Blaue Vorurteile
salto.bz: In welchem Bezug stehen Sie zur Südtiroler Gemeinde Sexten, dass man Ihnen dort, zu Ihrem 80. Geburtstag, eine große "blaue" Ausstellung auf die Beine gestellt hat?
Manfred Bockelmann: Da spielen auch Zufälle eine Rolle. Ich habe einmal den Herrn Hermann Rogger kennengelernt, der wollte für eine Gruppenausstellung Bilder aussuchen, zum Thema Baum. Da hab ich dann mitgemacht und gesehen, dass dieses kleine Museum sehr gut geführt wird. Ich kannte damals diesen Teil von Südtirol noch nicht. Nach dieser ersten Begegnung mit dem Museum, kam dann die Anfrage von Hermann Rogger zu meinem Achtzigsten erneut eine Ausstellung zu machen, er besuchte mich in Kärnten in meinem Atelier. So kam das.
Ich sagte meinem Galeristen: Wenn der Haider in meine Ausstellung kommt, bei einer Eröffnung, dann verlasse ich sofort den Raum.
Sie kannten wahrscheinlich die Gegend um Meran besser als das Puster- und Sextental, ist doch ihr Großvater Heinrich Bockelmann in Meran begraben...
Als mein Vater noch lebte, sind wir auf den Fahrten nach Italien mit der Familie immer wieder mal in Meran vorbeigekommen und haben das Grab des Großvaters besucht. Sonst hab ich mit Meran nichts zu tun. Als mein Großvater starb, da war ich zwar schon auf der Welt; ich konnte mich aber nicht an ihn erinnern. Meine Brüder schon.
Meran spielt in der Familiengeschichte also nicht wirklich eine große Rolle?
Das Ganze spielte sich im Spannungsfeld einer Scheidung ab, was damals ja eher ein Skandal war, und mein Großvater hat sich in Meran auch altersbedingt zurückgezogen, mit seiner neuen Partnerin. Geboren wurde mein Großvater in Bremen, er hat dann in Russland Karriere gemacht, ist nach dem 1. Weltkrieg wieder nach Norddeutschland gekommen und hat dort ein großes Gut gekauft. Dort sind mein Vater und seine vier Brüder in der Lüneburger Heide aufgewachsen und sind dort auch zur Schule gegangen. Die waren alle sehr erfolgreich. Werner Bockelmann etwa, der war Oberbürgermeister von Frankfurt, oder Erwin Bockelmann, der war Generaldirektor von BP, baute die erste Raffinerie in Hamburg...
Sie selbst sind in Kärnten aufgewachsen?
Ja, mein Vater kam im Auftrag seines Vaters nach Klagenfurt. Kärnten war ja in der Zwischenkriegszeit ein Armenhaus und viele verkauften ihre Güter, auch die Aristokratie. Mein Vater und meine Mutter – er war 24, sie war 20 – kamen frisch verheiratet nach Kärnten und bewirtschafteten ein Gut mit 60 Landarbeiterinnen und Landarbeitern – eigentlich eine unglaubliche Geschichte. Meine Brüder und ich sind alle in Klagenfurt geboren. Der Kontakt nach Deutschland, zum Rest der Familie, war aber immer da.
Dieses frühe Bild wurde dann auch immer hergezeigt und die Gäste sagten: Manfred du bist ja ein richtiger Künstler.
Sie waren als Kind schon kreativ?
Mein Bruder Udo ist als Kind wegen seiner Begabung sehr aufgefallen. Ich war neun Jahre jünger als er und hab lange nicht gewusst, dass ich auch ein Talent besitze. Ich habe schon sehr früh gezeichnet, das schon. Und da kam es auch, dass wir nach einem Italienaufenthalt mit Abstecher in Venedig zuhause ankamen und ich, damals 11 Jahre alt, aus dem Gedächtnis heraus ein Aquarell machte, indem ich aus der Erinnerung heraus Venedig malte. Das Bild hing dann plötzlich gerahmt, mit Passepartout, im Arbeitszimmer meines Vaters, wo noch andere, wertvolle Bilder hingen. Ich war überrascht und unglaublich stolz. Dieses frühe Bild wurde dann auch immer hergezeigt und die Gäste sagten: Manfred du bist ja ein richtiger Künstler. Dann hab ich mir gedacht, es ist vielleicht gar nicht so schlecht, wenn ich da weitermache.
Zunächst haben Sie aber nicht gemalt, sondern vor allem Fotografie gemacht…
Ich sollte in den 1960er Jahren den Militärdienst ableisten, hatte aber meinem Vater als Kind das Versprechen gegeben, dass ich nie in meinem Leben mit einem Gegenstand auf einen Menschen ziele, denn der Gegenstand könnte irgendwann mal auch ein Gewehr sein. Mein Vater hatte uns nämlich einmal beobachtet gehabt, wie wir Kinder im Hof spielten – ich denke es war wohl das Spiel Räuber und Gendarm. Dann hat er mich zu sich gerufen, und ich gab ihm das Versprechen. Mir wurde aber erst später richtig klar, was ich da versprochen hatte. Nachdem es damals noch keinen Zivildienst gab, fand ein befreundeter Anwalt heraus, dass wenn ich nach Deutschland ziehen würde, mit Arbeit in fixer Anstellung, dann bräuchte ich nicht den Militärdienst abzuleisten. Das hab ich gemacht. Ich ging nach München, wo aber nicht wirklich jemand auf einen Maler gewartet hatte und arbeitete als Fotograf. München war ja eine Filmstadt, Studenten und Studentinnen benötigten Fotos, da sie als Statisten arbeiten wollten. Ich habe die Fotos gemacht, dann im Badezimmer meiner kleinen Bude entwickelt. Später habe ich viel für große Magazine fotografiert und war viel unterwegs. 1970 hörte ich, trotz großen Erfolges, mit der Reportage-Fotografie auf. Ich wollte ja Maler werden.
Und dann sollte erneut Venedig eine Rolle in ihrem Leben als Künstler spielen?
Ja, ich hatte nämlich Friedrich Hundertwasser in Zürich getroffen. Dieser lud mich nach Venedig ein, auf sein Schiff. Ich fragte ihn, ob ich ihn dort fotografisch begleiten dürfe, auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr fotografieren wollte. Ich hab dort dann mit ihm noch meine letzte große Arbeit als Fotograf gemacht und gleichzeitig das damals erfolgreichste Kunstbuch Hundertwasser : Regentag. Wir haben über 100.000 Bücher verkauft.
Einen Künstlernamen, wie ihr Bruder Udo, wollten Sie sich nie zulegen?
Udo wurde ja mit seinen beiden Vornamen bekannt Udo Jürgens. Die Leute wussten gar nicht, dass er mit Familiennamen Bockelmann hieß. Und dann komponierte er Mitte der 1970er Jahre das Lied: Mein Bruder ist ein Maler. Das hat er am Klavier gespielt und mir ursprünglich zu Weihnachten geschenkt. Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis, haben uns oft ausgetauscht und gegenseitig beobachtet. Udo war beeindruckt von meiner Arbeit, und meinte: Du kannst deine Arbeit anfassen, die wird bleiben, meine Kunst ist nur Schall und Rauch. Wir haben dann darüber gelacht und ich habe ihn auch getröstet, indem ich entgegnete, dass ich gerne sein Portmonee hätte und betonte, dass vor meinen Bildern nie jemand klatscht, tobt, oder in Ohnmacht fällt. Das Lied, dass er für mich schrieb, kam später als Single auf den Markt und lief sehr erfolgreich. Die Leute fragten sich natürlich: Wer ist denn dieser Maler? Und es hieß: Der Bockelmann ist ja der Bruder von Udo Jürgens.
Eine gute Werbung?
Werbung, auch wenn mit Abstrichen. Denn man darf nicht vergessen, dass ich bereits mit guten Galerien gearbeitet hatte, aber es gab ab diesem Moment auch eine gewisse Hemmung am Kunstmarkt für mein Schaffen. Denn keiner wollte den Anschein erwecken, sich nun auf einen fahrenden Zug aufzusetzen. Meine Ausstellungen waren plötzlich extrem gut besucht, vor allem bei den Vernissagen. Aber ich habe festgestellt, da kamen Leute, die nie in einer Galerie waren. Die suchten vielleicht den Griechischen Wein in meinen Bildern. Udo hatte ja auch immer sehr große Erfolge, mit Songs, die sehr bildhaft waren. Und so standen die Leute in den Ausstellungen und suchten in meinen abstrakten Ölbildern. Ich war da plötzlich einer der bekanntesten Maler in Deutschland, von dem man die Bilder nicht kannte. Es waren Vorurteile da, klar. Aber die sind ja da, damit sie überwunden werden.
Und nun folgendes Vorurteil: Sie machen blaue Bilder und kommen aus Kärnten...
Ja, man muss schon aufpassen, dass die Politik einem nicht die Farben wegnimmt. Ich hab das Blau in meinen Bildern aufgenommen, das Blau der Erde und plötzlich wollte auch ein Jörg Haider mich privat kennenlernen und nahm Kontakte über die Galerie auf. Ich sagte meinem Galeristen: Wenn der Haider in meine Ausstellung kommt, bei einer Eröffnung, dann verlasse ich sofort den Raum. Es waren damals diese ersten blauen Bilder. Natürlich male ich auch andere Sachen, sonst würde ich ja verrückt werden.
Das abgefallene Blatt, ein günstiges Motiv?
Ich werde Blätter als Einzelblätter zeichnen und in enormer Größe, dachte ich mir, um den Leuten zu zeigen wie fantastisch die Formen sind. Und beim Zeichnen wurde mir klar, ich muss den Blättern auch eine andere Farbe geben. Natürlich fragten die Leute sich, weshalb ich blaue Blätter mache, aber dadurch entsteht eine Auseinandersetzung. Blau ist für mich die Farbe des Lebens. Die Arbeiten sollen auch Hinweis sein, dass das Leben nicht aufhört, wenn das Blatt verfault. Beim Zeichnen stellte ich außerdem fest, dass mein Handrücken große Ähnlichkeiten zu einem Blatt hat.
Wie schwer lastet die Bekanntheit von Udo Jürgens auf den Malerbruder?
Ich habe sehr viele TV-Geschichten abgesagt, da die meisten Medien etwas über Udo in Erfahrung bringen wollten, nachdem er gestorben ist. Über mich als Bruder. Aber das mache ich nicht.
Er hat Ihnen mit einem Lied ein Denkmal gesetzt. Haben Sie ihm auch eins gemalt?
Ich male ihn, halte aber die Bilder zurück.
Gegen das Vergessen. So ähnlich nennt sich auch eine wichtige Kunstaktion, die sie seit einigen Jahren durchführen...
Ja, Zeichnen gegen das Vergessen. Das sind eigentlich Kohlezeichnungen, und sie gelten in der Summe, als mein wichtigstes Kunstwerk. Zudem bringe ich es immer in Verbindung mit Schulprojekten. Da kann anrufen wer will, ich mach bei Aktionen zu Zeichnen gegen das Vergessen immer mit. Denn es geht mir um die Jugend und dass die Schulen Verantwortung übernehmen und die Leute beim Bilderhängen erkennen: Das ist ja meine Altersgruppe. Oder: Der sieht ja aus wie mein Bruder.
Das Projekt ist Geschichtsunterricht, der im Kopf bleibt. Denn es wird augenscheinlich klar, wie grausam die Verbrechen der Nationalsozialisten waren.
War dieses gesellschaftspolitische Engagement bei Ihnen immer schon da?
Wir waren alle sehr politisch. Auch Udo. Der hat sich ja in vielen Liedern – die Leute kennen ja nur die Hits – politisch geäußert. Ich mache das auch, aber man muss dafür auch den richtigen und passenden Weg finden. Etwa beim Thema Holocaust, wie kann man dazu was darstellen, wenn man auf der Schokoladenseite groß geworden ist? Was sollte ich zeichnen? Mir kam dann nach langem Überlegen, folgende Idee: Ich kam ja zu einer Zeit auf die Welt, 1943, als die Konzentrationslager auf Hochtouren liefen. Wenn ich also Kinder zeichne, die getötet wurden, in der Zeit als ich geboren wurde, dann wären das ja meine Spielkameraden gewesen. Es sind Menschen-Porträts, von Kindern, die wichtige Menschen in meinem Leben hätten sein können. Ich hab dann recherchiert und drei Jahre gearbeitet, bis ich mit den Bildern an die Öffentlichkeit ging. Diese Erinnerungsarbeit mache ich weiter, bis ich keine Kohle mehr in der Hand halten kann.
Tolle Sache. Man sieht, wie
Tolle Sache. Man sieht, wie kleine Museen Kunst-Juwelen an Land ziehen können. Weniger mit Geld als mit Engagement und Neugierde. Sympathisch, der Herr Bockelmann.
Ich hatte mal wieder die Ehre
Ich hatte mal wieder die Ehre, die Vernissage audiotechnisch begleiten zu dürfen.
Und ja: obwohl ich die Qualität des Rudolf-Stolz-Museums mit seinen Kuratoren bereits kannte, war es überraschend kurzweilig und interessant, den Ausführungen - vor allem jenen des Herrn Bockelmann - zuzuhören.
Dass das Ganze noch von einem wunderbar zusammenspielenden Duo aus Piano und Bariton untermalt wurde, gab dem Ganzen eine besondere und zusammen mit den Bildern fast etwas melancholische Atmosphäre.
Eine wirklich ("im Auge des Betrachters") schöne Ausstellung!