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Von Boden und Überzeugungen

Die Philosophin Lisz Hirn hielt gestern einen Vortrag in der Eurac. Leitend die Frage, ob der Mensch/das menschliche Selbstverständis in der Neuzeit noch rettbar ist.
Lisz Hirn
Foto:  Inge Prader
  • Am gestrigen Donnerstagnachmittag war die österreichische Philosophin und Autorin Lisz Hirn in der Bozner Eurac zu Gast. Unter dem Titel „Ist der Mensch noch zu retten?“ setzte sie sich im Rahmen eines Vortrages mit dem menschlichen Selbstverständnis auseinander. Die leitende Frage dabei: Wankt das Konzept des (Über-)Menschen – gerade in Hinblick auf aktuelle Krisen, Radikalisierungen und dem Fortschritt der künstlichen Intelligenz? Beziehungsweise ist es an der Zeit „den Menschen“ in einer anderen, umfassenderen Art und Weise zu denken?

  • Zur Vortragenden

    Elisabeth Katharina Hirn, geboren 1984 in der Steiermark, studierte Geisteswissenschaften und Gesang in Graz, Paris, Wien und Kathmandu. Sie setzte sich unter anderem mit Friedrich Nietzsches lebensphilosophischem Verständnis des Menschseins auseinander und war als Gastreferentin in Kathmandu aktiv; daneben referierte sie auch in Tokio und Lima. Sie betreibt eine philosophische Praxis in Wien, die sich unter anderem Problemlösungskompetenzen, die Stärkung des rationalen Denkens und der gewaltfreien Kommunikationsfähigkeit zum Ziel setzt. Seit 2016 ist sie Mutter einer Tochter.

  • Hirn öffnete den Vortrag mit einem Mythos der römischen Sagenwelt, einem Schöpfungsmythos des Menschen: Die Göttin Cura (Göttin der Sorge, Fürsorge und Pflege) formte Gestalten aus tonhaltiger Erde, der Gott Jupiter hauchte den Wesen Gestalt ein. Dafür wollte er allerdings über die Namensgebung bestimmen. Sie stritten darüber, auch die Erde (Erdgöttin) erhob Ansprüche, da sie ein Stück ihres Körpers bereitgestellt hätte. Darob ließen sie den Gott Saturn entscheiden, der festsetzte, dass Jupiter als „Geistgeber“ den Geist der Wesen nach dem Tode erhalten werde und die Erde als „Körpergeberin“ den Körper nach dem Tode. Solange die Wesen aber leben, besitzt sie die Sorge. Den Namen entnehmen die Wesen aus dem Boden („humus“) aus dem sie gemacht sind: Homo. Demnach sei der Mensch schon von Beginn an mit dem Boden verbunden genau so wie mit der Sorge.

    Wir seien Bodenlebewesen, das Humane bedeute wortwörtlich das Bodenhafte, wir kämen aus dem Boden und unser Fleisch würde dort auch wieder enden. Als materielle, verletzliche Lebewesen würden wir Zeit unseres Lebens Sorge tragen müssen. Die „Conditio Humana“ beinhalte die Sorge um die Zukunft und um den Unterhalt, also so gesehen um den Boden, unser Versorger. Diese gemeinsame Sorge würde angesichts der derzeitigen Krisen wachsen.

  • Lisz Hirn am Rednerpult: „Diese Selbsthinterfragung gehört zu der Fürsorge und der Sorge gegenüber den anderen dazu“ Foto: SALTO
  • Schon der Nietzsche’Zarathustra hätte vom „terrestrischen Zeitalter“ gesprochen, ein neues Bewusstsein der Menschen für die Erde, den Boden, ein der Erde „treu bleiben“. Dies sei aber nicht falsch zu verstehen, nicht als Rückkehr zu mystischen Ursprüngen, ebenso nicht als „Macht euch die Erde untertan“ wie Gottes Aufforderung an den Menschen in gewissen Bibelübersetzungen laute. „Sorgt euch um die Erde“ sei nämlich eine (bessere) Übersetzungsmöglichkeit. Denn, auf ausgetrocknetem Boden, würden Radikalismus und Autoritarismus gedeihen. Zerstörter Boden münde in Gewalt und Krieg.

    Wie könne man nun den Menschen des 21. Jahrhunderts retten, ihn dazu bringen, sich für das Gemeinsame zu engagieren, für das Gegeneinander Sorge zu tragen? Da komme schon wieder die Sorge ins Spiel; sie, möglicherweise, mache den Menschen menschlich, mache ihm das Dasein bewusst. Und an der Sorge würde immer ein Stück Hoffnung hängen sowie eine Richtung für die Zukunft. Weiters gehe es auch darum, die „Wächterschaft des Seins“ zu erfüllen: Verantwortung gegenüber den Maschinen, die man entwickelte, gegenüber anderen Lebewesen.

    Man solle sich nicht täuschen lassen, ChatGPT (oder andere künstliche Intelligenzen) könne vieles, wird vieles übernehmen, aber es könne letztendlich dem Menschen nur „nachmachen“, und gerade gewissen Arbeiten wie Pflege oder Handwerk seien letzten Endes eine „menschliche“ Arbeit. Die Digitalisierung der Welt, die weiter voranschreite, sei nicht nur eine persönliche Angelegenheit, sondern auch durchwegs ethisch, gesellschaftlich und politisch relevant.

    Dann die ewig währende Frage nach der Zukunft „im Allgemeinen“, manchmal habe es den Anschein, als seien alle utopischen Potentiale verblasst. Unterschiedliche Gerechtigkeitssysteme würden aufeinandertreffen, dies führe zu Clashes. Klar sei aber auch, Menschen lassen sich mobilisieren für ihre Anliegen. Die Schwierigkeit: in dieser komplexen Gemengelage sei es kaum mehr möglich, Entscheidungen für alle zu legitimieren. Es sei gar nicht mehr ein Kampf der Meinungen, sondern der Überzeugungen. Hirn wirft ein Zitat Nietzsches ein: „Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit, als Lügen.“ Philosophie solle dem entgegentreten und die Hinterfragung eigener Überzeugungen entgegentreten. Etwas, das dem Menschen sehr schwerfalle, er hänge stark an seinen Überzeugungen. „Diese Selbsthinterfragung gehört aber zu der Fürsorge und der Sorge gegenüber den anderen dazu“ schließt Hirn. 

  • Friedrich Nietzsche: „Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit, als Lügen.“ Foto: Friedrich Hermann Hartmann/Gemeinfrei
  • Mit ideologiegetränkten Fanatikern sei Diskutieren nämlich unmöglich. Man könne argumentieren, dass alle bisherigen humanistischen Projekte gescheitert seien, weshalb etwa der Transhumanismus (Erweiterung jedweder menschlichen Möglichkeiten durch technische Mittel) ins Spiel komme, um „menschliche“ Defizite wie Gewalt, Krankheit etc. auszulöschen und so den Menschen zu retten. Aber auch diese Verbesserung wäre letztendlich ideologisch angehaucht und würde neue Fragen aufwerfen. Wenn ein Chip mein Handeln kontrollieren und schlechte Taten verhindern würde, wäre ich noch ein Mensch ohne Möglichkeit auf „freies, falsches“ Handeln? KI erfordere ein Technikverständis des Menschen, das jenseits von Dämonisierung der Technik und genau so jenseits von einem Technik-Kult stehe. Pragmatismus allein reiche jedenfalls nicht aus, um die Fragen der Neuzeit zu beantworten, es brauche einen ganzheitlichen Ansatz.

    Ist der Mensch nun aber noch zu retten? Möglicherweise sicher (nicht).

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Gasteiger josef Fr., 10.05.2024 - 18:00

Ich kann allem nur zustimmen. Ich bin überzeugt dass wir radikal über unseren derzeitigen gesellschaftlichen schatten springen müssen, schatten im sinne des psychotherateuten rüdiger dalke,: mit aufrechterhaltung alter denk und verhaltensmuster und der meinung, man könnte die entwicklung linear, mit allen technischen neuerungen einfach fortschreiben, das geht jetzt nicht mehr, was bisher vielleicht zur reparatur der angerichteten schäden noch passte, oder uns zumindest vorgaukelte, dass es passt, die mechanismun und korrektur muster greifen jetzt nicht mehr. Rückbau in allen belangen und schrumpfung ist angesagt, alles andere ich pfusch, klemperhandwerk

Fr., 10.05.2024 - 18:00 Permalink
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Peter Gasser Fr., 10.05.2024 - 18:33

Mir fehlt da im Artikel irgendwie der Faden, was ich als sehr schade empfinde... gibt es da vielleicht einen Link zum Text des Vortrages selbst?
Oder eine Kurzfassung der Philosophin Lisz Hirn?

Fr., 10.05.2024 - 18:33 Permalink
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Josef Fulterer Sa., 11.05.2024 - 07:56

Wenn die Politiker nicht -e n d l i c h- den Verstand und den Mut haben, der Verschwendung der FOSSILEN-BRENNSTOFFEN entsprechende Maßnahmen entgegen zu setzen, werden weite Teile der Erde landwirtschaftlich nicht mehr nutzbar + nur mit sehr hohem Aufwand bewohnbar.
Das wird MIGRANTEN-STRÖME auslösen, die ALLES bisher in dieser Hinsicht-Erlebte, weit übertreffen wird!
Dann wird auch KI nicht mehr helfen!

Sa., 11.05.2024 - 07:56 Permalink
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Klaus Hartmann Mo., 13.05.2024 - 10:53

Einige Fragen zu " es ist an der Zeit „den Menschen“ in einer anderen, umfassenderen Art und Weise zu denken?"
Wie kann ICH denken was noch nicht gewesen ist? Ist Denken jenseits MEINER Überzeugungen, Konzepte und Vorstellungen möglich? Gibt es eine Wirklichkeit jenseits MEINES Denkens? Was bleibt von MIR jenseits MEINES Denkens?

Mo., 13.05.2024 - 10:53 Permalink