Kultur | SALTO Gespräch

Selten habe ich so leicht Worte gefunden

Der Journalistin Barbara Bachmann wird im Juni der Claus Gatterer-Preis überreicht. Außerdem ist sie Anwärterin für den Egon Erwin Kisch-Preis. Ein Gespräch zum Muttertag
barbara bachmann ridotta
Foto: BB
  • SALTO: Sie haben mit dem berührenden Text einer Mutter, ihre eigene Tochter Hera unsterblich gemacht. Ist Sprache, bzw. das zur Sprache bringen, mächtiger als der Tod?

    Barbara Bachmann: Falls mir das wirklich gelungen sein sollte, fände ich das sehr schön. Gut gewählte Worte haben eine ungeheure Kraft und können uns überdauern. Sie haben kein Ablaufdatum und sind auf ihre Art zeitlos. Insofern ist Sprache tatsächlich mächtiger als der Tod.

    Welche Rollen spielten die vergangenen Muttertage in Ihrem Leben? Welche Rolle spielt der Tag heute?

    Der Muttertag ist gesellschaftlich mit Bildern und Erwartungen emotional aufgeladen, er wird auch kommerziell ausgeschlachtet. Den ersten Muttertag nach Heras Tod fürchtete ich vorher. Es war mir damals wichtig, von außen als Mutter wahrgenommen zu werden, auch wenn oder gerade weil ich mein Baby nicht im Arm halten konnte. Der Austausch mit anderen Sternen- und Regenbogenmamas gab mir, wie in vielen weiteren Momenten, Trost. Heute, mit meinem Sohn an der Hand, hat der Tag keine große Bedeutung mehr für mich. Meine Gedanken sind aber bei jenen, denen er schwer fällt. Darunter Mütter, die ihre Kinder frühzeitig verabschieden mussten oder Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch.
     

    Und noch mehr als jede Auszeichnung bedeuten mir die Reaktionen, die ich von anderen Betroffenen auf den Text erhalte.

  • Claus Gatterer-Preisträgerin 2024: „Durch die meisterhafte Sprache und den bedachten Zugang gelingt es der Autorin, ihr Schicksal in seiner Tragweite auch Nicht-Betroffenen verständlich zu machen und bietet anderen Betroffenen Halt. Durch seine Generalisierbarkeit dient der intime Text auch als bedeutender Beitrag zur Sichtbarmachung eines gesellschaftlich tabuisierten Themas.“ So die Jury. Foto: Seehauserfoto

    Wie hat die eigene Erfahrung zur Schwangerschaft mit Hera Ihre Sichtweise zu diesem Thema verändert? 

    In meiner Schwangerschaft mit Hera war ich noch Teil der Blase, die unangenehme, schmerzhafte Themen ausblendet. Zum Teil passiert das als Selbstschutz, was auch nachvollziehbar ist. Aber es klammert jene aus, die dem nicht entsprechen. Deren Kind zum Beispiel kurz vor, während oder nach der Schwangerschaft verstirbt oder nicht gesund zur Welt kommt. Im Anschluss an meine Erfahrung habe ich von allen vorstellbaren Tabus gehört. Die Schwangerschaft mit meinem Sohn verlief daher anders. Aufgrund unserer Vorgeschichte war sie zum Teil auch mit Ängsten behaftet, aber insgesamt war sie wohl realistischer. Mir war noch bewusster, was theoretisch alles passieren könnte. Und was für ein unglaubliches Geschenk es ist, wenn ein Kind gesund geboren wird.

    Wie schmerzvoll war die Schreibarbeit an diesem Text?

    Das Schreiben an sich war nicht schmerzvoll, im Gegenteil. Es war sehr heilsam. Und befreiend. Ich habe den Text in Etappen geschrieben, während mein wenige Monate alter Sohn schlief. Selten habe ich so leicht Worte gefunden.

    Mit dem Text „Ein Leben so kurz“ ist Ihnen ein journalistisches Glanzstück gelungen das seinesgleichen sucht. Sie werden dafür mit dem Gatterer-Journalistenpreis ausgezeichnet und stehen auch auf der Shortlist des Egon-Erwin-Kisch-Preises. Welche Worte finden Sie dazu?

    Es ist schön, wenn die eigene Arbeit auch von Kollegen und Kolleginnen Wertschätzung erfährt. Den Gatterer-Preis zu erhalten ist eine große Ehre für mich, besonders für den für mich wichtigsten Text, der mir nicht mehr bedeuten könnte. Vor allem aber freut mich, dass Hera und mit ihr alle Sternenkinder und Sterneneltern dadurch mehr Sichtbarkeit bekommen. Und noch mehr als jede Auszeichnung bedeuten mir die Reaktionen, die ich von anderen Betroffenen auf den Text erhalte.

    Glückwünsche zum Preis, Mitleidsbekundungen zum Schicksalsschlag. Wie geht das Hand in Hand?

    Ich erhalte einen Preis für einen Text, von dem ich wünschte ich hätte ihn nie schreiben müssen. Darin liegt auf den ersten Blick wohl ein Widerspruch. Aber da mein Mann und ich diese Erfahrung nun einmal gemacht haben, empfand ich es irgendwann als Teil meiner ganz persönlichen Aufgabe, darüber nicht nur für mich zu schreiben, sondern unsere Geschichte auch mit anderen zu teilen.
     

    Während des Schreibens und auch als der Text veröffentlicht wurde, fühlte ich mich ihr sehr nah.

  • Am Podium zu Claus Gatterers 100. Geburtstag: Lisa Maria Gasser (Moderation) mit Alessandro Costazza, Christoph Franceschini, David Runer und Barbara Bachmann. Foto: Seehauserfoto

    „Ein totes Baby ist ein doppeltes Tabu“, ist einer der vielen starken Sätze Ihres preisgekrönten Textes. Sie haben das doppelte Tabu entzaubert. Gemeinsam mit Hera?

    Die Redaktion des Süddeutsche Zeitung Magazins hat unserer Geschichte viel Raum gegeben und keine Änderungen am Text vorgenommen, wofür ich wirklich dankbar bin. Heras letztes Ultraschallbild war auf dem Titel zu sehen. Zunächst hatte ich kurz daran gezweifelt, ob das eine gute Idee ist. Mein Mann meinte aber: „Sie möchte es so.“ Und das glaube ich auch. Während des Schreibens und auch als der Text veröffentlicht wurde, fühlte ich mich ihr sehr nah.

    Sie erwähnen auch das Heraland ihrer Tochter. Es ist ein phantastisches Traumland, in welchem Ihre Tochter lebt, und das andere Kinder für sie erdacht haben. Wie geht es dem Land? 

    Kinder haben einen viel ungezwungeren Umgang mit dem Tod und den Toten als wir Erwachsene. Meine Nichten und Neffen sprechen ganz natürlich über Hera. Für sie ist sie nach wie vor präsent, auf ihre Art und Weise. Erst neulich malten sie ein Bild von ihr und kleben es wortlos an meine Wohnungstür. 

    Wenn Journalisten Ihr eigenes Erleben in den Vordergrund stellen, dann ist das immer ein zweischneidiges Schwert. Wie sehen Sie das bei anderen Kolleginnen und Kollegen?

    Eine Ich-Reportage ist kein Tagebucheintrag. Wenn man über sich selbst schreibt, besonders, wenn es sich um ein schweres Thema handelt, läuft man schnell Gefahr, bei der eigenen Gefühls- und Erfahrungswelt stehen zu bleiben. Das Geschriebene muss darüber hinausgehen, es muss größer sein als man selbst. Und im Idealfall nicht nur andere Betroffene ansprechen, sondern auch jene, die keine ähnliche Erfahrung gemacht haben. Der Text sollte den Lesenden die Möglichkeit der Identifikation/Empathie geben.

    Sie haben gemeinsam mit der Fotografin Franziska Gilli das Buch "Hure oder Heilige" herausgegeben. Verfolgen Sie noch die Widersprüche des italienischen Frauenbildes? Seit dem Erscheinen des Buches hat sich – obwohl eine Frau an der Macht ist – das Frauenbild verschlechtert. Was denken Sie dazu?

    Leider ist eine Frau als Ministerpräsidentin kein Garant für eine feministische Politik, Giorgia Meloni ist das beste Beispiel dafür. Die jüngsten Entwicklungen, wie etwa das Zulassen von Vereinen wie „Pro Vita“ in Beratungsstellen für Frauen, die abtreiben wollen, sind ein großer Schritt zurück. Gleichzeitig tut sich auch in die andere Richtung viel. Und das gibt Grund zur Hoffnung.

Bild
Profil für Benutzer Josef Fulterer
Josef Fulterer So., 12.05.2024 - 06:41

Gratulation Frau Bachmann!
Worte in eine Reihe gesetzt, können die Menschheit zu befreienden Höhen führen, leider aber in ein Boden-loses Verderben.

So., 12.05.2024 - 06:41 Permalink