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Noch immer Krieg. Schon wieder?

Journalistin Daniela Prugger und Historiker Kurt Gritsch diskutieren im Jugend- und Kulturzentrum UFO zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine: ein Perspektivenwechsel
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Daniela Prugger, Kurt Gritsch
Foto: UFO Bruneck

Keine Minute vergeht ohne Nachricht zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Bombardements. Stromausfälle. Belagerte Städte und Menschen. Seit knapp einem Jahr und immer wieder von vorne. Was von russischer Seite als Blitzkrieg geplant war, um Teile des ukrainischen Staatsgebiets einzunehmen, frisst sich Tag um Tag, Woche um Woche, Monat um Monat immer weiter durch die ukrainische Bevölkerung und mit ihr durch Europa. Die Opfer werden auf beiden Seiten gezählt. Das Ende der russischen Aggression bleibt für viele kaum vorstellbar.

So auch für Daniela Prugger. Die Journalistin aus Olang berichtet seit vier Jahren aus der Ukraine und arbeitet für verschiedene deutschsprachige Medien direkt aus dem Kriegsgebiet. “Die Frage, wann der Krieg endlich vorbei sein wird, stellt sich in der Ukraine jede*r”, so Prugger gegenüber Salto.bz. “Die meisten von ihnen wollen aber keinen Frieden zu jedem Preis”. Und weiter: “Beobachter gehen derzeit davon aus, dass der Krieg noch lange dauern wird. Nicht weil der Westen weiter Waffen schickt, die die Ukraine zur Verteidigung von Zivilbevölkerung und Infrastruktur benötigt. Der Krieg dauert deshalb an, weil Russland ihn weiterführt.”

Am 19. Januar diskutiert Daniela Prugger gemeinsam mit Kurt Gritsch, Historiker und Medienwissenschaftler, im Brunecker Kulturzentrum UFO über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, der Berichterstattung zum Krieg und der Rolle Europas. Warum aber zu einer Veranstaltung gehen, wenn wir uns vor der Aussichtslosigkeit des Krieges am liebsten verkriechen möchten? Wenn Kharkiv, Lviv, Zaporizhzhia und Luhansk - Namen, die noch vor wenigen Monaten kaum jemand kannte -, längst zu einem ständigen Hintergrundgeräusch geworden sind? Vielleicht gerade deshalb: Um aus einem nur schwer verständlichen Geräusch eigene Standpunkte zu entwickeln, die sich sowohl vom unmittelbaren Südtiroler Kontext als auch vom “militärischen Tunnelblick” der Tagesberichterstattung lösen.

 

Eine andere Geschichte

 

“In Südtirol habe ich häufig das Gefühl, dass der Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, noch immer auf einen sprachlichen Konflikt reduziert wird – also darauf, dass es eigentlich um eine jahrelange Unterdrückung der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine gehe”, meint Prugger im Vorgespräch zur UFO-Diskussion. Gerade wenn über die Ukraine und Russland gesprochen werde, dürfe man in Südtirol aber nicht von der eigenen Geschichte ausgehen: “Wenn wir im Bezug auf Russland und die Ukraine über „Separatismus“ oder „Annexion“ sprechen, müssen wir einen anderen historischen Kontext mitdenken: den russischen Imperialismus und die russische Propaganda”, so die Journalistin, die die Realität des Krieges täglich aus erster Hand miterlebt: “Russland hat die Ukraine überfallen. Ein Überfall, der sich nicht durch falsche Narrative und Lügen rechtfertigen lässt”.

 

Zurück zu den Alternativen

 

Während sich Daniela Prugger also auf das aktuelle Geschehen konzentriert und dieses - eingebettet in den kulturellen und sozialen Kontext von Krieg, Land und Menschen in der Ukraine - an ein europäisches Publikum zu vermitteln sucht, konzentriert sich Kurt Gritsch vor allem auf die historischen Wurzeln des Krieges. Auch ihm geht es darum, gängige Narrative zu überwinden, — wenn auch aus einer etwas anderen Perspektive: “Derzeit dominiert ein konfrontatives Narrativ voller Feindbilder, das Krieg als unvermeidlich und kontinuierliche Aufrüstung positiv darstellt”, so Gritsch. Er nimmt die Berichterstattung, die sich meist auf gegenwärtigen Ereignisse konzentriert und dabei die Frage der Waffenlieferungen in den Vordergrund stellt, kritisch wahr: “Dadurch, dass der jahrzehntelangen Vorgeschichte des Krieges kaum Bedeutung beigemessen wird, ist die Suche nach politischen Alternativen zu Waffenlieferungen und Krieg kaum ein Thema. Zurückzukehren zu den Wurzeln des Konflikts würde bedeuten, über versäumte Alternativen zu sprechen, die den Krieg vielleicht verhindert hätten und die in der Zukunft zumindest schrittweise wieder ein Thema werden könnten”, argumentiert der auf Konfliktforschung spezialisierte Medienwissenschaftler und Historiker.

Sowohl Prugger als auch Gritsch bringen also ihre ganz eigene Perspektive auf den Krieg mit ins Jugend- und Kulturzentrum UFO, wo sie - moderiert von Markus Lobis - am 19. Januar aufeinandertreffen.

 

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Peter Gasser Sa., 14.01.2023 - 09:10

Antwort auf von Christian I

Ja, “dieser Krieg hat tiefe Wurzeln”, sie reichen weit in die imperialistische Geschichte Russlands zurück, es muss die demographisch sehr negative Entwicklung der russischen Bevölkerung einbezogen werden, das Jahrhunderte andauernde ungeklärte Verhältnis zum mit einer scheinbaren Opferrolle, diese Wurzeln reichen weit in die Geschichte Putins zurück, des KGB-Agenten, in seine Sankt-Petersburger-Zeit, diese Wurzeln reichen bis Großny und Aleppo, die St.Petersburger Trollfabriken und die Finanzierung autokratischer rechtsgerichteter Politiker in Europa, den Brexit und Trump, der aus der Nato (für Putin) austreten wollte... der Donbass und die Krim zeigen sich dann “nur noch” als militärische Brückenköpfe für ein größeres imperiales und konservativ religiöses Vorhaben: den “3. großen Vaterländischen Krieg” mit der geplanten Hegemonie über ein konservativ-religiöses Europa unter der Schirmherrschaft des russischen “Zaren Putin”.

Sa., 14.01.2023 - 09:10 Permalink
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Armin Kobler Sa., 14.01.2023 - 09:42

Antwort auf von Peter Gasser

Genau. Denn es gibt immer noch welche, die glauben (wollen), dass Russland die Ukraine nicht überfallen hätte, hätte diese und der Westen geschickter in den Vorjahren agiert oder hätte sie mehr Rücksicht auf die russophone Minderheit im Osten gezeigt. Wir erinnern uns: kaum wurde der putinnahe Präsident der Ukraine abgesetzt, haben die russischen Destabilisierungsaktionen im Osten des Staates begonnen.

Sa., 14.01.2023 - 09:42 Permalink
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Peter Gasser Sa., 14.01.2023 - 10:24

Antwort auf von Peter Gasser

Zusatz:
Der “1. große vaterländische Krieg” Russlands war der Sieg gegen Napoleon;
der “2. große vaterländische Krieg” Russlands war der Sieg gegen Hitler;
mit dem “3. großen vaterländischen Krieg” Russland und dem Sieg gegen den dekadenten “Westen” will Putin, so zeigt rs sich, in die Glorie der russischen Geschichte eingehen, Russlands Hegemonie von “Wladiwostok bis Lissabon”;
der Potus Trump in Amerika, Xi in Ostasien und Zar Putin in Eurasien: das ist der derzeitige Wahn des Kreml, 3 despotische Herren regieren die Welt, und ER dabei...

Sa., 14.01.2023 - 10:24 Permalink
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Ludwig Thoma Sa., 14.01.2023 - 10:45

Antwort auf von Peter Gasser

Dieses manichäische Weltbild, wonach der Konflikt im Grunde mit der Person Wladimir Putin steht und fällt, wird dessen Verfechtern spätestens dann auf den Kopf fallen, wenn der Nachfolger Putins mit ungekannter Skrupellosigkeit A, B und C Waffen einsetzen lassen wird. Das ist meine größte Befürchtung. Aber für die schwarzweiß Denker bin dann wohl doch ein Putinversteher und sonstwas (bitte Herrn Gasser um eine Litanei) und selbstverständlich werden sie behaupten, diese Entwicklung hätten sie vorhergesagt.

Sa., 14.01.2023 - 10:45 Permalink
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Sigmund Kripp Fr., 13.01.2023 - 20:16

Die Position Gritschs möchte ich vergleichen mit der einer Schitourengeherin, die in eine Gletscherspalte gefallen ist, und sich dort darüber Gedanken macht, warum sie losgegangen ist, statt zuhause zu bleiben.
Ihre Priorität dürfte aber auf ihrer Rettung liegen, nicht in den Ursachen des Losgehens.
Die Positons Russlands aber ist, die Gletscherspalte zuzuschütten.

Fr., 13.01.2023 - 20:16 Permalink
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Josef Fulterer Sa., 14.01.2023 - 07:40

Antwort auf von Dietmar Nußbaumer

Statt "mit den Italienern zäh zu verhandeln," wie es 1949 Dr. Bernhard von Zallinger-Thurn in seinem Büchlein der SVP empfohlen hat, ist man in Südtirol den Weg "vom L O S von Trient," der 60er Bombenjahre und der Abhängung von einer vernünftigen wirtschaftlichen Entwicklung in jener Zeit gegangen.
Die "Abhandlung des Berhard von Zallinger," war den Dolomiten immerhin zwei Mal einen ganzseitigen Verriss wert, aber zu den "zähen Paket-Verhandlungen" hat Südtirol leider, erst deutlich später "die notwendige Einsicht gehabt."

Sa., 14.01.2023 - 07:40 Permalink
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Martin Daniel Sa., 14.01.2023 - 11:00

“Derzeit dominiert ein konfrontatives Narrativ voller Feindbilder, das Krieg als unvermeidlich und kontinuierliche Aufrüstung positiv darstellt”. Wenn ich an den medialen Raum denke, der den Russland-Verstehern in Italien und Deutschland geboten wird, so scheint mir im Unterschied zum, zur Aggression gezwungenen Opferland eine offene, wenngleich logischerweise die Gesellschaft spaltende Debatte erlaubt, möglich und stattfindend.
Was haben wohl die Menschen in Myanmar falsch gemacht, dass sich die dortigen Militärs gezwungen sahen, die Macht zu ergreifen und die Demokratie zu überwinden? Jedenfalls sollten sie nun ihre neue Lage mit buddhistischem Stoizismus ertragen, was nicht nur ihre moralische Überlegenheit demonstriert, sondern auch weiteres Blutvergießen verhindert. Im Übrigen ist die französische Revolution moralisch nicht zu rechtfertigen, wenn wir an all die Untertanen denken, deren Leben unnötigerweise geopfert wurde, nun, da der Freiheitsgedanke de- und mit neuem Sinn rekonstruiert wurde.

Sa., 14.01.2023 - 11:00 Permalink
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Peter Gasser Sa., 14.01.2023 - 13:08

Mein Gott - Sie können von diesem gleichermaßen verschwörungstheoretischen wie falschem russischen Propaganda-Narrativ nicht lassen. Auch für Sie gibt es die Ukraine als eigenständigen Willen und Akteur schlichtweg nicht.
...
Wenn einer eine Frau überfällt, vergewaltigt und tötet, sind alle anderen inklusive der Frau selbst Schuld, nur nicht der Mann, der die Tat durchführt!
Wenn einer einen Nachbarstaat, ein Volk überfällt und vergewaltigt und den Staat auslöschen will, sind alle anderen Schuld und dieses angegriffene Volk selbst, nur nicht der Angreifer, Plünderer, Vergewaltiger, Mörder, Vernichter.
.
Sie werden diese klassische Täter-Opfer-Umkehr weiterhin zum Besten geben und stereotyp wiederholen, wie ein anderer den Slogan “ich habe die Wahl gewonnen”, oder ein dritter “wir greifen die Ukraine nicht an”.
.
Selbstverständlich dürfen Sie das; in meinen Augen ist diese Täter-Opfer-Umkehr erbärmlich.
Putin hört nicht auf: soeben sind in Russland 17 russiche Tupolew-Bomber gestartet, um ihre Marschflugkörper in zivile Ziele der Ukraine zu feuern.
Und Sie werben hier ständig dafür, der Ukraine die nachbarschaftliche Hilfe zur Verteidigung dieser perversen Vernichtungsangriffe zu versagen... beschämend.
Verteidigungswaffen dürften nicht hinein in die Ukraine, russische Angriffswaffen hingegen schon, dagegen gibt es kein Wort von Ihnen. Sic!

Sa., 14.01.2023 - 13:08 Permalink
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Daniel Kraler Sa., 14.01.2023 - 14:46

"Was von russischer Seite als Blitzkrieg geplant war,... " ich denke diese Behauptung ist ein Trugschluss. Woher will man denn wissen was Russland geplant hat? Derzeit ist es so, dass die Zeit nicht auf der Seite der Ukraine zu sein scheint und die westlichen Partner immer mehr Investieren müssen um der Ukraine zu helfen. https://www.washingtonpost.com/opinions/2023/01/07/condoleezza-rice-rob…
Könnte es nicht sein, dass dieser Zermürbungskrieg von Anfang an geplant war, um den Westen militärisch zu schwächen?

Sa., 14.01.2023 - 14:46 Permalink
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Stefan S So., 15.01.2023 - 09:55

Antwort auf von Dietmar Nußbaumer

"den Dritten Weltkrieg zu verhindern." Diese Hoffnung teile ich voll und ganz mit Ihnen und das ist der größte gemeinsame Nenner in unserer Gesellschaft. Um das wie wird gerade heftig gerungen sowohl wirtschaftlich (sozial oder neoliberal) als auch gesellschaftlich (Autokratie oder Demokratie).
Noch ein gemeinsamer Nenner, keiner hat "Lust" diesen Krieg zu finanzieren.

So., 15.01.2023 - 09:55 Permalink
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Peter Gasser Mo., 23.01.2023 - 18:30

Antwort auf von Albert Mairhofer

Seit mindestens 2010 ist da Putin fleissig dran:
- überall in Europa bezahlte und korrumpierte er sich rechtskonservative Politiker;
- Überfall und Besetzung der Krim und von Transnistrien als Brückenköpfe für einen Angriffskrieg;
- Einflussnahme beim Brexit;
- Versuch, Trump dazu zu bewegen, aus der Nato auszutreten, um Teile Europas erobern zu können;
- Erpressung mit Energie;
- Ermordung Oppositioneller;
- Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen das ukrainische Volk;
- Drohungen mit Abwurf von Atombomben;
... und wohl noch einiges mehr.

Mo., 23.01.2023 - 18:30 Permalink