Gesellschaft | Über die Freiwilligkeit

Von Kinderarbeit und Prostitution

Heute Früh wurde über die Kommentar-Funktion ein Januar-Artikel von Oliver Hopfgartner – ich verlinke den Text nebenan – aus der Versenkung geholt. Er schreibt darin über Prostitution, ihre Für, ihre Wider, über ein Thema also, das mich sehr beschäftigt, weil ich glaube, dass die Prostitution – die Idee, die ihr innewohnt – die Ur- und Übermutter aller Gewalt an Frauen ist. Ich nutze also gern die Gelegenheit, um das Thema aufzugreifen, und einmal den Aspekt der so genannten „Freiwilligkeit“ ein bisschen näher zu beleuchten. Denn die „Freiwilligkeit der Dienstleistungen“ ist ja ein Lieblings-Argument der Männer, die sich – und mit welcher Vehemenz! – dafür engagieren, dass Prostitution, wie wir sie kennen, bloß ja nicht verboten werde.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Aber: Freiwillig ist nicht gleich freiwillig, und das beschreibt sehr schön der Artikel "Wir wollen arbeiten!" http://www.zeit.de/2014/01/kinderarbeit-bolivien, in dem es – jawohl – um Kinderarbeit geht. Das mag auf den ersten Blick nichts mit Prostitution zu tun haben, hat es aber auf den zweiten dritten und vierten Blick sehr viel mehr, als man meinen möchte.

Denn es geht um dasselbe Prinzip von „Freiwilligkeit“, soll heißen um eine Freiwilligkeit, die aus der Not geboren wird. Oliver beschreibt das in seinem „Prostitution-Ja-Bitte“-Text so:

Wer also die Prostitution abschaffen will, damit Menschen in ökonomischer Not nicht mehr ihren Körper verkaufen müssen, sollte sich eher um eine anständige Wirtschaftspolitik denn um das Verbot einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs gegen Geld bemühen.

Damit hat Oliver natürlich recht, aber "die anständige Wirtschaftspolitik" ist bis auf weiteres nicht der Kern der Lösung, sondern  - wie ich vermute - ein Ablenkungsmanöver. Und jedenfalls geschieht die "Einvernehmlichkeit" wohl mehrheitlich auf der Seite des Freiers denn auf jener der Prostituierten (mit Ausnahme jener Damen, die an einem Abend mehrere Tausend Euro verdienen. In diesen Fällen dürfte einvernehmliche Einvernehmlichkeit herrschen).

Denn es geht den wackeren Recken, die sich so beherzt für die Prostitution engagieren, doch in Wahrheit gar nicht - oder nur unter "ferner liefen" -  um die „Menschen, die in ökonomischer Not ihren Körper verkaufen (müssen)“, es geht nicht um ihre Not, nicht um ihre Gesundheit und nicht um ihren Schutz; es geht in Wahrheit um die Not (ja!), um die Gesundheit und um den Schutz der ureigenen Interessen derer, die sich die ökonomische Not dieser Frauen zunutze machen, sie ausnutzen, aus niedrigen und niedrigsten Gründen, um sich dann vermutlich ein bisschen besser zu fühlen, weil sie schließlich einem Menschen (einer Frau!) in der Not geholfen haben.

Dabei liest sich aus dem Phänomen Prostitution, aus der Art, wie die Debatte darüber geführt wird und aus den "Argumenten" derer, die sich als liberale, aufgeschlossene und den Frauen wohl gesinnte Geister hervortun, doch vor allem eins: Dass die Frau auch im Jahre 2014 und allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz immer noch nicht mehr und nicht weniger ist als „Etwas“  und dieses „Etwas“ ist der Gesellschaft, seien wir doch ehrlich, weniger wert als gechlorte Billig-Hühnchen oder genmanipulierte Billig-Nahrungsmittel aus Übersee… was ist dagegen schon der billige Preis, den eine Frau, die ja im Übrigen eh fast unsichtbar ist, für die Zur-Verfügung-Stellung ihres Körpers verlangen kann, weil sie in Not ist? Und weil den Nötiger das einen Dreck schert?

Ja, so schaut’s aus: Die Frau hat den Schaden, und den Spott dazu, man kann’s drehen und wenden, wie man mag. Grad neulich habe ich das hier gelesen, an einem Ort, wo man sich für die Rechte von Prostituierten einsetzt – mich persönlich schaudert’s, um genau zu sein:

„Nein, das schwedische Modell wirkt nicht Wunder. Es hat Menschenhandel nicht reduziert noch Prostitution sicherer gemacht. (Schwedische) Prostituierte werden per Gesetz als psychisch krank und als unmündige Opfer deklariert, während die Ausländer*innen unter ihnen als Gefahr für die Öffentliche Sicherheit eingestuft werden und abgeschoben werden. Die Politik behandelt Sexarbeiter*innen wie Monster und führt damit eine Politik der Dämonisierung und Exklusion von Sexarbeiter*innen fort, die schon seit jeher patriarchale Gesellschaften kennzeichnet. Herrje, wie kann man nur auf die Idee kommen, das irgendwie gut zu finden.“ (Menschenhandel und moderne Sklaverei heute, facebook).

Die Frage sei erlaubt: Wessen Geist versteckt sich hinter diesen Zeilen, und mehr noch hinter diesen Tatsachen (denn daran zweifle ich nicht.)?

Interessant übrigens, wie auch im Zusammenhang mit der Prostitution "das Verbot" an die Stelle des (hier:) Mannes gesetzt wird, ganz so, als sei es, das Verbot, ein lebendiges Wesen und könne (wahlweise) Frauen schädigen/Alkohol kaufen/zu schnell Auto fahren/Drogen konsumieren usw. usf.

Nie, oder fast nie, ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, wird das Thema um denjenigen herum gestrickt, der die Hauptrolle spielt in diesem Drama: Irgendwie kommt die Rolle des Freiers nie so richtig zum Tragen, wird so gut wie gar nicht thematisiert. Dabei ist doch er das so genannte „Schlüsselmoment“, denn: Faire Freier, faire Preise. Faire Freier, keine Notverkäufe. Faire Freier, glückliche Huren. Umgekehrt geht auch. Aber es gelingt scheinbar nicht - oder soll nicht gelingen -, die Diskussion dorthin bringen zu bringen, wo Mann – wer sonst? – sie vermutlich nicht haben will, und ich frage lieber nicht nach dem Warum.

Die Frage ist also nicht, ob Prostitution verboten werden soll oder nicht, und die Frage ist vermutlich und leider bis auf weiteres auch nicht, welche wirtschaftlichen Bedingungen und wie hergestellt werden müssen (das wäre, eh klar, der Königsweg), damit Frauen (und Kinder) souverän entscheiden können, ob und zu welchen Bedingungen sie arbeiten wollen; die Frage muss vielmehr lauten: Welche Rolle spielen die Auftraggeber? Und was können sie tun, für ihre Dienstleisterinnen? Denn, noch einmal: Wer die Macht hat, hat auch die Verantwortung. Daran führt kein Weg vorbei.

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Michael Bockhorni Di., 13.05.2014 - 22:27

trifft bei diesem thema sicher zu. es gibt durchaus einiges in der europäischen diskussion zum thema freier und es gibt auch konträre standpunkte zu diesem thema von frauen (sowohl von protituierten als auch von hilfsorganisationen). mein persönliches resümee ist, dass die sache eben nicht so schwarz - weiß ist, dass alle sichtweisen etwas richtiges haben, aber auch etwas aus dem blick lassen, dass es sich aber m.M. lohnt sich mit den verschiedenen standpunkten auseinanderzusetzen.

Di., 13.05.2014 - 22:27 Permalink
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Sylvia Rier Mi., 14.05.2014 - 07:16

Antwort auf von Michael Bockhorni

bin noch keinem einzigen Text zu diesem Themenkomplex (Mainstream-Medien) begegnet, in dem die Rolle des Freiers ihrer Gewichtung entsprechend besprochen/ausgeleuchtet/was-du-willst geworden wäre. Du etwa? Warum ist das so? Denn der Freier spielt doch eine Hauptrolle, oder? Und wenn z. B. im Zusammenhang mit Produkten, für deren Herstellung Menschen ausgebeutet werden, die Konsumenten (!!!) mobil gemacht/zu Boykotten aufgerufen werden - warum passiert dasselbe nicht im Sinne der Prostituierten? Wo ist die, Beispiel, Hausnummer, breit angelegte Sensibilierungskampagne? Mit Plakatwänden und Großanzeigen in der "Dolomiten" (ha! i falsi perbenisti)? Wovor haben wir denn Angst?? Was mich aber nicht minder fasziniert, ist die Tatsache, dass z. B. zum Thema "Kinderarbeit" - wo es doch um exakt dieselbe Problematik geht - sich niemand erhitzt, vor allem keine Männer. Ich erkenne da sehr wohl eine eklatante Ungleich-Gewichtung, und die beruhigt mich nicht besonders.

Mi., 14.05.2014 - 07:16 Permalink
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Michael Bockhorni Do., 15.05.2014 - 12:37

Antwort auf von Michael Bockhorni

nachdem ich die intensve debatte inkl. deiner antworten, liebe silvia, so einigermassen verfolgt und den zeit artikel gelesen habe, weiß ich dennoch nicht was du genau meinst. hier der versuch auf ein paar aspekte bzw. aufgeworene fragen zu antworten.
a) verantwortung des/der konsumentIn bei ausbeuterischen produktionsbedingungen (kinderarbeit und prostitution): fast alle bis sehr viele konsumieren die unter solchen bedingungen hergestellt werden. die not anderer zu nutze machen sich viele / alle in der landwirtschaft und z.t. in der gastronomie die il/legale zu umenschlichen bedingungen beschäftigen.
b) männer und kinderarbeit: ich weiß nicht, wie du auf den gedanken kommst, das sich zu diesem thema keine männer zu wort melden? kinderarbeit gibt es, weil erwachsene zu wenig verdienen und somit sind wir m.E. wieder bei punkt a) produkte von kinderarbeit sind zahlreich auch in südtirol vorhanden (sylvesterknaller, kakao, usw.). kinderarbeit war bis vor einigen jahrzehnten aus den gleichen gründen auch in europa inkl. südtirol verbreitet.
c) männer und prostitution: denkst du an einen "transfairsiegel" für prostituierte? viel grausamer finde ich die rolle von männern im menschenhandel, welche diese mädchen aus ländern mit wirtschaftlicher not zuerst mit versprechungen, dann mit gewalt rekrutieren. doch auch dieses phänomen gibt es genauso wieder bei erwachsenen, siehe die zustände beim bau der stadien für die fußball wm in katar.

Do., 15.05.2014 - 12:37 Permalink
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Sylvia Rier Mi., 14.05.2014 - 06:54

Antwort auf von Mensch Ärgerdi…

("falsi perbenisti" finde ich übrigens eine interessante Wortkombination, da muss ich jetzt nochmal genauer darüber nachdenken). Ich glaube, wo davon ausgegangen werden kann, dass eine Entscheidung - für Prostitution, aber auch für Kinderarbeit - eine souveräne Entscheidung ist, und eine freie Wahl, ist sie (aber auch die Kinderarbeit, wie sie im Artikel beschrieben wird), zu akzeptieren, allenfalls in Oliver's Sinne zu organisieren. Würden Sie sagen, dass mindestens 80 Prozent der Frauen, die sich in Europa prostituieren, sich souverän dafür entschieden haben? Und glauben Sie, dass sie angemessen verdienen? Und was Sie eigentlich zu der Kinderarbeit, wie oben beschrieben?

Mi., 14.05.2014 - 06:54 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Mi., 14.05.2014 - 09:31

Antwort auf von Mensch Ärgerdi…

Nein würde ich nicht, es geht aber ums Prinzip bzw. um die Grundeinstellung die wir zum Thema haben. Sie stimmen zu dass es eine freie Entscheidung gibt und geben kann, aber Sie stellen fest dass es meist nicht so ist. Deswegen verlangen sie ein Verbot der die Freier bestraft um diese umzuerziehen und somit nicht das Angebot sondern die Nachfrage verschwinden zu lassen.
Sehen Sie aber nicht ein, dass Sie im Grunde nichts gegen Prostitution haben sondern nur gegen die Ausbeutung von denen die sie betreiben? Da Prohibition nie und nimmer was gebracht hat, wäre es nicht besser diese Dienstleistung zu reglementieren und den Arbeiterinnen (und Arbeitern) Schutz und Macht zu bieten?
Ich glaube ihre Argumentation der pseudo freien Entscheidung gilt für viele aus der Not gedrungenen Arbeitern wie z.B. die vielen meist illegal eingewanderten Tagelöhner an Baustellen oder Arbeitern in chinesischen Textilfabriken von denen man in den italienischen Nachrichten manchmal hört. Auch diese ganzen Leute brauchen doch in erster Linie Schutz vor Ausbeutung, deswegen muss man nicht die Arbeit der sie nachgehen verbieten sondern die Art wie sie ausgeübt wird.

Mi., 14.05.2014 - 09:31 Permalink
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Sylvia Rier Mi., 14.05.2014 - 06:56

sagt eigentlich keiner von Ihnen/euch etwas über die Kinderarbeit? Denn es geht dort doch um dieselbe Problematik - oder doch nicht?!

Mi., 14.05.2014 - 06:56 Permalink
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Profil für Benutzer Stephan Kerschbaumer
Stephan Kerschbaumer Mi., 14.05.2014 - 16:48

Antwort auf von Sylvia Rier

15 Beiträge innerhalb eines Tages, das ist schon ziemlich viel. Dachte ich mir zumindest und schaute herein. Wie ich feststellen musste kamen (fast alle) Beiträge von Männern. Das ist schon bezeichnend für die Debatte um die Prostitution; zumindest ist dies nicht schmeichelhaft für jenes Geschlecht, dem ich nun einmal auch angehöre.

Viel wurde geschrieben - nicht nur hier - über die sexuelle Freiheit. Damit man mich nicht falsch versteht: die sexuelle Freiheit ist ein hohes Gut und ein Grundrecht einer/eines Jeder/Jeden in unserer Gesellschaft; nicht zuletzt dem Kampf vieler, v.a. 68er, ist dieser Umstand zu verdanken; wenn wir aber ehrlich sind, so handelt diese ganze Debatte eigentlich um die sexuelle "Freiheit", sprich der Macht, der Freier, nicht die der Prostituierten oder - im harmlos daherkommenden Neudeutsch - SexarbeiterInnen.

Ich möchte hier aber auf das Thema der Kinderarbeit genauer eingehen. Ich bin der Meinung, dass diese beiden Themen zum einen vergleichbar sind, ob der asymmetrischen Machtverteilung sowie auch der sklavenähnlichen Bedingungen, in denen KinderarbeiterInnen leben müssen. In unserer Gesellschaft ist Kinderarbeit daher zurecht geächtet und zurecht müssen wir uns einsetzen, dass die Kinderarbeit auch in den anderen Teilen der Erde geächtet wird. Nicht zuletzt unser Konsumverhalten ist dabei ausschlaggebend.
Auf der anderen Seite handelt es sich um verschiedene Problemstellungen, die meiner Meinung nach gesondert zu betrachten sind. Das Problem der Kinderarbeit ist vielfältig. Es gibt Länder, in denen KinderabeiterInnen als Sklaven gehalten werden, teilweise sogar wie Sklaven verkauft werden. Misshandlungen, Vergewaltungen, Morde und andere schlimme Dinge, die ich mir nicht ausmalen kann, sind die Folge. EinE KinderarbterIn ist eine Ware - austauschbar.
Bei den Kindergewerkschaften in Südamerika liegt das Problem anders. Ich kenne deren Situation nur aus zweiter Hand, aber soweit ich die Lage verstanden, arbeiten diese Kinder scheinbar "freiwillig". Sie gehen morgens zur Arbeit - wie es die meisten Erwachsenen in unseren Breitengraden auch tun - und tragen zum Familienunterhalt bei - was sie auch ein wenig mit Stolz erfüllt. Dennoch ist zu bemerken, dass dies in einem gesellschaftlichen Umfeld passiert, in dem Kinderarbeit Gang und Gebe ist. Sollte in diesen Ländern die Kinderarbeit über Nacht verboten werden, so führte das zu sozialen Verwerfungen; den Familien fehlte schlichtweg das Einkommen. Es ist dieser Umstand, der diese Kinder auf die Straße und damit in die gewerkschaftliche Organisation bringt. Es wäre falsch zu sagen, wie ich es bei manchem schon gehört habe, dass diese Art der Kinderarbeit nicht weiter schlimm sei. "Besser Kinderarbeit als verhungern", sozusagen. Der Trugschluss ist Kinder mit Erwachsenen gleichzusetzen wenn es um deren Willensbildung und Willensbekundung geht. Dem ist keineswegs der Fall. Ziel muss es somit sein ein Gesellschafts- und Wirtschaftssystem zu etablieren, in dem es die Eltern sind, die arbeiten und die Kinder einfach Kinder sind. Was für eine revolutionäre Idee!

Mi., 14.05.2014 - 16:48 Permalink
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gorgias Do., 15.05.2014 - 14:14

Antwort auf von Sylvia Rier

keine andere Frau geäußert hat ist wohl besser?
Und die Autorin selbst hat sich dem Thema nur gewidmet um gegen die Prostitution auf eine unredliche Weise zu argumentieren oder befindet sich unter der Vielzahl an Artikeln die Silva Rier verfasst hat einen der sich ausschließlich der Problematik der Kinderarbeit widmet?

Do., 15.05.2014 - 14:14 Permalink
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Stephan Kerschbaumer Do., 15.05.2014 - 16:31

Antwort auf von Sylvia Rier

Leider verstehe ich diese rhetorische Frage nicht, ansonsten hätte ich nicht so freundlich nachgefragt :-)

Also frage ich erneut: Weshalb sollte es denn besser sein, wenn Frauen sich nicht zum Thema äußern?

Do., 15.05.2014 - 16:31 Permalink
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Stephan Kerschbaumer Do., 15.05.2014 - 19:00

Antwort auf von Sylvia Rier

Ich sehe wir haben gewisse Kommunikationsschwierigkeiten. Rhetorische Fragen sind mir ein Begriff. Mir ist dennoch schleierhaft geblieben, was Sie/Du (also ich finde das Du wesentlich besser, aber da überlasse ich die Entscheidung Ihnen) mit dieser rhetorischen Fragen zum Ausdruck bringen wollten. Vielleicht liegt das auch daran, dass der Satz "dass sich hier bis auf die Autorin selbst keine andere Frau geäußert hat ist wohl besser?" in seiner Syntax nicht ganz klar ist.
Aufgrund unserer "Schwierigkeiten" greife ich vor und sage meine Meinung zum Thema: mein Eindruck, nicht zuletzt aufgrund der Historie dieses Beitrags und dessen Kommentare ist, dass das Thema Prostitution viele Männer bewegt, aber nicht gleich viele Frauen. Ja, ich weiß wer Alice Schwarzer und Co. sind. Dennoch, betrachtet man die "nicht prominenten" Personen, die sich zum Thema Prostitution äußern, so leidet die Diskussion an einen "Männerüberschuss". Dabei ist das Thema durchaus von gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Daher frage ich mich, nicht erst seid vorgestern, woher diese große Begeisterung der Männer rührt.

Do., 15.05.2014 - 19:00 Permalink
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Frank Blumtritt Do., 15.05.2014 - 19:21

Antwort auf von Sylvia Rier

Ganz spontan würde ich mal sagen, dass Männer mehr darüber reden, weil sie seit der 68er Revolution ein chronisch schlechtes Gewissen verpasst bekommen haben (zumindest Männer eines bestimmten intellektuellen Grades). Zudem wissen Frauen wohl immer warum sie sich prostituieren, während Männer da tief liegende Erklärungsnöte haben..

Do., 15.05.2014 - 19:21 Permalink
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gorgias Do., 15.05.2014 - 20:20

Antwort auf von Sylvia Rier

Das war wohl ein Missverständnis. Als ich den Beitrag von Silvia Rier und Ihren gelesen habe, habe ich bei Ihnen nur den Teil gelesen der sichtbar ist bevor man auf "mehr lesen" klickt.
In diesem Kontext frage ich mich, ob es für das weibliche Geschlecht schmeichelhaft ist, sich zum Thema Kinderarbeit hier überhaupt nicht zu äußern.
Dass sich hier die Diskussion auf die Prostitution konzentriert hat, bzw. ob Prostitution und Kinderarbeit auf der selben Stufe steht, ist für mich verständlich, da Kinderarbeit als grundsätzlich schlecht und bei Prostitution es als durchaus debattierbar angesehen wird.
Ich möchte aber noch darauf hinweisen dass wenn man den gesamten Beitrag betrachtet, meine Replik Ihrem ersten Kommentar nicht gerecht wird.

Do., 15.05.2014 - 20:20 Permalink
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Oskar Egger Mi., 14.05.2014 - 07:34

Auf die Gefahr hin, lästige Analysen zu versuchen: Ich glaube Kinderarbeit und Prostitution kann man allerhöchstens hinsichtlich der Macht-Problematik in einen Topf werfen. Prostitition auf den Geschlechterkampf zu reduzieren geht auch am Thema vorbei, zumindest für diejenigen, die davon ausgehen, dass Prostitution mit Zwangneurosen, Narzissmus u.ä. psychischen Problemen zu tun haben kann. Diese Erklärungen, die von grossen Experten dokumentiert sind, werden aber in anderen Bereichen auch abgelehnt. Deshalb fällt es z.B. auch leichter, für ein Phänomen wie Concita Wurst, die Interpretation eines André Heller anzunehmen als die Interpretation eines Otto Kernberg. Und dabei geht es sicher nicht um Toleranz, aber auch nicht um Menschenwürde.

Mi., 14.05.2014 - 07:34 Permalink
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Oskar Egger Mi., 14.05.2014 - 07:44

Antwort auf von Sylvia Rier

Werd ich machen, Silvia, nur bitte nicht heute. Ganz schnell: freiwillig ist in meinen Augen nur das, was auf einer bewussten Entscheidung basiert. Jede Art von Zwang, sei er psysischer oder psychischer Natur ist mit Freiwilligkeit unvereinbar.

Mi., 14.05.2014 - 07:44 Permalink
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Sylvia Rier Mi., 14.05.2014 - 09:11

Antwort auf von Oskar Egger

Es war nicht meine Absicht, "freiwillig" zu definieren, sondern vielmehr, zu fragen, was freiwillig ist.
Dein Ansatz mit den Alternativen gefällt mir sehr gut, das leuchtet ein: Wo ein Mensch zwischen mehreren Möglichkeiten wählen kann, ist zumindest die Chance groß, dass die getroffene Wahl eine freiwillige ist.
Die Kinder in Bolivien arbeiten also nicht freiwillig, auch wenn sie das sagen, und sogar eine Gewerkschaft gegründet haben, um ihrer Forderung nach Recht auf Arbeit mehr Gewicht zu verleihen.
Wie hoch schätzt du den Prozentsatz der Frauen, die sich prostituieren, weil sie keine Alternative haben? auch in diesem Falle ist also Freiwilligkeit eine Farce.
Und in beiden Fällen spielen die, die sich in ihrem Anspruch auf diese Leistungen auf deren Freiwilligkeit berufen, nicht mit offenen Karten. DAS kreide ich an (versuche ich, anzukreiden).
Wenn wir aber jetzt diesen Aspekt der Freiwilligkeit mal zur Seite schieben, denn er wird uns so schnell nicht weiter bringen, und uns darauf einigen, dass die Welt halt mal ist, die sie ist, kommt (bei den Kindern in Bolivien genauso wie bei den Prostituierten) der "Arbeitgeber" ins Spiel, der sich diese "Alternativlosigkeit" zunutze macht, und die Alternativlosen für seine Zwecke ausnutzt. DAS kreide ich an.
Ich glaube, daran kann gearbeitet werden, vorausgesetzt, diese Arbeit wird gewollt (ist sie das??) und ich glaube auch, dieser wäre der Weg, der am schnellsten zum Ziel führen könnte = nämlich, wenn wir schon nicht in der Lage sind, die Welt so zu gestalten, dass alle Menschen wählen können (welche Schande, für uns!), auf welche Art und Weise sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen wollen, dann sollten wir in der Lage sein, dafür zu sorgen, dass diese Alternativlosen zumindest fair entlohnt und nicht ausgenutzt und wegen ihrer Schwäche noch zusätzlich entwürdigt werden Dem wohnt doch das Prinzip der Sklaverei inne, findest du nicht auch? Das kann übrigens, fällt mir gerade ein, auf Einwanderer aus den armen Ländern, auf Badanti, auf alle "Billiglöhner" ausgedehnt werden. Bloß: Mir fällt kein "klassischer" Weg (Verbot, Mindestlohn) ein, wie das zu bewerkstelligen sein könnte, ohne dass am Ende wieder die "Alternativlosen" leiden, und also glaube ich, kann der Weg fast nur über Sensibilisierung der Arbeitgeber (im Falle der Prostituierten, aber auch der Arbeitskinder, gezwungenermaßen Männer, oder nicht?!), vielleicht gesellschaftliche Ächtung aller (bloß: auch diese wirkt sich vermutlich auf die Nachfrage aus und also direkt auf die Anbieter?!), die sich nicht sensibilisieren lassen usw. usf. das Bedingungslose Grundeinkommen wäre wohl auch ein Weg, es könnte einiges ins Rollen bringen.

Mi., 14.05.2014 - 09:11 Permalink
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Frank Blumtritt Mi., 14.05.2014 - 20:16

Hier wird wirklich viel in einen Topf geworfen! Ich denke man/frau sollte nicht die Kinderarbeit und Prostitution zusammen diskutieren und mit Gewalt (!) versuchen, Gemeinsamkeiten zu finden. Frauen sind keine Kinder! Vielmehr geht es doch um das generelle Problem der Ausbeutung und Machtausübung (immer wieder Marx...) und dieses finden wir in einer Unzahl von gesellschaftlichen Situationen. Warum sollten jene, die Frauen, Kinder oder Männer in die Armut treiben, oder dies billigend in Kauf nehmen (Politik, Wirtschaft, passive Bürger...) weniger schlecht sein, als jene, die das direkt ausnützen (Freier, Unternehmer, Banken, usw...)?
Auch die freiwillige Prostitution würde ich nicht pauschal negieren, sonst kann man auch gleich die Freiwilligkeit der Freier in Frage stellen: z.B. wie frei ist ein Mann, der sich Sex kaufen muss, statt eine Frau "normal" erobern zu können?

Mi., 14.05.2014 - 20:16 Permalink
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Sylvia Rier Do., 15.05.2014 - 07:54

Antwort auf von Frank Blumtritt

aber vielleicht hast du ja auch nur den Zeit-Text nicht gelesen? Ich sehe da durchaus einige - und gar nicht nebensächliche - Parallelen, auch wenn die Altersunterschiede zwischen den "Kategorien" natürlich schon beträchtlich sind ;-) Da wäre z. B. die Sache mit der "Freiwilligkeit": Die Kinder sagen, sie (wollen!) arbeiten, das wäre dann also "freiwillig" (ist es aber nicht wirklich, oder?!). Die Frauen sagen auch, sie (wollen!) sich prostituieren, und dass sie ihre Dienstleistung "freiwillig" erbringen (das tut aber vermutlich nur eine sehr kleine Minderheit), aber vor allem sagen das die Freier, wenn sie für Prostitution trommeln. Dann: Hier wie dort wird über die Köpfe der direkt Betroffenen hinweg entschieden, werden die, um die es geht, überhaupt nicht einbezogen in die Beratungen und die "Entscheidungsfindung". Die zweite Hälfte deines Kommentars unterschreibe ich. Natürlich wäre es das Beste, die Welt wäre so organisiert, dass wirklich jeder Mensch auch tatsächlich Wahlfreiheit hat (ich denke, ein BGE würde dazu beitragen), aber so schnell wird das nicht zu bewerkstelligen sein, und also müssen andere Hebel in Bewegung gesetzt werden, wogegen sich allerdings ein großer Teil der anderen Hälfte der Gesellschaft - interessant, zu beobachten, wie heftig sie das tut, was da wohl dahinter steckt?! - mit Händen und Füßen zur Wehr setzt. Was mich, ganz persönlich, dazu verleitet, zu befürchten, dass es diesen Männern gar nicht um die Frauen geht, sondern darum, eigene (Vor-)Mächte zu festigen/erhalten/zementieren, anhand von Mechanismen, die ich noch nicht durchschaut habe - nur Witterung aufgenommen ;-) (nb: der mann, der sich sex kaufen muss, ist natürlich ein unfreier waschlappen, eh klar.

Do., 15.05.2014 - 07:54 Permalink
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Sylvia Rier Mi., 14.05.2014 - 20:36

Stephan: Danke für deinen schönen Kommentar, insbesondere Abs. 1 :-) Ja, ich war auch der Meinung, Kinderarbeit geht gar nicht. Bis der Zeit-Artikel kam. Besonders irritiert haben mit "(...) irritiert die Wohlstandsgesellschaften" (...) oder (...) werden wir vom Ausland sanktioniert (...) oder das hier (...) "Das Buch ist so etwas wie ein Manifest der Kinderarbeiter. Kinderschutz-Organisationen wie Save the Children und Terre des Hommes hatten vor einigen Jahren einen Mitarbeiter damit beauftragt, durchs Land zu reisen, die Vorschläge der Kinder für das neue Gesetz einzusammeln und sie dann in die Juristensprache der Politiker zu übersetzen. Sie dachten, so würden die Forderungen der Kinder gewichtiger klingen. (...) Seither bin ich mir nicht mehr so sicher.
Oliver: Du bist, ich fürchte, ein einziges Strohmannargument. 1. Rechtssicherheit und Anerkennung, klingt wirklich nett. Aber du glaubst doch nicht im Ernst, damit schwarz/grau und also das eigentliche Problem in den Griff zu kriegen? Dein Ansatz greift, finde ich, ein wenig gar kurz. Und natürlich bestätigst du ratzfatz meine Befürchtung: Alles geht, nur eines nicht: den Wirkungskreis des Freiers = Mannes beschneiden. 2. Es geht nicht um dich. Es geht um KinderARBEIT und en Detail um die "freiwillige" Arbeit wenn du willst ja oder nein der bolivianischen Kinder. Artikel lesen bringt weiter.
Mensch ärgere dich nicht: Abs. 1. Falsch, oder auch: Ich? Verbot? Wo?
Abs. 2. s. @ Oliver. Abs. 3: Ja.

Mi., 14.05.2014 - 20:36 Permalink
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Stephan Kerschbaumer Do., 15.05.2014 - 16:28

Antwort auf von Sylvia Rier

Meiner Ansicht beschreibt der Artikel zwei Ebenen des derzeitigen Konflikts zwischen den Kindergewerkschaften und der bolivianischen Regierung.
1. der Schutz der Rechte der KinderarbeiterInnen: dieser Schutz ist wichtig und richtig; der Artikel beschreibt auch kurz das Engagement der lokalen Kirche, die Räume zur Verfügung stellt, zudem noch andere Unterstützung bietet; in diesem Bereich ist eine Intervention der Regierung sicher notwendig: Kinder, die arbeiten, vor Ausbeutung schützen muss ein primäre Ziel sein; die Kinderarbeit kann nicht von heute auf morgen verschwinden; wie ich bereits oben geschrieben habe bedarf es hierzu eines gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels;
2. die formelle Anerkennung der Kinderarbeit in der bolivianischen Verfassung; ich denke dieser Akt ist mit guten Absichten vollzogen worden: den KinderarbeiterInnen die Anerkennung und somit die Würde zuteil kommen lassen, die sie sich verdienen; ausgehend von der Prämisse, dass Kinderarbeit durch gesellschaftliche Entwicklung abgeschafft werden soll, wird diese Verfassungsregelung die Situation der Kinderarbeit in Bolivien eher zementieren (insofern mir dieses Urteil als Außenstehender zusteht), als einen gesellschaftlichen Wandel herbeiführen; nun kann man diese Prämisse teilen oder nicht.
Was der Zeit- Artikel richtig suggeriert ist, dass es uns Europäern bzw. Nordamerikanern nicht zusteht mit erhobenem Zeigefinger auf Bolivien zu schauen. Wir (also die Wohlstandsgesellschaft in sogenannten "Westen") dürfen nicht die Umstände im Land vergessen. Erst diese bedingen die Kinderarbeit und erst durch deren Veränderung kann man etwas bewegen.

Do., 15.05.2014 - 16:28 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Do., 15.05.2014 - 11:52

Ich bin zwar kein Kind mehr, aber dennoch fühle mich wie ein Prostituierter!!
Natürlich gehe ich freiwillig jeden Tag 8,5 Stunden arbeiten, für ca. 5 € netto/h, mich zwingt ja auch nicht wirklich wer, ausser dass man halt Geld braucht. Und dennoch scheint es mir, als würde ich mich prostituieren, ich gehe jeden Tag lustlos zu Arbeit, "spiele" dort meine Rolle für diese Stunden, ich gebe mich freundlich einsichtig, verständnisvoll, obwohl das alles total Scheisse ist.
Aber warum mache ich das dann, wieso steige ich nicht aus? Weil ich eine Familie habe, ein Haus abzuzahlen,? Und hin und wieder habe ich sogar Hunger!
(und wegen kinderarbeit, ich habe von 11-13 mein erstes motorrad erarbeitet, und bin jetzt deswegen psychisch geschädigt - siehe oben)

Do., 15.05.2014 - 11:52 Permalink
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Profil für Benutzer Sylvia Rier
Sylvia Rier Do., 15.05.2014 - 12:30

Antwort auf von Manfred Gasser

du machst's mir nicht leicht, aber wie wär's damit: Warum stellst du dich nicht an den Straßenrand, nach der Arbeit (wenn du vielleicht nicht gar zu wählerisch bist und nimmst, was kommt, dann musst du womöglich schon bald nicht mehr hungern?! Oder: Verkauf dein Haus und ziehe in eine Mietwohnung? Schick deine Kinder arbeiten?
NB: Ich habe auch schon mit 12 in einem Schutzhaus "gearbeitet" -musst dir also nix einbilden -, allerdings nicht dafür, dass ich mir Schuhe kaufen kann oder zur Schule gehen...
Also dann, alles Gute für dich!

Do., 15.05.2014 - 12:30 Permalink
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Salto User
Sepp.Bacher Fr., 16.05.2014 - 11:48

Ich beziehe mich in meinem Beitrag auf Kinderarbeit in unseren Breiten und erzähle meine Erfahrungen als Kind und als Berufsberater.
Ich wuchs auf einem Bergbauernhof mit 10 Geschwistern auf. Sobald wir es im Stande waren, mussten wir auch mithelfen und mitarbeiten. Z. T. hatten wir auch eigene Aufgaben, z. b. Wasser tragen, Holz tragen; Palln auputzn, Gries waschn; sonst ausmisten, striegeln (die schlimmsten Drecksarbeiten), sonst noch bei den Hennen, bei den Facken, im Garten, bei der Heuarbeit, beim Kornschneidn, Gorbn aufnehmen. Auch im Haushalt habe ich geholfen: kochen, backen, auf den Knien den Boden schruppen. Dafür bin ich auch jeden Samstag von der Schule weggeblieben. Auf der Alm mussten/durften wir beim hüten und beim Geisen melken helfen usw. Mit 10 Jahren ging zum ersten Mal als Hüeterbua zu einem Hof einer Tante, dafür durfte ich im Herbst den Schulbeginn überziehen.
Wenn ich denke oder auch sage: Ich hatte eine schwere Kindheit, dann denke ich nicht zuerst ans Arbeiten, denn ich erinnere das nicht so negativ. Durch die Arbeit hatte ich eine Aufgabe, eine bestimme Rolle und Wertigkeit, denn von anderen Dingen gab es meistens zu wenig.
Heute darf ein Kind nichts mehr tun. Ein Kind zum Arbeiten, zum Mithelfen anstellen ist ja fast schon ein Verbot. Ich denke jedes Kind sollte mit Erden und Dreck, mit Pflanzen und Tieren in Berührung kommen. Dadurch macht es elementare Erfahrungen, wird geerdet und realitätsbezogener. Es lernt Wachstumszyklen kennen – vom Samen bis zur Ernte – lernt Aufgaben zu übernehmen, für Tiere und Pflanzen zu sorgen: Verantwortung zu tragen.
Als Berufsberater habe ich bei Mittelschülern die Erfahrung gemacht: wer vom Land kommt, noch besser von einem Bauern hat meistens schon einen Berufswunsch, meistens auch einen realistischen.
Wer hingegen bestimmte Erfahrungen nicht gemacht hat, hat sehr häufig überhaupt noch keine Berufsvorstellung und wenn, dann eine oft eine unrealistische – haben also keinen Bezug zu dem, was sie werden möchten. Haben eher eine Vorstellung, die sie vom Fernsehen oder aus dem Internet beziehen.
Ich erinnere mich an einige Beispiele, wo junge Bauernbuben ganz konkret und realistisch – ja fast schon wie ein Erwachsener – sich mit mir beraten haben. Im anderen Fall übernehmen meistens auch das noch die Eltern: man darf dem Kind doch keine so schweren Aufgaben und Entscheidungen zumuten!

Fr., 16.05.2014 - 11:48 Permalink
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Sylvia Rier Fr., 16.05.2014 - 15:13

Antwort auf von Sepp.Bacher

danke. Er bestärkt mich übrigens in meiner (inzwischen) Meinung, dass wir hier, wir mit unseren Wohlstandsbäuchen, kein Recht haben, Kindern, deren Realität eine ganz, ganz andere ist, ihre Arbeit zu verbieten. Trotzdem glaube ich, dass unsere Gesellschaft schon verpflichtet ist, alles zu tun, dass Kinder sich nicht um ihren Lebensunterhalt (!) kümmern und sorgen müssen.

Fr., 16.05.2014 - 15:13 Permalink
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Sylvia Rier Fr., 16.05.2014 - 15:25

Es ging mir, ich hab’s ja auch im Beitrag geschrieben, in erster Linie um den Aspekt der Freiwilligkeit überall dort, wo „freiwillig“ draufsteht und „Ausbeutung“ drin ist. In diesem Sinne ist, bitteschön, auch der Link/die Verbindung zur Kinderarbeit zu verstehen. Und ja, ich denke schon, es gibt auch freiwillige Prostitution, und genauso denke ich, dass es freiwillige Kinderarbeit gibt – aber beide wohl nur dort, wo die jeweiligen „Freiwilligen“ noch mindestens eine weitere Option haben, mit einem vergleichbaren Ergebnis oder zumindest aus dem Verzicht keinen fundamentalen Nachteil in Kauf nehmen müssen.
In diesem Sinne dürfte also ein sehr großer Teil der „freiwilligen“ Prostitution in Wahrheit ebenso unfreiwillig sein wie die Arbeit der Kinder in Bolivien (oder andere Zwangs-/Niedriglohnarbeit). Das ist, in meinen Augen, für moderne und aufgeschlossene Gesellschaften nicht tragbar (trotzdem finde ich es unerhört bis unerträglich, wenn wir Westler mit unseren Wohlstandsbäuchen z. B. den Kindern in Bolivien/der dortigen Regierung unsere Maßstäbe aufzwingen und sogar mit Sanktionen drohen, wenn sie unserem Willen nicht ohne weiteres entsprechen).
Ja, und bis ich also für mich meine Schlüsse aus den vielen, teils äußerst aufschlussreichen Kommentaren hier gezogen haben werde, und weil er grad auch so schön zum Thema passt – auch hier geht’s um die Freiwilligkeit des Ausgebeutetwerdens – stelle ich noch diesen Film hier ein: http://www.youtube.com/watch?v=V3CKIdXrN34.
Er ist sehr lang (ich habe mehrere Tage gebraucht, um ihn zu Ende zu sehen) und sehr unerträglich, aber doch jede – bittere – Minute wert.
Eine Lösung, Oliver? Sehe ich unmittelbar darin, dass der Konsument, wenn er schon nicht verzichten will (denn können täte er wohl), sich selbst verordnet, höhere Preise zu zahlen bzw. nicht bereit ist, billige Preise zu akzeptieren (wo billig draufsteht, ist Ausbeutung drin – das gilt wohl nicht nur für T-Shirts). Wir kennen das ja– Kleidung, Lebensmittel, Möbel - die Medien sind ja voll davon. Bloß von den billigen Frauen hören wir wenig bis gar nichts. Warum eigentlich?!

Ah ja, zwei Worte noch zu „das Verbot“ (Prohibition): Es bietet einen sehr bequemen Platz für eine sehr willkommene Ausrede, nicht wahr, all denen, die lieber keine Verantwortung übernehmen für ihr Handeln. Denn „das Verbot“ allein vermag überhaupt gar nichts, es braucht immer Menschen, die es befolgen oder übertreten.

Fr., 16.05.2014 - 15:25 Permalink
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Frank Blumtritt Sa., 17.05.2014 - 12:56

Antwort auf von Sylvia Rier

An diesem Teil stört mich etwas: Prostitution soll plötzlich eine andere Qualität bekommen, etwas "Besseres" sein, wenn sie teuer ist und somit- vermeintlich - weniger ausbeuterisch? Also Berlusconi als Freier besser als ein armer Schlucker??? Da hätte ich so meine Zweifel... Ich denke, wir haben doch genügend diskutiert, um nun sagen zu können, dass Prostitution nicht automatisch das Gleiche ist wie Gewalt an Frauen. Es fällt manchmal zusammen, manchmal nicht. Und mit der Kinderarbeit ist es genau so.
Markt und Preise haben ihre Gesetze. Viele billige Waren gibt's nur wenn viele Menschen nicht viel Geld ausgeben können. Ein Boykott von IKEA&Co ist verwerflich, wenn einer Familie das Geld nicht zum Monatsende reicht. T-Shirts und Betten sind Grundbedürfnisse! Teuer heißt nicht automatisch, dass weniger ausgebeutet wird und die Reichen gehen ausPrinzip nicht in den Discount.
Fazit: Wer kann, der kauft immer gute Qualität (außer er/sie wissen nicht, was das ist), manche können sich Kompromisse leisten und manche müssen billig kaufen.

Sa., 17.05.2014 - 12:56 Permalink
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Michael Bockhorni Sa., 17.05.2014 - 17:08

Antwort auf von Sylvia Rier

das eine ist ein fairer preis, das andere ist wie sich kunden gegenüber ihren dienstleistern verhalten (siehe auch ferntourismus - da fällt übrigens oft prostitution und kinderarbeit/ausbeutung zusammen). gewalt (physisch oder auch psychisch) ist immer dort im spiel wo es (extrem) ungleiche machtverhältnisse gibt - d.h. eineR keine alternative hat. ich glaube NICHT, dass es billige waren gibt, weil sich einige /viele menschen teure waren nicht leisten könn(t)en. in deutschland und österreich gehen sehr wohl viele reiche zum diskonter. ich denke es ist eher umgekehrt, die schlechten löhne bei den discounter sowie entlang ihrer gesamten lieferkette senkt die kaufkraft. ein qualitativ gutes produkt ist über die lebensdauer (fast) immer billiger als ein billiges und kurzlebiges produkt.

Sa., 17.05.2014 - 17:08 Permalink
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Sylvia Rier Sa., 17.05.2014 - 17:14

Antwort auf von Sylvia Rier

nicht gemeint, frank, sondern vielmehr so: ich meine, dass die Frauen ihre Preise selbst festlegen soll(t)en können, ohne unter Druck zu geraten (sich gegenseitig unter Druck zu setzen), weil immer noch eine Frau ist, die das Geld dringender braucht und billiger anbieten muss. Das geht aber wohl nur, wenn die Kunden sich eine Art Selbstkontrolle (?) auferlegen. Aber sag doch: Glaubst du eigentlich wirklich, dass der Konsum einer Prostituierten zu den Grundbedürfnissen gehören soll? Dann könnte man ja daran denken, dass der Staat bedürftige (ja, im doppelten Sinne) Männer bezuschussen sollte... *grübel* Und ich finde auch nicht, dass "Gewalt" unbedingt körperliche oder psychische Gewalt, im landläufigen Sinne sein muss. Ich zähle z. B. auch zu Gewalt, wenn sich Menschen unter Wert verkaufen müssen, in allen Bereichen. Zu billigen Kleidern und Möbeln bzw. "manche *müssen* billig kaufen, weiß ich nicht, ob ich deiner Meinung bin, die billigen Dinge sind ja meist auch recht kurzlebig, wertlos, und so ist dann meist das Billige viel teurer als gedacht. Ich glaube, wir müssen aufhören, es als "gerecht" zu empfinden, dass alle alles haben können müssen. Ich weiß es aber nicht.

Sa., 17.05.2014 - 17:14 Permalink
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Frank Blumtritt Sa., 17.05.2014 - 19:06

Antwort auf von Sylvia Rier

Silvia, ich denke NICHT, dass Prostitution zu den Grundbedürfnissen zählt. Bin auch keinesfalls der Meinung, dass alle alles haben sollen können oder müssen. Nahrung und Hauseinrichtung aber bitte schon. Das Preis-Leistungsverhältnis muss halt stimmen und heute muss kaum noch etwas das ganze Leben lang halten.
Zu Michael Bockhorni: Dass man bei preisgünstigen Dingen draufzahlt, ist ein alter Allgemeinplatz und stimmt manchmal ja, manchmal nein. Es sind ja umgekehrt auch die teuren Produkte nicht automatisch die besseren. Ein breites Marktspektrum ist die Basis der Weltwirtschaft und jeder muss entscheiden, ob er weniger und teurer, oder mehr oder alles und dafür billiger möchte. Es gibt immer genau die Waren und Preise, die beim Kunden ankommen und wenn es mehr Arme gibt (wie heute), dann wird auch das Angebot an Billigprodukten steigen. Wie die Zulieferer von IKEA&Co in den unterentwickelten Ländern arbeiten, müssen diese selbst regeln. Und auch hier sollten wir uns hier nicht anmaßen, dies über unser Kaufverhalten regeln zu wollen - womit wir wieder bei der Kinderarbeit wären. Die Immigranten aus eben diesen (noch) schwachen Ländern kaufen bei uns jedenfalls notgedrungen beim Discount ein... und so schließt sich der Kreis. Beuten dann die Pakistaner im Bozner Discount ihre eigenen Landsleute in der Heimat aus, denen sie dann wiederum das hier gesparte Geld überweisen?

Sa., 17.05.2014 - 19:06 Permalink
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Stephan Kerschbaumer Fr., 23.05.2014 - 11:08

Eine schockierende Reportage, auf die ich kürzlich in der ARD-Mediathek gestoßen bin.

http://www.ardmediathek.de/br-fernsehen/stationen/verkauft-verschleppt-…

"Nach Schätzungen der EU- Kommission werden jährlich etwa 120.000 Frauen nach Westeuropa verschleppt."

"Der Menschenhandel schlägt mehr Geld um als der internationale Waffenhandel." - "Der Profit aus dem internationalen Menschenhandel beträgt 32 Milliarden Dollar jährlich."

"In Deutschland arbeiten etwa 200.000 Prostituierte. Experten meinen, dass 80% dieser Frauen Zwangsprostituierte sind."

"Wenn deutsche Männer Geld für Sex mit ein rumänischen Mädchen, oder einem Mädchen aus einem anderen Land, bezahlen, dann denken sie das Mädchen gehöre ihnen und sie könnten alles mit ihr machen. Wenn sie ein deutsches Mädchen bezahlen, dann haben sie keine Gewalt über sie und können nichts anderes machen, als das, was das Mädchen zulässt." (O-Ton eines verurteilten rumänischen Menschenhändlers, der für zwei moldawische Mädchen etwa 500$ zahlte)

Fr., 23.05.2014 - 11:08 Permalink
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Sylvia Rier Sa., 24.05.2014 - 09:13

Antwort auf von Stephan Kerschbaumer

für den Link. Durch den Hinweis auf die mächtigen Umsätze dieses "Business" habe ich wohl erstmals richtig erfasst, dass es (auch) bei Prostitution um "Wirtschaft" geht, und also um ein Thema, das Männer als ihr Hoheitsgebiet empfinden und seit jeher dominieren. Es geht also wohl im doppelten Sinne um Dominanz und Herrschaft, wenn's um Prostitution geht. Klar(er) also, dass Männer (oder ein gewisser Teil von ihnen) sich in ihrem Sinne engagieren. Bloß: Wie dem beikommen? Ich habe mal einen Satz gelesen, in einem Beitrag über die Ergebnisse des schwedischen Prostitutionsverbotes, und dort hieß es, dass als eine der Begleitmaßnahmen zum Verbot dort schon in den Grundschulen viel über Prostitution gesprochen wird, mit dem Ergebnis, dass die Schüler sie schon heute und zunehmend als etwas SELTSAMES empfinden, so, wie vielleicht wir heute die Sklaverei von damals nicht mehr wirklich nachvollziehen können, und noch viel weniger, wie Gutsherren und sogar viele Sklaven (!) selbst (man beachte!) sie verteidigen konnten. NB: Diesen Text hier vllt. als Ergänzung zu deinem Link: http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-05/menschenhandel-zwangsarbeit-sklav…

Sa., 24.05.2014 - 09:13 Permalink