SUV
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Gesellschaft | Fritto Misto

Böser Bär, süßer SUV

Die Raubtiere in den Wäldern wollen wir abknallen. Die auf unseren Straßen kümmern uns nicht.
Gleich vorweg: Es ist absolut schrecklich, was da im Trentino passiert ist. Dass ein Mensch in den Wald geht und dabei von einem Bären getötet wird, das klingt wie eine Meldung aus einem vergangenen Jahrhundert, fast grotesk. Und doch ist es geschehen. Seither herrscht, wieder einmal, eine aufgeheizte Diskussion darüber, ob man die Bären Bären lassen sein soll oder allesamt abmurksen, ob das Wiederansiedelungsprojekt von vornherein ein Fehler war oder der Mensch sich halt damit abfinden muss, dass es im Wald wieder gefährlich werden kann, ob das Opfer einfach nur Pech hatte oder sich angesichts des Raubtiers falsch verhalten hat. Ich möchte hier keine Schuldfrage stellen; dass der Bär entnommen werden muss, scheint mir klar, und diejenigen, die dem getöteten 26-Jährigen ein (nicht zu beweisendes) Fehlverhalten vorwerfen, ihre Geistesgegenwart und Ruhe möchte ich zu gerne einmal erleben, wenn sie sich unvermutet mit einem bis zu 280 cm großen und 200 kg schweren Raubtier, scharfe Klauen und Zähne inklusive, konfrontiert sehen. Vor Jahren habe ich einmal gelesen, wie man sich verhalten soll, sollte einem ein Grizzly zu nahe auf die Pelle rücken: Nicht auf Bäume klettern (denn der Grizzly schüttelt dich runter wie eine reife Birne), sondern tot stellen. Dann versteckt dich der Bär, wenn du Glück hast, als Snack für später und du kommst mit leichten Blessuren, aber immerhin lebend davon. Ich weiß nicht, wie gültig dieser Ratschlag ist, aber er ist mir immer in Erinnerung geblieben, weil ich ohnehin nicht auf Bäume klettern und mich in so einer Situation ganz gewiss nicht tot stellen könnte. Deshalb bevorzuge ich es, erst gar keinem Bären in freier Wildbahn zu begegnen, und so geht es vermutlich den meisten Menschen.
Diejenigen, die dem getöteten 26-Jährigen ein (nicht zu beweisendes) Fehlverhalten vorwerfen, ihre Geistesgegenwart und Ruhe möchte ich zu gerne einmal erleben, wenn sie sich unvermutet mit einem bis zu 280 cm großen und 200 kg schweren Raubtier, scharfe Klauen und Zähne inklusive, konfrontiert sehen
Was mich an diesem tragischen Vorfall am meisten erstaunt, ist gar nicht so sehr die Emotionalität, mit der die Debatte pro (einige) oder contra (viele) Bär geführt wird (das Thema ändert sich, die Streitlust bleibt), sondern die immense Betroffenheit über den Tod des jungen Mannes. Als sein Sarg aus der Kirche getragen wurde, klatschen die Menschen, an die 3.000 Personen sollen sich zur Trauerfeier eingefunden haben. Verständlich und absolut nachvollziehbar, weil es, wie oben bemerkt, ja ein geradezu absurder, aus der Zeit gefallener Tod ist, und daher schwer zu begreifen. Andererseits ist ein*e jede*r Verkehrstote*r schwer zu begreifen. 24 Menschen starben 2021 auf Südtirols Straßen: Wer klatscht da, wenn der Sarg aus der Kirche getragen wird?
Whataboutism! schreien jetzt einige, was hat der Verkehr mit dem Bären zu tun? Ja klar, whataboutism, ohne Frage, what about Autos nämlich? Warum ist gefühlt halb Südtirol bereit, die geladene Bix zu schultern und den Bären eigenhändig abzuknallen, aber wenn es wieder mal Tote auf den Straßen gibt, dann wird das schulterzuckend hingenommen? Dabei kann man im Straßenverkehr ebenso unverschuldet zu Schaden kommen wie nun offenbar bei einem Spaziergang im Wald, lassen Sie sich das von einer sagen, die auf dem Gehsteig angefahren wurde. Trotzdem habe ich die Diskussion über die Gefährlichkeit von Autos, die übrigens optisch auch immer unverhohlener wie Raubtiere daherkommen (Scheinwerfer wie Sehschlitze, Kühlergrills wie Zahnreihen), wohl verpasst. Stattdessen legen sich auch Herr und Frau Südtiroler immer lieber einen SUV zu, das sind diese hohen Gefährte, in denen man so herrenmenschig auf die anderen Verkehrsteilnehmer hinunterschauen kann. Ziemlich sicher gibt es mehr als hundert (die geschätzte Bärenanzahl in unserer Region) davon auf unseren Straßen. Wirklich brauchen tut man solch ein Sports Utility Vehicle in einem urbanen Umfeld nicht, aber es ist halt ein geiles Fahrgefühl, im Falle einer Kollision ist die eigene, nunmal vorwiegende weichteilige Existenz gut geschützt (für die Menschen im anderen, kleineren Auto sieht’s eher nicht so gut aus), und die Nachbarn haben ja auch eins. Dass Autofahrer*innen in diesen Fahrzeugen auch häufiger Abbiegeunfälle verursachen als kleinere Autos und durch die hohe Motorhaube Fußgänger*innen auch außerhalb von Kreuzungen viel öfter übersehen und verletzen, hat eine amerikanische Studie gezeigt. Dennoch gibt es keine Aufrufe dazu, sie zumindest aus den Städten zu verbannen, im Gegenteil: In Meran hat die neue Stadtregierung etwa vormals verkehrsberuhigte Straßen wieder zu Durchfahrtsstraßen gemacht, auch wenn da Schulen stehen.
Trotzdem habe ich die Diskussion über die Gefährlichkeit von Autos, die übrigens optisch auch immer unverhohlener wie Raubtiere daherkommen (Scheinwerfer wie Sehschlitze, Kühlergrills wie Zahnreihen), wohl verpasst.
Ich wundere mich also ein wenig darüber, wie man ein pelziges „Monster“ derart verabscheuen, das metallene aber derart fetischisieren kann, dass man darüber vergisst: Beide können uns schwer verletzen,  ja tödlich sein. Zur Debatte steht aber nur eines von ihnen.