Raum geben
Habe kürzlich in einem Anflug von eskapistischer Laune alle Wallanderkrimis von Henning Mankell ensuite wieder gelesen. Im Band „Die Fünfte Frau“ von 1996 stellt ein deprimierter Wallander sich folgende Frage zu den lieblosen Wohnblocksiedlungen in den Randgebieten:
„Wie konnte man verlangen, dass Menschen, die dort lebten, ihre „Menschlichkeit“ unversehrt bewahren würden? Die Gesellschaft war härter geworden, Menschen, die sich in ihrem eigenen Land überflüssig oder gar unwillkommen fühlten, reagierten mit Aggressivität und Verachtung. Wallander wusste, dass es keine sinnlose Gewalt gab. Jede Gewalt hatte für den, der sie ausübte einen Sinn. Erst wenn man es wagte, diese Wahrheit zu akzeptieren, durfte man hoffen, die Entwicklung in eine andere Richtung zu lenken.“
Ich glaube, den letzten Satz sollten wir uns zu Herzen nehmen. Wir sollten endlich anfangen, die Entwicklung in eine andere Richtung zu lenken. Die ganze Diskussion über zunehmende (Jugend-) Gewalt in den Städten dreht sich immer nur darum, die Regeln zu verschärfen und härter durchzugreifen. Damit kann man eine Weile den Symptomen entgegentreten, wir sollten uns aber vermehrt den Ursachen des Phänomens zuwenden.
Aufgabe des Städtebaus wäre, Wohnraum und ökonomische Entwicklungsmöglichkeiten in Einklang mit sozialem Austausch, Erholung und Freizeitgestaltung zu gewährleisten. Die Realität beschränkt sich meist (wenn überhaupt) auf erstere beide. Wobei Wohnraum wie wir wissen, knapp und vor allem zu teuer ist. Unsere Politik beschränkt sich seit Jahren nur auf die Verwirklichung von „Hardware“, also Gebäuden, vernachlässigt aber sträflich die „Software“, also Gemeinschaftsbildung, Bürgerlichkeit, Selbstverantwortung und Selbstwirksamkeit. Das alles braucht öffentlichen Raum, welcher zwar im Landesgesetz für Raum und Landschaft besonders hervorgehoben wird, dessen Ausgestaltung dann aber wieder egal ist, und sich auf ein paar Spielplätze und Fahrradabstellplätze reduziert. Schon das dafür verwendete Wort „Gebietsausstattung“, weist darauf hin, dass es immer nur um Quantitäten (m²/Einwohner) und nie um eine Qualität geht. Den größten Teil des öffentlichen Raums besetzen parkende und fahrende Autos. Das ist für den zwischenmenschlichen Austausch eher abträglich.
Ohne gelebte Öffentlichkeit entsteht aber ein Gefühl der Vereinzelung und eine Forderungshaltung nach Recht und Ordnung gegenüber der Verwaltung, welche diese allein nicht zu leisten vermag. Ich habe hier auch kein fertiges Konzept, aber einige Denkanstöße, die wir diskutieren, erweitern und vertiefen können.
Zwischen den statistisch erfassten Straftaten und der gefühlten Sicherheit besteht seit Jahren eine Diskrepanz. Dabei sind zwei Faktoren zu berücksichtigen: Zum einen ist „Heute nix passiert“ natürlich keine Meldung. In den Medien sind damit die Straftaten überrepräsentiert. Zum anderen verzichten viele Mitbürger besonders bei „kleineren“ Delikten auf eine Anzeige, was die Statistik nach unten verfälscht. Der Ruf nach mehr Polizei kann so nicht erfüllt werden, weil ja offiziell keine Zunahme der Delikte vorliegt.
Momentan gibt es einfach nicht mehr Ordnungskräfte. Die verfügbare Polizei deckt das Stadtgebiet weitestmöglich mit Patrouillen ab. Die oft gewünschte Dauerpräsenz an neuralgischen Punkten verlagert bloß die Unsicherheit in andere Teile der Stadt, weil dort dann das Personal fehlt.
Die wohlfeilen populistischen Forderungen nach härteren Gesetzen und Bestrafung tragen nichts zur Lösung bei, sondern dienen nur dem Erhalt eines unbestimmten Angstgefühls und der eigenen Wählerstimmen.
Um das Problem an der Wurzel zu packen, benötigen wir andere Strategien. Wenn sich Teile der Bewohner nicht als der Stadtgemeinschaft zugehörig fühlen, kein berufliches Auskommen haben (dürfen) und in zunehmend prekären Verhältnissen ihr Leben fristen, ist die Gefahr natürlich höher, in die Kriminalität abzurutschen. Sei es aus Überlebensnotwendigkeit, aus Frust über die Verhältnisse oder Langeweile und Vernachlässigung.
Es gilt, gemeinsam an einer Gesellschaft zu arbeiten, wo man sich füreinander interessiert, aufeinander schaut und ja, auch kontrolliert, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Dazu gehört massiv Jugendarbeit, um Entfaltung und Perspektiven zu ermöglichen, und frühzeitig einer Verabschiedung aus der Gesellschaft vorzubeugen. In Bozen funktioniert das (sehr ausbaufähige) Modell der Streetworker recht gut, welche sich um gefährdete Jugendliche niederschwellig vor Ort kümmern. Leider scheint es, dass diese Zusammenarbeit ausläuft, da die neue Ausschreibung für diesen Dienst wieder mal zu aufgebläht ist.
Eine weitere Strategie wäre die Diversifikation des Angebots gerade für benachteiligte Jugendliche. Aktiv mit Sport- und Kulturvereinen zusammenarbeiten, um sie aufzufangen. Vielfach fehlt der Jugend ein Platz zur Entfaltung frei von ökonomischen Zwängen. Dass sie sich im Sommer am Obstmarkt versammeln und mit mitgebrachten Getränken und Lautsprechern den Anwohnern Ärger bereiten, liegt auch daran, dass sie sich gesehen fühlen wollen. Vorschläge zur Einrichtung von Freiräumen z.B. in der Sill (im Sommer, wenn kein Eis ist) oder am ungenutzten Bahnhofsareal dümpeln seit Jahren vor sich hin und werden mit fadenscheinigen Ausreden auf die Warteliste verschoben, weil niemand dafür die Verantwortung übernehmen will.
Irgendwer muss aber die Verantwortung übernehmen, wenn sich aus Untätigkeit das Problem in Zukunft noch verschärft. Das Geld, welches wir heute in Ausbildung, Prävention und Integration stecken, spart uns morgen weit mehr im Umgang mit Arbeitslosigkeit, Sozialfällen und Kriminalitätsbekämpfung.
Unsere Aufgabe als Gesellschaft ist das Problem anzuerkennen und gemeinsam Lösungen zu finden. Wegsehen gilt nicht mehr. Reden wir miteinander.
Ja, allein ökonomische
Ja, allein ökonomische Interessen oder purer Machteinfluss können die gegenwärtigen Probleme, die uns zu überrollen drohen, nicht (mehr) lösen!
Es braucht mehr Psychologie in der Gesellschaft und in der Politik, also mehr Wissen um die Seele des Menschen.
Eine Analyse, der ich in
Eine Analyse, der ich in allen Details zustimme! Ich sehe in der Bozner Sozialpolitik weder eine Strategie, noch den Willen, sich mit den Problemen, die uns langsam über den Kopf wachsen, professionell auseinander zu setzen. Dass der Dampfkessel aus Verwahrlosung, Drogensumpf, Verzweiflung und Aggression nicht schon längst explodiert ist, haben wir sowieso nur den vielen Freiwilligen zu verdanken, die immer verzweifelter versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Dass sie dabei hoffnungslos überfordert sind, zeigen die jüngsten Vorfälle. Die Alarmglocken läuten sehr laut. Ob man sie im Rathaus endlich richtig interpretiert? Um es in leichter Abwandlung mit Lukas Abram zu sagen: Wir MÜSSEN endlich anfangen, die Entwicklung in eine andere Richtung zu lenken.