Gesellschaft | Interview

„Strikte Verbote haben nicht geholfen“

Die Pandemie im Rückblick analysiert Sozialforscher Swen Hutter aus Berlin. Er ist einer der Gäste von Eurac Research, um die Wirren des Ausnahmezustands zu diskutieren.
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Foto: David Ausserhofer
salto.bz: Herr Hutter, wie hat die Pandemie die Zivilgesellschaft aus sozialwissenschaftlicher Sicht verändert?
 
Swen Hutter: Die Pandemie war ein Beschleuniger langfristiger Entwicklungen, die es bereits vorher gab. Es kam also zu einer Spaltung der Zivilgesellschaft, bei der sich ein Teil sehr schnell mobilisieren lässt. Traditionelle Vereine mit ehrenamtlichen Strukturen haben hingegen noch mehr Schwierigkeiten, da sich die Menschen heute nicht mehr so stark binden wollen.
 
Woran liegt das?
 
Heute verbinden viele Menschen ihr Engagement an die Erwartung der Selbstwirksamkeit. Das ist viel stärker gegeben, wenn sie ein aktuelles Thema aufgreifen. Etwa hat eine Hilfeleistung während der Pandemie oder nun beim Krieg in der Ukraine einen viel höheren Effekt als eine andere ehrenamtliche Leistung, dafür ist eine Mitgliedschaft in einem Verein auch nicht immer erforderlich. Zudem fällt es Vereinen schwer, Funktionsträger*innen zu finden, die sich auch langfristig stark für den Verein einsetzen. Dadurch ist in Deutschland ein Vereinesterben zu beobachten.
In Deutschland waren rund 20 Prozent mit den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus sehr unzufrieden, also jede fünfte Person.
In Ihrem Vortrag auf der Tagung „Gesundheitskrise – Gesellschaftskrise?“ von Eurac Research sprechen Sie zu Solidarität und Polarisierung nach der Pandemie. Können Sie uns schon mehr verraten?
 
Während der Pandemie gab es sehr viel Solidarität zu sehen, Menschen haben sich vor allem im sozialen Nahbereich füreinander eingesetzt. Gleichzeitig ist die Gesellschaft auseinandergedriftet und es sind Bewegungen wie die Querdenker entstanden. Beide Trends sind paradoxerweise von neuen und eher informellen Initiativen und Bewegungen getragen worden und nicht unbedingt von klassischen Organisationen wie Vereinen, Gewerkschaften oder Kirchen.
 
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Swen Hutter: „Was bei der Protestlandschaft in der Pandemie gefehlt hat, waren klassische Organisationen wie Gewerkschaften, die sich den Raum der Straße nehmen.“ (Foto: David Ausserhofer)
 
Zeugt die Polarisierung von der wachsenden Unzufriedenheit in unserer Gesellschaft?
 
Die Corona-Pandemie war eine multiple Krise, wir hatten nicht nur eine gesundheitliche Krise, sondern auch eine wirtschaftliche und soziale. Das heißt aber nicht, dass man den politisch Verantwortlichen deshalb ein schlechtes Zeugnis ausstellen kann, da Krisen für Staaten und Gesellschaften immer Herausforderungen mit sich bringen. Die neuesten Umfragen zeigen aber, dass heute mehr Menschen Verschwörungstheorien glauben und sich extremistischeren Einstellungen zuwenden.
 
Von wie viel Prozent sprechen wir hier?
 
In Deutschland waren rund 20 Prozent mit den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus sehr unzufrieden, also jede fünfte Person. Bei den Verschwörungserzählungen liegen wir je nach Thema und Erzählung bei zehn bis 20 Prozent. Zwischen acht und neun Prozent der Menschen vertreten laut der neuesten Mitte-Studie in Deutschland ein geschlossen rechtsextremistisches Weltbild. Das sind deutlich höhere Zahlen als noch vor der Pandemie.
Es müssen Räume geschaffen werden, wo Menschen unterschiedlicher Meinungen zusammenkommen und sich austauschen können.
Was können Politik, Medien und Wissenschaft daraus lernen?
 
Was bei der Protestlandschaft in der Pandemie gefehlt hat, waren klassische Organisationen wie Gewerkschaften, die sich den Raum der Straße nehmen. Auch die Politik hat gelernt, dass die anfänglichen strikten Versammlungsverbote und andere Formen der Einschränkung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten sicher nicht geholfen haben, weil sie dadurch Bewegungen gegen die Corona-Maßnahmen erst ermöglicht haben und diese teils die Straße für sich einnehmen konnten. Zudem erhielten sie durch die Medien erhöhte Aufmerksamkeit – im Verhältnis zu der Anzahl der Menschen, die sich daran beteiligt haben, waren sie klar medial übervertreten.
 
Lockdown
Lockdown: Wie die Corona-Politik unsere Gesellschaft verändert hat, diskutieren morgen Forscher*innen bei Eurac Research in Bozen. (Foto: upi)
 
Könnte man den Medien auch vorwerfen, dass jede Kritik an den Corona-Maßnahmen abgewertet wurde?
 
Die Berichterstattung der Medien hat teils sicher dazu beigetragen, dass das Schwarz-Weiß-Denken und die Polarisierung zugenommen haben. Viele Menschen, die auch protestiert haben, wurden nicht gleichermaßen gehört, zum Beispiel die Arbeitskräfte in der Gastronomie oder Kunstschaffende. Sie kamen kaum in die Hauptnachrichten und ihre Themen schafften es nicht längerfristig in die Medien.
 
Was kann gegen die Polarisierung unternommen werden?
 
Es müssen Räume geschaffen werden, wo Menschen unterschiedlicher Meinungen zusammenkommen und sich austauschen können und das passiert eben oft in der Zivilgesellschaft, beispielsweise im Sport- oder Kulturverein. Deshalb ist es wichtig, diese Strukturen, ob neu oder alt, in der Zivilgesellschaft zu fördern.
 
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evelin tschenett Di., 26.09.2023 - 06:31

Das haben die meisten politischen Verantwortlichen weltweit auch verstanden und sich für diese überzogenen Maßnahmen bei Ihren Bürger/Innen entschuldigt. Lediglich in Südtirol sind Sätze gefallen wie” ich würde es wieder so machen ….” Slowenien, das kleine europäische Land zahlt sogar alle, während der Pandemie ausgestellten Strafen, an seine Bürger/Innen zurück und eben genau mit dem Hinweis, sie waren überzogen, verfassungswidrig und unmenschlich.

Di., 26.09.2023 - 06:31 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Mi., 27.09.2023 - 20:30

"Wollt ihr den totalen Krieg?" "NEIN!" Daher ist es gut, wenn nicht alle im Gleichschritt in die gleiche Richtung marschieren. Übrigens, die Natur hat sich etwas dabei "gedacht", als sie die Viren "erfand". In der Natur gibt es auch nie 100% und nur schwarz oder weiß. Das ist eine Erfindung von uns Menschen. Je mehr Menschen gleichgeschaltet sind, umso mehr Sorgen müssten wir uns machen.

Mi., 27.09.2023 - 20:30 Permalink
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Martin Tarshito Mi., 27.09.2023 - 20:59

Antwort auf von Hartmuth Staffler

Das Problem wird dann wohl sein, dass damals nicht Di Maio zurück getreten ist, um in Italien eine (Mitte-) Rechts Regierung zu ermöglichen, sondern dass Salvini den Platz für Merkel 's und Ursula 's promessi sposi 5S & PD freigab. Natürlich war aus Sicht letzterer beiden nichts falsch an Ihren angeblich nur auf "scienza" gegründeten Dekreten. Schade. Sonst könnte die Dame der PD diese heute anprangern so wie sie vieles andere anprangert, wofür in Italien aber auch die (Mitte) Linksparteien trotz Regierungsmacht nicht für das gesorgt hat, wofür sie nun die Meloni anprangert.
Tja, die Linken.
Drehen sich alles, wie es gerade passt.

Mi., 27.09.2023 - 20:59 Permalink