Chronik | Maskenskandal

Botschaft an die Ankläger

Die Verteidigung versucht geschickt mit Halbwahrheiten die Öffentlichkeit zu beeinflussen und die Staatsanwaltschaft unter Druck zu setzen. Was wirklich passiert ist.
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Foto: upi
Paolo Fava ist ein alter Hase. Der heute 73jährige Anwalt kennt alle Facetten der Prozessführung. Fava verteidigt im Verfahren um die sogenannte Maskenäffäre zwei zentrale Figuren. Florian Zerzer, Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes und Enrico Wegher, Verwaltungsdirektor des Sanitätsbetriebes.
Der renommierte Strafverteidiger weiß, dass man Prozesse nicht nur in der Aula des Landesgerichts entscheiden und gewinnen kann. Ebenso wichtig - vor allem in der Ermittlungsphase - ist es, die öffentliche Meinung in die gewünschte Richtung zu lenken.
Es ist deshalb kein Zufall, dass Paolo Fava Anfang dieser Woche vor ausgewählten Journalisten und Journalistinnen Hof hält.
Fava kehrt dabei die Rollen kurzerhand um. Es gehört zum Alltag der Strafverteidiger, dass sie sich darüber beklagen, dass Details der Ermittlungen noch vor der Prüfung durch den zuständigen Voruntersuchungsrichter in den Medien landen und damit an die Öffentlichkeit kommen.
 
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Strafverteidiger Paolo Fava: Geschickte mediale Offensive.
 
 
Jetzt aber spielt Fava genau dieses Spiel. Der Zerzer-Anwalt füttert Anfang dieser Woche am Rande einer Verhandlung am Bozner Landesgericht Journalisten und Journalistinnen mit bewusst ausgewählten Fakten und Details aus dem 2.116 Seiten starken Abschlussbericht zum Strafverfahren 1854/220. Das Ergebnis der Aktion lässt sich am Mittwoch in den Blättern des Athesia-Konzern nachlesen.
Lauschangriff bei Masken-Affäre: 700.000 Anrufe wurden angehört“, titeln die Dolomiten und fast deckungsgleich der Alto Adige. Der Inhalt der Artikel: Die Ermittler hätten drei Jahre lang einen noch nie da gewesenen Aufwand betrieben. Man hätte hunderte Telefone auch unbeteiligter Personen abgehört. Dabei sollen selbst Anwälte und SVP-Parlamentarier ins Visier geraten sein. Es handle sich um die bisher größte und teuerste Ermittlung in der Südtiroler Justizgeschichte
Der Zerzer-Anwalt füttert Anfang dieser Woche am Rande einer Verhandlung am Bozner Landesgericht Journalisten und Journalistinnen mit bewusst ausgewählten Fakten und Details.
In einigen Fälle genügte es einen Kaffee mit einer der verdächtigen Personen zu trinken, um die Richter zu überzeugen, in dem öffentlichen Lokal Wanzen zu installieren, um mögliche kompromittierende Gespräche aufzuzeichnen“, schreibt etwa der Alto Adige.
Die Botschaft der medialen Offensive ist klar: Die Verteidigung versucht damit den Druck auf die Staatsanwaltschaft, allen voran den ermittelnden Staatsanwalt Igor Secco, zu erhöhen. Bis Mitte Juni soll entschieden werden, welche Abhörungen in das Verfahren einfließen und was alles vernichtet werden muss.
Dabei operieren Paolo Fava & Co ganz bewusst mit Halbwahrheiten und Unschärfen. Denn die Sachlage ist deutlich anders als jetzt dargestellt.
 

56 Telefone

 
Die Ermittler der Carabinierisondereinheit NAS haben in der Maskenermittlung insgesamt 56 verschiedene Telefonanschlüsse abgehört. Wobei man sagen muss, dass einzelnen unter Ermittlung stehenden Personen bis zu sechs verschiedene Telefonanschlüsse zugeschrieben werden müssen. Auch weil sie - in der Überzeugung oder im Wissen abgehört zu werden - mehrmals das Handy, das Telefon und die Nummer gewechselt haben.
Vor allem aber ist die - so wunderbar klingende - Zahl von 700.000 abgehörten Telefongespräche völliger Humbug.
 
Carabinieri NAS.pg
Carabinierisondereinheit NAS: Telefonabhörungen im Visier der Verteidigung.
 
Für jede Ermittlung muss laut Gesetz ein sogenanntes Registro delle intercettazioni“ (RIT) eingerichtet werden. Darin werden alle Lauschangriffe, das sind in diesem Fall traditionelle Telefonanhörungen, Übertragungen von Wanzen oder Videokameras, Aufzeichnungen bei Beschattungen oder auch Daten- und Audioübertragungen durch sogenannte Trojaner genauestens dokumentiert.
Im offiziellen Abschlussbericht an die Staatsanwaltschaft schreibt NAS-Chefermittler Oberstleutnant Davide Perasso, dass sich in diesem Register über 700.000 Einträge finden. Doch das sind keineswegs alles Abhörungen. Jedes angezapfte Handy übermittelt mehrmals in der Stunde - immer dann wenn es sich in eine neue Zelle einloggt - seine Positionsdaten. Diese Geodaten werden allesamt im RIT eingetragen. Konkret: Bei rund 70 Prozent der 700.000 Einträge handelt es sich um eine Übermittlung dieser Positionsdaten.
Jedem versierten Strafverteidiger ist die Tatsache bekannt. Auch Paolo Fava. 
Die Ermittler haben in ihrem Abschlussbericht rund 1.800 Gespräche aufgelistet, die in den Ermittlungen Eingang gefunden haben.
 

Abgehörte Anwälte

 
Die Zeitungen berichten aber auch darüber, dass sogar Gespräche von Rechtsanwälten mit ihren Mandanten abgehört wurden. Ein Vorgang, der gesetzlich verboten ist und eine Straftat darstellt. Ebenso, dass ein Südtiroler Parlamentarier oder Parlamentarierin beschattet wurde.
Auch dieses Narrativ ist bewusst so gewählt, hat aber einen völlig anderen und legalen Hintergrund.
 
 
 
Die abgehörten Telefongespräche flossen ursprünglich in die Ermittlung ein, weil zeitweise auch gegen drei Rechtsanwälte formal ermittelt wurde: Giuseppe Caia, Michael Grüner und Gerhard Brandstätter.
Giuseppe Caia ist als Rechtsberater des Südtiroler Gesundheitsbetriebes tätig. Dabei hat der renommierte Verwaltungsrechtler aus Bologna Florian Zerzer auch in der verzwickten Angelegenheit zur zweiten 25-Millionen-OberAlp-Lieferung beraten, die bis heute nicht bezahlt wurde.
Im Sommer 2020 sollte diese Lieferung im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung zusammen mit dem Land Trient im Gesamtwert von 72 Millionen Euro angekauft werden. Die Ermittler haben die Entstehungsgeschichte dieser Ausschreibung detailliert verfolgt. Sie ist jetzt auch eines der Herzstücke der Anklage der Staatsanwaltschaft. Der Vorwurf: Versuchte Beieinflussung einer Ausschreibung (Art. 353 c.p - turbata libertà degli incanti).
Während Giuseppe Caia als Berater des Sanitätsbetriebes tätig war, haben Michael Grüner zuerst und nach dessen tragischen Tod Gerhard Brandstätter das Unternehmen OberAlp anlässlich dieser Ausschreibung anwaltschaftlich vertreten. Die anfängliche Ermittlungshypothese: Die Anwälte seien in den Versuch die öffentliche Ausschreibung zu beeinflussen verwickelt. Michael Grüner, Gerhard Brandstätter und Giuseppe Caia wurde zeitweilig in das Ermittlungsregister eingetragen. Deshalb wurde vom Voruntersuchungsrichter auch erlaubt, einige abgehörte Telefongespräche zwischen den Anwälten offiziell in die Ermittlungsakten aufzunehmen.
Schon bald aber stellte sich diese Ermittlungshypothese als falsch heraus. Giuseppe Caia wurde von der Staatsanwaltschaft formal angehört und konnte vor den Ermittlern jeden Verdacht unzweifelhaft widerlegen. Staatsanwalt Igor Secco stellte deshalb die Ermittlungen schon in einer Frühphase ein. Das Verfahren gegen die prominenten Anwälte wurde abgetrennt und vom Voruntersuchungsrichter formal archiviert.
 

Treffen mit Julia

 
Aber auch die Geschichte mit der Beschattung eines Südtiroler Parlamentariers ist weniger spektakulär als jetzt insinuiert. In der Diskussion um die Ausschreibung schlägt Giuseppe Caia unter anderem eine Gesetzesänderung in Rom vor. Sein Vorschlag: Julia Unterberger soll im Senat dieses Änderung vorlegen.
 
 
 
Florian Zerzer soll den von Caia ausgearbeiteten Gesetzestext der SVP-Senatorin mitgeben, die sich anschickt mit dem Zug nach Rom zu fahren. Die Carabinieri beschatten Zerzer und beobachten, wie der Generaldirektor vor dem Palais Widmann die Umschlag einer seiner persönlichen Sekretärinnen übergibt. Diese bringt den Umschlag dann wenige Meter weiter zum Eingang des Bozner Bahnhof und übergibt diesen dort an Julia Unterberger. Zerzer wollte anscheinend nicht mit der SVP-Politikerin gesehen werden.
Die Übergabe wird von den Überwachungskameras des Bahnhofs festgehalten und die Bilder fließen in die Ermittlungsakten ein. Am Ende kommt es aber nicht zur geplanten Gesetzesänderung. Vor allem aber wurde gegen Julia Unterberger nie ermittelt oder auch nur der leiseste strafrechtliche Vorwurf erhoben.
Paolo Fava nutzt diese Episode jetzt, um zu zeigen, dass die Ermittler anscheinend vor nichts zurückschrecken. „Es wurden sogar Südtiroler Politiker beschattet“, schreibt der Alto Adige, „darunter auch ein Südtiroler Parlamentarier oder eine Parlamentarierin“.
Favas Medienoffensive kann man auch als einen klarer Fingerzeig in Richtung Staatsanwaltschaft werten. 

 

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Stefan S Mi., 17.05.2023 - 14:02

"700.000 Anrufe wurden angehört"
Wer einfach mal mehr wie eine Gehirnzelle aktiviert wird sofort merken das diese Zahl völliger Unsinn ist. Die Athesia in bester Blödzeitungsmanier.

Mi., 17.05.2023 - 14:02 Permalink
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alfred frei Mi., 17.05.2023 - 16:11

"die öffentliche Meinung in die gewünschte Richtung zu lenken". Frage: welche Möglichkeiten gibt es sich nicht in die gewünschte Richtung lenken zu lassen ? Genügt es sich von "salto.bz" einen Floh ins Ohr setzen zu lassen ? Oder bleibt uns nur übrig mit Karl Valentin zu sagen: "Glaubt nicht alles, was in der Zeitung steht".

Mi., 17.05.2023 - 16:11 Permalink
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Josef Fulterer Do., 18.05.2023 - 05:36

Das Gesetz ist "uguale per tutti ...?! Sollte es zwar sein, aber ...
Leider lassen sich die Gerichte von den kostspieligen-listigen Rechts-Anwälten / -Verdrehern (... die sich der einfache Bürger nicht leisten kannn), den politischen Mandateren die ihr Amt zur Kunden-sammlung für ihre Anwalts-Kanzleien MISS-BRAUCHEN und sogar von politisch verseuchten Staatsanwälten auf fasche Fährten locken.

Do., 18.05.2023 - 05:36 Permalink
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Salto User
Günther Alois … Do., 18.05.2023 - 08:57

Da sind gewaltige Kräfte dahinter alles in Frage zu stellen mit den raffiniertesten Mitteln der Rechtssprechung! Wird nicht viel rauskommen,dazu sind die Rechtsanwälte zu gewieft. Viel Geld,kein Problem,zahlt der Steuerzahler hintenrum???

Do., 18.05.2023 - 08:57 Permalink
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Hannes Theiner Do., 18.05.2023 - 10:38

Dass es sich um Ermittlungen von riesigem Ausmaß, die zudem extrem kostspielig gewesen sein müssen, handelt, ist doch mehr als offensichtlich. Das schafft nicht mal der Franceschini in Zweifel zu ziehen, auch wenn er es mit diesem Artikel versucht.
Und dass die Ermittler jetzt mit allen Mitteln versuchen werden eine Anklage anzustreben (selbst wenn sie nicht gerechtfertigt wäre) ist sicher, schließlich sind sonst sie es, die blöd dastehen, wenn sie den ganzen Aufwand betrieben haben und am Ende nichts dabei rauskommt.

Do., 18.05.2023 - 10:38 Permalink
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Manfred Klotz Fr., 19.05.2023 - 07:41

Antwort auf von Hannes Theiner

Die stehen überhaupt nicht blöd da, denn es ist deren Arbeit. Der Aufwand, der bei solchen Ermittlungen betrieben wird ist ja letztlich auch eventuell zum Vorteil der Personen, gegen die ermittelt wird.
Würden Sie sagen, dass der Aufwand übertrieben ist, auch wenn dadurch Personen entlastet werden? Wenn die durch Abhörungen ermittelten Fakten den Boden entziehen, dann kommt es auch nicht zu einer Anklage, das kann sich kein Voruntersuchungsrichter und kein Staatsanwalt erlauben. Wenn hingegen die Fakten Verdachtsmomente bestätigen, dann ist es auch korrekt eine Anklage zu formulieren. Strafverfolgung kann keine Frage von finanziellem Aufwand sein.

Fr., 19.05.2023 - 07:41 Permalink