Wirtschaft | Löhne

Keine Einigung in Aussicht

Die Südtiroler Gewerkschaften fordern eine Erhöhung aller Tariflöhne in der Privatwirtschaft. Die Verbände für Handel und Handwerk verweisen aber auf die Zusatzabkommen.
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Foto: Brunno Kelzer / Unsplash
Anfang Juni waren Hunderte Menschen dem Aufruf der Südtiroler Gewerkschaftsorganisationen gefolgt. Sie versammelten sich vor dem Landtag, um höhere Löhne zu fordern. Konkret haben die Südtiroler Gewerkschaften unter anderem einen Vorschlag ausgearbeitet, der ein territoriales Lohnelement von 150 Euro brutto für die Sektoren der Privatwirtschaft vorsieht, wenn beim Gehalt nur die vom gesamtstaatlichen Kollektivvertrag ausgehandelte Summe, nämlich der Tariflohn, ausbezahlt wird.
„Wir stellen fest, dass im Einzelhandel und im Tourismus sowie auch in anderen Dienstleistungsbereichen und im Handwerk in Südtirol häufig nur der Tariflohn gezahlt wird und solche Gehälter reichen nicht aus, um die hohen Lebenshaltungskosten in Südtirol tragen zu können“, erklärt Alex Piras, ASGB-Vizevorsitzender und Fachsekretär für Handel, Dienstleistungen und Tourismus. Um das Abrutschen von Teilen der Bevölkerung in die Armut zu verhindern, brauche es deshalb ein bereichsübergreifendes Abkommen für die Provinz, das ein solches territoriales Lohnelement einführt, welches mindestens alle zwei Jahre an die lokale Inflation angepasst wird.
Die Kollektivverträge sind grundsätzlich auf nationaler Ebene geregelt, zusätzlich gibt es in Südtirol Zusatzabkommen in den Sektoren Handel und Dienstleistungen, Tourismus, Freiberuf und in einigen Handwerksbereichen wie Holz, Metall und Bau. In der Industrie werde bereits größtenteils mit Betriebsabkommen übertariflich bezahlt. „Es gibt natürlich auch im Handel und Gastgewerbe und in anderen Sektoren viele Unternehmen in Südtirol, die ihre Mitarbeiter*innen angemessen bezahlen“, so Piras.
 
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Die Kundgebung vor dem Landtag: Hunderte Menschen forderten höhere Löhne ein. (Foto: Seehauserfoto)
 
Gleichzeitig können laut AFI-Direktor Stefan Perini rund ein Sechstel der Südtiroler*innen trotz Vollzeitbeschäftigung „kein angemessenes Leben führen“. Da die Lebenshaltungskosten in Südtirol für alle Arbeitnehmer*innen hoch sind, fordern die Gewerkschaften auch vonseiten der Politik, dass diese gezielte Maßnahmen ergreift, mit denen jene Betriebe, die nur Tarif zahlen, zur Zahlung höherer Löhne bewegt werden. Diese soll bei Ausschreibungen und der Auszahlung von Förderbeiträgen als Entscheidungskriterium heranziehen, ob Unternehmen ihre Angestellten angemessen, sprich mit dem territorialen Lohnelement, entlohnen.
 

Sichtweise der Arbeitgeber

 
Der Wirtschaftsverband Handwerker und Dienstleister (lvh) und der Handels- und Dienstleistungsverband Südtirol (hds) stehen der Forderung skeptisch gegenüber, sie lehnen ein bereichsübergreifendes Abkommen ab. „Es können nicht alle über einen Kamm geschoren werden. Manche arbeiten mehr, manche weniger, es gibt unterschiedliche Aufgabenbereiche und Verantwortlichkeiten. Die Entlohnung wird der Leistung entsprechend ausbezahlt“, erklärt Philipp Moser, hds-Präsident. „Jeder Sektor bringt spezifische Anforderungen mit sich, auch zwischen größeren und kleineren Betrieben gibt es Unterschiede. Eine bereichsübergreifende Vereinbarung würde die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen gefährden“, führt Martin Haller, lvh-Präsident, aus.
Er betont zudem, dass die Verhandlungen auf nationaler Ebene zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften sehr schleppend verlaufen und teilweise bereits ausgelaufene Kollektivverträge herangezogen werden müssten. „In diesem Punkt haben die Südtiroler Gewerkschaftsorganisationen recht. Das ist in Italien derzeit das größte Manko.“
 
 
Auf Provinzebene seien für hds und lvh die Fachgewerkschaften ihre Ansprechpartner für die Zusatzabkommen. In diesem Rahmen seien die Arbeitgeberverbände im Handel und Handwerk auch zu Zugeständnissen bereit. „Vor einem halben Jahr wurde im nationalen Kollektivvertrag der Lohn angesichts der Inflation für alle im Durchschnitt um rund 850 Euro aufgestockt. Auch dieses Jahr wird es eine Aufstockung geben“, so Moser. In einem weiteren Schritt seien Gespräche für das Zusatzabkommen geplant.
Der Verbandspräsident bestätigt zwar, dass es auch im Südtiroler Handel niedrige Löhne gebe, da in der Großverteilung der Kollektivvertrag auf nationaler Ebene gilt, der hds sei aber nur für den Fachhandel zuständig. „Niedriglöhne gibt es im Handwerkssektor selten, weil es dort eine gute Ausbildung und viel Erfahrung braucht“, so Haller vom lvh.
Der lvh hat kürzlich das Zusatzabkommen im Bereich Bau abgeschlossen. Haller betont, dass es bei einem Kollektivvertrag neben den finanziellen Aspekten noch weitere Bereiche gebe, die zu besseren Arbeitsbedingungen führen, etwa eine angemessene Arbeitszeit mit genügend Pausen. Das Angebot des lvh, ein bereichsübergreifendes Abkommen für das gesamte Handwerk in Südtirol zu verhandeln, sei von den Gewerkschaften abgelehnt worden.
hds-Präsident Moser wertet die Forderung der Gewerkschaften als „populistische Aussage vor den Landtagswahlen im Herbst“. „Wir suchen alle händeringend Mitarbeiter*innen und bemühen uns sehr, sie langfristig an den Betrieb zu binden“, erklärt er. Daher sei ein bereichsübergreifendes Lohnelement nicht notwendig. Das bestätigt auch Haller und sagt: „Auf italienischer Ebene fällt es Jugendlichen eher schwer, eine Arbeit zu finden.“
 
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Klemens Riegler Sa., 24.06.2023 - 22:40

Ich würde Mal sagen beide Seiten haben irgendwie recht. Und aktuell gibt es zum Thema "zur Zahlung höherer Löhne bewegt werden" eh andere Gründe. Der Mangel an Fachkräften reguliert das wohl besser als irgendwelche Vereinbarungen. Das bedeutet halt auch, dass nach "Leistung" bezahlt wird. Und dort weit über Tarif. Wer "liefert" kann heute gutes Geld dafür verlangen und wird es auch erhalten. Ein kleiner Rest mit zwei gesunden, linken Händen (oder Hirnhälften) bzw. auch notorische Arbeitsverweigerer werden für den Sozialstaat immer ein Problem bleiben und werden auf dem Arbeitsmarkt kaum große Forderungen stellen können.
Enttäuscht war ich eher von der Anzahl an Menschen die auf den Magnago-Platz gepilgert waren. Wenn's ganz schlimm wäre, hätten dort die Massen antanzen müssen. Mit welcher "Macht" im Hintergrund können sonst die Gewerkschaften bei der Politik Druck machen? Auf FB schimpfen ist da weniger hilfreich.

Sa., 24.06.2023 - 22:40 Permalink
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Josef Fulterer So., 25.06.2023 - 06:00

Antwort auf von Klemens Riegler

So klein ist der Rest der Arbeit-Nehmer nicht, die mit dem NEO-LIBERALEM SYSTEM aus dem Arbeits-Verhältnis gehungert werden:
das Pflege-Personal in den Krankenhäusern + Altersheimen,
die Raum-Pfleger,
das Lehr-Personal,
die Verwalrungs-Beamten, die zudem auch noch mit ...? Sinn-loser Bürokratie belastet werden
und schließlich noch ALLE, von d e n e n man erwartet, dass sie die Arbeit zu-Hause + im Ehren-Amt, OHNE-ENTGELT-LEISTEN,
um möglichst viel Geld um-zu-leiten:
für SINN-lose BABILONISCHE BAUTEN,
die dringend gesuchten FACH-Arbeiter,
die zu-nehmende Schar der General-Direktoren, CEOs + andere wichtig-Tuer, die 0 hinter dem Komma für die Gesellschaft leisten.

So., 25.06.2023 - 06:00 Permalink