Wirtschaft | Energiewende

Einfach mal machen

Altlandesrat Theiner und der Raiffeisenverband holen ein indisches Ausnahmetalent nach Bozen: Neel Tamhane über Stromnetze in Bangladesch und Solarenergie in Europa.
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Foto: Raiffeisenverband Südtirol
„Vor wenigen Tagen haben die großen Medien berichtet, dass die fünf größten Energiegesellschaften im letzten Jahr über 200 Milliarden Euro Gewinn ausgewiesen haben. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Menschen, für die Energie nicht leistbar ist. Über 700 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu Energie“, erklärt der ehemalige SVP-Landesrat Richard Theiner.
Der Politiker aus Mals hat heute (10. März) einen international renommierten Experten für dezentrale erneuerbare Energien nach Bozen gebracht: Neel Tamhane aus Indien hat es sich zur Aufgabe gemacht, in abgelegenen Gebieten von Entwicklungsländern solar-betriebene Mikronetze zu bauen. Im Sitz des Raiffeisenverbandes stellt er sich in einem Mediengespräch den Fragen von Journalist*innen und Interessierten.
 

Aktuelle Lage

 
Durch die Energiekrise haben erneuerbare Energien in Europa einen neuen Aufschwung erfahren, das Potential ist allerdings noch lange nicht ausgeschöpft. In Italien soll schon bald eine Förderprämie für den Eigenverbrauch von Energiegemeinschaften eingeführt werden, um vor allem den Ausbau der Solarenergie zu forcieren. In Südtirol ist das Interesse an den Energiegemeinschaften bei Gemeinden, Bürger*innen und Unternehmen groß. Sowohl der Raiffeisenverband als auch Coopbund bieten hierfür Unterstützung an.
 
 
Neel Tamhane beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit erneuerbaren Energien und im Spezifischen mit deren intelligenten Verteilung. Der international renommierte Experte für dezentrale erneuerbare Energien ist in vielen Ländern tätig und hat es sich zur Aufgabe gemacht, in abgelegenen Gebieten von Entwicklungsländern solar-betriebene Mikronetze zu bauen. Die Haushalte stellen über Heim-Solaranlagen ihre eigene Energie her, speichern sie mittels Batterie und können überschüssige Energie untereinander tauschen und verkaufen. Der Profit bleibt im Ort und schafft Unabhängigkeit von großen Energiekonzernen. Die Anfänge dafür begannen in Bangladesch.
Außerdem arbeitet Tamhane an dem Solarprojekt von Space10, einem von Ikea finanzierten Forschungslabor, in Kopenhagen. Er wurde 2020 vom Time Magazine als einer von sechs „Innovators Who are Shaping the World“ (Innovatoren, die die Welt gestalten) ernannt und war im selben Jahr Sprecher auf dem Weltwirtschaftsforum von Davos.
„Neel Tamhane verkörpert ein System, das gerade eine andere Richtung geht, wo die Menschen Verantwortung übernehmen, sich in Genossenschaften organisieren und nicht auf eine Rettung warten“, so Theiner. Die eigene Initiative zu ergreifen, zeichne auch die Genossenschaften hierzulande aus. Bei der Energiewende könnten diese eine neue wichtige Rolle übernehmen. Das betont auch Robert Zampieri, Generaldirektor des Raiffeisenverbandes Südtirol.
 
 

Fallbeispiel Bangladesch

 
„In Bangladesch produzierten im Jahr 2015 fünf Millionen Haushalte im ländlichen Raum Solarenergie für den Eigengebrauch. Es sind Menschen, die von der Hand in den Mund leben und kleine Felder bewirtschaften. Das war für uns der Startpunkt“, erklärt Tamhane in Bozen. Er war gemeinsam mit drei anderen Technikern aus Berlin nach Bangladesch gegangen, um das Unternehmen Solshare aufzubauen.
Die Solarpanels der Haushalte waren über kleine Kredite abbezahlt worden und produzierten mehr Energie, als die Haushalte nutzten. „Wir boten ihnen mit unserer Technologie die Möglichkeit, die überschüssige Energie zu sammeln und günstig weiterzuverkaufen. Jeder Gewinn aus dem Energiemarkt kommt so der lokalen Wirtschaft zugute. Dass sie die Kontrolle über ihre eigenen Energiesysteme hatten, hat sie sehr stolz gemacht.“
„In Zukunft werden wir in unserem Zuhause nicht nur Energie kaufen, sondern sie selbst produzieren. Diese Bewegung wird weltweit immer stärker und Italien hat beste Voraussetzungen dafür – besonders in Regionen, wo bereits Infrastrukturen dafür existieren“, so Tamhane. Außerdem habe die Wasserkraft in Südtirol das Potential, eine Grundversorgung für Strom zu garantieren.
 

Solarpanels

 
Solarpanels und Batterien werden mit knappen Ressourcen produziert. Wie etwa Lithium-Batterien recycelt werden können, erforschte der Ingenieur im Forschungslabor Space10, das von Ikea finanziert wird. „Ikea ist eine große Möbelmarke, die für demokratisches, gutes und erschwingliches Design bekannt ist. In den letzten dreieinhalb Jahren arbeiteten wir daran, einen Prototyp eines Solarsystems zu entwickeln, das jede*m den Zugang zur Energiewende ermöglicht. Der Prototyp wurde für Indien entwickelt, wird aber nun auch in Spanien und Deutschland getestet. Wenn es klappt, sollten die Solarmodule zu einem bestimmten Zeitpunkt in den Filialen verfügbar sein.“
Das Recycling von Batterien nimmt im Forschungsprojekt einen wichtigen Stellenwert ein. „Bei der Produktion von recycelten Lithium-Batterien fällt nur die Hälfte der Kosten an, ihre Effizienz beträgt 80 Prozent von neuen Batterien. Die Entwicklung von recycelten Batterien wird aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen“, erklärt Tamhane.
 
 
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Gianguido Piani Fr., 10.03.2023 - 16:42

Gibt es auch in Bangladesch Großenergieunternehmen, die alles tun, um jegliche Konkurrenz zu verhindern? Zum Beispiel, durch extreme Regulierung, Gesetzparagraphen, Patente, die Innovationen verhindern und viel mehr? Gibt es eine Südostastiatische Union, die alles hindert, was nicht nach den eigenen, sehr theoretischen Regeln konkurrenzfähig ist?
Bozen hatte bis vor wenigen Jahren eigene Stadtwerke. Diese durften jedoch aufgrund EU und nationaler Regeln den Strompreis aus eigener Erzeugung nicht allein bestimmen, genauso wie heute die Stadtwerke Brixen und Bruneck es auch nicht dürfen. Stadtwerke mag die EU grundsätzlich nicht. Giganten in fiktiver Konkurrenz sind ihr viel lieber.
Das Regelwerk der Energiegemeinschaften ist noch nicht abgeschlossen und schon extrem kompliziert. Unter anderem sind es in Italien sieben Arten von Gemeinschaften vorgesehen, die sich durch winzige Details unterscheiden. Beim Einreichen eines Antrags aufpassen, dass die richtige Art identifiziert wird, sonst geht die Förderung verloren! Zum Vergleich: Deutschland hat kein Gesetz über Energiegemeinschaften und keine Förderung, aber etwa 1000 aktive EG.
Entscheidend für die Verwendbarkeit der Beispiele im Artikel ist jedoch ein anderer Punkt. In Italien sind Mikronetze, wie im Artikel beschrieben, verboten. Ref. Testo Integrato dei Sistemi di Distribuzione Chiusi: Allegato A alla deliberazione ARERA 12 novembre 2015, 539/2015/R/eel.

Fr., 10.03.2023 - 16:42 Permalink
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Stefan S Fr., 10.03.2023 - 17:03

Antwort auf von Gianguido Piani

Der Strommarkt wird in den nächsten Jahren, insbesondere in der EU, ein Haifischbecken bleiben weil Strom der "neue" Brennstoff ist. Von diesem zu verteilenden Kuchen werden sich vor allem die internationalen Konzerne und alle Staaten das größte Stück abschneiden. Eine Deregulierung und Liberalisierung zu Gunsten von Genossenschaften und somit für den Endverbraucher ist nicht gewünscht.

Fr., 10.03.2023 - 17:03 Permalink
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Gianguido Piani Fr., 10.03.2023 - 19:59

Antwort auf von Dietmar Nußbaumer

Eine Vermutung. In der Energiewirtschaft muss man groß sein, um gut zu verdienen. Jetzt gibt es einige winzige Öffnungen für die lokale Energieerzeugung, aber die Stromgiganten haben keine Lust, auch einen minimalen Teil ihres Geschäfts anderen zu überlassen.
Die großen Unternehmen haben immer die Möglichkeit das Regelwerk zu beeinflussen, von der EU-Gesetzgebung bis zu den technischen Anlagenanforderungen. Energiegemeinschaften, die noch gar nicht existieren, haben keine Lobbypower in Brüssels. As easy as that.

Fr., 10.03.2023 - 19:59 Permalink
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Josef Fulterer Mo., 13.03.2023 - 07:17

Antwort auf von Stefan TAFERNER

Seit Ess-, Mess- und Zähl-bares von arbeitenden Menschen geerntet, erarbeitet oder geschaffen wurde, hat es baldigst jene Typen gegeben, die sich davon "mit ihrem Zehent, Abgaben, Gebühren oder Steuern ein besseres Leben beschert haben, ohne dafür zu arbeiten."
Beim selber produzierten Strom wird die gierige Meute recht bald hinlangen.

Mo., 13.03.2023 - 07:17 Permalink