Wirtschaft | Tourismus

„Das ist nur noch Massentourismus“

Politische Parolen und ein HGV, der dieses Chaos ausnutzt: Tourismus-Experte Thomas Aichner spart nicht mit Kritik am derzeitigen Diskurs über die Zukunft des Tourismus.
Massentourismus in den Bergen
Foto: (c) pixabay
Mehrere Politiker haben sich in den vergangenen Tagen und Wochen zum Thema Tourismus geäußert. Von Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer, die eine Aussetzung der Tourismuswerbung forderte, bis hin zu Thomas Widman, Spitzenkandidat der Liste „Für Südtirol mit Widmann“ der von einer Planwirtschaft hinsichtlich des Bettenstopps sprach. Das sind Extrempositionen, meint dazu Thomas Aichner, der sich seit über 20 Jahren – unter anderem als Marketing-Abteilungsleiter bei IDM – mit dem Thema Tourismus beschäftigt. Seiner Meinung handle es sich dabei vor allem um politische und nicht um sachbezogene Äußerungen. Von diesem chaotischen Diskurs würden vor allem der HGV und andere Wirtschafts-Verbände profitieren, welche „Einflüsterer spielen“ und die maßgeblichen Entscheidungen im Hintergrund treffen würden. „Das Thema ist für Südtirol jedoch zu wichtig, als dass die Landesregierung die Zügel aus der Hand geben darf“, so Aichner, der betont: „Offensichtlich fehlt es an der Kompetenz, was den Weg frei für Interessensvertretungen macht.“
 
 
Offensichtlich fehlt es an der Kompetenz, was den Weg frei für Interessensvertretungen macht.
 
 
Diese handelten nur im eigenen Interesse und nicht zum Wohl der rund 500.000 Einwohner dieses Landes. Die Wertschöpfung aus dem Tourismus sollte allen zugute kommen und nicht nur einigen wenigen Betrieben. Angesprochen auf die derzeitige Situation, meint der Tourismus-Experte, dass vieles unklar sei. Einerseits wird der Tourismus von der Bevölkerung zunehmend kritisiert, was auch durch die Studie „Lebensraumqualität in Südtirol und der Einfluss des Tourismus“, die vom Kompetenzzentrum Tourismus und Mobilität an der Unibz durchgeführt wurde, belegt wird. Angeführt werden in dieser Untersuchung zum einen die zahlreichen positiven Aspekte – wie beispielsweise das Verständnis, dass der erlangte Wohlstand zu einem wesentlichen Teil auf den Tourismus zurückzuführen ist und Freizeitmöglichkeiten wie beispielsweise Skilift-Anlagen geschaffen wurden. Allerdings wächst auch das Bewusstsein über die negativen Folgen, etwa dass der Umweltschutz massiv durch den Tourismus leidet, die Wohnungspreise enorm gestiegen sind und der Verkehr zu einer massiven Belastung geworden ist. „Auf diese Entwicklung muss die Politik reagieren“, fordert Aichner, der auf einen weiteren wichtigen Punkt hinweist: Auch die Touristen hätten mittlerweile verstanden, welche Probleme der Massentourismus mit sich bringt und reagieren entsprechen darauf.
 
 
 
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Tourismus-Experte Thomas Aichner: „Trotz all der Vorteile, die der Tourismus unbestreitbar für Südtirol bringt, muss der Schatzkasten, sprich unsere Natur und Kultur, geschützt werden, damit die nächste Generation auch noch etwas davon hat.“ (Foto: Privat)
 
Viele Studien und Analysen, wie beispielsweise jene des Buchungsportals Regiondo weisen darauf hin, dass der nachhaltige Tourismus zu einem wichtigen Zweig dieser Branche geworden ist. Touren-Anbieter stehen an der Spitze dieser Bewegung, deren Konzept sich darauf gründet, nicht nur wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen, sondern dabei gleichzeitig Natur und Umwelt zu schützen. „Bei diesem Trend handelt es sich nicht um eine Eintagsfliege“, ist der Tourismus-Experte überzeugt und verweist auf die große Chance, die sich für Südtirol daraus ergibt. Anstatt eine 180-Grad-Wendung einzulegen, verrenne man sich jedoch weiter in einen ungesunden Wettbewerb, der den Betrieben letztendlich selbst am meisten schadet. Sinnbildlich dafür steht der Preiskampf, der seit einigen Wochen tobt und auf den Rückgang der Nächtigungszahlen zurückzuführen ist. Maßnahmen wie das Besucher-Management-Projekt in Prags, mit welchem die Besucherzahlen am malerischen Pragser Wildsee unter Kontrolle gebracht werden sollen, sind für Aichner nur erste kleine Schritte und „noch viel zu wenig“. Im Rahmen des Projektes „#Dolomitesvives“ wurde die Sellajoch-Straße 2017 und 2018 für einige Tage während der Sommermonate gesperrt bzw. für den Fahrzeugverkehr eingeschränkt. Wie der Tourismus-Experte, der seinerzeit als IDM-Verantwortlicher das Projekt werblich begleitet hat, schildert, sei diese Aktion sehr gut angenommen worden, was auch aus einer Gästebefragung, die parallel dazu von der Eurac durchgeführt wurde, untermauert wird.
 
 
#dolomitesvives
#Dolomitesvives: Ein Projekt, das bei den Gästen sehr gut angekommen ist. (Foto: LPA)
 
 
Ähnliche Projekte müssten wieder aufgegriffen werden oder zumindest eine Maut-Einhebung angedacht werden. Für das Stilfserjoch hat es bereits derartige Pläne, die mit den Nachbarregionen abgesprochen waren, gegeben, „letztendlich ist es jedoch an den Südtirolern gescheitert“, so Aichner. Auch die Entscheidung der Stadt Bozen, die Einfahrten in die Altstadt zu sperren, wenn die Parkplätze voll sind, geht seiner Meinung nach in die richtige Richtung. „Am Ende ist es auch das, was die Gäste wollen – sie wollen schließlich auch nicht im Stau stehen.“ Dass restriktive Regelungen, die weit über das hinaus gehen, was die Politik derzeit beschließt, notwendig sind, steht für Aichner außer Frage. Das Bettenstopp-Gesetz von Tourismuslandesrat Arnold Schuler sei eine wichtige Maßnahme gewesen, allerdings gebe es nach wie vor zu viele Schlupflöcher. „Mein Vorschlag wäre, eine südtirolweite Bettenbörse mit einem festgesetzten Höchstlimit einzuführen“, so Aichner, der für einen Schlussstrich des ständigen Erweiterungswahns plädiert, da die Betriebe im Hochpreis-Segment ansonsten nicht langfristig überleben könnten. Die Politik müsse deshalb verhindern, dass noch mehr Angebot geschaffen wird. Die Betriebe selbst seien in einem gefährlichen Rad gefangen: Durch die ständigen Ausbau- und Umbaumaßnahmen sei die Gefahr groß, dass die Betriebe in eine Schuldenfalle geraten, was es wiederum ausländischen Investoren leicht macht, in die Betriebe einzusteigen bzw. sie aufzukaufen. Dass hinter vielen traditionsgeführten Familienbetrieben mittlerweile potente Investoren stehen, ist dabei ein offenes Geheimnis, aussprechen will es jedoch niemand. Auch dem Tourismus-Experten sind derlei Geschichten zu Ohren gekommen, der Treuhänder hinter den Geldgebern vermutet. „Um wen es sich genau handelt, wird man jedoch nicht erfahren — auch Zahlen gibt es dazu keine“, so Aichner. Solche Informationen erfahre man allenfalls an der Bar.
 
 
Qualitätstourismus kann heißen, dass ein Gast mit einem Hubschrauber anreist, dass kann aber auch bedeuten, dass er zu Pferd kommt.
 
 
Schuld an diesem „Hamsterrad“ sei aber auch die italienische Steuergesetzgebung, welche jene Betriebe bestrafe, die gut wirtschaften und Umsätze generieren. Auch hier müsste man Hand anlegen, um den Betrieben die Möglichkeit zu geben, den Gewinn zurückzulegen, ohne mit Steuern „totgestraft“ zu werden. Gleichzeitig dürfte das Steuergesetz jedoch nicht als Ausrede herhalten, um die Betriebe zu schützen und ihnen quasi einen Freifahrtschein auszustellen, weiter massiv  ins Grün zu bauen. „Trotz all der Vorteile, die der Tourismus unbestreitbar für Südtirol bringt, muss der Schatzkasten, sprich unsere Natur und Kultur, geschützt werden, damit die nächste Generation auch noch etwas davon hat“ so Aichner, der betont, dass es die Aufgabe der Landesregierung sei, eine ganz klare Vision für Südtirol zu schaffen. Darin soll definiert werden, wo Südtirol in zehn oder 15 Jahren stehen möchte. Festgemacht werden soll diese Vision auch an Zahlen in Bezug auf Ankünfte, Übernachtungen, Aufenthaltsdauer und Wertschöpfung. „Anschließend erwarte ich mir klare Definitionen, was unter Qualitätstourismus zu verstehen ist. Das kann heißen, dass ein Gast mit einem Hubschrauber anreist, dass kann aber auch bedeuten, dass er zu Pferd kommt“, so der Tourismus-Experte, der betont, dass das Angebot in Einklang mit den Besonderheiten Südtirols gebracht werden müsse. Notwendig seien anschließend Maßnahmen, zu denen Förderungen wie auch Einschränkungen zählen. Die Politik brauche einen Think-Tank, eine Organisation, die die Freiheit hat, nach vorne zu denken und mit den Universitäten zusammenzuarbeiten, ist Aichner überzeugt. Anschließend müsse die Landesregierung die entsprechenden Gesetze erlassen und die Handelskammer könne an die Umsetzung gehen. „Das ist auch keine – wie Thomas Widmann es genannt hat – Planwirtschaft, sondern ein Schutz unseres größten Kapitals, nämlich der Landschaft“, so Aichner. Diese Art des Tourismus, die in Südtirol betrieben wird, sei seiner Meinung nach nämlich nicht zukunftsfähig, „das ist einfach nur noch Massentourismus“.

 

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Sigmund Kripp Mo., 31.07.2023 - 06:51

Lieber Dr. Aichner, Sie haben gute Argumente, sind aber leider auf der falschen Liste angetreten! Die SVP ist ja genau verantwortlich für all diese Misstände! Sie muss mal in die Oppositionspause zur Regeneration geschickt werden!

Mo., 31.07.2023 - 06:51 Permalink
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Josef Fulterer Mo., 31.07.2023 - 08:29

Antwort auf von Sigmund Kripp

Zunehmend größere Teile der Bevölkerung von Südtirol, erleben den nur rund 12 % des Wirtschafts-Aufkommens bringenden Tourismus als drückende Belastung.
° Wenn sie Stau stehen,
° die Wohnungsmieten ungezahlbar werden,
° der Einkauf in den Geschäften, die ihre Kapazität für die Spitzen ausbauen wollen / müssen und deshalb hohe Kosten haben,
° die Gasthäuser aus dem gleichen Grund mit Problemen kämpfen,
° die öffentlichen Verkehrsmittel überlastet sind und nicht mehr alle Fahrgäste aufnehmen,
° die öffentliche Einrichtungen, Plätze und Straßen überfüllt sind,
° die frei-verfügbaren öffentlichen Mittel in den Tourismus-Gemeinden "nur für die Gäste eingesetzt werden."
° die Aufräumung, Abfall-Entsorgung und Abwasser-Reinigung auf die Spitzen-Belastung ausgelegt werden muss,
wird die Tolleranz für Pinzer & CO., der über 80 % der Bevölkerung überfordert!

Mo., 31.07.2023 - 08:29 Permalink
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Dietmar Holzner Mo., 31.07.2023 - 09:18

Gleichzeitig müssen aber auch Maßnahmen gegen das Ausufern des Caravaning getroffen werden. Diese rollenden Wohnhäuser belasten das Land ja noch viel mehr.

Mo., 31.07.2023 - 09:18 Permalink
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Stefan S Mo., 31.07.2023 - 11:13

Antwort auf von Dietmar Holzner

"Gleichzeitig müssen aber auch Maßnahmen gegen das Ausufern des Caravaning getroffen werden. Diese rollenden Wohnhäuser belasten das Land ja noch viel mehr"
Bei näherer Betrachtung bietet Camping/Caravaning eine umweltfreundlichere Steuerung der Tourismusströme. Damit meine ich garantiert nicht den Fünf Sterne Platz in Sexten
welcher schon sehr dekadent ist. Ich denke da eher an die vielen Parkplätze welche man im Winter für die Skifahrer nutzt und welche man mit relativ wenig Aufwand zu Wohnmobilstellplätze in
der restlichen Saison nutzen könnte. Bei anständiger Konzeption würde es auch dem sperrigen Wort Bettenstopp helfen und so manche Baukubatur einzusparen.

Mo., 31.07.2023 - 11:13 Permalink
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Stefan S Mo., 31.07.2023 - 09:54

"Anstatt eine 180-Grad-Wendung einzulegen,"
Und an diesem entscheidenden Punkt bleibt Aichner auch sehr vage bzw. hat kein Konzept außer das eines Disneyparks.
Wo sind die konkreten Vorschläge für nachhaltigen Tourismus?
Sprich wie will man "unsere Natur und Kultur, " schützen?
"dass ein Gast mit einem Hubschrauber anreist, dass kann aber auch bedeuten, dass er zu Pferd kommt"
Völlig unsinniges Beispiel, heute reisen die Meisten per Auto an und jetzt will man weitere mit dem Flugzeug locken. Wenn es dann nachhaltiger sein soll müsste der Vergleich lauten, mit der Bahn oder mit dem Fahrrad.
"da die Betriebe im Hochpreis-Segment ansonsten nicht langfristig überleben könnten."
Ja so Geschwüre wie den Quellenhof darf man, im wahrsten Sinne des Wortes, ruhig das Wasser abgraben.
Konzepte wie das Vigilius am Vigiljoch sprechen da schon mehr an.
"Lebensraumqualität" und "Qualitätstourismus" sind mit dem derzeitigen Massentourismus NICHT vereinbar. Da helfen auch Parkleitsysteme und Bettenstopp Gesetze nicht.

Mo., 31.07.2023 - 09:54 Permalink
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rotaderga Mo., 31.07.2023 - 11:50

Das Wild-Campen soll reduziert werden. Auch die weisen Taschentücher mit den braunen Häufchen entlang der Waldpfade sollten verschwinden. Die zugeknöpften Plastiktüten mit den Hunde Exkrementen sollten nicht sein.
Lösung, keine!
Oder doch, vielleicht die Verpflichtung eigenen Müllbehälter immer mitzuführen - im Auto wie auch zu Fuß. Und Beschlagnahme vom Fahrzeug für die Päckchen auf der Böschungen und in Gräben entlang der (Berg) - Straßen.
Würden sich alle korrekt verhalten, wäre noch sehr viel Platz.

Mo., 31.07.2023 - 11:50 Permalink
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Klemens Riegler Mo., 31.07.2023 - 23:55

Wichtige Worte in wilden Zeiten. Fein und zurückhaltend formuliert, unscharf aber mahnend. Im Sinne richtig und wichtig. Dranbleiben Herr Aichner!

Mo., 31.07.2023 - 23:55 Permalink