Jubel bei Forza Italia, Betretenheit in der Mehrheit. Der absurde Handstreich ist ein Werk der Fünfsterne-Bewegung und der Heckenschützen im Partito Democratico. Expo Mailand, Carige Genua, Mose Venedig... Keine Woche ohne neuen Korruptionsskandal. Die jüngste Affäre betrifft ausgerechnet die Guardia di Finanza, deren Aufgabe es eigentlich wäre, die Korruption aufzudecken. Dass die politische Abteilung der Polizei eine Hausdurchsuchung im Hauptquartier der Guardia di Finanza durchführt, demonstriert augenfällig , welch dramatische Ausmaße Korruption und Amtsmissbrauch in Italien erreicht haben. Vizekommandant Vito Bardi soll mindestens eine Million Euro an Bestechungsgeldern kassiert haben, der Kommandant der Finanzwache von Livorno wurde verhaftet. Bereits im Mose-Skandal war ein General der Guardia di Finanza im Gefängnis gelandet - die institutionalisierte Bestechung.
In dieser Situation passiert im Parlament etwas Unerhörtes: mit sieben Stimmen Mehrheit votiert die Kammer für einen Lega-Antrag , der eines von Berlusconis Steckenpferden enthält: die "responsabilitá civile dei giudici". Mit anderen Worten: die Möglichkeit, Richter nach unangenehmen Urteilen auf Schadenersatz zu klagen. Das Ergebnis wurde von Forza Italia und Lega mit Jubel aufgenommen. Bei der geheimen Abstimmung votierten mindestens 35 Abgeordnete des Partito Democratico für den Antrag, nach Überzeugung der leghisti sogar bis zu 80. Der Movimento 5 stelle trug das Seine dazu bei und enthielt sich der Stimme. Offizielle Begründung: man habe damit die "Doppelbödigkeit im PD entlarven" wollen. Offenbar ist den "Bürgern" im Kampf um die Legalität das Polit-Theater wichtiger als der Inhalt.
Premier Matteo Renzi verharmlost das Ereignis als "Sturm im Wasserglas". Man werde das Votum im Senat korrigieren. Das Ergebnis der neuen Abstimmung bleibt abzuwarten. Doch der Fall beweist, daß die Partei mit ihrem "gattopardismo " offenbar nicht fertig wird. Der Dissident Corradino Mineo wurde nun vom PD in der Verfassungskommission ersetzt, um die Reform des Senats in der gewünschten Form durchzusetzen - ein bedenkliches Verfahren. Der versprochene Kampf gegen die Korruption stockt indessen. Der Anticamorra-Richter Raffaele Cantone, der die neue Aufsichtsbehörde führt, verfügt nur über 26 Personen und kann keine Sanktionen beschließen, bevor das Parlament ihn nicht mit den nötgen Vollmachten ausstattet.
Indessen hat in Venedig das übliche Karussell begonnen. Bürgermeister Orsoni will nicht zurücktreten und kein Geld erhalten haben - in einem gerichtlichen Vergleich akzeptiert er vier Monate bedingt und bleibt im Amt. Seine Suspendierung wird aufgehoben. Und Giovanni Mazzacurati, der geschwätzige Ex-Präsident des mächtigen Consorzio Venezia, will an alle und jeden Geld verteilt haben - auch an Ex-Bürgermeister Massimo Cacciari und Ex-PremierEnrico Letta - Vorwürfe, die mit Vorsicht zu genießen sind.