Sport | Gastbeitrag

Die absurde Bobbahn von Cortina

Die „Kathedrale in der Wüste“. Eine Bahn, die wohl wie die Bobbahn für Olympia 2006 als Ruine enden wird. Ein Promemoria zur Situation um die Bobbahn Cortinas.
cortina protest
Foto: Albert Willeit
  • Über den totalen Unsinn dieser Bobbahn bräuchte man eigentlich nicht weiter zu reden. Nach den jahrelangen Versäumnissen der Organisatoren und den vielen Protesten und Kundgebungen von Bürgern und Umweltverbänden, sowie nach dem erfreulichen öffentlichen Rückzug des CONI-Präsidenten im Oktober 2023 schien es, dass die Vernunft auch aufgrund des Zeitmangels doch noch gesiegt hatte. Doch dann plötzlich wurde der Bau der Bahn wieder beschlossen, was allein auf populistische, nationalistische und parteipolitische Gründe der Lega von Zaia u. Salvini zurückgeht. Dabei ist es in der heutigen Zeit von Krieg, Umwelt-, Klima- und sozialer Krise unverantwortlich, eine solch unnütze „Kathedrale in der Wüste“ zu bauen, welche wohl wie die Bobbahn und die Sprungschanze für Olympia 2006 in Cesana und Pragelato als Ruine enden wird.

    Um die Hintergründe rund um die Bobbahn und die Situation von Cortina etwas besser zu verstehen, sollen einige Details zur Ausschreibung der Arbeiten für die Bobbahn aufgelistet werden.

  • Kosten

    Eine Protestkundgebung in Cortina im Jahr 2021: „Olympischer Straßenbau ist unvereinbar mit den vereinbarten Nachhaltigkeitszielen.“ Foto: Albert Willeit

    Immer wieder hört und liest man, dass die Bobbahn 82 Mio. € kostet, doch das ist falsch, denn das sind die reinen Baukosten. Samt Nebenspesen und Mwst. sind es 120 Mio.€. Auch die neue „Light“- Ausführung ist nicht billiger, sondern wesentlich teurer, denn der Grundpreis ist nach wie vor derselbe (82 Mio.), doch in der Ausschreibung fehlen einfach 5 oder 10 Mio. (wer weiß genau wieviel?) an bisher vorgesehenen Arbeiten (Abdeckungen, Beleuchtung, Tribünen, Bar, Parkplatz, etc.). Diese werden gewiss später mit einer Zusatzfinanzierung ergänzt. Werden es also am Schluss vielleicht 150 Mio.?

  • Die Farce der Ausschreibung

    Mengenberechnung als Teil der Ausschreibung (Auszug - S. 710): Allein dieses gesamte Dokument hat 800 Seiten und 5.200 Positionen!Da gibt es vieles zu studieren. Foto: Infrastrutture Milano-Cortina

    Die Ausschreibung der Bauarbeiten wurde am 29.12.2023 veröffentlicht und der Termin für die Abgabe der Angebote war bereits am 18.01.2024 –12.00 Uhr, also waren nur 20,5 Tage Zeit. In diesem Zeitraum von Weihnachten über das Jahresende bis Dreikönig ist aber Ferienzeit, wo eigentlich kaum ein Betrieb arbeitet. Also blieben für interessierte Anbieter nur 10 -15 Arbeitstage zum Studium von sage und schreibe 2.080 Dokumenten, davon etwa 1700 technischen Plänen und vielleicht 10.000 Textseiten übrig!! Außerdem braucht es für so eine komplexe Arbeit viele Subunternehmer, die das auch alles studieren müssen. Somit scheint klar, dass die einzige Firma (Pizzarotti), die das Angebot abgab, dies alles vorher schon genau wusste, studiert und berechnet hatte und den Politikern und Bauträgern bereits signalisierte, dass sie die „Light“-Version um den Nettopreis von 82 Mio. machen würde. Ansonsten hätten sie keine neue Ausschreibung riskiert, um nicht das 3. Mal leer auszugehen.

    „Dabei ist es in der heutigen Zeit von Krieg, Umwelt-, Klima- und sozialer Krise unverantwortlich, eine solch unnütze „Kathedrale in der Wüste“ zu bauen.“

    Warum wohl hat die Fa. Pizzarotti nur einen Mini-Abschlag von 0,013%= ca. 10.000 € (!) gemacht? Wohl wissend, dass defacto keine andere Firma anbieten kann, weil es unmöglich war, in 2 Wochen ein so komplexes risikoreiches Angebot mit kürzesten Fertigstellungsterminen zu erstellen. Auch wenn es zwar, wie vorgeschrieben, eine internationale Ausschreibung war, doch mit einem solchen System schließt man natürlich unliebsame andere Bewerber ganz einfach aus. Damit dürfte allen klar sein, wie das ablief. Zudem hat die Regierung extra für die Olympiabauten die Mindestzeiten für Veröffentlichungen auf die Hälfte reduziert! Ist das alles regelkonform?

  • Wird Cortina wie Cesana enden?

    Eine Ruine von Torino 2006: Die Sprungschanze in Pragelato Foto: Michele Filippucci (di POW Italia)

    Nun stellt sich die Frage: Wird es in Cortina besser ausgehen als in Cesana 2006? Dort kostete die Bahn bereits damals 110 Mio. und in Cortina fing man mit 47 Mio. an und ist nun bei 120. Mio., wobei viele notwendige Arbeiten (vorerst) gar nicht aufscheinen.

  • Instandhaltung

    Ein weiteres „Übrigbleibsel“ von Torino 2006: Die Bobbahn in Cesana Foto: Michele Filippucci (di POW Italia)

    Für den Betrieb und die Instandhaltung schätzt man Kosten von 1-1,5 Mio. €. Der lokale CONI-Ableger Tabarelli aber schwafelt, dass sich die Bahn selber trägt und keine öffentlichen Zuschüsse braucht. Warum aber hat sich das Land Südtirol verpflichtet, diese jährlich mitzutragen? Sogar der BM von Cortina sagte öffentlich, dass er wegen der kurzen Termine und der Folgekosten für seine Gemeinde nicht schlafen kann.

  • Entfernung

    Von Bozen aus ist Patsch/Igls jedenfalls näher und schneller erreichbar als Cortina, wo man mind. 40 Min. länger braucht (Fahrtzeit 2 h mit Auto). Auch von Mailand aus ist Cortina weiter. Und mit Öffis für die Masse liegt Cortina auch nicht grad an einer Hauptlinie.

  • Cortina, wie es leibt und lebt

    Man weiß inzwischen zur Genüge, dass Cortina nicht imstande ist, irgendwelche wichtigen Infrastrukturen instandzuhalten: Das Hallenbad ist seit 12 Jahren geschlossen, das Kino ebenfalls so wie die Montessori -Schule, heuer auch die Langlaufloipe. Zudem sind viele Hotels am Boden wie auch die Sprungschanze von 1956 (dort will man ein nettes Museumchen machen und an die glorreichen Zeiten erinnern). Bei der Sanierung des Olympiastadions wurde bisher noch kein Nagel geschlagen. Und noch ein Beispiel gefällig? Bei der Zufahrt zum Zielgelände der Bobbahn ist eine kleinere Brücke über den Fluss. Sie stammt wohl aus der Zeit der Olympiade 1956 oder den 70er Jahren. Dort wurde das Geländer etwas beschädigt. Für die Sanierung fehlt offensichtlich das Geld, also hat man einfach beidseitig Baustellengitter vorgehängt, aber nicht nur kurzzeitig, sondern lt. Streetview seit mindestens 7 Jahren!! Das ist die bittere Realität.

    „Wie hieß es am Beginn der Bewerbung von Milano-Cortina 2026: Olimpiadi a costo ZERO. Jetzt aber sind wir bereits bei über 5 Mrd. €.“

    Doch Cortina lebt immer noch (nur) von seinem Namen von 1956. Trotzdem können sie offenbar damit nicht wirtschaften und verkaufen ihr Kapital, denn seither sind sehr viele Immobilien an kaufkräftige Auswärtige verkauft worden und die WM und Olympiade heizen die Spekulation weiter an. Sie tragen dazu bei, dass die Immobilienpreise massiv steigen und ein weiterer Schub von Ausverkauf der Heimat in Gang gesetzt wird.

  • Olympiade zum Nulltarif

    Wie hieß es am Beginn der Bewerbung von Milano-Cortina 2026: Olimpiadi a costo ZERO. Jetzt aber sind wir bereits bei über 5 Mrd. €.

  • Auszug aus der Kostenberechnung lt. Ausschreibung. Gesamtkosten ca. 120 Mio. €.: Auf die Nettobausumme von 81,6 Mio. hat die Fa. Pizzarotti nur 0,013% = ca. 10.000€ Abschlag gemacht. Foto: Infrastrutture Milano-Cortina 2026
  • Wertschöpfung für die Region

    Da eine transnationale Firma von auswärts die Bobbahn ausführt, werden von den 120 Mio. € in Cortina oder Umgebung wohl nur einige Brosamen abfallen. Doch vermutlich gibt es in dieser gesamten Gegend wohl keine etwas größere Baufirma, die diesen großen Auftrag kurzfristig hätte ausführen können, nachdem sogar die simplen Arbeiten für den teilweisen Abbruch der alten Bobbahn (ca. 3 -4 Mio. €) vor 2 Jahren eine Firma aus Turin (!) bekommen hat.

    Und noch ein Beispiel: Das Ausführungsprojekt für die Bobbahn haben 5 Büros erstellt: Eines aus dem Veneto, zwei aus Südtirol und zwei aus dem Norden Deutschlands. Soviel zu den einheimischen Firmen und zur lokalen Wertschöpfung.

  • IOC ohne Macht?

    Sogar das IOC selbst ist seit Jahren gegen den Neubau einer Bobbahn, aber es kann sich offenbar gegen Italien nicht durchsetzen!? Das ist ziemlich zum Lachen. Vielleicht sollte sich das IOC dafür einsetzen, dass in Zukunft Olympische Spiele nicht mehr nur an ein einziges Land vergeben werden, sondern an mehrere und jeweils verteilt auf Orte mit bestehenden Anlagen. Das wäre bedeutend umweltverträglicher, leichter zu organisieren und zu finanzieren und zudem wesentlich publikumswirksamer.

    Dieses Promemoria mit Informationen und Details sollten zum Nach- und Überdenken anregen.

    Albert Willeit, Gais

    Bezirksobmann Heimatpflegeverband Südtirol

  • Zustand 2017 (oben) – Geländer beschädigt; Zustand 2019 (unten) – Beidseitig Bauzaun zur Absicherung!; Zustand 2024 (rechts) – Zustand seit mind. 7 Jahren: Vielsagendes Sinnbild für die Verwaltung von Cortina und deren finanziellen Sorgen. Solche Beispiele gibt es dort leider zuhauf. Die jährlichen Instandhaltungsspesen für die Bobbahn werden das noch weiter verschlimmern. Foto: Google Streetview; Albert Willeit
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Johannes Engl Fr., 16.02.2024 - 20:45

Sehr gute Recherche, Herr Willeit!
Leider eine unsinnige Geldverschwendung. Durch die nationalistische Hintertür kam das Monster zurück, das wir schon besiegt wähnten.

Fr., 16.02.2024 - 20:45 Permalink
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Salto User
Cicero Sa., 17.02.2024 - 06:31

Wenn sich sogar das an Gigantismus leidende IOC gegen den Bau dieser Bahn ausspricht, dann zeigt das den ganzen Unsinn dieses Projekts.

Sa., 17.02.2024 - 06:31 Permalink
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Profil für Benutzer kuno prey
kuno prey Sa., 17.02.2024 - 08:42

... dann ist da noch die 100% hausgemachte SÜDTIROLARENA in antholz und der von der LR gegen jede Vernunft vorangetriebene ausbau der PUSTERTALER STRASSE (natürlich unter dem vorwand der Ortsumfahrungen). ein GANZ NORMALER WAHNSINN, im gegensatz zu den KLIMAZIELEN vom superland südtirol. nach dem motto: mir san di beschtigschtn…

Sa., 17.02.2024 - 08:42 Permalink
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Herta Abram Sa., 17.02.2024 - 13:51

Danke Herr Willeit! Ich persönlich bin überzeugt, dass Salvinis BobbahnHandeln
nicht mehrheitsfähig ist.
Wie können wir diesen Omnipotenzwahn, von Salvini und KapitalMacht, welcher letztendlich auf Kosten von SteuerzahlerInnen, Natur und Umwelt geht, stoppen?

Sa., 17.02.2024 - 13:51 Permalink
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Salto User
nobody So., 18.02.2024 - 20:42

Hab noch das Grinsen im Kopf, was sie sich gefreut haben wie die Kinder. Sie müssen diesen Sch... auch nicht bezahlen. Aber wir müssen die auch noch bezahlen, nicht nur eine sinnlose Bobbahn.

So., 18.02.2024 - 20:42 Permalink
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Mathias Lechthaler Do., 22.02.2024 - 09:55

Wenn man will, dass Italien weiterhin bzw. wieder gute Ergebnisse im Rodeln und Bob bringen soll, dann muss man auch eine Bobbahn haben. Da dort dann die Südtiroler Athlet:innen trainieren würden, sehe ich keine Gefahr, dass die Bahn verfallen wird.

Do., 22.02.2024 - 09:55 Permalink