Politik | Interview
„Nicht immer kleinkariert denken“
Foto: Privat
salto.bz: Die genaue Zahl ist unklar, fest steht dennoch, dass es in Südtirol viel ungenutzten Leerstand gibt. Welche Schwierigkeiten gibt es aus Ihrer Sicht, um Leerstand neu zu nutzen?
Kathrin Dorigo: Laut Richtlinien des neuen Gesetzes für Raum und Landschaft muss jede Gemeinde den Leerstand erheben. Zudem hat die Landesregierung entschieden, dass Leerstand und ungenutzte Baugrundstücke mit der Gemeindeimmobiliensteuer (GIS) höher besteuert werden. In Südtirol hat Eigentum im Vergleich zu anderen Ländern einen hohen Stellenwert. Es fehlen ausreichend Anreize für Immobilienbesitzer*innen, um leerstehende Wohnungen und Gebäude herzurichten und an die ansässige Bevölkerung zu vermieten. Viel Leerstand müsste dringend saniert und bewohnbar gemacht werden, dazu fehlen Besitzer*innen oft die Mittel.
Wieso stellen die Mieteinnahmen nicht genügend Anreiz dar?
Wir haben zu wenig Schutz für Vermieter*innen und hohe Steuersätze verunsichern viele Immobilienbesitzer*innen. Es stellt sich oft die Frage, ob es sich rentiert zu vermieten, da die Privatzimmervermietung zu touristischen Zwecken offensichtlich viel lukrativer ist. Es reicht nicht, Immobilienbesitzer*innen zu bestrafen, wie es die Landesregierung mit der Super-GIS getan hat. Es braucht starke Anreize, etwa könnten Mietverträge mit steuerlichen Erleichterungen verbunden werden. Wir brauchen die Bereitwilligkeit der Besitzer*innen von Immobilien und eine verstärkte Kommunikation mit ihnen.
Leerstehende Büros sollten für Wohnzwecke genutzt werden.
Welche Maßnahmen können getroffen werden, um Wohnraum zu schaffen?
Aufgrund Südtirols Topographie mangelt es uns an Baugrund. Ist deshalb eine horizontale Verdichtung überhaupt noch tragbar? Wir brauchen ein starkes Umdenken bzgl. Verdichtung und maximaler Gebäudehöhe. Dies wurde als Grundsatz im Gesetz für Raum und Landschaft bereits verankert, es fehlen aber noch die konkreten Maßnahmen. Auch die Zwischennutzung wurde hierzulande noch viel zu wenig thematisiert, leerstehende Büros sollten für Wohnzwecke genutzt werden. Eine Vereinfachung für die Baugenehmigung bei bereits bestehenden Siedlungszonen von Gemeinden ist notwendig. Schwierige Planungsprozesse, komplexe Zuständigkeiten und hohe Baukosten hindern Familien daran, ihr Haus zu sanieren und zu erweitern. So zum Beispiel sind die Kosten für die Erstellung des Durchführungsplanes vom Bauherrn zu tragen. Weiters muss die öffentliche Hand stärker werden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, wie beispielsweise die Genossenschaftshäuser und Gemeindewohnungen in Wien.
Die Initiativgruppe „Raum für morgen“ in Schlanders setzt sich dafür ein, dass die Drususkaserne renoviert wird, um neuen Wohnraum zu schaffen. Laut Bürgermeister Pinggera ist das zu teuer und er setzt deshalb auf Abriss und Neubau. Hat er Recht?
Altbauten werden als Altlasten gesehen, da ein Umbau und eine Sanierung oft teurer sind als ein Neubau. Entscheidungsträger*innen müssen aber den ideellen Wert eines Ortes erkennen, das betrifft nicht nur die Drususkaserne, das hat mit der Identität eines Ortes zu tun, das kann auch eine Fabrik oder eine alte Schwimmhalle sein. Wir brauchen auch Sanierungen und Umnutzungen aus kulturellen Gründen. Eine neue Form der Ästhetik verlangt dann eine Akzeptanz der Neunutzer*innen und Bereitwilligkeit sich auf Unkonventionelles einzulassen.
Wir brauchen eine Durchmischung der Quartiere, wo wir schlafen, arbeiten, essen, einkaufen und unsere Freizeit verbringen.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Altbestand sogenannte graue Energie darstellt. Wenn das Gebäude abgerissen und neu aufgebaut wird, ist der Energiebedarf möglicherweise höher als bei einer Renovierung und Zweckumwidmung. Nicht alles ist automatisch besser, weil es neu gebaut wird. Beispielsweise haben Altbauten häufig höhere Räume, welche die Wohnqualität steigern. Es wäre deshalb durchaus sinnvoll, über Sanierungszuschüsse für Leerstände nachzudenken.
Wie können Kreativität und Innovation in Südtirol noch besser genutzt werden, um die Wohnungsnot im Land zu lindern?
Wir stehen vor dem Problem, dass Menschen in der Regel ihr Leben lang in der gleichen Wohnung leben, obwohl sich ihre Lebenssituation ändert, etwa wenn die Kinder groß sind und ausziehen. Deshalb müssen wir von unserem strikten und eindimensionalen Denken wegkommen. In der Kalkbreite, einem Viertel in Zürich, haben Bewohner*innen mit Fachleuten eine Genossenschaft gegründet, da sie ihre eigenen Bedürfnisse beim Wohnen am besten kennen. Ihnen wurde im Wettbewerb das Baurecht für ein 6.350 Quadratmeter großes Areal von der Stadt zugesprochen, das heute nicht mehr nur als Straßenbahndepot sondern auch als Wohn-, Geschäfts- und Gewerbefläche genutzt wird. Es gibt dort unterschiedliche Wohnformen, Wohnungen für Familien, kleine und größere Wohngemeinschaften, aber auch Einpersonenwohnungen. Wenn sich die Lebenssituation einer Person ändert, kann sie umziehen, um Unterbelegung zu vermeiden. Es gibt außerdem viele gelungene Beispiele für Neunutzung von Altbauten in der Schweiz und in Deutschland.
Während bestimmte Immobilien für Südtiroler*innen unbezahlbar werden, werden andere dem Verfall überlassen und Ortschaften stehen vor der Herausforderung überhaupt noch die Nahversorgung zu gewährleisten.
Zu oft sind in neuen Quartieren reine Schlafstätten entstanden. Wir brauchen eine Durchmischung der Quartiere, wo wir schlafen, arbeiten, essen, einkaufen und unsere Freizeit verbringen. Dann fängt es an nachhaltig zu werden, kurze Wege reduzieren den Ausstoß von CO2. Gleichzeitig hat es einen gesellschaftlichen Mehrwert, wenn mehr Leben in ein Viertel oder in eine Ortschaft kommt. Beispielsweise ist bei der Raumplanung aus feministischer Perspektive die Sorgearbeit, die häufig Frauen leisten, stärker zu berücksichtigen. Innovation kann also mittels Durchmischung in Gebieten geschaffen werden. Städte und Dörfer dürfen nicht in Zonen eingeteilt sein, es braucht eine hybride Entwicklung der Siedlungsgebiete.
Was wünschen Sie sich als Präsidentin der Südtiroler Architekturstiftung von der neuen Landesregierung?
Grundsätzlich wünsche ich mir mehr Zusammenarbeit zwischen der Landesregierung, den Ressorts, Abteilungen und Ämtern und uns Architekt*innen, Raum- und Landschaftplaner*innen. Wir sollten bereits frühzeitig bei wichtigen Entscheidungsprozesse eingebunden werden, da wir die Praxis aus erster Hand kennen.
Ich persönlich erwarte mir, dass die neue gewählte Landesregierung mutige Entscheidungen trifft und out of the box denkt.
Das größte Anliegen der Südtiroler Architekturstiftung ist die Förderung der Baukultur in Südtirol. Wir sind von Architektur umgeben, die Baukultur kann sich nur in eine nachhaltige Richtung entwickeln, wenn ihr mehr Bedeutung geschenkt wird. Wir bieten seit einem Jahr an Schulen Workshops an, um junge Menschen an das Thema Baukultur heranzuführen.
Ich persönlich erwarte mir, dass die neue gewählte Landesregierung mutige Entscheidungen trifft und out of the box denkt. Man kann Dinge auch einmal probieren. Es muss nicht immer kleinkariert gedacht werden.
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Die übertriebenen KLIMAHAUS
Die übertriebenen KLIMAHAUS-VORSCHRIFTEN, mit der unsinnigen Fassaden-Verpappung, sogar von Neubauten
+ die bürokratischen ERFINDUNGEN
+ die Architekten mit ihrem skurielen Hang zu persönlichen Duftnoten + folglich sehr kostspieligen Instandhaltungs-Maßnahmen
+ der Bau der Reihen-Häuser, mit bis zu über 60 m2 Stiegenhaus für eine Pflege-aufwendige Wohnung, verteilt auf 4 -5 Stockwerke
+ schließlich die Steuern auf den Mieteinnahmen,
lasten auf dem Wohnraum, der damit wieder "von gütigen Politikern," mit Steuer-Geld vernichtenden Beiträgen (aus 3 € wird 1 magerer €) gestützt werden muss.
Man kann eine Wohnung in
Man kann eine Wohnung in Südtirol durch die verschiedenen steuerlichen Förderungen sehr günstig sanieren. 110% Bonus der nun auf 90 reduziert wurde, 65% bzw. 50% Abschreibung. Ich kenne kein anderes Land mit so vielen steuerlichen Anreizen zur Sanierung.
Bei der Vermietung kann man für die cedolare secca optieren und bezahlt 20% pauschal, in Gemeinden mit Wohnungsnot sogar nur 10% Steuer. Fehlende Anreize gibt es in Italien somit sicher nicht.
> Aufgrund Südtirols
> Aufgrund Südtirols Topographie mangelt es uns an Baugrund. Ist deshalb eine horizontale Verdichtung überhaupt noch tragbar? Wir brauchen ein starkes Umdenken bzgl. Verdichtung und maximaler Gebäudehöhe.
Es bräuchte eine noch bessere Verteilung öffentlicher Institutionen wie Behörden, Universität und Hightech-Unternehmen über das ganze Land, um die Wohnungsknappheit in Orten wie Bozen zu lindern. Gewisse Orte sind nun mal (sehr) abgelegen und nur durch lange Fahrwege erreichbar, deshalb müsste sich die Politik ernsthaft Gedanken machen, auch die dortigen Leerstände wieder attraktiv zu gestalten. Von alleine geht das nicht.