Das Zivilgericht in der Viale Gulio Cesare in der römischen Innenstadt ist ab Montag (6. März) Schauplatz eines Verfahrens, das von Millionen Italienern mit erheblichem Interesse verfolgt werden dürfte. Dort haben die Richter/innen eine keineswegs leichte und sicher folgenschwere Entscheidung zu treffen. Es geht um komplexe Fragen politischer und medizinischer Verantwortung für die Covid-Epidemie, um vermeintliche Fehlentscheidungen und um Schadenersatzforderungen von insgesamt 100 Millionen Euro. Vor Gericht stehen 19 Angeklagte, darunter der damalige Regierungschef Giuseppe Conte, sein Gesundheitsminister Roberto Speranza und der frühere lombardische Regionalassessor für das Gesundheitswesen Giulio Gallera, ein seit Jahren heftig umstrittener Lokalpolitiker. Zu den Angeklagten gehört auch der bekannte Immunologe Andrea Crisanti, dem ein verfehltes Gutachten vorgeworfen wird.
Das Tagblatt La Stampa wählt dafür den Titel Medici contro toghe, eine vereinfachende Definition für einen komplexen Rechtsstreit. Die Kläger fordern Gerechtigkeit für über 6000 Personen, die in den Provinzen Bergamo und Brescia in der Pandemiewelle gestorben sind. Und bei vielen werden bittere Erinnerungen an jene langen Konvois von Militärlastwagen wach, die sich mit zahlreichen Särgen im Schutz der Dunkelheit aus Bergamo zu den überfüllten Krematorien bewegten.
Sowohl Conte als auch sein damaliger Gesundheitsminister weisen jede Verantwortung von sich, die rote Zone in den betroffenen Gebieten zu spät ausgerufen zu haben. Juristen werfen die Frage auf, ob das Agieren von Conte überhaupt justitiabel sei. Unterzeichnet ist die Klage von 520 Angehörigen von Covid-Opfern. Zu erwarten ist eine Prozessdauer von mehreren Jahren. Im Verfahren soll auch die Frage erörtert werden, ob die Regierung Conte trotz besorgniserregender Zahlen zu wenig Qurantänemassnahmen verfügt hat. Zur roten Zone wurde Bergamo erst am 8. März 2020 erkärt – zusammen mit der Lombardei und weiteren vier Provinzen Norditaliens. Drei Tage später verfügte Conte auch für den Rest des Landes den Lockdown. Allein die Anklageschrift umfasst 3.000 Seiten. Die Staatsanwälte: "Errori e omissioni causarono più morti". Conte rechtfertigt sich: "Lottavamo a mani nude."
Nach einem Gutachten hätten mindestens 4.000 der Toten in der Provinz Bergamo vermieden werden können, wenn die Behörden rechtzeitig eine rote Zone eingerichtet hätten. Auch der sattsam bekannte Streit um die mangelnde Maskenpflicht in Mailänder Krankenhäusern und Altersheimen wie dem Pio Albergo Trivulzio soll im Gerichtsverfahren zur Sprache kommen.
Der Direktor des angesehenen Mailänder medizinischen Forschungszentrums Istituto Negri, Giuseppe Remuzzi, kritisiert das Gerichtsverfahren: "Inutile cercare colpevoli, ma in tre anni per la sanità non è stato fatto nulla. Abbiamo bisogno di silenzio come quello del presidente Mattarella davanti alle bare dei naufraghi di Cutro."