Gesellschaft | Über die Freiwilligkeit

Von Kinderarbeit und Prostitution

Heute Früh wurde über die Kommentar-Funktion ein Januar-Artikel von Oliver Hopfgartner – ich verlinke den Text nebenan – aus der Versenkung geholt. Er schreibt darin über Prostitution, ihre Für, ihre Wider, über ein Thema also, das mich sehr beschäftigt, weil ich glaube, dass die Prostitution – die Idee, die ihr innewohnt – die Ur- und Übermutter aller Gewalt an Frauen ist. Ich nutze also gern die Gelegenheit, um das Thema aufzugreifen, und einmal den Aspekt der so genannten „Freiwilligkeit“ ein bisschen näher zu beleuchten. Denn die „Freiwilligkeit der Dienstleistungen“ ist ja ein Lieblings-Argument der Männer, die sich – und mit welcher Vehemenz! – dafür engagieren, dass Prostitution, wie wir sie kennen, bloß ja nicht verboten werde.
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Aber: Freiwillig ist nicht gleich freiwillig, und das beschreibt sehr schön der Artikel "Wir wollen arbeiten!" http://www.zeit.de/2014/01/kinderarbeit-bolivien, in dem es – jawohl – um Kinderarbeit geht. Das mag auf den ersten Blick nichts mit Prostitution zu tun haben, hat es aber auf den zweiten dritten und vierten Blick sehr viel mehr, als man meinen möchte.

Denn es geht um dasselbe Prinzip von „Freiwilligkeit“, soll heißen um eine Freiwilligkeit, die aus der Not geboren wird. Oliver beschreibt das in seinem „Prostitution-Ja-Bitte“-Text so:

Wer also die Prostitution abschaffen will, damit Menschen in ökonomischer Not nicht mehr ihren Körper verkaufen müssen, sollte sich eher um eine anständige Wirtschaftspolitik denn um das Verbot einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs gegen Geld bemühen.

Damit hat Oliver natürlich recht, aber "die anständige Wirtschaftspolitik" ist bis auf weiteres nicht der Kern der Lösung, sondern  - wie ich vermute - ein Ablenkungsmanöver. Und jedenfalls geschieht die "Einvernehmlichkeit" wohl mehrheitlich auf der Seite des Freiers denn auf jener der Prostituierten (mit Ausnahme jener Damen, die an einem Abend mehrere Tausend Euro verdienen. In diesen Fällen dürfte einvernehmliche Einvernehmlichkeit herrschen).

Denn es geht den wackeren Recken, die sich so beherzt für die Prostitution engagieren, doch in Wahrheit gar nicht - oder nur unter "ferner liefen" -  um die „Menschen, die in ökonomischer Not ihren Körper verkaufen (müssen)“, es geht nicht um ihre Not, nicht um ihre Gesundheit und nicht um ihren Schutz; es geht in Wahrheit um die Not (ja!), um die Gesundheit und um den Schutz der ureigenen Interessen derer, die sich die ökonomische Not dieser Frauen zunutze machen, sie ausnutzen, aus niedrigen und niedrigsten Gründen, um sich dann vermutlich ein bisschen besser zu fühlen, weil sie schließlich einem Menschen (einer Frau!) in der Not geholfen haben.

Dabei liest sich aus dem Phänomen Prostitution, aus der Art, wie die Debatte darüber geführt wird und aus den "Argumenten" derer, die sich als liberale, aufgeschlossene und den Frauen wohl gesinnte Geister hervortun, doch vor allem eins: Dass die Frau auch im Jahre 2014 und allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz immer noch nicht mehr und nicht weniger ist als „Etwas“  und dieses „Etwas“ ist der Gesellschaft, seien wir doch ehrlich, weniger wert als gechlorte Billig-Hühnchen oder genmanipulierte Billig-Nahrungsmittel aus Übersee… was ist dagegen schon der billige Preis, den eine Frau, die ja im Übrigen eh fast unsichtbar ist, für die Zur-Verfügung-Stellung ihres Körpers verlangen kann, weil sie in Not ist? Und weil den Nötiger das einen Dreck schert?

Ja, so schaut’s aus: Die Frau hat den Schaden, und den Spott dazu, man kann’s drehen und wenden, wie man mag. Grad neulich habe ich das hier gelesen, an einem Ort, wo man sich für die Rechte von Prostituierten einsetzt – mich persönlich schaudert’s, um genau zu sein:

„Nein, das schwedische Modell wirkt nicht Wunder. Es hat Menschenhandel nicht reduziert noch Prostitution sicherer gemacht. (Schwedische) Prostituierte werden per Gesetz als psychisch krank und als unmündige Opfer deklariert, während die Ausländer*innen unter ihnen als Gefahr für die Öffentliche Sicherheit eingestuft werden und abgeschoben werden. Die Politik behandelt Sexarbeiter*innen wie Monster und führt damit eine Politik der Dämonisierung und Exklusion von Sexarbeiter*innen fort, die schon seit jeher patriarchale Gesellschaften kennzeichnet. Herrje, wie kann man nur auf die Idee kommen, das irgendwie gut zu finden.“ (Menschenhandel und moderne Sklaverei heute, facebook).

Die Frage sei erlaubt: Wessen Geist versteckt sich hinter diesen Zeilen, und mehr noch hinter diesen Tatsachen (denn daran zweifle ich nicht.)?

Interessant übrigens, wie auch im Zusammenhang mit der Prostitution "das Verbot" an die Stelle des (hier:) Mannes gesetzt wird, ganz so, als sei es, das Verbot, ein lebendiges Wesen und könne (wahlweise) Frauen schädigen/Alkohol kaufen/zu schnell Auto fahren/Drogen konsumieren usw. usf.

Nie, oder fast nie, ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, wird das Thema um denjenigen herum gestrickt, der die Hauptrolle spielt in diesem Drama: Irgendwie kommt die Rolle des Freiers nie so richtig zum Tragen, wird so gut wie gar nicht thematisiert. Dabei ist doch er das so genannte „Schlüsselmoment“, denn: Faire Freier, faire Preise. Faire Freier, keine Notverkäufe. Faire Freier, glückliche Huren. Umgekehrt geht auch. Aber es gelingt scheinbar nicht - oder soll nicht gelingen -, die Diskussion dorthin bringen zu bringen, wo Mann – wer sonst? – sie vermutlich nicht haben will, und ich frage lieber nicht nach dem Warum.

Die Frage ist also nicht, ob Prostitution verboten werden soll oder nicht, und die Frage ist vermutlich und leider bis auf weiteres auch nicht, welche wirtschaftlichen Bedingungen und wie hergestellt werden müssen (das wäre, eh klar, der Königsweg), damit Frauen (und Kinder) souverän entscheiden können, ob und zu welchen Bedingungen sie arbeiten wollen; die Frage muss vielmehr lauten: Welche Rolle spielen die Auftraggeber? Und was können sie tun, für ihre Dienstleisterinnen? Denn, noch einmal: Wer die Macht hat, hat auch die Verantwortung. Daran führt kein Weg vorbei.