Der Bozner Arzt Norbert Pescosta ist wieder zuhause

Blumen für den Vater und Ehemann am Flughafen. Auszüge aus der Odyssee im Überwachungsstaat Usbekistan.

Willkommen in der Zivilisation. Daß er angesichts des Feiertagsstaus für die Fahrt von Müchen nach Bozen gleich viele Stunden benötigt wie für den Flug von Taschkent über Istanbul nach München, vermag Norbert Pescosta nicht aus der Ruhe bringen. Seit zwei Wochen hat sich der Bozner Hämatologe nichts sehnlicher gewünscht als den bürokratischen Exzessen der usbekischen Diktatur zu entkommen.

Am Flughafen nimmt der Vater dreier Söhne einen Rosenstrauß seiner Frau Martina entgegen, verfolgt mit mitleidigem Blick eines soeben aus Moskau eingeflogenen Russen, der von zwei Polizisten in die Dienststelle geleitet wird. Nur wenige Minuten später steht der Wagen im Stau: Fronleichnam. Zehntausende nutzen das verlängerte Wochenende zur Fahrt in den Süden. Ein radikales Kontrastprogramm zu Usbekistan, wo Autos Mangelware sind und nur wenige Pkws der Marke Chevrolet verkehren, die im zentralasiatischen Wüstenstaat hergestellt werden.

Ein radikales Kontrastprogramm zu Usbekistan, wo Autos Mangelware sind und nur wenige Pkws der Marke Chevrolet verkehren, die im zentralasiatischen Wüstenstaat hergestellt werden.

Ausgelöst hatte die Odyssee des weitgereisten Mediziners die kleine Ampulle eines Beruhigungsmittels, das von den usbekischen Behörden als "psychotrope Substanz" eingestuft wird. Das Mittel führte Pescosta in seiner Reiseapotheke mit, in die er stets Arzneimittel für Notfälle in der Bevölkerung packt: Spritzen, Schmerz-und Allergiemittel, Cortison. Mit seinen Gefährten Raoul Schott und Arnold Dall'Ò reiste Pescosta aus Turkmenistan nach Usbekistan ein – auf einer Wüstenstraße, in der ausländische Turisten eine Rarität sind.

Ein Beruhigungsmittel erregt Verdacht
Hatten die Polizisten in  Turkmenistan, wo sich Ausländer nur in Begleitung einheimischer Führer bewegen dürfen, das Auto der drei Freunde genauestens untersucht und mit Sonden den Tank ausgeleuchtet, so konzentrierten sich die usbekischen Grenzer vor allem auf das Gepäck. Was ihren Verdacht erregte, war der Name eines Präparats: Delorazepam. Medikamente, die auf ..zepam enden, sind meist Beruhigungsmittel und die werden in Usbekisten als Psychopharmaka eingestuft. Während das beanstandete Medikament in Italien unter dem Namen EN gocce weit verbreitet ist, steht es bei den usbekischen Behörden auf dem Index.  Eine Packung Tavor-Tabletten in Dall'Òs Gepäck mit demselben Wirkstoff ignorierten die eifrigen Grenzer. Pescostas rettendem Einfall, er benötige das Medikament gegen die Flugangst, begegneten sie eher skeptisch.

Englisch verstand keiner von ihnen. Ein Protokoll wurde angefertigt. Bis zur Klärung des Inhalts der Ampulle wurde der Arzt festgesetzt. Sein Paß wurde ihm abgenommen. In Nukus, der Hauptstadt der einzigen autonomen Provinz Karakalpakstan, mußte  er sich in einem der zehn Zimmer eines akzeptablen Hotels einquartieren – seine zwei Gefährten leisteten ihm Gesellschaft. In zwei Tagen, versicherte die Polizei, werde der Fall geklärt. Doch das Labor einer anderen Provinzstadt schichte das Fläschchen zurück – es sei nur zur Untersuchung von Tabletten befähigt. Also nahm ein weiterer Polizist das Medikament an sich und flog damit in die über 1000 Kilometer entfernte Haupstadt Taschkent. Nach weiteren zwei Tagen traf das Ergebnis ein: Es handle sich um eine "psychotrope" Substanz. Pescosta müsse vor Gericht. Der verdutzte Arzt mußte sich einen Anwalt suchen und sich auf langes Warten einrichten – in einem Land, "in dem Begriffe Logik, Vernunft und Bürgerrechte unbekannt sind", wie Arnold Dall'Ò in seinem Reiseblog anmerkt.

Der verdutzte Arzt mußte sich einen Anwalt suchen und sich auf langes Warten einrichten - in einem Land, "in dem Begriffe Logik, Vernunft und Bürgerrechte unbekannt sind", wie Arnold Dall'O in seinem Reiseblog anmerkt.

Postsowjetische Tristesse
Nukus beschreibt der Hämatologe als öde Provinzstadt, in der die Temperatur im Sommer auf 45 Grad ansteigt und abends die Gehsteige hochgeklappt werden. Die potemkinschen Fassaden nie eröffneter Geschäfte in der Hauptstraße erinnern an den einzigen Besuch des Diktators Islom Karimow. Die Trostlosigkeit der postsojwetischen Atmosphäre schildert Dall'Ò treffend beim Versuch des Geldwechselns. Um zu verstehen wie die Uhren in diesem Land ticken, eine kleine Geschichte: "wollen versuchen Geld zu wechseln in Anbetracht der Strafe, die blühen wird. Dafür wollen wir 1000 $ umtauschen, denn laut Gerücht wird Norbert zu einer Strafe zwischen 1 und 3 Millionen Som verurteilt. Um in eine Bank reinzukommen braucht man den Paß, für den eigentlichen Umtausch dann auch. Norbert hat keinen mehr, also versuch ich es. erste Bank: Nationalbank. Aussen mit weissen Blechverkleidungen aufgeputzt, innen seit der Sowjetära wohl unverändert. Zweiter stock, ein Verschlag, niemand der englisch versteht. kein Geld, das Computersystem ist kaputt (war schon vorgestern so). Zweite Bank: haben kein geld im Tresor, wobei mich alle ansehen,  als wollte ich die Bank ausrauben. Dritte Bank: geschlossen. fragen uns durch zu einem Hotel wo hinter einem Blechverschlag 2 Frauen sitzen und wohl auf den Sanktnimmerleinstag warten, wenn nicht zufällig ein Tourist vorbeikommt. zum glück spricht die Hotelmanagerin bruchstückhaft englisch. 1000 Dollar scheint ein Betrag zu sein, der für die Frauen unvorstellbar ist. Sie schlagen 100 Dollar vor. Gut, zumindest etwas. Dann bedienen beide zeitgleich einen Computer, der mehrmals abstürzt, der Drucker funktioniert erst gar nicht, dann frißt sich das Papier in die walze. Mehrmaliges unterschreiben ist erforderlich, wobei die Unterschrift mit jener im Paß genauestens verglichen wird. Schließlich bekommen wir das Geld. Am Rückweg zu unserem Hotel läuft uns eine der Frauen hinterher  weil sie vergaß, einen zusätzlichen stempel auf der Bestätigung anzubringen."

Die potemkinschen Fassaden nie eröffneter Geschäfte in der Hauptstraße erinnern an den einzigenBesuch des Diktators Islom Karimow. Die Trostlosigkeit der postsojwetischen Atmosphäre schildert Dall'O treffend beim Versuch des Geldwechselns.

Nach einer Woche muß Dall'Ò abreisen, weil sei Visum verfällt. Zur Verlängerung müßte der Paß mit der Post nach Taschkent geschickt werden – ein zu hohes Risiko. Raoul Schrott befindet sich bereits in der Hauptstadt – er hat dasselbe Problem.

Der Prozeß
Für Norbert Pescosta, der alleine in der tristen Stadt zurückbleibt, setzt sich indessen die Diplomatie in Bewegung. Staatssekretär Gianclaudio Bressa veranlaßt einen Vorstoß des italienischen Außenministers in Taschkent, der Europarlamentarier Herbert Dorfmann erwirkt die Intervention des usbekischen Ex-Außenministers, SVP-Obmann Philipp Achammer interventiert beim befreundeten österreichischen Außenminister Sebastian Kurz. Der einzige in Nukus, der englisch versteht und Norbert Pescosta liebenswürdig betreut, ist der freundliche Hotelmanager. Der Pozeßbeginn ist nicht bekannt, die Polizei taucht nur zwischendurch auf, um dem Arzt einige unverständliche Dokumente zur Unterschrift vorzulegen. "Als Einheimischer wäre ich längst im Gefängnis gelandet. Und das Gerichtsverfahren hätte vermutlich in einigen Monaten stattgefunden", gibt sich Pescosta überzeugt." Schließlich wird der Prozeß anberaumt. Drei Richter hören sich die Anklage der Polizei an, ein Dolmetscher übersetzt Pescostas Version, sein Verteidiger plädiert für Freispruch.

"Als Einheimischer wäre ich längst im Gefängnis gelandet. Und das Gerichtsverfahren hätte vermutlich in einigen Monaten stattgefunden", gibt sich Pescosta überzeugt.

 Die Richter ziehen sich zur Beratung zurück. Nach einer halben Stunde sprechen sie den Arzt frei. Er habe zwar gegen das usbekische Gesetz verstoßen, aber das Medikament nur zum Eigenbedarf mitgeführt. Auch die befürchtete Geldstrafe bleibt aus. Der 53-jährige, aus St.Ulrich stammende Mediziner ist erleichtert. Doch seine Hoffnung auf baldige Heimkehr erfüllt sich nicht. Die Polizei verzögert die Ausreise mit immer neuen bürokratischen Schikanen. Zweimal täglich ruft ihn der Gesandte der italienischen Botschaft an, versichert ihm, daß man sich um sein Anliegen kümmere. "Die Einheimischen sind der Polizeiwillkür total ausgeliefert. Vor jeder Dienststelle in Nukus stehen lange Schlangen, um bürokratischen Kleinkram zu erledigen. Die Kontrolle ist total", so Pescosta.

Sein Übersetzer ersucht ihn um eine Untersuchung seiner kranken Nichte. Der Hotelmanager lädt ihn zum Essen mit seiner Familie ein.  Noch eine Woche muß der Arzt ausharren, dann darf er endlich ausreisen. Obwohl er freigesprochen wurde, begleitet ihn ein Polizist nach Taschkent, wartet dann vor der italienischen Botschaft auf ihn. Der aus dem Friaul stammende Gesandte Antonello Tavaris empfängt Pescosta und liest ihm den Brief eines italienischen Bürgers vor, der die Botschaft auffordert, sich für die Freilassung "des in medizinischer und ethischer Hinsicht hervorragenden Arztes" einzusetzen.

Der aus dem Friaul stammende Gesandte Antonello Tavaris empfängt Pescosta und liest ihm den Brief eines italienischen Bürgers vor, der die Botschaft auffordert, sich für die Freilassung "des in medizinischer und ethischer Hinsicht hervorragenden Arztes" einzusetzen.

"Non é una cosa comune", schmunzelt der Gesandte. Der freundliche Polizist nimmt ihn wieder in Empfang und begleitet ihn zum  Flughafen. Er sei früher Englischlehrer gewesen, habe aber zu wenig verdient, versichert er. Nun sei er Polizist und arbeite sieben Tage pro Woche von
8 bis 22 Uhr."  Dann übergibt er Pescosta befehlsgemäß der Flughafenpolizei. Drei Stunden sitzt er dort auf einem Hocker, dann wird er als Letzter ins Flugzeug geleitet. Der Pilot muß aussteigen und ein Protokoll unterschreiben, in dem er dessen "Übernahme" offiziell bescheinigt. Es ist das letzte von mehreren Dutzend Akten und Protokollen. Um drei Uhr früh hebt die Maschine nach Istanbul ab. Der Bozner lehnt sich erleichtert zurück. Fünf Jahre lang darf er nicht mehr nach Usbekistan einreisen. Eine Auflage, die Norbert Pescosta nicht unbedingt als große Belastung empfindet.

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Frank Blumtritt So., 22.06.2014 - 18:25

Es stimmt mich immer etwas betroffen, wenn betuchte "Hoppla-jetzt-komm-ich-Touristen" (auch bestimmte "Alternativ-Touristen", die eine Einreise auf "Wüstenstraßen" dem Flugplatz vorziehen) in eher exotischen Ländern Probleme bekommen und dies dann bei uns von den Medien breitgetreten wird. Hierbei werden die Touristen natürlich zu Engeln und unschuldigen Opfern, während für die jeweiligen Gastländer bestenfalls zum "Überwachungsstaat", wenn nicht zur Hölle schlechthin gestempelt werden.
Es stimmt mich betroffen, weil so die üblichen Klischees ihre Bestätigung finden, dass wir toll und "die Anderen" böse sind und dass es am Ende doch besser ist, diese Staaten ihrer rückständigen Misere zu überlassen und den Urlaub lieber an der Adria zu verbringen.
Ich bin selbst seit über 30 Jahren ein weit gereister "Wüstenstraßen-Alternativ-Tourist" und weiß wovon ich rede. Probleme, wie die in der Titelgeschichte beschriebenen, sind in Afrika, Asien und Südamerika völlig normal, früher wie heute. Daher erfordert es schon der Respekt gegenüber den Gastländern (und den eigenen Behörden) sich auf solche Reisen gut vorzubereiten, was übrigens heute, dank Internet, sehr einfach geworden ist. So hätte unser Südtiroler Arzt zB auf der Homepage des deutschen Auswärtigen Amtes nach 3 Mouse-Clicks lesen können, dass VOR der Einreise nach Usbekistan eine komplette Liste der mitgeführten Medikamente vorzulegen ist und dass keinerlei Unterschied zwischen leichten und schweren Drogen gemacht wird. Ein erfahrener Reisender wird solche Informationen sehr ernst nehmen und absolut vermeiden, sich bei unkonventionellen Einreisen in solche Länder, wo die Grenzsituationen meist unvorhersehbar sind, nicht von der ersten Polizeikontrolle jenseits der Grenze mit undeklarierten Gegenständen erwischen zu lassen...

So., 22.06.2014 - 18:25 Permalink
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Frank Blumtritt So., 22.06.2014 - 20:31

oh super, da kann ich ja richtig stolz sein, wenn Sie - nach hunderten von Kommentaren, die ich abgegeben habe - einmal meiner Meinung sind..!
Vielleicht sind Sie auch damit einverstanden, dass Europäer im "wilden Kurdistan" fast immer sehr viel besser behandelt werden, als wir das mit fremden Rechtsbrechern zu tun pflegen. Die bekommen zumindest kein Hotelzimmer als Gefängnis und es bemüht sich auch sicher keiner ihrer Politiker um ihre Auslieferung... dabei sind die Vergehen, derer sie bei uns bezichtigt werden, in ihren jeweiligen Heimatländern vielleicht auch oft eher Bagatellen...

So., 22.06.2014 - 20:31 Permalink