Wirtschaft | Wohnungsnot

700 Zweitwohnungen in Abtei

Wohnbaureferent Pescosta kritisiert die touristische Entwicklung seiner Gemeinde, die zu hohen Mieten führe. Die Ex-HGV-Obfrau des Gadertals pflichtet teilweise bei.
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Foto: Seehauserfoto
Abtei gehört zu den Südtiroler Gemeinden mit offizieller Wohnungsnot. Seit Jahresbeginn muss in 21 Gemeinden für leerstehende Wohneinheiten ein erhöhter GIS-Steuersatz von mindestens 2,5 Prozent entrichtet werden. „Ich weiß von Personen, die beim Erhalt des Steuerbescheids schockiert waren, da es sich um beträchtliche Summen handelt. Ob die Super-GIS zu einer Entspannung auf dem Wohnungsmarkt führt, kann man aber noch nicht sagen“, erklärt Werner Pescosta, Wohnbaureferent in der Gemeinde im Gadertal.
Dabei muss meines Erachtens aber von denjenigen unterschieden werden, die im Tourismus arbeiten, und jenen, die ich ehrlich gesagt als Tourismus-Schmarotzer bezeichnen muss.
Letztes Jahr im Herbst definierte die Landesregierung 21 Gemeinden mit Wohnungnot. Es sind jene Gemeinden, deren Mindestmietpreise den durchschnittlichen Preis auf Landesebene laut der nationalen Beobachtungsstelle des Mietmarktes (Osservatorio del Mercato Immobiliare – OMI) um mindestens 20 Prozent überschreiten.
 

Fallbeispiel Abtei

 
In der touristisch geprägten Gemeinde im Gadertal leben rund 3.500 Menschen, etwa 700 Immobilien sind als Zweitwohnungen eingetragen. „Dieser Anteil ist zu hoch, vor allem für junge Menschen ist es schwierig, hier eine Wohnung zu mieten oder gar zu kaufen“, so Pescosta. Für eine Zwei-Zimmer-Wohnung müsse mit einem Mietpreis von mindestens 1.000 Euro gerechnet werden. Ein Grund für die hohen Preise stellt auch das wachsende Interesse in- und ausländischer Investoren dar.
 
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Werner Pescosta: „Für die Dorfgemeinschaften, aber auch für die ladinische Sprachminderheit ist es fatal, wenn junge Menschen ihre Heimat verlassen.“ (Foto: privat)
 
Letztes Jahr wurde beispielsweise ein Haus in einem Weiler für 3,7 Mio. Euro verkauft. Der Käufer verbringt dort nun seine Ferien. Auch Hotels werden für Investoren aus dem Ausland interessant. Kürzlich wurde etwa bekannt, dass in St. Kassian, einer Gemeindefraktion von Abtei, 49 Prozent der Gesellschaftsanteile des seit 1939 bestehenden Fünf-Sterne-Luxushotels „Rosa Alpina“ für rund 11 Mio. Euro an die internationale Hotelkette „Aman“ übergehen sollen.
St. Kassian ist in der Gemeinde Abtei touristisch am meisten entwickelt. Nichtsdestotrotz fehlen im Dorf bereits seit Jahren wichtige Dienste: Es gibt keine Apotheke, keine Bank, kein Postamt. Außerhalb der touristischen Saison sind auch Gasthäuser, Bars und die meisten Geschäfte geschlossen.
Marina Rubatscher Crazzolara, ehemalige HGV-Gebietsobfrau im Gadertal und Geschäftsführerin des Hotel Waldhof in Rabland, bestätigt die Erhöhung der Wohnungspreise durch die touristische Entwicklung. Dafür einzig und allein die Hotellerie verantwortlich zu machen, sei allerdings zu kurz gegriffen: „Oft wird in der öffentlichen Debatte der Tourismus als Schuldiger genannt. Dabei muss meines Erachtens aber von denjenigen unterschieden werden, die im Tourismus arbeiten, und jenen, die ich ehrlich gesagt als Tourismus-Schmarotzer bezeichnen muss. Denn wer ein Hotel führt, schafft nicht nur Arbeitsplätze im Gastgewerbe, sondern generiert Wertschöpfung und trägt zur Kreislaufwirtschaft in Südtirol bei, indem mit anderen Wirtschaftssektoren vor Ort, etwa Handwerk oder Landwirtschaft, zusammengearbeitet wird.“
 
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Marina Rubatscher Crazzolara: „Es wird immer davon gesprochen, dass die Arbeit im Tourismus unattraktiv ist, ohne es einmal ausprobiert zu haben.“ (Foto: privat)
 

Streitpunkt Tourismus

 
Was hingegen mehr Schaden als Nutzen bringe, sei der Verkauf und die Vermietung von privaten Immobilien an Gäste. „Verkauft werden hauptsächlich die kleinen Häuser, nicht die großen Hotels - zumindest bei uns im Gadertal. Hier bräuchte es Anreize vonseiten der Politik, um den Einheimischen Wohnraum zur Verfügung zu stellen“, erklärt Rubatscher Crazzolara. Die Hotelierin saß als Gemeinderätin fünf Jahre in der Baukommission von Abtei. Dabei befasste sich die Kommission häufig mit Immobilienprojekten, die für den Verkauf ausgelegt waren.
Für die Dorfgemeinschaften, aber auch für die ladinische Sprachminderheit ist es fatal, wenn junge Menschen ihre Heimat verlassen.
Zudem werde die Wohnungsnot durch die Privatzimmervermietung wie AirBnB und das illegale Vermieten konventionierter Wohnungen an Gäste verschärft. „Es ist eine ungute Situation, weil die Gemeinden nicht Polizei spielen wollen“, so Rubatscher Crazzolara. Bei konventionierten Wohnungen entfällt die Baukostenabgabe von höchstens 15 Prozent, die Immobilie muss im Gegenzug allerdings zum Landesmietzins an Provinzansässige oder Arbeitende vermietet werden. Seriöse Bauträger geben diese Einsparung beim Verkauf weiter. Ob konventionierte Wohnungen tatsächlich an berechtigte Personen vermietet werden, kontrolliert die Landesagentur für Wohnbauaufsicht mit sechs Angestellten.
 
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Tourismushochburg St. Kassian: Es gibt keine Apotheke, keine Bank, kein Postamt. (Foto: Seehauserfoto)
 
Wohnbaureferent Pescosta beurteilt die Lage anders als die ehemalige HGV-Funktionärin: Es sei ein Problem, dass neben dem Tourismus und dem damit eng verbundenen Handwerk keine weiteren Wirtschaftszweige in der Gemeinde florieren. Wer sich nicht für eine Arbeit in diesen Sektoren interessiert, pendelt zwischen Arbeitsplatz und zuhause oder wandert ab. „Für die Dorfgemeinschaften, aber auch für die ladinische Sprachminderheit ist es fatal, wenn junge Menschen ihre Heimat verlassen. Viele Personen sind in den letzten Jahren aus Arbeitsgründen hergezogen. Sie sprechen Deutsch und Italienisch, aber meist kein Ladinisch und sie integrieren sich kaum“, sagt Pescosta. 
Die ehemalige Gadertaler Gebietsobfrau Rubatscher Crazzolara hält dagegen: „Es wird immer davon gesprochen, dass die Arbeit im Tourismus unattraktiv ist, ohne es einmal ausprobiert zu haben. Heute überzeugen Hotels Mitarbeiter*innen mit einem überdurchschnittlich hohen Gehalt und angemessenen Arbeitszeiten, die sich nach Wunsch und Anspruch der Arbeitnehmer*innen richten, sowie eine ganze Reihe an Zusatzleistungen und Absicherungen noch dazu. Das mag vor einigen Jahren noch nicht der Fall gewesen sein, aber durch die Corona-Pandemie und dem Arbeitskräftemangel hat es in vielen Betrieben ein Umdenken gegeben.“
Die Arbeit im Tourismus sei abwechlsungsreich und ermögliche es, immer wieder neue Menschen kennenzulernen und sich weiterzubilden. Und tatsächlich seien Arbeitsplätze im Tourismus bei der jungen Generation hoch im Kurs: „Dieses Jahr arbeiten in unserem Hotel eine Vielzahl an jungen Praktikant*innen, die selbst um einen Sommerjob angesucht haben. Selbstverständlich obliegt es nun auch dem Betrieb, dafür Sorge zu tragen, dass die Freude an diesem Berufssektor erhalten wird.“
 
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Klemens Riegler Do., 22.06.2023 - 22:39

Die Zweit-Wohnungspolitik muss spätestens JETZT überdacht werden. Andernfalls werden Wohlhabende aus vieler Herren Länder in den nächsten Jahren alles aufkaufen was sich irgendwo anbietet. Zu Preisen bei denen der Durchschnitts-Südtiroler nicht mithalten kann.
Im IDM-begehrtesten Lebensraum Europas ist das sogar aus spekulativen Gründen (Rendite) nicht uninteressant. Diesen Spielchen kann nur mit einem definitiven Verkaufsverbot ein Riegel vorgeschoben werden. Noch höhere GIS und ein Verkaufsverbot würde den Markt ziemlich schnell beruhigen und regulieren ... und einheimische würde sich in "ihrem" Tal vielleicht eine eigene Bleibe leisten können.
P.s. ich hatte es anderswo schon einmal geschrieben: Wohnraum der nur 1 Woche im Jahr genutzt wird ist eine Frechheit. Zusatz: für 1 Woche kann man in Südtirol auch ein wunderbares Hotel buchen.

Do., 22.06.2023 - 22:39 Permalink
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Peter Hopfgartner Sa., 24.06.2023 - 18:22

Das Problem hat auch in anderen Gemeinden für untragbare Zustände gesorgt. In Meran wird seit einigen Jahren ein beachtlicher Teil der Wohnungen an auswärtige Käufer, vor allem aus Deutschland und Schweiz, abgetreten.
Und immer öfter höre ich von Mittzwanzigern, dass sie Südtirol verlassen werden, weil es mit lokalen Gehältern, auch mit zwei Gehältern, nicht möglich ist eine Wohnung zu kaufen oder zu mieten.

Sa., 24.06.2023 - 18:22 Permalink