Chronik | Verhaftung

Die Verzweiflungstat

Wie aus einem erfolgreichen Tischler, der im In- und Ausland Prestigebauten veredelt hat, ein Bombenleger wird. Eine Geschichte, die Sie nicht in der Zeitung lesen werden.
Bombenalarm
Foto: Seehauserfoto
  • Es war die Schlagzeile an diesem Montag: „Bombenalarm am Landesgericht: Verdächtiger nach Pergine gebracht“.
    RAI-Südtirol meldet an diesen Nachmittag:

    Die Polizei hat den mutmaßlichen Urheber eines Brandanschlagversuchs auf das Landesgericht in Bozen festgenommen. Der Mann hatte am vergangenen 15. September an einer unbenützten Holztür des Gerichtsgebäudes brennbares Material abgelegt. Nur weil ein Brandbeschleuniger versagte, entstand kein Feuer. Die Polizeiabteilung für Terror- und Extremismus-Bekämpfung D.I.G.O.S. konnte den Mann dank Videoüberwachung und Zeugenaussagen in Brixen ausforschen. Der Vorbestrafte wurde in eine Einrichtung für forensische Psychiatrie in Pergine Valsugana eingewiesen.“

    Das Athesia-Portal STOL weiß da schon mehr:

    Die Ermittlungen der D.I.G.O.S. führten schnell zur Identifizierung des Täters: Videoaufnahmen ermöglichten es, die Bewegungen des Mannes genau zu verfolgen. Darüber hinaus hatte ein Richter den Mann am Vortag der Tat in einer Bar nahe des Gerichtsplatzes gesehen. So konnten die Bewegungen des Täters während des Nachmittags rekonstruiert sowie seine Kleidung im Detail überprüft werden, die sich als identisch mit derjenigen herausstellte, die er zur Tatzeit trug.

  • Bombenalarm vor dem Landesgericht: Ermittler konnten die Bewegungen des Täters während des Nachmittags rekonstruiert. Foto: Seehauserfoto

    Es konnte auch festgestellt werden, dass er vor seiner Tat mehrmals an der Stelle gewesen war, an der er das Feuer legen wollte. Der Verdächtige ist vorbestraft und gilt als gefährlich..[…].. In der Wohnung wurde die zur Tatzeit benutzte Kleidung (Hose, Schuhe und Mütze) gefunden, außerdem die Reste der eigens für die Tat gekauften Feueranzünder, ein leerer Benzinkanister, der für den Transport von Benzin verwendet wurde und in dem sich noch Reste von Benzin befanden, ein unbenutzter blauer Müllsack und das Klebeband, das zum Verschließen der Benzinsäcke verwendet wurde.“

    So wird es heute auch in allen Zeitungen stehen.
    Von der Geschichte dahinter wird man aber wenig lesen. 

  • „Ich bin der Täter“

    Am Morgen des 20. September, also fünf Tage nach dem versuchten Brandanschlag, geht beim Autor eine E-Mail ein. Unter dem Betreff „Bombenalarm“ stehen nur wenige Zeilen:

    Sehr geehrter Herr Franceschini, ich bin der Täter dieses sogenannten Anschlages, ich hätte gern einen Gesprächstermin ??
    mit freundlichen Grüßen
    Werner K.

    Noch am selben Nachmittag findet das Treffen statt. Bevor Werner K. etwas sagen kann, erklärt der Autor dieser Zeilen dem Mann unmissverständlich die Sachlage.
    Sollte er wirklich der Täter sein, könne er als Journalist diese Straftat nicht decken, sondern er müsse die Sicherheitsorgane benachrichtigen. Sonst mache er sich mitschuldig. Werner K. winkt ab. „Das habe ich schon getan“, sagt er ruhig und überlegt. 
    Der Mann legt zwei Einschreibebriefe mit Rückantwort vor. Abgeschickt am 18. September 2023 und adressiert an den Generalsstaatsanwalt am Kassationsgericht und an die Staatsanwaltschaft Triest (diese ist für Anzeigen gegen Südtiroler Richter und Staatsanwälte zuständig). Diese zwei Schreiben sind eine Selbstanzeige. K. legt dem Brief mehrere Zeitungsausschnitte über den Bombenalarm am Landesgericht drei Tage zuvor bei. Gleichzeitig erstattet er Anzeige gegen Südtiroler Richter und Staatsanwälte.
    Unter einem der Zeitungsberichte schreibt er per Hand: „Aus Notwehr. Leider hat das Feuermittel gestreikt“.

  • Die Selbstanzeige: Einschreibebriefe an den Generalstaatsanwalt in Rom und an die Staatsanwaltschaft Triest Foto: Salto
  • Ich will dass meine Geschichte bekannt wird“, rechtfertigt er seine Tat und seine Selbstanzeige gegenüber dem Autor, „nur so kann ich mich gegen das Unrecht wehren, das mir angetan wurde und angetan wird“. In den Tagen danach finden noch weitere Treffen statt. Der Mann erzählt seine Lebens- und Leidensgeschichte. Werner K. hat alles schön säuberlich in Ordnern dokumentiert. 
    Für beide Gesprächspartner ist bereits beim ersten Treffen klar, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis K. verhaftet wird. Am Ende sind es zweieinhalb Wochen bis die Ermittler an seine Tür in Brixen klopfen. K. wird bereits am vergangene Freitag verhaftet. Drei Tage später wird die Nachricht dann bekannt.
    Was aber steckt hinter dieser Verzweiflungstat?

  • Der Luxus-Tischler

    Werner K. ist fast 25 Jahre lang ein erfolgreicher Unternehmer. Der heute 69-Jährige übernimmt zusammen mit einem Partner 1989 die Bozner Firma Berger Innenausbau. Das Geschäft floriert. Vor allem auf dem deutschen Markt gelingt es, Betreiber von Nobelhotels, bekannte Autohersteller, Banken und Bauträger als Kunden zu gewinnen. Anlässlich der Expo 2000 ziehen K. & CO den Auftrag zur Lieferung und Montage der Einrichtung für 15 Stockwerke der neuen Messeverwaltung Hannover an Land.

  • Madarin Oriental in München: Teile der Inneneinrichtung von K. geliefert. Foto: Hotel Mandarin

    2004 trennen sich die Wege der beiden Firmeninhaber. K. gründet eine neues Unternehmen für den Innenausbau. Es gelingt dem Tischler und Unternehmer auch weiterhin, Aufträge im absoluten Luxussegment zu bekommen und zur Zufriedenheit seiner Kunden auszuführen. So zeichnet er nicht nur im Bozner „Hotel Laurin“ für die Tischlerarbeiten verantwortlich, er stattet auch das „Mandarin Oriental“, den „Bayrischen Hof“  oder das Gourmet-Restaurant Tantris in München aus.
    Obwohl die Auftragsbücher voll sind, gerät K.s  Unternehmen in den Jahren 2011/2012 in eine Schieflage. Die Firma kann die Rechnungen für drei größere Aufträge nicht zur Gänze kassieren, da die Auftraggeber in Konkurs gegangen waren. Dazu kommt noch, dass ein Wipptaler Partnerbetrieb bei der Ausarbeitung eines Unterauftrages schlampt und dadurch für K. weitere Verluste entstehen.

  • Die verlorene Klage

    Werner K. klagt gegen das Wipptaler Partnerunternehmen, verliert den Prozess am Bozner Landesgericht aber in erster und zweiter Instanz. Im Berufungsverfahren stellt sich heraus, dass K.s Anwalt es verabsäumt hatte, wichtige Dokument zu hinterlegen. Der Tischler macht eine Anzeige und eine Eingabe bei der Rechtsanwaltskammer gegen den Anwalt. Beides wird archiviert. 
    Im Dezember 2018 kracht ein Lieferwagen in das Klausner Büro von K.s Anwalt. Das Gaspedal des Mercedes-Transporters war mit einen Stein beschwert und die Lenkung mit einem Besenstil fixiert worden. Weil der Lieferwagen auf ein Unternehmen von K. zugelassen war, wird dieser verdächtigt. Die Ermittler können aber nicht die nötigen Beweise sammeln, deshalb wird der Fall auch archiviert.
    Zu diesem Zeitpunkt hat Werner K. bereits andere Sorgen.

  • Der Konkurs

    Nach dem Wipptaler Streitfall schlittert sein Unternehmen in den Konkurs. Er verliert nicht nur seine Produktionshalle, sondern am Ende auch fast all seine Habseligkeiten.
    Lange hofft K., den Konkurs abwenden zu können. So zahlt er immer wieder Geld an verschiedene Gläubiger aus. Zum Jahreswechsel 2017/2018 glaubt er, den Konkurs verhindert zu haben. Doch das Verfahren geht von Amts wegen weiter. 
    Neben dem finanziellen Ruin beginnt für Werner K. damit aber auch ein Strafverfahren. Dem Tischler und Unternehmer wird „betrügerischer Konkurs“ vorgeworfen. Die Anklage: Werner K. hätte nach der Konkurseröffnung vor allem über ein deutsches Konto Geld behoben und Lieferanten bezahlt. „Ich kann jede Behebung dokumentieren“, sagt Werner K. heute, „ich habe keinen Cent veruntreut“.

  • Gerichtssaal: "Es tut mir persönlich leid, dass sein Lebenswerk in dem Räumen eines Gerichtes landet." Foto: upi
  • Dieses Strafverfahren läuft jetzt seit drei Jahren vor dem Bozner Landesgericht. Im September 2022 sagt ein renommierter Bozner Wirtschaftsberater als Zeuge aus, der 25 Jahre lang für Werner K. und dessen Unternehmen tätig war. Der Zeuge bestätigt, dass alle Ein- und Ausgaben auch aus Deutschland ordnungsgemäß in die Buchhaltung eingeflossen sind.
    Der Wirtschaftsberater sagt vor Gericht:

    "Es ist mir persönlich ein Anliegen zu sagen, dass der Herr K. ein Unternehmer ist, der für sein Unternehmen gekämpft hat wie ein Löwe. Er war sicher kein Spekulant oder Betrüger. Er hat tolle Arbeit geleistet. Ich kann aus meiner Sicht sagen, dass er nie bewusst Gelder veruntreut oder sich nicht rechtschaffen verhalten hätte. Er hat hart gearbeitet. .. […].. Ich habe so etwas noch nie gesehen, so er hat sich für dieses Unternehmen eingesetzt und mir tut es persönlich leid, dass sein Lebenswerk in den Räumen eines Gerichtes landet."

    Werner K. hat sein Lebenswerk längst verloren; dass man ihm jetzt auch ein Strafverfahren anhängt, will er sich nicht gefallen lassen. Inzwischen in Pension, beginnt er Anzeigen gegen Richter zu hinterlegen, die seinen Fall behandelt haben. 
    Vor allem aber beginnt er, Briefe und E-Mails an verschiedenste Persönlichkeiten und Institutionen zu schreiben. Am Ende sind es fast Hundert Adressaten, an die er sich um Unterstützung in seinem Fall wendet. 

  • Das Gutachten

    Werner K. sieht sich als Justizopfer. Und er schreit das heraus. 
    Auch im Gerichtssaal während der Verhandlungen am Landesgericht. Irgendwann platzt dem Vorsitzenden Richter der Kragen und er denkt laut darüber nach, K. noch im Gerichtssaal verhaften zu lassen. K. ersucht darum. Er provoziert bewusst. Für ihn ist jede Eskalation willkommen, um auf den Justizirrtum hinzuweisen.
    Aufgrund der Vorfälle während des Prozesses beschließt der Richtersenat schließlich, ein psychiatrisches Gutachten über K. einzuholen. Bei der Verhandlung am 8. Mai 2023 sitzt ein Brunecker Psychiater bereits im Saal. K., der bisher keinerlei psychische Auffälligkeiten gezeigt hat, willigt schließlich ein. Unmittelbar nach der Verhandlung kommt es noch im Landesgericht zu einem knapp zweistündigen Gespräch zwischen dem Psychiater und K. In den Wochen darauf schickt K. dem Gutachter mehrere E-Mails, in denen er seine Geschichte als Justizopfer nachzeichnet und mit Dokumenten belegt. Untersuchungen seines Gehirns, etwa eine CT, verweigert K. ganz bewusst.

  • Landesgericht: Psychiatrischen Gutachter bestellt. Foto: Suedtirolfoto/O. Seehauser

    In der Verhandlung am 3. Juli 2023 legt der Psychiater sein Gutachten vor. Nach nur einem Gespräch - das K. wie fast alles andere heimlich aufgenommen hat - kommt der Gutachter zum Schluss, dass K. an einer „paranoia querulans“ leide. Im Gutachten steht dazu erklärend: „Ein Querulantenwahn“. Dazu komme noch „mittelgradiges, depressives Syndrom“.
    Das Resümee:
    Ohne eine Anbindung an den psychiatrischen Dienst ist eine soziale Gefährlichkeit nicht auszuschließen.

    Mit diesem Gutachten hat man Werner K. aber das Letzte genommen, was ihm noch bleibt: Die Würde.

  • Werner K. sagt zum Autor, einen Tag vor seiner Verhaftung: „Ich lass mich nicht für verrückt erklären“.
    Spätestens mit diesem Gutachten hat man Werner K. aber das Letzte genommen, was ihm noch bleibt: Die Würde.
    Deshalb wurde er zum Brandstifter. 

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Manfred Gasser Di., 10.10.2023 - 09:09

Solche, oder ähnliche Fälle sind leider nicht so selten. Nur werden diese nicht öffentlich, da einfach niemand daran interessiert ist, wenn "nur" das Leben eines
Einzelnen zerstört wird, ich kann leider ein Lied davon singen. Aber ob das Abfackeln des Gerichts die richtige Antwort darauf ist, bezweifle ich doch sehr.

Di., 10.10.2023 - 09:09 Permalink
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△rtim post Di., 10.10.2023 - 10:52

Nicht alle schaffes es, erfahrenes Unrecht und Ungerechtigkeit hinzunehmen, wie man sieht.
Manche verzweifeln, versuchen gar das kaputt zu machen, was sie ihrer Ansicht nach kaputt macht.

Di., 10.10.2023 - 10:52 Permalink
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chris brandner Do., 12.10.2023 - 06:38

Wenn ich an das Leid der realen und potentiellen Opfer dieses Querulanten denke, dann wirkt auf mich die billige Pointe des Artikels " die Würde des Täters" sehr naiv. Die " Würde" nimmt er sich schon selbst!

Do., 12.10.2023 - 06:38 Permalink