Politik | Interview

„Es braucht eine ehrlichere Debatte“

Gesetzesvorschlag zur Sprachkenntnis in Schulen: Bildungslandesrat Achammer betont die Pflicht der Eltern und kritisiert seinen italienischen Amtskollegen Vettorato.
Achammer, Philipp
Foto: Othmar Seehauser
Im Zuge der Debatte zu fehlenden Sprachkenntnissen in deutschen Schulen hat Landesrat Philipp Achammer, der unter anderem für die Deutsche Bildung zuständig ist, der Regierungskoalition von SVP und Lega einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der in der nächsten Landtagswoche verabschiedet werden soll.
 
salto.bz: Herr Achammer, was sieht Ihr Gesetzesvorschlag zu den Sprachkenntnissen in Schulen vor?
 
Philipp Achammer: Er behandelt im Wesentlichen die Beratung hinsichtlich der Einschreibung und die Begleitung der Familien, und zwar beides als verpflichtende Aspekte. Ich schicke voraus, dass es eine bewusste Entscheidung geben muss, in welche Schule ein Kind in Anbetracht seiner sprachlichen Entwicklung und Bildung eingeschrieben wird. Kinder kommen manches Mal ohne jegliche Kenntnisse der primären Bildungssprache in eine Klasse und müssen sich durchkämpfen. Einige Schulen geben mir immer wieder die Rückmeldung, dass es für diese Kinder auch entwicklungspsychologisch ein schwerer Weg ist.
Die „ultima ratio“ ist tatsächlich die Durchführungsbestimmung von 1988, die vorsieht, dass sich eine paritätische Kommission mit den fehlenden Sprachkenntnissen befasst.
Deshalb ist eine verpflichtende Beratung notwendig, um gemeinsam mit Expert*innen den besten Weg für das Kind zu finden. Nicht immer ist das, was die Eltern wollen, auch das Beste für das Kind. Wenn man sich dann für einen Weg entscheidet, muss man auch bereit sein, die eigenen Erwartungen an das Kind selbst als sprachliche Bildung miteinzubringen. Eltern sind verpflichtet, die eigenen Kinder in der schulischen Bildung zu begleiten und zu unterstützen. In vielen Bildungsbiografien kann das Elternhaus de facto nicht präsent sein, weil die Eltern nicht der Sprache mächtig sind. Es gibt immer wieder Fälle, wo keine Hausaufgabenhilfe möglich ist, und bei Sprechstunden übersetzt werden muss. Wenn sie das alles nicht leisten können, dann müssen Eltern eben selbst die Schulsprache ihrer Kinder lernen.
 
Wie soll das Gesetz in diesen Fällen die Situation verbessern?
 
Durch die bessere Beratung und Begleitung der Familien kann nach Wegen gesucht werden, um dem Kind schon vor Schuleintritt einen ersten, verpflichtenden Bezug zur primären Unterrichtssprache zu geben, beispielsweise durch Sommerkurse oder eine gezielte Vorbereitung im Kindergarten.
 
 
Sieht das Gesetz auch Sanktionsmöglichkeiten vor, wenn Eltern ihrer Pflicht nicht nachkommen?
 
Die „ultima ratio“ ist tatsächlich die Durchführungsbestimmung von 1988, die vorsieht, dass sich eine paritätische Kommission mit den fehlenden Sprachkenntnissen befasst. Laut dieser Durchführungsbestimmung ist der Ausschluss des Kindes aus der Klassengemeinschaft zwischen dem 20. und 25. Tag nach der Entscheidung der paritätischen Kommission umsetzbar. Das ist nicht unproblematisch – im Gegenteil. Das ist mir auch bewusst und deshalb wird mit diesem Gesetzesvorschlag die Frage nach der Schuleinschreibung und den Sprachkenntnissen vorverlegt, um bereits vor Schuleintritt festzulegen, welcher der beste Weg für das Kind ist. Und noch einmal, Verbindlichkeit ist für mich wesentlich.
 
Der Landesrat für italienische Bildung, Giuliano Vettorato, hat bereits angekündigt, dass er die zwei italienischsprachigen Vertreter*innen für die paritätische Kommission nicht benennen wird.
 
Wenn die davor gesetzten Maßnahmen funktionieren, muss die paritätische Kommission erst gar nicht eingesetzt werden. Wenn sich Landesrat Vettorato weigert, müsste im Ernstfall die Landesregierung damit befasst werden. Das wäre dann eine Frage, die auch die Regierungskoalition klären muss.
Vor allem die deutsche Schule wird zu einer Sprachschule.
Wie soll die Beratung für Familien konkret umgesetzt werden?
 
Wenn eine Schulführungskraft merkt, dass die Kenntnisse der Unterrichtssprache vollkommen fehlen und die Kommunikation mit den Eltern schwierig ist, dann kann sie ein verpflichtendes Beratungsgespräch einberufen. Wer außer den Eltern und den Lehrkräften noch daran teilnehmen soll, werden wir im Anschluss an das Landesgesetz in einem Beschluss der Landesregierung festlegen.
 
 
Wieso ist dieser Gesetzesvorschlag überhaupt notwendig?
 
Die Situation spitzt sich immer mehr zu. Vor allem die deutsche Schule wird zu einer Sprachschule, es wird an sie die volle Verantwortung für das Sprachenlernen und manchmal auch ein vorwiegender Teil des Erziehungsauftrags abgegeben. Das ist problematisch. Dass es Kinder gibt, die der deutschen Sprache nicht oder nur teilweise mächtig sind, wird es auch in Zukunft geben und damit ist Südtirol im deutschen Sprachraum nicht alleine. Wenn es aber so ist, dass die Schule nach einer Bestellmentalität nach ein paar Jahren ein mehrsprachiges Kind „liefern“ soll, dann muss man an die Pflicht der Eltern erinnern, das eigene Kind in seiner schulischen Bildung zu begleiten. Dann müssen sie eben selbst einen Sprachkurs besuchen. Das ist auch notwendig für den Bildungserfolg. Zudem bestätigen mir Schulführungs- sowie Lehrkräfte, dass die Kinder selbst oft darunter leiden, in die Schule zu kommen und plötzlich irgendwie „schwimmen lernen“ zu müssen, ohne jegliche Unterstützung zuhause.
Den Vorwurf, dass du Deutsch sein musst, um in Südtirol etwas zu zählen, finde ich problematisch.
Viele italienischsprachige Eltern schreiben ihre Kinder in eine deutsche Schule ein. Solange die Ursache dafür nicht behoben wird, betreibe die Politik Symptombekämpfung, so die Kritik.
 
Die italienische Schule hat sich in den vergangenen Jahren bemüht, ein Angebot zu schaffen, welches sie selbst schon als mehrsprachig bezeichnen, mit erheblichen Deutschstunden bereits ab der ersten Klasse Grundschule. Der Druck ist dadurch nicht kleiner geworden. 
 
Die italienische Sprachgruppe fühlt sich in Südtirol offenbar nicht genug vertreten, um gleichrangige Chancen in Politik und Wirtschaft zu haben.
 
Den Vorwurf, dass du Deutsch sein musst, um in Südtirol etwas zu zählen, finde ich problematisch. Wir haben gerade deshalb einen Proporz, der etwa vorsieht, wie viele Menschen italienischer, ladinischer und deutscher Sprachgruppe in der Landesverwaltung beschäftigt sein müssen. Der Faktor Sprache ist aus meiner Sicht nur einer von mehreren Gründen, wieso sich italienische Eltern für deutsche Schulen entscheiden. Diese unterscheiden sich von den italienischen in einigen Aspekten, etwa auch pädagogischen, und diese sind eben ansprechend für diese Eltern. Wäre es statt dieser ständig sich wiederholenden Debatte nicht notwendiger, dass sich die italienische Schule laufend selbst auf die Probe stellt, um attraktiv zu sein? Und das sage ich in Respekt und Wertschätzung. Übrigens habe ich das auch oft mit meinem Kollegen Landesrat Vettorato diskutiert. Es braucht an dieser Stelle eine ehrlichere, offenere Debatte.
 
 
Wieso sprechen Sie sich so vehement gegen mehrsprachige Schulen aus?
 
Ich möchte zuerst ehrlich diskutieren, welche Erwartungshaltung denn an diese Forderung geknüpft wird. Wenn damit primär der Spracherwerb erleichtert werden soll, dann sage ich, dass jegliches Schulmodell die Sprachenvielfalt fördern muss und primär daran zu arbeiten ist. Die Vergangenheit hat außerdem gezeigt, dass eine erhöhte Anzahl von Stunden in der Zweitsprache leider nicht zu mehr Qualität geführt hat, im Gegenteil, das zeigen alle Erhebungen. Wir haben die Italienischstunden erhöht, ein Mehrsprachencurriculum eingeführt, Mehrsprachenzüge schon in der Grundschule ermöglicht und mit Content and Language Integrated Learning (CLIL) die Möglichkeit geschaffen, ein Sachfach teilweise in einer Zweit- oder Drittsprache zu unterrichten. Und trotz all dieser Initiativen sind wir immer wieder zum Schluss gekommen, dass nicht primär an Quantität und neue Modellen zu arbeiten ist, sondern vielmehr an der Qualität des Bestehenden. Es werden in den Südtiroler Schulen bereits jetzt viele Möglichkeiten ausgeschöpft – diese gilt es weiter zu stärken und zu verbessern.
 
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rotaderga Fr., 12.05.2023 - 18:17

Eigentlich hätte ich nach der Zusage des Kinderarztes Dr Messner als Kandidaten für die Sanitätsbelange auf der SVP Liste auch einen Vollprofi als Kandidaten für die (Schul-)Bildung erwartet. Für einen Studiums- Abschluss wird die Zeit bis zum Herbst auch für einen Achammer nicht reichen.

Fr., 12.05.2023 - 18:17 Permalink
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G. P. Fr., 12.05.2023 - 18:52

„Es braucht eine ehrlichere Debatte“.
Eine abgedroschene Phrase, welche "Du, Philipp" Achammer im letzten halben Jahr bestimmt 100 Mal gesagt hat.

Fr., 12.05.2023 - 18:52 Permalink
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Profil für Benutzer Michael Bockhorni
Michael Bockhorni Sa., 13.05.2023 - 08:39

Neben Menschen mit deutscher bzw. italienischer Muttersprache gibt es auch noch welche mit ganz anderen und die werden auf Grund der demographischen Entwicklung und dem Arbeitskräftemangel mehr werden. Deren Kinder steigen dann auch sofort in Bildungssystem ein, unabhängig von den Sprachkenntnissen der Eltern.

Sa., 13.05.2023 - 08:39 Permalink