Gendern
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Gesellschaft | Fritto Misto

Die Zeiten gendern sich

Aller Anfang ist schwer. Aber sprachlicher Wandel lässt sich weder verordnen noch aufhalten.
  • Als ich vom Antrag gegen die „Gendersprache“ der Liste JWA gelesen habe, da wollte ich lospoltern. Wollte sie Ewiggestrige schimpfen, die verzweifelt am Patriarchat festhalten, wohlwissend, dass sie letzterem ihren Platz im Landtag zu verdanken haben und nicht etwa ihren großartigen Fähigkeiten (die Männerquote als Norm). Wollte ihnen Verlogenheit und Frauenfeindlichkeit vorwerfen, weil es doch die rechten Parteien und solche, die es gerne wären, sind, die vorgeben, sich um die Frauen zu sorgen, wenn man mit dieser Sorge praktischerweise Ausländerhetze betreiben kann („Unsere Frauen und Töchter können abends nicht mehr auf die Straße gehen! Pfefferspray ist Pflicht!“). 
    Die aber kein Problem damit haben,  wenn diese Frauen und Töchter eine noch viel größere Einschränkung erfahren, wenn sie nämlich in der Sprache unsichtbar gemacht werden: Dagegen hilft auch kein Pfefferspray. Wollte spotten, dass sich da Protagonisten als Sprachpuristen aufpudeln, den Verfall der Muttersprache beklagen, die immer wieder mit Wortmeldungen und Pressemitteilungen auffallen, die unter mindestens zwei Promille verfasst worden zu sein scheinen. 
    Dann besann ich mich aber eines Besseren, drohte ich doch, mich in eine Jürgin Wirthin Anderlanin oder gar eine Colleen zu verwandeln mit meinem Gezeter, und nahm mir besagte Aussendung noch einmal vor. Und siehe da: Die wackeren Kämpfer für gutes Deutsch haben gar nichts gegen das Gendern, sie scheinen vernünftige Leute zu sein. Es sind diese verflixten Sonderzeichen, die Sternchen und Doppelpunkte, die Leerzeichen mitten im Wort, die ihnen Kopfschmerzen bereiten.

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  • „Wollte spotten, dass sich da Protagonisten als Sprachpuristen aufpudeln, den Verfall der Muttersprache beklagen, die immer wieder mit Wortmeldungen und Pressemitteilungen auffallen, die unter mindestens zwei Promille verfasst worden zu sein scheinen. „

     

    Das ist legitim. Es ist verwirrend, es sieht nicht immer schön aus, es ist nicht einheitlich, und ein Satz wie „Dixs Autorxs bereichern die Debatte durch xs Beiträge“, also nein, da frage auch ich mich: Waren da die Kinder mal wieder an der Tastatur? Wobei ich sagen muss, dass mir ein vergleichbarer Satz noch nie irgendwo untergekommen ist, und ich lese querbeet. Aber offenbar liest ein JWA noch viel mehr. Zum Beispiel die Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung, auf die sowohl er als auch die Freiheitlichen sich in ihrer Mission zur Rettung der deutschen Zunge beziehen. Der findet die Sonderzeichen auch nicht toll, stellt aber unmissverständlich fest: “(…) dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll“. 
    Dieser Satz wird euch wohl kaum entgangen sein, liebe Sprachpuristen aus dem rechten Lager, und wenn ihr den unterschreiben könnt, was offensichtlich der Fall ist, ansonsten würdet ihr den Rat doch kaum zitieren, dann haben wir eh kein Problem, dann schaffen wir das, auch ohne *:/&5$- Chaos. 

  • Gender-Verbot: Ein irrwitziger Gedanke. Foto: Bayrischer Rundfunk

    Gendern, bzw. sichtbar machen (wir können es auch so nennen, wenn ihr euch primär an diesem „neumodischen Ausdruck“ stört) funktioniert nämlich auch ohne Sonderzeichensalat: Frau kann umschreiben, Synonyme verwenden, die neutrale Mehrzahl benutzen, Tätigkeiten beschreiben statt Substantive zu nehmen, usw. : Es gibt viele Möglichkeiten, Sprache so zu gestalten, dass sich jede angesprochen fühlt, um alle Zuhörerinnen oder Leserinnen zu erreichen, und nicht nur einen Teil davon und den Rest auszuschließen. Wie sich das anfühlt, das hat euch vielleicht dieser Absatz vor Augen geführt, der nur Frauen sichtbar macht. Ihr habt euch als Mann nicht abgeholt gefühlt? Tja, so geht es allen, die sich nicht als männlich definieren, mit dem maskulinen Generikum die ganze Zeit.  

     

    „Es ist eine Revolution, die sich von unten nach oben, ganz sanft ihren Weg bahnen wird.“

  • Dass das Gendern uns nicht aufgezwungen werden darf, auch da habe ich für JWA und Konsorten Verständnis, uns eint wohl eine gewisse Grundtrotzigkeit. Genauso wenig darf es aber verboten werden, ohnehin ein irrwitziger Gedanke: Als könnte man etwas so Lebendiges, Bewegliches wie Sprache fixieren wie ein totes Insekt. Es ist eine Revolution, die sich von unten nach oben, ganz sanft ihren Weg bahnen wird: Wenn immer mehr Menschen sich bemühen (und Bildungseinrichtungen und Verwaltung müssen das sowieso, wenn sie auch nur einen Deut auf ihr Up-to-date-Sein und ihre Vorbildfunktion geben), alle anzusprechen, auf welche Art und Weise auch immer, dann werden auch Jürgen, Ulli und der Otto (gut, der vielleicht weniger) irgendwann ganz unbewusst und easy gendern, was das Zeug hält: Weil die Gesellschaft sich wandelt und mit ihr auch die Sprache, die ja immer ein Spiegel der Gesellschaft ist. Sich gegen diesen Wandel zu wehren, ist ein Versuch, diesem Spiegel blinde Flecken zu verpassen, ihn zu einem Zerrspiegel zu machen, und der gehört dann wirklich nur mehr ins Gruselkabinett – zusammen mit jenen, die ihn befürworten.