Politik | Raumentwicklung
Vision unklar
Foto: Vlado Sestan on Unsplash
Vergangenen November verabschiedete die Landesregierung einen Anhang zum sogenannten Landschaftsleitbild, dem Fachplan Landschaft. Damit soll den Gemeinden nach über zwei Jahren Wartezeit endlich die gesetzliche Grundlage für Bauanträge im Landwirtschaftsgebiet und im alpinen Grün gegeben werden, etwa für Bienenhäuser, Holzlagerplätze oder die Erweiterung gastgewerblicher Betriebe.
Auslöser für die Blockierung der Gemeinden war das 2018 genehmigte und 2020 in Kraft getretene „Gesetz für Raum und Landschaft“. Peter Kasal, Amtsdirektor für Landschaftsplanung, kennt die Historie des Gesetzes aus der Beamtenperspektive – und beurteilt sie als kritischer Denker.
Man kann sich nicht durch solch willkürliche Grenzziehungen aus der Planungsverantwortung davonstehlen.
„Im Jahr 2013 sind in der Raumordnung Personen ans Ruder gekommen, die auf Druck alles neu machen wollten, aber in die Materie leider nicht genügend Einblick hatten. Jedes Gesetz benötigt im Laufe der Zeit Anpassungen, aber man hatte eindeutig die Komplexität und die Zusammenhänge unterschätzt und leider auch nicht auf erfahrenere Personen gehört. Jetzt müssen wir uns zwar auf die Gegenwart konzentrieren, um die anstehenden Probleme zu lösen, aber es ist auch wichtig, zurückzuschauen, um solche Fehler in Zukunft zu vermeiden“, so Kasal.
Schwieriger Kompromiss
Nun versucht die Landesregierung, mit dem Anhang zum Landschaftsleitbild über Durchführungsbestimmungen gesetzliche Klarheit zu schaffen. Bis Mitte Jänner konnten Verbände und Bürger*innen ihre Stellungnahmen dazu einbringen, bis Mitte Februar gilt das für die Gemeinden.
Der Dachverband für Natur- und Umweltschutz kritisierte in seiner Stellungnahme bereits, dass mit dem Anhang zum Landschaftsleitbild das Bauen im Grünen erlaubt wird, obwohl das Gesetz für Raum und Landschaft das Gegenteil festlegt. Auch der Bauernbund kritisiert, dass die Durchführungsbestimmungen die eigenen Verbesserungsvorschläge, die an die Landesverwaltung übermittelt wurden, kaum berücksichtigt wurden.
Kasal überrascht der Widerstand nicht, doch „es ist offensichtlich, dass die Interessen und Vorstellungen mittlerweile diametral auseinander gehen. Damit ein Gesetz funktionieren kann, muss es aber von der breiten Bevölkerung mitgetragen werden. Wenn in wesentlichen Punkten kein Konsens besteht, kann das allerbeste Gesetz nicht viel ausrichten. Wenn jeder Interessensverband in eine andere Richtung zieht, kann man kein Ziel erreichen.“
Vielleicht ist die zuständige Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer genau aus diesem Grund so viel im Land unterwegs, um den Bürger*innen das Gemeindeentwicklungsprogramm (GEP) schmackhaft zu machen, sogar eine eigene Werbekampagne wurde dafür lanciert. Denn wie sonst gelingt politischer Konsens, wenn nicht durch die Diskussion verschiedener Visionen der Bürger*innen darüber, wie sich ihr Dorf, ihre Stadt weiterentwickeln soll?
Bisher scheint die Motivation der Gemeinden aber nicht sonderlich groß zu sein, weder das GEP auszuarbeiten noch dabei die Bevölkerung miteinzubeziehen. Außerdem ist in den Gemeindestuben noch wenig Wissen über partizipative Prozesse vorhanden, noch dazu sind die Finanzmittel vielerorts knapp.
Kuenzer will die Gemeinden mit Zuckerbrot und Peitsche trotzdem dazu bringen: Der Energiebonus darf laut einem Vorschlag aus ihrem Ressort nur auf Wohngebäude zugelassen werden, die sich innerhalb der Siedlungsgrenzen befinden. Die Siedlungsgrenzen aber müssen im besagten GEP erst definiert werden.
Amtsdirektor Kasal ist ein klarer Befürworter des GEP, da „es die Gemeinden dazu bringt, strategisch zu denken und in die Zukunft zu blicken, auch der übergemeindliche Ansatz ist sehr gut, die Gemeinden müssen mehr als bisher in Zusammenhängen denken, die Landschaft hört ja nicht an der Gemeindegrenze auf!“
Der Siedlungsgrenze hingegen kann Kasal weniger abgewinnen. „Bei den meisten Gemeinden, vor allem bei solchen mit Streusiedlungscharakter, ist es sehr schwierig wenn nicht unmöglich, eine vernünftige Siedlungsgrenze zu ziehen. Außerdem fördert es bereits jetzt die Spekulationen, weil man das Gebiet innerhalb der Grenze als potentielles Bauland auffasst. Dieser Ansatz ist einfach sehr problematisch. Denn wenn etwas sinnvoll ist, dann soll es realisiert werden dürfen, egal ob innerhalb oder außerhalb der Siedlungsgrenze, und unnütze Projekte werden auch nicht besser, nur weil sie sich innerhalb der Siedlungsgrenze befinden. Man kann sich nicht durch solch willkürliche Grenzziehungen aus der Planungsverantwortung davonstehlen!“
Baurechte
Das führt allerdings zu der nicht unwichtigen Frage, wann Gemeinden ein Bauvorhaben als notwendig erachten sollen und wann nicht. Hier holt Peter Kasal aus und scheut sich nicht, das große Ganze zu bemühen: „Südtirol wird noch immer hauptsächlich mit Landwirtschaft und Tourismus in Verbindung gebracht. Dabei generieren Handwerk und der Dienstleistungssektor die größte Wertschöpfung.“
Was also tun, Herr Amtsdirektor? „Unser Land hat im Unternehmertum und bei technischen Erfindungen eine lange Geschichte und hat bei Seilbahnen oder der Wasserkraft Pionierarbeit geleistet. Das sollte mehr geschätzt werden! Wenn also Bauland an die Wirtschaft vergeben wird, sollten Nachhaltigkeit und Innovation als Kriterien herangezogen werden.“
Für die ökologische Wende braucht es ökologische, regionale Produkte, die oft mehr kosten, und das müssen sich die Menschen leisten können.
Seine Position dürfte umstritten sein, schließlich geht in der Südtiroler Hotellerie der Trend in Richtung riesiger Ressorts mit Wellnessbereich. „Eine solche Anlage verbraucht gleich viel Wasser wie ein kleines Dorf“, meint Kasal dazu trocken. Ob diese Gastbetriebe angesichts knapper Wasserverfügbarkeit durch den Klimawandel für unsere Gesellschaft weiterhin leistbar sind, wird sich zeigen.
Auch in der Landwirtschaft könnte eine restriktive Baupolitik auf Widerstand stoßen. Schließlich kämpft gerade manch kleiner Milchbetrieb um seine Existenz und Urlaub auf dem Bauernhof ist für viele eine unverzichtbare Einnahmequelle, in die weiter investiert wird. Bauernbund-Obmann Leo Tiefenthaler forderte außerdem kürzlich, dass landwirtschaftliche Betriebe Agri-Camping anbieten dürfen.
Gleichzeitig betont Matthias Gauly, Professor für Nutztierwissenschaften- und management an der Uni Bozen, im Interview mit salto.bz, dass es für die Arbeit in landwirtschaftlichen Betrieben eine deutlich höhere Entlohnung braucht. Das bestätigt auch Peter Kasal vom Amt für Landschaftsplanung. „Für die ökologische Wende braucht es ökologische, regionale Produkte, die oft mehr kosten, und das müssen sich die Menschen leisten können!“ Leider geht auch in Südtirol die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander, wenngleich viele Menschen ihre Probleme aus Scham nicht zeigen wollen.
„Der Wandel hin zu Ökologie und Nachhaltigkeit kann nur mit einer gesunden Gesellschaft und einer Wirtschaft funktionieren, die in diesem Sinne vorgeht. Wenn wir nur Strom und Heizung abdrehen und sonst nichts tun, werden wir nichts erreichen. Es braucht schon etwas Kreativität!" Was also bleibt, ist der Anhang des Landschaftsleitbildes, das im besten Fall zur Blaustunde für eine nachhaltige Raumentwicklung unseres schönen Landes wird. Denn: „Naturschutz ist nicht nur die Arbeit mit Bäumen, sondern auch die Arbeit mit Menschen“, so Kasal.
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Außer den von der IDM
Außer den von der IDM aufgeblähten Umwelt-Tagen/Days und nichts-sagenden-hohlen Absichts-Erklärungen, hat die Landesregierung mit der Co-Finanzierung der über 2 Tonnen schweren E-Karossen und dem Cortineser mit Strom gekühlten Bobbahn-Unsinn, in Meran, in Percha, neue Schigebiete usw. laufend Entscheidungen getroffen, die in Zukunft die Klima-Krise erst recht kräftig befeuern!