanie Sterzing, Vincenzo Gardin, detaillierte über die Vorgänge unterrichtet. Lange, bevor sie bei der Staatsanwaltschaft aktenkundig wurden. Der Sinn der Aktion: Gardin sollte einschreiten und Caccamo zur Rechenschaft ziehen.
 
 
 
Der 57-jährige Tenente Colonnello aus Padua hätte als Amtsträger unmittelbar einschreiten und diese möglichen Straftaten der Gerichtsbehörde melden müssen. Doch Vincenzo Gardin hat nichts getan.
Dieses Verhalten könnte ihm jetzt einen Strafprozess einbringen. Staatsanwalt Andrea Sacchetti hat inzwischen die Eröffnung des Haupverfahrens gegen Gardin beantragt. Dem hohen Carabinieri-Offizier werden Unterlassung der Anzeige einer strafbaren Handlung durch eine Amtsperson (Art 361 Stgb- Omessa denuncia di reato da parte del pubblico ufficiale),  Verweigerung einer Amtshandlung und Unterlassung. (Art 328 Stgb - Rifiuto di atti d'ufficio. Omissione) vorgeworfen.
Vincenzo Gardin wurde inzwischen nach Padua versetzt. Das Verfahren gegen ihn behängt derzeit vor dem Voruntersuchungsrichter Emilio Schönsberg.
 

Der Whistleblower

 
Der Mann, der beide Verfahren aber maßgeblich losgetreten hat, ist ein Sterzinger Carabiniere. Der 56-jährige Oberstabsfeldwebel (Luogotenente) leitet seit über zehn Jahren die Fahndungsabteilung der Sterzinger Carabinieri (Nucleo Operativo e Radiomobile di Vipiteno - NORM). Er hat dabei die Verfehlungen von Fabio Caccamo nicht nur mitbekommen, sondern auch dokumentiert. Nachdem sich mehrere Untergebene Caccamos bei ihm gemeldet haben, um gegen ihren Vorgesetzen zu protestieren, hat er mehrmals seinem Vorgesetzten Vincenzo Gardin schriftlich und mündlich über die Verfehlungen Bericht erstattet. Doch über ein Jahr lang passierte nicht.
Deshalb wandte sich der Oberstabsfeldwebel schließlich an die Bozner Staatsanwaltschaft. Dort nahm die Gerichtspolizei Ermittlungen auf, die schließlich zur Verurteilung des Stationskommandanten am Brenner und zur Anklageerhebung gegen seinen Vorgesetzen Vincenzo Gardin führten.
In jedem anderen Land würde der Mann, der solche unrechtmäßigen Machenschaften innerhalb der Carabinieriwaffe aufdeckt, einen Orden oder zumindest eine Belobigung erhalten. Doch hier passierte genau das Gegenteil.
 

Die Versetzung

 
Am 28. März 2022 wird dem Sterzinger Oberstabsfeldwebel vom Landeskommando der Südtiroler Carabinieri völlig überraschend die Einleitung eines Verfahrens zu seiner Versetzung mitgeteilt. Er soll von Sterzing auf den Brenner versetzt werden. Sozusagen als Nachfolger des verurteilten Fabio Caccamo
Dass das Ganze eine Strafaktion ist, bei der man den Aufdecker bewusst auch karrieremäßig zurückstuft, wird an einem einfachen Vergleich deutlich. Als Leiter des Sterzinger NORM ist er für sieben Carabinieristationen und insgesamt 25 Beamte zuständig. Als Stationskommandant am Brenner für eine Gemeinde und drei Carabinieri.
 
 
 
Die Carabinieriwaffe ist Teil des Militärs, und damit kommt das Versetzung-Verfahren einem Befehl gleich. Als Grund für die Maßnahme wird eine „Unvereinbarkeit mit der Arbeitsumgebung“ (incompatibilità ambientale) angegeben. Das Klima in der Sterzinger Fahndungsabteilung habe sich so verschlechtert, dass der Leiter nicht mehr tragbar sei.
Das Problem dabei: Die Carabinieri werden jährlich von ihren Vorgesetzten benotet. Der Sterzinger Oberstabsfeldwebel hat seit Jahren die Note „Ausgezeichnet mit Würdigung (eccellente con apprezzamento)“ erhalten.
Am 7. April 2022 reicht der Sterzinger NORM-Kommandant sowohl beim regionalen Legionskommando als auch beim Landeskommando der Carabinieri Einspruch gegen die angekündigte Versetzung ein. Der Einspruch wird abgewiesen und am 19. Mai 2022 wird seiner Versetzung auf den Brenner von Amtswegen verfügt.
 

Anzeige und Vergeltung

 
Doch damit nicht genug. Neben dieser Versetzung geht bei der für Südtirol zuständigen Militärstaatsanwaltschaft Verona eine anonyme Anzeigen gegen den Sterzinger Oberstabsfeldwebel ein. Darin wird ihm vorgeworfen, angeblich Untergebene bedroht und diffamiert zu haben. Die Militärstaatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen gegen ihn auf.
Der Sterzinger Carabiniere wird damit nicht nur von seinen höchsten Vorgesetzten in die Ecke gestellt, sondern er muss auch befürchten, am Ende selbst strafrechtlich angepatzt zu werden.
Das will sich der Mann verständlicherweise nicht gefallen lassen,und er wehrt sich. Der Sterzinger Carabiniere reicht beim Bozner Verwaltungsgericht Rekurs gegen seine Versetzung ein. Vertreten lässt er sich dabei von den renommierten Arbeitsrechtlern Gianni und Carlo Lanzinger.
 
 
 
 
Lanzinger legt im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht auch ein aktuelles Schreiben des stellvertretenden Bozner Oberstaatsanwaltes Axel Bisgnano vor, in dem dieser den Sterzinger NORM-Kommandanten für seinen Beitrag an einer wichtigen Ermittlung belobigt.
Einen Tag vor Heiligabend gibt das Bozner Verwaltungsgericht dem Rekurssteller Recht. Der Richtersenat kommt zum Schluss, dass die Begründung für die Versetzung des Oberstabsfeldwebels nicht nachvollziehbar und stimmig ist. Urteilsverfasserin Alda Dellantonio nimmt sich im Urteil kein Blatt vor den Mund und schreibt:
 
„Il Collegio, in definitiva, riscontra nel provvedimento un marcato vizio istruttorio e motivazionale e l’incongruenza con le valutazioni espresse in precedenza nei confronti del ricorrente e delle sue attitudini al comando. Se ne trae l’impressione, sulla scorta della coincidenza temporale, che si tratti, nei fatti, di un trasferimento ritorsivo a fronte delle denunce nei confronti di due colleghi.“
 
Das Verwaltungsgericht nimmt den Rekurs an, hebt die Versetzung auf und verurteilt die Carabinieri-Verwaltung zur Bezahlung der Prozesskosten.
Auch das Verfahren gegen den Sterzinger Carabiniere vor dem Militärgericht in Verona wurde inzwischen archiviert. Bereits im September forderte der Militärstaatsanwalt die Archivierung, weil die angeblichen Strafbestände nicht vorliegen.
Eine kleine Genugtuung für den Sterzinger Oberstabsfeldwebel. Tatsache aber bleibt, dass ein Ordnungshüter das Fehlverhalten seiner Kollegen angezeigt hat, dieses vor Gericht bestätigt wurde und er deshalb mit einer Strafversetzung „belohnt“ wurde.
Es ist ein bezeichnendes Signal, das man innerhalb der Carabinieri damit gegeben hat.
Darüber wird man jetzt vor allem in der Chefetage der Südtiroler Carabinieri ernsthaft nachdenken müssen.
 
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Sebastian Felderer Do., 29.12.2022 - 14:40

.... in der Chefetage der Südtiroler Carabinieri ernsthaft nachdenken ..... ????
über einen Einzelfall? Ich wage zu behaupten, dass dieses Ambiente von der kleinen Station Brenner bis in die Chefetage ziemlich gleich gefärbt ist. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel auch in diesem Fall.

Do., 29.12.2022 - 14:40 Permalink
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Karl Trojer Sa., 31.12.2022 - 10:09

Wie wertvoll, in einem Rechtsstaat zu leben, in dem ein Gericht auch einer behördlichen Mafia die Stirn bietet !

Sa., 31.12.2022 - 10:09 Permalink
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rotaderga Mo., 02.01.2023 - 11:36

Antwort auf von Karl Trojer

Vollkommen richtig: Das Recht auf Dummheit wird sogar von den Verfassungen geschützt. Man bezeichnet dies allgemein als Garantie für freie Entfaltung der Persönlichkeit. Damit wir aber auch das Vorrecht zum größten Feind des Rechtes. Schlussendlich gilt immer noch das elfte Gebot.....Auf ein Gutes Neues!

Mo., 02.01.2023 - 11:36 Permalink
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Stefan S Mo., 02.01.2023 - 12:03

Antwort auf von Josef Fulterer

"das Recht nicht mit dem Gericht erstreiten müssen!"
Ist natürlich Humbug und würde an den Grundfesten der Demokratie erheblich rütteln. Wobei ich den Wunsch schon nachvollziehen kann wenn man sich die gelebte Gerichtsbarkeit in Italien betrachtet.
Vor Gericht und auf hoher See...

Mo., 02.01.2023 - 12:03 Permalink